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Peacock – Der Mann, der zu seiner Frau wurde

12 Dez

Peacock

Von Volker Schönenberger

Thrillerdrama // Bei einer dissoziativen Identitätsstörung übernehmen unterschiedliche Persönlichkeiten im Wechsel die Kontrolle über den Menschen, der darunter leidet. Diese Identitäten können über völlig eigenständige Charaktereigenschaften und Fähigkeiten verfügen. Wir Laien reden gern von gespaltener Persönlichkeit (womit wir früher gern fälschlicherweise Schizophrenie bezeichnet haben). In Fachkreisen ist die Klassifikation diverser Identitätsstörungen und Persönlichkeitsstörungen durchaus noch Gegenstand von Kontroversen, weshalb es das nun auch gewesen sein soll, um die Gefahr von Falschbehauptungen zu vermeiden.

Der linkische Bankangestellte und seine unbekannte Gemahlin

Jedenfalls leidet die von Cillian Murphy („Peaky Blinders“) verkörperte Hauptfigur von „Peacock“ an einer solchen dissoziativen Identitätsstörung: In der Öffentlichkeit ist sie John Skillpa, ein schüchterner und linkischer Bankangestellter, der in den 1950er-Jahren im beschaulichen Peacock im US-Staat Nebraska lebt und sich bei der Arbeit von seinem Vorgesetzten Edmund French (Bill Pullman) ausbeuten lässt. Ist John zu Hause, schlüpft er in Frauenkleider und verwandelt sich in Johns Ehefrau Emma, die den Haushalt führt, ihm morgens das Frühstück bereitet und ihm Notizzettel mit Anweisungen hinterlässt.

Das Leben von John alias Emma gerät aus den Fugen, als unmittelbar neben dem Grundstück der Skillpas ein Zug einen Waggon verliert, der daraufhin entgleist und im Garten landet, als Emma gerade Wäsche aufhängt. Im Nu ist sie von Menschen umringt, mit Müh und Not kann sie sich ins Haus retten und in John verwandeln. Doch es ist unumkehrbar: Erstmals haben Menschen Emma Skillpa gesehen.

Schwer von der Mutter missbraucht

Es schmerzt, Johns zerrüttete Persönlichkeit zu erleben. Seine Mutter hat ihn schwer missbraucht, das macht schon ein Prolog vor dem Vorspann von „Peacock“ deutlich. Was genau sie ihm angetan hat, lässt sich in Teilen nur erahnen. Zum Zeitpunkt der Handlung ist sie seit etwa einem Jahr tot, doch die Last ihrer Taten bedeutet für John eine enorme Bürde, der seine Psyche nicht gewachsen ist. Eines Tages steht Maggie (Elliot Page) mit ihrem kleinen Sohn Jake (Flynn Milligan) vor Johns Tür. Sie wundert sich, weshalb gewisse Zahlungen von Johns Mutter ausgeblieben sind. John geht nach oben und kehrt als Emma zurück. Maggie berichtet ihr, was vor etwa drei Jahren geschehen ist, als sie Johns Mutter in einem Lokal kennenlernte.

Vorzüglich besetzt

„Peacock“ lebt auch und ganz besonders von der hervorragenden Besetzung. Außer den bereits Genannten sehen wir Keith Carradine als Peacocks Bürgermeister Ray Crill und Susan Sarandon als seine Ehefrau Fanny, die ein Frauenhaus führt. Josh Lucas spielt den lokalen Police Officer Tom McGonigle, der John freundlich zugetan ist und dessen verstörtes Wesen durchaus registriert, ohne die Dimension dessen erahnen zu können, was sich in Johns Kopf abspielt.

Das Geschehen vollzieht sich in betont ruhigen Bahnen. Hier treffen Schauspielerinnen und Schauspieler aufeinander, die genau wissen, was sie tun und dem komplexen Sujet mit dem gebührenden Respekt Leben verleihen. Geführt von Michael Lander, einem Regisseur, der sein erstes und einziges Drehbuch zu seinem ersten und einzigen langen Film verarbeitete und dabei ein feinfühliges Händchen bewies. Das Indie-Thrillerdrama hat ein paar wenige tragikomische Züge, entfaltet sich ansonsten aber mit der gebotenen Ernsthaftigkeit – ein Hauch von Horror mag auch zu bemerken sein.

Cillian Murphy

Da wir von Anfang an wissen, dass es Cillian Murphy ist, der sich Frauenkleider angezogen und als Frau geschminkt hat, fällt es ein wenig schwer, sich auf die Prämisse einzulassen, dass John als Emma von niemandem erkannt wird. Aber in der Atmosphäre einer US-Kleinstadt der 50er lag dieser Gedanke womöglich so fern, dass niemand misstrauisch geworden wäre. Zudem haben wir es ja mit einer dissoziativen Identitätsstörung zu tun, die nach Meinung von Fachleuten zu sich stark voneinander unterscheidenden Persönlichkeiten führen kann. Es ist nicht einfach John in Frauenkleidern, sondern John wird zu Emma. Berücksichtigen wir das, schwindet das Glaubwürdigkeitsproblem. Problematisch ist wie erwähnt einzig das Wissen, es mit Cillian Murphy in beiden Identitäten zu tun zu haben, an seiner Schauspielkunst gibt es nichts auszusetzen.

Angesichts der prominenten Besetzung verwundern die geringe Bekanntheit und die Tatsache, dass „Peacock“ nie in die Kinos kam. Ein feiner Indie, der mehr Verbreitung verdient hätte.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Susan Sarandon haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Josh Lucas, Cillian Murphy, Elliot Page und Bill Pullman unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 16. Juli 2014 als DVD

Länge: 87 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Peacock
USA 2010
Regie: Michael Lander
Drehbuch: Michael Lander, Ryan O Roy
Besetzung: Cillian Murphy, Elliot Page (als Ellen Page), Susan Sarandon, Bill Pullman, Keith Carradine, Josh Lucas, Graham Beckel, Eden Bodnar, Chris Carlson, Flynn Milligan
Zusatzmaterial: Making-of (21:22 Min.), Cillian Murphys Probeaufnahmen (3:22 Min.), geschnittene Szenen (6:52 Min.), Trailer, Fotogalerie, Trailershow, Wendecover
Label/Vertrieb: Studiocanal Home Entertainment

Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Unterer Packshot: © 2014 Studiocanal Home Entertainment

 

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