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The Medium – Nicht immer hilft Schamanismus gegen Besessenheit

28 Jul

The Medium

Von Volker Schönenberger

Horror // Bereits mit seinem von Filmen der J-Horrorwelle um die Jahrtausendwende wie „Ring“ (1998) und „Ju-on – The Grudge“ (2002) beeinflussten Regiedebüt „Shutter – Sie sind unter uns“ (2004) nach eigenem Drehbuch erregte der thailändische Filmemacher Banjong Pisanthanakun international einiges Aufsehen. So sehr, dass 2008 sogar ein US-Remake entstand. 2012 steuerte er einen Beitrag zur internationalen Horror-Anthologie „The ABCs of Death“ bei. Mit „The Medium“ (2021) hat es endlich wieder eine von Pisanthanakuns Arbeiten nach Deutschland geschafft. Wie bei all seinen bislang neun Regiearbeiten stammt auch das Drehbuch dazu aus seiner Feder.

Die Gegend wird vom Geist der gutherzigen Göttin Bayan beschützt

Die Handlung folgt einem Filmteam in die Region Isan im Nordosten Thailands. Es dokumentiert dort den Alltag der Schamanin Nim (Sawanee Utoomma), die sich vom Geist von Bayan besessen wähnt, einer wohlgesonnenen lokalen weiblichen Gottheit. Diese Besessenheit durch Bayan hat in Nims Familie Tradition. Zuvor war die Göttin angeblich in Nims Schwester Noi (Sirani Yankittikan) gefahren, doch weil die zum Christentum übergetreten war und mit den alten thailändischen Gottheiten nichts zu tun hatte, wechselte Bayan zu Nim.

Was geschieht mit der Nichte der Schamanin?

Während der Dreharbeiten der Dokumentarfilmer beginnt Nois Tochter Mink (Narilya Gulmongkolpech) sonderbare Verhaltensweisen, Aggressivität bis hin zu starken Persönlichkeitsveränderungen an den Tag zu legen. Drückt die Nichte der Schamanin Nim damit ihre nicht verarbeitete Trauer über den kürzlichen Tod ihres Vaters aus? Oder steckt mehr dahinter?

Mit der jungen Mink …

Natürlich steckt mehr dahinter, so viel kann ich verraten, ohne mir Spoiler-Vorwürfe einzuhandeln. Immerhin haben wir es mit einem Horrorfilm zu tun, der Schamanismus, Geister und Besessenheit thematisiert, und wer eins und eins zusammenzählt, kommt nun mal auf zwei. Bei der Erwähnung des Filmteams werden bei einigen Horrorfans Alarmglocken klingeln, und ja: Wir haben es mit einem Found-Footage-Film zu tun. Den Handkamerabildern mangelt es aber erfreulicherweise weitgehend am in anderen Filmen dieser Art oft zu bemerkenden Wackeleffekt. Obendrein wirken nicht alle Bilder wie von den Doumentarfilmern gedreht. Dafür krankt auch „The Medium“ an einem grundsätzlichen Problem der Found-Footage-Technik: Die Kameraleute drehen auch in Situationen weiter, in denen sie aufgrund diverser Ereignisse üblicherweise die Kamera ablegen würden – sei es, um Hilfe zu leisten, sei es, um Reißaus zu nehmen. Später kommen auch fest installierte Überwachungskameras zum Einsatz, was in einigen Sequenzen an die „Paranormal Activity“-Reihe erinnert. Das mögen Verächter jener Found-Footage-Reihe als Kritikpunkt sehen, ist von mir allerdings nicht so gemeint.

Ein neuer Typ Horrorfilm?

Im Interview mit „The Korea Herald“ äußerte Banjong Pisanthanakun, „The Medium“ sei ein neuer Typ Horrorfilm, weil er sein Publikum die Angst nach und nach spüren lasse. Ob das als Begründung für „neuer Horrorfilm“ ausreicht, sei dahingestellt, und bei aller nicht zu leugnender Spannung macht der Film nicht unbedingt einen so innovativen Eindruck, um das Urteil des Filmemachers über sein eigenes Werk zu rechtfertigen. Interessant ist aber, dass Pisanthanakun in besagtem Interview erwähnte, den südkoreanischen Horrorfilm „The Wailing – Die Besessenen“ (2017) als beängstigend empfunden zu haben. Es gelang ihm offenbar, Kontakt zu dessen Regisseur und Drehbuchautor Na Hong-jin aufzunehmen. Der entwarf die Story, welche Banjong Pisanthanakun zu einem Drehbuch verarbeitete. Obendrein produzierte Na Hong-jin „The Medium“. Die Parallelen zu „The Wailing – Die Besessenen“ sind auch nicht von der Hand zu weisen.

… geht eine beunruhigende Veränderung vor

Die recht lange Spieldauer von mehr als zwei Stunden führt dazu, dass es „The Medium“ in einigen Abschnitten etwas an Tempo mangelt, was vornehmlich für die erste Hälfte des Films gilt. Auf der anderen Seite lässt uns dies tief in die Geschichte, die Atmosphäre und den thailändischen Schamanismus eintauchen. Wenn in der zweiten Hälfte das Tempo anzieht, sind wir bereits unmerklich in einen Sog geraten.

Das Grauen steigert sich

Besessenheit, Exorzismus, Found Footage – mit diesen Versatzstücken wirkt „The Medium“ nicht gerade wie der Gipfel der Innovation. Aber Banjong Pisanthanakun vermengt diese Elemente zu einer eigenständigen Geister- oder Dämonengeschichte, die Spannung und Gewaltgehalt speziell in der zweiten Hälfte kontinuierlich steigert und in ein so eindrucksvolles wie konsequentes Finale mündet. Insofern hatte Banjong Pisanthanakun mit seiner Einschätzung schon recht, dass sich die Angst beim Publikum kontinuierlich steigert.

Eine beängstigende Veränderung

„The Medium“ feierte seine Weltpremiere im Juli 2021 beim Internationalen Festival des fantastischen Films im südkoreanischen Bucheon, wo das Werk mit dem Bucheon Choice Award prämiert wurde. Preise gab es auch beim Maniatic Film Festival von Manises in der ostspanischen Region Valencia sowie beim Molins Film Festival in Katalonien.

Highlight des Besessenheits-Horrors

Koch Films hat dem Werk ein Mediabook mit Blu-ray und DVD gegönnt, das sich auch deshalb lohnt, weil es Banjong Pisanthanakuns Debüt „Shutter – Sie sind unter uns“ als Bonusfilm enthält. Über das Booklet kann ich leider nichts schreiben, weil mir das Endprodukt nicht vorlag. „The Medium“ erfindet das Rad des Besessenheits-Horrorsubgenres nicht neu, das der Found-Footage-Technik schon mal gar nicht, aber Pisanthanakun weiß mit beidem eine ganze Menge anzufangen. Die Unterstützung seines südkoreanischen Kollegen Na Hong-jin trug sicher einiges dazu bei. In diesem Horrorsegment hat es in den vergangenen Jahren kaum etwas Besseres gegeben.

Ob es an der Zeit ist, Reißaus zu nehmen?

Veröffentlichung: 28. Juli 2022 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & DVD), Blu-ray und DVD

Länge: 130 Min. (Blu-ray), 125 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Thailändisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: The Medium
THAI/KOR 2021
Regie: Banjong Pisanthanakun
Drehbuch: Banjong Pisanthanakun
Besetzung: Narilya Gulmongkolpech, Sawanee Utoomma, Sirani Yankittikan, Yasaka Chaisorn, Boonsong Nakphoo, Arunee Wattana, Thanutphon Boonsang, Pakapol Srirongmuang, Akkaradech Rattanawong
Zusatzmaterial: Making-of (4 Min., OmdU), internationaler Trailer, Originaltrailer, Bildergalerie, Trailershow, nur Mediabook: Booklet, Bonusfilm „Shutter – Sie sind unter uns“
Label/Vertrieb: Koch Films

Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & Packshots: © 2022 Koch Films

 

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