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Das Domino-Komplott – Der große Verschwörungskäse

16 Mär

The Domino Principle

Von Tonio Klein

Thriller // Der Beginn ist eine Katastrophe: Ob wir denn sicher seien, dass wir den folgenden Film jetzt gerade aus freien Stücken schauen? Du liebe Zeit – ja! Die direkte Off-Ansprache an den Zuschauer, gelegt über wild geschnittene Bilder von Aufruhr, Anschlägen, Medienmaschinerie, ist selbst für das damals so beliebte Genre des Paranoiathrillers zu starker Tobak. Oder auch: Blödsinn. Wir würden alle ferngesteuert und gehirngewaschen, und zwar von Geburt an. Ältere Filme des Produzenten und Regisseurs Stanley Kramer, so gut sie sind, tänzeln in puncto Sendungsbewusstsein gelegentlich hart am Rand einer dünnen, roten Linie. „Das Domino-Komplott“ macht schon in der Einleitung klar, dass er sie massiv überschreitet. Und immer wieder: „sie“. Die Strippenzieher sind nur dies, „sie“, geheimnisvolle Mächte. Auch wenn der Paranoia-Boom in den USA der 1970er-Jahre durch Vorfälle wie die Watergate-Affäre verständlich ist: in dieser Form schon damals hanebüchen. Und sehr schlecht gealtert. Heutzutage reden sehr selektiv die Welt wahrnehmende Filterblasenopfer so. Nicht alle Querdenker sind Denker!

Gute Mittel, fragwürdiger Zweck

Gemessen daran ist „Das Domino-Komplott“ nicht so schlecht wie befürchtet, aber die Einleitung ist schon geeignet, den Ausschaltknopf zu betätigen. Indes gehört sich das für einen Rezensenten nicht; zudem verpasst man tatsächlich etwas. Sicher, am Ende hat man keinen wirklich guten Film gesehen, aber immerhin einen spannenden, mit etwas wirrköpfigem Plot. Das muss man Kramer nämlich schon vorwerfen, oder positiv gewendet, das muss man ihm lassen: Der Thriller ist konsequent. Der Vietnamveteran Roy Tucker (Gene Hackman) hat keinen Tritt mehr gefasst, ist für einen Mord (gut: Wir wissen lange nicht, ob er ihn begangen hat) in den Knast gewandert und wird nun von ominösen Dunkelmännern (und einer Dunkelfrau) aus diesem illegal herausgeholt. Nothing’s for nothing: Er hat dafür einen Mord zu begehen. Das alles ist ach so geheimnisvoll, dass die Bedeutung des Opfers im Dunkeln bleibt. Und das Motiv der Drahtzieher – es sind wirklich nur „sie“. „Sie“ gehören keiner, zumindest keiner sichtbaren, Organisation an, „sie“ haben unglaublich viel Macht und Einfluss, „sie“ belohnen und bestrafen, „sie“ können im Handumdrehen dem widerspenstigen Tucker und seiner Frau (Candice Bergen) schaden, wenn er nicht spurt.

Trügerische Idylle in Costa Rica

„Sie“ haben ihn schon seit Jahren „bearbeitet“ und Menschen in sein Umfeld gesetzt, denen er nie hätte trauen dürfen und die ihn wie eine Marionette dirigieren. Ohne zuviel zu verraten: Dass sein anfänglicher Zellenkumpel (Mickey Rooney) wie vorher die Off-Stimme ebenfalls zum Sprachrohr der Botschaft gemacht wird und ausgiebig über „sie“ doziert, ist kein Zufall. Dies und anderes (wie die Tatsache, dass ein Stück Geheimnis bleibt und dass wir in jeder Revolte Tuckers die Vergeblichkeit schon ahnen können) zeigt: Kramer ist virtuos und nutzt erzählerische wie gestalterische Mittel konsequent. Kann man bewundern. Aber man kann sich auch fragen, ob der Weg das einzige Kriterium sein sollte, wenn das Ziel angreifbar ist.

Tucker wird auch so nicht die Oberhand erlangen

Natürlich ist das lange nicht so schlimm wie etwa bei Filmen Leni Riefenstahls, bei denen ich ebenfalls ein Problem damit habe, sie rein künstlerisch zu sehen. Aber auch nicht wirklich überzeugend. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Eine Geheimtruppe sagt sich angesichts eines versierten Scharfschützen, der aber auch etwas aufsässig ist: „Das ist unser Mann, den nehmen wir im Verborgenen in die Mangel, der kann uns nach Jahren vielleicht mal nützlich sein. Und wenn wir den dann doch nicht kontrollieren können, dann regeln wir das so, dass wir ihn für das Verbrechen gar nicht brauchen, er das aber nicht weiß.“ Ernsthaft? Hier stehen Aufwand und Nutzen in krassem Gegensatz, kann man dafür nicht auf dem schwarzen Dienstleistungsmarkt einen Profikiller anheuern? Mit Logik ist diesem Thriller nicht beizukommen. Wobei es extrem zeit- und auch sonst aufwendige Beeinflussungen von Menschen ja durchaus gab und gibt. Aber Scientology ist eher ein Perpetuum mobile, das neben Geld von seinen Jüngern weitere Jünger und weiteres Geld will. Zudem weiß man dort irgendwann, woran man ist (auch wenn es dann zu spät sein mag). Etwas anders konnte dies im Kalten Krieg sein. So schickte die Stasi dem berühmten Ballon-Republikflüchtling Peter Strelzyk noch Spitzel in den Westen hinterher, die ihm dort das Leben schwermachten und fleißig über ihn berichteten. Dass Kramer mit einem „Das geht auch in einer Demokratie“-Gestus daherkommt, ist in Ordnung, da muss man nicht immer mit dem Finger auf die anderen zeigen. Dass er es aber zu einer obskuren innerstaatlichen Angelegenheit werden lässt, knirscht aus den genannten Gründen.

Stuss, aber Spannung und Stars

Was „Das Domino-Komplott“ trotz allem sehenswert macht, ist die Spannung, die sich einstellt, wenn man bereit ist, sich auf die absurde Grundsituation einzulassen. „Ein Mann gegen alle“ beziehungsweise gegen eine Übermacht, das ist als Thrillermotiv nie schlecht. Das schiere Erstaunen, wozu die Gegner fähig sind, und die Tatsache, dass der Held (oder gebrochene Held) das nie offen ausfechten oder gar behördliche Hilfe erlangen kann: Hat schon zu großartigen Filmen wie Clint Eastwoods „Absolute Power“ (1997) geführt, in dem ein Meisterdieb (Eastwood) Mordzeuge wird und den ganzen Secret Service des US-Präsidenten am Hacken hat. Und ja, das reißt auch hier einiges raus.

Auf Abwegen

Hinzu kommt das wirklich grandiose Spiel von Gene Hackman. Er spielt gleichsam kraftvoll wie nuanciert den Gescheiterten, der zwischen Aggressivität und Nachdenklichkeit, zwischen Macht und Ohnmacht schwankt, dem wir daneben auch den zärtlich Liebenden abnehmen, wenn er durch „sie“ seine Frau wiedersehen kann. Candice Bergen ist in dieser Rolle nicht schlecht, fällt aber im Wesentlichen durch eine gruselige Perücke auf. Richard Widmark ist – passend zum Gestus des Filmes – scheinbar Oberschurke, aber „sie“ sind halt so, dass es immer noch den geheimnisvollen Boss eine Stufe höher gibt. In nicht allzu großer, aber wichtiger Rolle ist der Ex-Kinderstar und im Alter auf kauzige Typen abonnierte Mickey Rooney zu sehen, und Eli Wallach spielt auch ein bisschen mit. Starlaufen um den heißen Brei. So richtig rund läuft es nicht. Oder habe ich mir nicht ausgesucht, wann und wie ich diese Rezension schreibe? Doch!

Tucker will’s tun, er weiß es nur noch nicht

Koch Films präsentiert den Film in guter Qualität und mit ein paar schönen Extras, darunter einem kurzen Making-of aus damaliger Zeit. Dort wird klar, dass es Kramer wirklich ernst meint. Die gekürzte Super-8-Fassung weckt – bei mir – Kindheitserinnerungen an dieses Format. Hochinteressant ist der Vergleich zwischen der BRD- und der DDR-Synchronisation, und zwar vor allem bei der oben beschriebenen Einleitung. Ich habe mich dort an der westlichen Fassung orientiert, weil sie dem US-Original entspricht. Ganz anders aus dem Staat, in dem die Stasi „Horch und Guck“ genannt wurde. Horchen und gucken tun nämlich gefälligst nur die anderen! Der umgeschriebene Prolog verortet Überwachung, Datensammlung und Manipulation in der, so wörtlich, „westlichen Welt“ und der „Welt des Kapitals“. Was im Kapitalismus Böses passiert, ist im Arbeiter- und Bauernstaat eitel Sonnenschein gewichen? Das ist perfide Propaganda, und sehr erhellend. Wobei des Westens Weste auch nicht weiß war; ein Beispiel aus fast derselben Zeit: In der „Columbo“-Folge „Wenn der Schein trügt“ (1976) geht es um einen NS-Kriegsverbrecher, der untergetaucht ist und in den USA als Magier arbeitet. Daraus wurde in der ursprünglichen BRD-Synchronisation ein britischer Bankräuber – wodurch auch eine Szene mit dem Hitlergruß keinen Sinn mehr ergab und der Schere zum Opfer fiel.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Stanley Kramer haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Candice Bergen unter Schauspielerinnen, Filme mit Gene Hackman, Mickey Rooney, Eli Wallach und Richard Widmark in der Rubrik Schauspieler.

Einer ist zu sehen, „sie“ bleiben verborgen

Veröffentlichung: 25. März 2021 als Blu-ray und DVD, 10. Januar 2007 und 3. April 2003 als DVD

Länge: 101 Min. (Blu-ray), 97 Min. (DVD), 81 Min. (gekürzte DVD 2003)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch (BRD), Deutsch (DDR), Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: The Domino Principle
Alternativtitel: Das Domino-Prinzip
USA 1977
Regie: Stanley Kramer
Drehbuch: Adam Kennedy, nach seinem Roman
Besetzung: Gene Hackman, Candice Bergen, Richard Widmark, Mickey Rooney, Edward Albert, Eli Wallach
Zusatzmaterial 2021: Making-of, Super-8-Fassung, alternative deutsche Vorspanne, deutscher und englischer Trailer, Bildergalerie
Label/Vertrieb 2021: Koch Films
Label/Vertrieb 2007: Concorde Home Entertainment
Label/Vertrieb 2003: VCL

Copyright 2021 by Tonio Klein

Szenenfotos & Packshot: © 2021 Koch Films

 

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