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Dogman – Von einem, der auszog, mit Hunden zu leben

24 Sept

Dogman

Kinostart: 12. Oktober 2023

Von Volker Schönenberger

Thrillerdrama // Eine nächtliche Verkehrskontrolle der Polizei in Newark im US-Staat New Jersey: Ein Lkw wird herausgewinkt, am Lenkrad sitzt Douglas Munrow (Caleb Landry Jones) – im trägerlosen Kleid, mit blonder Perücke, grell geschminkt, verletzt, sich verwirrt gebärdend (später erkennen wir, dass er sich als Marilyn Monroe verkleidet hat). Im Laderaum des Fahrzeugs entdecken die Polizisten eine große Anzahl Hunde. Während die Vierbeiner auf einen kurzen Wink ihres Herrchens ausbüxen, kommt Douglas aufs Polizeirevier. Der Psychologin Evelyn (Jojo T. Gibbs) kommt die Aufgabe zu, Identität und Schicksal des Mannes zu ergründen. Langsam gewinnt sie sein Vertrauen, mehr und mehr öffnet er sich, erzählt ihr die Geschichte seines Lebens.

Was ist Douglas widerfahren? Oder was hat er getan?

In der Folge bekommen wir in Rückblenden eben diese Geschichte des Lebens von Douglas Munrow zu sehen. Eines Lebens, das ihn zum titelgebenden Dogman hat werden – besser: reifen – lassen. Dieses Leben ist eine derartige Tour de Force, dass ich am liebsten kaum noch etwas zum Inhalt schreiben mag, weil es die Wirkung intensiviert, wenn man im Kinositz nicht ahnt, was einen erwartet. Mir ging es in der Hamburger Pressevorführung jedenfalls so, dass mich Douglas’ Schicksal mehr und mehr in seinen Bann zog und mich einige Ereignisse in seinem Leben schlicht überwältigt haben. Es wird später verständlich, weshalb Douglas zu Beginn von „Dogman“ in weiblichem Outfit aufgegriffen wird, ich möchte das hier aber nicht ausführen.

Die Mutter nimmt Reißaus

Douglas berichtet Evelyn von seiner Kindheit und Jugend, von dem Leid, das er durch seinen gewalttätigen Vater Mike (Clemens Schick, „Das finstere Tal“) und seinen verrohenden großen Bruder Richie (Alexander Settineri) erfährt. Von der Mutter, die irgendwann das für sie – leider nicht für den kleinen Douglas (Lincoln Powell) – einzig Richtige tut und vor ihrem Ehemann das Weite sucht. Von den Hunden, mit denen sich Douglas von Anfang an anfreundet und die ihm zu treuen Gefährten werden.

Und was hat es mit den Hunden auf sich?

Douglas erleidet Schicksalsschläge, findet nur schwer einen Platz im Leben, erlebt aber auch Güte und Zuneigung. „Dogman“ strahlt dabei viel Tristesse und Melancholie bis hin zu tiefer Traurigkeit aus, hat aber auch Momente großer Hoffnung und kleines Glücks. Die große Bandbreite der Gefühle macht den Film zu einem tief bewegenden cineastischen Erlebnis. Da „Dogman“ jederzeit dramatisch und gelegentlich mit Thrillerelementen daherkommt, habe ich mich für die Genreschublade Thrillerdrama entschieden, zumal es beizeiten zu einer deftigen Gewalteruption kommt.

Ein paar Ähnlichkeiten zum „Joker“

In anderen Texten finden sich Verweise auf „Joker“ (2019) von Todd Phillips, für dessen Titelrolle Joaquin Phoenix unter anderem mit Oscar und Golden Globe prämiert worden war. Ähnlichkeiten sind aufgrund der Schminke und des Eigenbrötlerdaseins der beiden Hauptfiguren nicht von der Hand zu weisen, zudem sind beide sehr komplexe Figuren. Aber ihre Komplexität ist doch zu eigentümlich, als dass es richtig erschiene, sie gleichzusetzen. Jedenfalls macht sich Douglas Freunde und Feinde gleichermaßen. Sein hartes Los macht ihn zwar nicht zum Psychopathen, geht jedoch auch nicht spurlos an ihm vorbei. Er tut Dinge, die wir ihm vielleicht durchgehen lassen, aber doch als fragwürdig wahrnehmen. Douglas ist ein Antiheld, aber einer, der uns ans Herz wächst und für den wir tiefes Mitgefühl empfinden.

Die Psychologin Evelyn …

Zwar ist „Dogman“ nicht als Einmannshow angelegt, dennoch hängt einiges, wenn nicht alles an Hauptdarsteller Caleb Landry Jones („The Outpost – Überleben ist alles“, „Get Out“). Auf den kann sich Regisseur und Drehbuchautor Luc Besson zum Glück ebenso verlassen wie seinerzeit auf Jean Reno und Natalie Portman in „Léon – Der Profi“ (1994). Jones geht voll in seiner Rolle auf und lässt uns die Emotionen des Protagonisten hautnah mitfühlen. Bereits 2021 in Cannes als bester Darsteller für „Nitram“ geehrt, scheint mir seine Verkörperung der Titelfigur in „Dogman“ ebenfalls preiswürdig zu sein. Er besteht sogar an der Seite seiner vierbeinigen Co-Stars, denn wie wir alle wissen: Man kann schauspielerisch neben Kindern und Haustieren nur verlieren. Jones kann ohnehin eine reizvolle und vielseitige Filmografie vorweisen, sein Part als Douglas Munrow müsste ihn für viele Regisseurinnen und Regisseure interessant machen, die charaktergetriebene Geschichten erzählen.

Evelyns Geschichte

Die übrige Besetzung tritt da etwas zurück, was speziell im Falle der Psychologin Evelyn bedauerlich ist. Sie ist alleinerziehende Mutter, der Vater darf sich offenbar per Gerichtsentscheid nicht nähern, tut es einmal aber dennoch. Dieser Handlungsstrang läuft allerdings irgendwann ins Leere, was die Frage aufwirft, weshalb Luc Besson ihn überhaupt entworfen hat. Evelyn hat auch ihr Päckchen zu tragen, schon klar. Sie öffnet sich Douglas sogar ein wenig, was sein Vertrauen zu ihr stärkt. Aber es verwundert, dass sich aus dem Ex-Partner nichts mehr ergibt. Das Finale immerhin schlägt in Verbindung mit Douglas’ Vertrauen einen Bogen dazu, aber auch das will ich nicht weiter ausführen.

Die Hunde sind los

Kommen wir zu den Hunden: Wer diesen nichts abgewinnen kann, für den eignet sich „Dogman“ vielleicht nur bedingt. Wer sie mag, kommt voll auf die Kosten, sie bevölkern den Film und haben immer wieder bedeutsame Aufgaben, die sie als die treuen Wesen, die sie sind, präzise ausführen. Das allerdings geht auf Kosten von Glaubwürdigkeit, denn einiges, was diese Hunde draufhaben, wirkt etwas übertrieben und nicht ganz logisch. Auch gewisse logistische Aspekte um die Haltung zahlreicher Hunde durch den Dogman lassen an Logik zu wünschen übrig. Drücken wir darüber ein Auge zu! Und da viele Menschen eine Heidenangst davor haben, in einem Film sehen zu müssen, wie ein Hund zu Schaden kommt oder gar stirbt, sei mir der kleine, für die Geschichte unbedeutende Spoiler erlaubt, dass man sich diesbezüglich beruhigt im Kinosaal zurücklehnen kann. Douglas’ Vater und Bruder behandeln die Hunde zu Beginn zwar mies, das wird aber nur kurz abgehandelt. Insgesamt sind die Hundeszenen effektiv und anheimelnd gefilmt.

… gewinnt Douglas’ Vertrauen

„Dogman“ feierte seine Weltpremiere Ende August 2023 beim Filmfestival von Venedig, wo das Thrillerdrama mit dem „Fanheart3 Award“ „Graffetta d’Oro“ als bester Film ausgezeichnet wurde, einer mir zuvor nicht bekannten Trophäe des Festivals, verliehen für das höchste Potenzial zum Kultfilm. Beim Rennen um den Goldenen Löwen unterlag es allerdings dem SF-Liebesdrama „Poor Things“ von Yorgos Lanthimos. Das ändert nichts daran, dass Luc Besson ein erstaunlich feinfühliges, sehr intimes Werk gelungen ist. Herausragend! Nach der Platzierung als Eröffnungsfilm des diesjährigen Fantasy Filmfest kommt „Dogman“ nun flächendeckend in unsere Kinos. Hin da!

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Luc Besson haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Caleb Landry Jones unter Schauspieler.

Der Dogman vertraut Hunden – und sie ihm

Länge: 113 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Originaltitel: Dogman
F/USA 2023
Regie: Luc Besson
Drehbuch: Luc Besson
Besetzung: Caleb Landry Jones, Christopher Denham, Marisa Berenson, Michael Garza, Clemens Schick, Jojo T. Gibbs, Eric Carter, Avant Strangel, Grace Palma, James Payton, Derek Siow, John Charles Aguilar, Naima Hebrail Kidjo, Alexander Settineri, Lincoln Powell
Verleih: capelight pictures

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Filmplakat: © 2023 capelight pictures, Szenenfotos: © 2023 LBP Europacorp TF1 Films Production,
Fotos: Shanna Besson

 

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