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Denen man nicht vergibt – Der schlechteste gute Film aller Zeiten

14 Jul

The Unforgiven

Von Tonio Klein

Der folgende Text enthält massive Spoiler.

Western // John Hustons „Denen man nicht vergibt“ wirft grundsätzliche Fragen auf, die gerade jetzt wieder hochaktuell sind. Braucht der Film eine Triggerwarnung, weil dort die amerikanischen Ureinwohner, im Folgenden entsprechend dem damaligen Sprachgebrauch „Indianer“, gelinde gesagt alles andere als gut wegkommen? Sollte man den Film als Kind seiner Zeit so stehenlassen? Allgemeiner: Inwieweit kann man ein Werk rein künstlerisch würdigen und dabei das Politische ausblenden? Quentin Tarantino hat vor Jahren gegenüber dem „Spiegel“ Leni Riefenstahl als „die beste Regisseurin, die jemals lebte“ bezeichnet. John Huston ist natürlich nicht Leni Riefenstahl, aber ich wage zu behaupten: „Denen man nicht vergibt“ ist rassistischer Edelmüll der schlimmsten Sorte. Ist es dennoch ein „guter“ Film? Ich wage hier einen im Wesentlichen politisch begründeten Verriss.

Familienbande

Im Zentrum der Handlung steht Familie Zachary, die nach Ende des Sezessionskriegs im Norden von Texas lebt und dort eine Ranch betreibt. Als ein alter Weggefährte (Joseph Wiseman) des verstorbenen Familienoberhaupts auftaucht, kommt ans Tageslicht, dass die Adoptivtochter Rachel (Audrey Hepburn) eine Indianerin vom Stamm der Kiowa ist. Während der große Bruder Ben (Burt Lancaster), fast ein väterlicher Freund, zu ihr hält, wendet sich der andere Bruder Cash (Audie Murphy) ob dieser „Schande“ von Rachel ab, und auch viele andere reagieren entsprechend.

Nicht nur Zäune trennen Menschen

Die Kiowa verlangen ihre Stammesangehörige zurück, mit allen Mitteln, obwohl sie schon so lange bei den Weißen lebt, dass sie sich gar nicht mehr ihrer Herkunft erinnern kann (man kann hier an Asylbewerber denken, die in ihr Heimatland abgeschoben werden sollen und dort völlig Fremde wären). Nachdem es zum Kampf kommt, ist am Ende die Familie wieder vereint und die Indianerin darf selbstverständlich bei ihr bleiben.

Na, das ist doch schön, Ben macht den Indianerhass wenigstens nicht mit, und am Ende zählt der Segen der Sozialisation mehr als der Fluch des Blutes? Nein, „Denen man nicht vergibt“ ist zutiefst rassistisch. Dabei kommt Huston ausgerechnet sein kraftvolles Regiegeschick extrem in die Quere. Er, der häufig eine Vorliebe für zupackende Männer hatte und auch selbst einer war, präsentiert diese Geschichte mit einer erzählerischen Wucht und machtvollen Bildgestaltung, die die vorgebliche Schande der Enthüllung um Rachels Abstammung nur noch furchtbarer herausstellen. Was für ein Brimborium um das große Geheimnis gemacht wird, ist schier unerträglich. Alle Nebendarsteller neigen zum Overacting, etwa Lillian Gish als Mutter Zachary und Charles Bickford als Nachbar Zeb Rawlins. Wenn solche Chargen greinend und schockiert ewige Monologe und Dialoge darüber zelebrieren, wie schlimm es sei, dass Rachel eine Kiowa ist, kann man es kaum aushalten. Huston setzt mit erwähntem Weggefährten des toten Vaters einen Mann ein, der als geheimnisvoller Fremder in den Ort reitet, ihn und die Bewohner aufwühlt mit seinen wilden, rätselhaften Geschichten, einem übertriebenen Gestus, und der schon mal einen echten Wüstensturm quasi im Gepäck mitträgt, dass auch jeder merkt: Hier soll es schicksalhaft, allegorisch wirken. Das ist visuell ungeheuer brillant. Aber so wird der Schicksalsverkünder zum Unheilsverkünder. Und wir fragen uns immer fassungsloser: Welches Unheil eigentlich? Die große, unerhörte Neuigkeit trägt der Film dermaßen bleischwer vor sich her, dass wir nicht einmal „So war der Westerner damals halt drauf“ sagen können.

Bar jeglicher Distanz

„Denen man nicht vergibt“ hätte natürlich eine Zeit zeigen können, in der die Sitten anders waren als später. Nur weil nahezu alle Haupt- und Nebenfiguren sich bis zum Delirium über die indianische Abstammung Rachels grämen, muss das ja noch nicht gegen den Film sprechen. Hier aber untermauert Huston das dermaßen mit stilistischen Extravaganzen und geheimnisvollem bis entsetztem Gehabe, dass wir uns nicht „So war das halt“ sagen, sondern: „Wie kann man bloß so einen Mist erzählen?“ Dieser Vorwurf richtet sich eben nicht nur gegen die Filmfiguren, sondern gegen den Film als solchen.

Aufstehen gegen Rassismus sieht anders aus

Und eine Rettung gibt es nicht, nirgends. Klar, Ben hält zu Rachel und pfeift auf die „Blutfrage“, da sie sich nun einmal gemäß ihrer Erziehung und Sozialisation fühlt. Er erklärt das auch in einer Szene: Man müsse berücksichtigen, wo jemand Wurzeln geschlagen habe. Dementsprechend geht der Film ja auch aus. Aber dabei wird deutlich: Eine Indianerin ist offenbar nur akzeptabel, wenn sie wie eine Weiße fühlt, denkt und handelt. Die Kiowa zeigt der Film hingegen als pure Barbaren. Sie sind es, die Bens Argumentation nicht einsehen können. Sie sind es, die „ihre“ Frau zurückhaben wollen und sie dabei wie Eigentum, wie Vieh betrachten. So wird klar, dass das Ende reine Augenwischerei ist und geradezu schlimmster Rassismus statt Antirassismus: Nur ein „zivilisierter“ Indianer sei ein guter Indianer. Von der indianischen Kultur dürfe ihm nichts, aber auch gar nichts bleiben, denn die stehe für das Böse, Rückständige, Menschenverachtende. Und – man kann es nicht anders als so kalt-brutal sagen – diese Kultur müsse weg. Dies zeigt der Endkampf, der gar kein Kampf ist, sondern ein Gemetzel, ein Abschlachten. Die Kiowa-Krieger wollen das Haus der Familie stürmen, ohne Feuerwaffen. Die Weißen knallen sie aus dem Haus heraus ab. Die Indianer haben nicht den Hauch einer Chance. Am Ende sind sie nahezu alle tot, und angesichts dessen ist es schon gruselig, wie sich die Familie ob der Rückkehr des verlorenen „Bruders“ (Murphy) lachend und selig freut. Muss irgendwie Spaß gemacht haben, das Töten. Family Values, gegründet auf dem Blut der Ureinwohner: Das könnte fast ein galliges Statement zu dem sein, was die USA groß gemacht hat. Doch der Film scheint es bierernst zu meinen. Die guten Leistungen von Lancaster und insbesondere Audrey Hepburn im Zwiespalt, wohin Rachel gehört, können es kaum rausreißen.

Ben zeigt den „Barbaren“ die Zähne

Eines muss natürlich ganz deutlich gesagt werden: John Huston war kein Rassist, das ist sofort klar, wenn man andere seiner Filme sieht und etwas über ihn liest, zum Beispiel seine sehr zu empfehlenden Erinnerungen „… mehr als nur ein Leben. Die Autobiographie“ (2007). Als positives Gegenstück sei seine zwei Jahre zuvor entstandene Regiearbeit „Der Barbar und die Geisha“ (1958) genannt, voller Respekt, Interesse, Verständnis und Liebe für eine andere Kultur, in diesem Fall die japanische. Und so mag mein Verriss auch kritische Hinterfragung der „Autorenpolitik“ sein, nach der der Regisseur als Autor seines Filmes verstanden werde.

Betriebsunfall eines großen Regisseurs

Ich vermute, dass „Denen man nicht vergibt“ Huston irgendwann beim Dreh total aus dem Ruder gelaufen ist, und die Lektüre erwähnter Autobiographie gibt ein paar Hinweise in diese Richtung. So etwas kommt vor: Ein Film oder auch ein anderes Kunstwerk entwickelt ein Eigenleben, bekommt fast so etwas wie eine eigene Seele; ein Geschöpf kann sich gegen seinen Schöpfer wenden. Man sieht es bei der Herstellung vielleicht nicht mit der nötigen Distanz, ahnt etwas, aber hat schon viel Kraft in das Werk gesteckt und versucht, es mit einer gewissen Restwürde zu Ende und vor das Publikum zu bringen. Auf diese Weise kann eben auch einem John Huston einmal etwas kolossal danebengehen. Nein, er ist kein Rassist, der Film aber ist übelster Rassismus.

Promo-Gruppenbild mit Damen, aber ohne Indianer

Die Freiheit der Kunst besteht darin, dass man das auch anders sehen kann (und sachliche Widerworte per Kommentar sind willkommen). Aber die Hinweise sind schon verdammt schwer zu übersehen. Wäre es wenigstens bloß ein krude-konfuses Machwerk. Das wäre es wohl bei einem weniger talentierten Regisseur geworden. Aber gerade, weil Huston im Grunde unglaublich gut ist und diese Qualität – isoliert von der politischen Aussage – eben auch noch in „Denen man nicht vergibt“ zu finden ist, zieht das den Film so sehr in den Dreck. Die hohe Qualität unterstützt die unheilvolle Aussage dermaßen effektiv, dass das den Film ins Bodenlose reißt.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von John Huston haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Lillian Gish und Audrey Hepburn unter Schauspielerinnen, Filme mit Charles Bickford, Burt Lancaster, Doug McClure, Audie Murphy und John Saxon in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 24. August 2018 als Blu-ray und DVD, 13. September 2012 als Blu-ray und DVD, 13. Juni 2008 und 30. Oktober 2006 als DVD

Länge: 121 Min. (Blu-ray), 116 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a. (variiert je nach Veröffentlichung)
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a. (variiert je nach Veröffentlichung)
Originaltitel: The Unforgiven
USA 1960
Regie: John Huston
Drehbuch: Ben Maddow, Alan Le May
Besetzung: Burt Lancaster, Audrey Hepburn, Audie Murphy, John Saxon, Charles Bickford, Lillian Gish, Albert Sami, Joseph Wiseman, June Walker, Kipp Hamilton, Arnold Merrit, Doug McClure, Carlos Rivas
Zusatzmaterial (variiert je nach Veröffentlichung): Kinotrailer, Bildergalerie, Biografien von Burt Lancaster, Audrey Hepburn, Audie Murphy und John Huston, Trailershow, Wendecover
Label 2018: Spirit Media
Vertrieb 2018: WVG Medien GmbH
Label/Vertrieb 2012: EuroVideo Medien GmbH
Label/Vertrieb 2008 & 2006: MGM (Twentieth Century Fox Home Entertainment)

Copyright 2023 by Tonio Klein

Szenenfotos & erster gruppierter Packshot: © 2018 Spirit Media,
zweiter gruppierter Packshot: © 2012 EuroVideo Medien GmbH,
dritter gruppierter Packshot: © 2006/2008 Twentieth Century Fox Home Entertainment

 

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