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Black Cinema Collection (3): Straße zum Jenseits – Im Schmelztiegel Harlem

14 Dez

Across 110th Street

Von Andreas Eckenfels

Krimidrama // Wenn in Quentin Tarantinos „Jackie Brown“ (1997) zum Auftakt die von Pam Grier verkörperte Titelheldin auf dem Flughafenfahrsteig erstmals auf der Bildfläche auftaucht, erklingt dazu der Song „Across 110th Street“ von Bobby Womack. Auch Ridley Scott nutzte den Klassiker in seinem Gangsterdrama „American Gangster“ (2007). Beide Meisterregisseure und viele weitere liehen sich das Lied aus „Straße zum Jenseits“ (1972), der im englischen Original eben „Across 110th Street“ heißt und dort in etwas temporeicherer Form das Krimidrama von Barry Shear (1923–1979) stimmungsvoll einleitet.

Die besungene 110. Straße befindet sich in New York City, in Manhattan nördlich vom Central Park gelegen. Wenn man die Straße überquert, betritt man den südlichen Teil Harlems. Bis heute zum Großteil von Afroamerikanern bewohnt, war das Viertel gerade in den 1970er-Jahren von Armut, Kriminalität und Gewalt geprägt. Ebendort ergreifen die Schwarzen Jim Harris (Paul Benjamin), Joe Logart (Ed Bernard) und Fluchtwagenfahrer Henry J. Jackson (Antonio Fargas) ihre Chance, dem täglichen Elend zu entfliehen: Als Polizisten getarnt nehmen Jim und Joe eine Gruppe hoch, die in einer Wohnung gerade gemeinschaftlich Mafiageld zählt. Die Diebe erbeuten stolze 300.000 Dollar, hinterlassen jedoch ein Blutbad: Drei schwarze Gangster, zwei Mafiosi und zwei Polizisten sterben. Der alternde italienischstämmige Captain Frank Mattelli (Anthony Quinn) muss gezwungenermaßen mit dem jungen schwarzen Leutnant William Pope (Yaphet Kotto) zusammenarbeiten, um den Fall aufzuklären. Ihnen bleibt nicht viel Zeit: Mafioso Nick D’Salvio (Anthony Franciosa) und dessen rechte Hand in Harlem, Doc Johnson (Richard Ward), wollen das Geld zurück und hetzen den drei Räubern ihre Spießgesellen hinterher, um sie für ihre Tat zu bestrafen.

Von Alexis Sorbas bis Huggy Bear

Ursprünglich waren angeblich John Wayne, Kirk Douglas und Burt Lancaster im Gespräch für die Rolle des Captain Frank Mattelli. Offenbar waren sie nicht interessiert, sodass schließlich der zweifache Oscar-Preisträger Anthony Quinn (1915–2011, „Alexis Sorbas“) übernahm, der bereits als ausführender Produzent an „Straße zum Jenseits“ beteiligt war. Frank Mattelli hat bereits die besten Tage hinter sich, er kennt aber die Gesetze der Straße, setzt gern auch mal Gewalt bei der Befragung ein und lässt sich manchmal auch mal schmieren, wenn er woanders hingucken soll. Yaphet Kotto (1939–2021) spielt seinen ihm zugewiesenen Partner, im Gegensatz zum alten Cop jung und (noch) nach den Regeln spielend.

Mattelli (r.) setzt Doc Johnson (l.) unter Druck

Zwei unterschiedliche Cops müssen sich zusammenraufen, immer wieder eine gern genommene Kombination im Kriminalfilm. Kotto feierte ein Jahr nach „Straße zum Jenseits“ seinen internationalen Durchbruch: In Roger Moores erstem James-Bond-Abenteuer „Leben und sterben lassen“ (1973) gibt er dem britischen Geheimagenten als Bösewicht Mr. Big eine schmerzvolle Voodoo-Lehrstunde. Sicherlich kam es nicht von ungefähr, dass 007 nach dem Erfolg des Black Cinema Anfang der 70er-Jahre auch seinen ersten schwarzen Gegenspieler erhielt. Zudem war Yaphet Kotto damals mit 33 Jahren auch der jüngste Bond-Schurke. Bedeutende Rollen in „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ (1979), „Brubaker“ (1980) und „Running Man“ (1988) folgten.

Regisseur Barry Shear brachte neben D’Salvio-Darsteller Anthony Franciosa, der für „Giftiger Schnee“ (1957) für den Oscar nominiert war, auch Antonio Fargas als Fluchtwagenfahrer Henry in der Besetzung unter. Beide arbeiteten 1975 erneut bei der Pilotfolge zur Krimiserie „Starsky & Hutch“ (1975–1979) zusammen, in der Fargas erstmals die Kultfigur Huggy Bear verkörperte, durch die er bei einem weltweiten TV-Publikum Bekanntheit erhielt.

Alle stehen unter Druck

Interessant, dass Star Anthony Quinn und Yaphet Kotto als Duo aber gar nicht so viel Leinwandzeit bekommen. Denn „Straße des Jenseits“ interessiert sich nicht nur für die Ermittlungsarbeit, sondern auch in hohem Maße für die sozialen Verhältnisse, in denen auch die Schurken leben.

Denn im Schmelztiegel Harlem stehen nicht nur die Cops unter Druck: Mafioso D’Salvio ist der Schwiegersohn eines großen Mafiabosses und muss nun dringend die Ehre des Clans wiederherstellen, wenn er einmal selbst an der ersten Machtposition stehen will: Er muss die Diebe finden und an ihnen ein Exempel statuieren, sonst drohen die Italiener die Vormachtstellung in Harlem zu verlieren. D’Salvio nimmt sich wiederrum Doc Johnson zur Brust, der seit Jahren für die Mafia die Geschäfte in Harlem erledigt. Als er Widerworte gibt, macht ihm D’Salvio seinen eigentlichen Status deutlich: Von mir aus spiele den großen Boss hier bei euch in Harlem. Aber jenseits der 110. Straße bist du ein Nigger, nichts weiter. Ein Nigger, der von uns bezahlt wird!. Harte Worte, die aber wohl die damalige Lebensrealität der schwarzen Bevölkerung widerspiegeln.

Jim Harris, Drahtzieher des Überfalls, hat es noch nicht mal innerhalb Harlems geschafft, sich ein normales Leben aufzubauen. Er sei 42 Jahre alt, Ex-Knacki, ohne Schulbildung und körperlich am Ende, erzählt er seiner Freundin Gloria (Norma Donaldso). Der Raub sei seine einzige Chance gewesen, um doch noch glücklich zu werden, um nicht Autos waschen oder den Dreck der Weißen von der Straße kehren zu müssen. Das Risiko, welches er eingegangen ist, ist ihm bewusst, ebenso, welche Leute er mit dem Diebstahl verärgert hat. Dass Jim als sozial Benachteiligter den reichen, bösen Mob beklaut, sorgt dafür, dass auch das Publikum trotz seiner Gewalttaten hinter ihm steht.

Mattelli (l.) und Pope nehmen die Verbrecher ins Visier

„Straße zum Jenseits“ blickt nicht nur auf die Polizeiarbeit, sondern auch auf das Treiben des organisierten Verbrechens in New York und den Spannungen zwischen den verschiedenen Ethnien. Das teils recht brutale Krimidrama spiegelt durch seine kaputten Figuren eine recht pessimistische Weltsicht, wodurch es sich auch weit vom gängigen Blaxploitation-Kino entfernt und eher an einen Film noir erinnert – inklusive eines äußerst zynischen Finales.

Kamera: Made in Germany

Dass der Film auch äußerst authentisch wirkt, liegt nicht nur daran, dass im Sommer 1972 an Orginalschauplätzen in New York City gedreht wurde, sondern weil dabei auch dank des ägyptischen Produzenten und Kameramanns Fouad Said („Tennisschläger und Kanonen“) eine damals brandneue Kamera zur Verfügung stand: Jack Priestley (1926–1993) durfte als einer der ersten Kameramänner in den USA mit der von der Münchner Firma Arri konstruierten Arriflex 35 BL operieren. Die 35-Millimeter-Kamera war wesentlich kleiner und leichter als herkömmliche ihrer Art. Sie konnte auf der Schulter getragen werden und war speziell für enge Räume gut geeignet. Jack Priestley konnte den Protagonisten problemlos folgen und war so näher am Geschehen dran. Zudem arbeitete die Kamera wesentlich leiser, sodass häufig auch keine Nachvertonung stattfinden musste, was bei einer Filmproduktion viel Zeit sparte. Durch die Bilder der Arriflex 35 BL wird die fiebrige Atmosphäre, die in „Straße zum Jenseits“ vorherrscht, noch verstärkt.

Die Filme der „Black Cinema Collection“ der Wicked Vision Distribution GmbH haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgeführt. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Yaphet Kotto und Anthony Quinn sind unter Schauspieler zu finden.

Veröffentlichung: 12. März 2021 2-Disc Special Edition (Blu-ray & DVD, limitiert auf 1.500 Exemplare), 15. Februar 2005 als DVD

Länge: 102 Min. (Blu-ray), 98 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Across 110th Street
USA 1972
Regie: Barry Shear
Drehbuch: Luther Davis, nach einem Roman von Wally Ferris
Besetzung: Anthony Quinn, Yaphet Kotto, Anthony Franciosa, Paul Benjamin, Antonio Fargas, Frank Adu, Tina Beyer, Joseph Attles, Richard Ward, Gilbert Lewis, Ed Bernard
Zusatzmaterial: Audiokommentar mit Dr. Gerd Naumann und Christopher Klaese, Featurette „The Sound of Blaxploitation“ mit PD Dr. Andreas Rauser, Originaltrailer, Bildergalerie, Booklet
Label/Vertrieb: Wicked Vision Distribution GmbH

Copyright 2021 by Andreas Eckenfels

Szenenfotos & unterer Packshot: © 2021 Wicked Vision Distribution GmbH

 

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