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Horror für Halloween (XXII): The Nameless – Die Namenlosen: Wenn die ermordete Tochter anruft

18 Okt

Los sin nombre

Von Volker Schönenberger

Horrorthriller // Der katalanische Filmemacher Jaume Balagueró hat sich im vergangenen Vierteljahrhundert einen Namen als versierter Horrorregisseur gemacht. „[REC]“ (2007) und dessen 2009er-Fortsetzung sind seine bekanntesten Arbeiten, zwei effektiv inszenierte Found-Footage-Schocker um Besessene (wahlweise Infizierte oder Zombifizierte) in einem mehrstöckigen Mietshaus in Barcelona. Beim nicht mehr im Found-Footage-Stil gedrehten „[REC] 4 – Apocalypse“ (2014) saß er ebenfalls auf dem Regiestuhl. Auch Balaguerós Arbeiten „Darkness“ (2002) und „Sleep Tight“ (2011) stellen bemerkenswerte Genrebeiträge dar.

Auf Festivals prämiertes Kino-Regiedebüt

Das weckt die Neugier auf Balaguerós Kino-Regiedebüt „The Nameless – Die Namenlosen“ von 1999, zumal dieses mit einigen Auszeichnungen daherkommt. Beim Internationalen Festival des Fantastischen Films im katalanischen Sitges etwa, wo das Werk im Oktober 1999 seine Weltpremiere gefeiert hatte, gewann es vier Preise: für Hauptdarstellerin Emma Vilarasau und die Kamera sowie zwei für Regisseur Jaume Balagueró, der den Großen Preis des Europäischen Fantasyfilms in Gold und in Silber gewann. Beim Internationalen Filmfestival des Fantastischen Films in Brüssel gab’s zudem mit dem Goldenen Raben den Hauptpreis, beim Fantafestival in Rom wurde „The Nameless“ als bester Film geehrt, beim Fantasia Film Festival im kanadischen Montréal als bester internationaler Film. Dem Fantasporto im portugiesischen Porto war der Film zwei Preise wert – der Kritikerpreis und der International Fantasy Film Award. Beim Internationalen Festival des Fantastischen Films im französischen Gérardmer wiederum räumte Balagueró vier Preise ab: den Ciné-Live Award, den internationalen Kritikerpreis, den Spezialpreis der Jury und den Großen Preis der Jugendjury. Einige weitere Trophäen anderswo gab’s obendrauf. Reichlich Lorbeeren also, und das nicht unberechtigt, so viel sei bereits erwähnt.

Ex-Polizist Massera hilft Claudia

Balagueró drehte „The Nameless“ wie einige seiner anderen Arbeiten in Barcelona. Die Handlung setzt mit einem Prolog ein: In einem Schacht wird die brutal malträtierte Leiche eines Mädchens entdeckt. So grausam zugerichtet, dass ihren Eltern Claudia Horts de Gifford (Emma Vilarasau) und Marc Gifford (Brendan Price) davon abgeraten wird, die Tote per Augenschein zu identifizieren. Ein Armband und die Tatsache, dass der Leichnam zwei um vier Zentimeter unterschiedlich lange Beine hatte, nehmen jeden Zweifel.

Anruf der toten Tochter

Fünf Jahre später arbeitet Claudia als leitende Angestellte in einem Verlagshaus in Barcelona. Ihre Ehe hat den schrecklichen Verlust des Kindes nicht überstanden, Marc ist in seine englische Heimat zurückgekehrt. Eines Tages erhält Claudia einen Anruf. Am Telefon meldet sich eine Mädchenstimme. Ist es Ángela? Claudia glaubt an einen grausamen Scherz, aber das Mädchen am anderen Ende der Leitung beharrt darauf: Ich bin’s wirklich. Bitte, Mama, leg nicht auf. Claudia geht zur Polizei und trifft dort zufällig auf Bruno Massera (Karra Elejalde), der damals in dem Fall ermittelt hatte und nun gerade seinen Dienst quittiert hat. Massera hat den Tod seiner schwangeren Ehefrau ein Jahr zuvor nicht verwunden, hilft Claudia aber nach anfänglichem Zögern.

Auch Reporter Quiroga stößt auf die Sekte der „Namenlosen“

Der Ex-Ermittler hat seine Dienstmarke noch nicht abgegeben und stößt tatsächlich auf Ungereimtheiten. Die Spur führt zu einem Argentinier namens Santini (Carlos Lasarte), der viele Jahre lang eine krude esoterische Sekte mit dem Titel „Die Namenlosen“ geführt hat, in deren Umfeld immer wieder Menschen verschwanden. Santini sitzt allerdings seit 1982 in Spanien im Knast. Weitere Anhaltspunkte erhält Claudia von Quiroga (Tristán Ulloa), Reporter bei einer Zeitschrift für Parapsychologie.

Seelenpein

Eine trauernde Mutter wird mit dem Unheimlichen konfrontiert (wahlweise mit dem unheimlich Bösen) – schon zu Beginn seiner Kinolaufbahn erweist sich Jaume Balagueró als versiert darin, sein Publikum mit düsterer Stimmung zum Gruseln zu bringen. Trotz der Ansiedlung der Geschichte im an der Mittelmeerküste gelegenen Barcelona lässt die unbequeme Atmosphäre uns frösteln. Die Kamera verweilt gelegentlich eine ganze Weile auf den Gesichtern, in denen wir kein Glück entdecken, sondern seelische Qualen.

Erinnerungen an „Martyrs“

Die Handlung schlägt keine Kapriolen, zielstrebig steuert Claudia auf Erkenntnisse über das Schicksal ihrer Tochter zu – doch das Finale wartet für sie und für uns mit einigen äußert unangenehmen Überraschungen auf. Die Philosophie der Sekte erinnerte mich ein wenig an die Geisteshaltung der Organisation, die in „Martyrs“ (2008) ihr ruchloses Treiben ausübte, auch wenn dieser bahnbrechende Beitrag zum französischen Terrorkino ganz für sich allein steht. Das sei nicht weiter ausgeführt, weil die Enthüllung über eben diese Philosophie Teil der Faszination ist, die „The Nameless“ ausübt. Aber ganz konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, der französische „Martyrs“-Regisseur Pascal Laugier habe sich bei den „Namenlosen“ zu der Organisation in seinem Film inspirieren lassen. Auch David Finchers „Sieben“ (1995) und die krude Logik des von Kevin Spacey verkörperten John Doe mag einem in den Sinn kommen. Sogar Bezüge zur Realität sind nicht von der Hand zu weisen, aber diese zu erfassen, würde den Rahmen dieses Textes sprengen, weshalb auf Marcus Stigleggers Text zum Film verwiesen sei, der noch einige andere Aspekte erörtert hat.

Wird Santini sein Wissen preisgeben?

Besagte Philosophie der „Namenlosen“ mag ihren Ursprung in Santinis Dasein als Lagerinsasse im KZ Dachau während des Zweiten Weltkriegs haben. Sie führt jedenfalls zu einem konsequenten Finale. Und während der Abspann mit den betörenden Klängen von „My Black Dress“ der kalifornischen Band Fang beginnt, müssen wir darüber rätseln, was die letzte Einstellung des Films zu bedeuten hat, welche Motivation bei der darin handelnden Figur zu ihrem Vorgehen geführt haben mag. Nicht einfach zu entschlüsseln, aber machbar, auch wenn die Erklärung, die ich dafür gefunden habe, nur eine von mehreren Deutungen sein mag. „The Nameless – Die Namenlosen“ ist als kurz vor der Jahrtausendwende entstandene kleine Horrorperle zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten und die (Wieder-)Entdeckung allemal wert.

Veröffentlichung: 17. Oktober 2013 als Blu-ray, 15. September 2011 als DVD

Länge: 100 Min. (Blu-ray), 96 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Spanisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Los sin nombre
SP 1999
Regie: Jaume Balagueró
Drehbuch: Jaume Balagueró, nach einer Erzählung von Ramsey Campbell
Besetzung: Emma Vilarasau, Karra Elejalde, Tristán Ulloa, Toni Sevilla, Brendan Price, Jordi Dauder, Núria Cano, Isabel Ampudia, Carles Punyet, Aleix Puiggalí, Carlos Lasarte
Zusatzmaterial: Making-of (19 Min.), nicht verwendete Szenen (6 Min.), Interview mit Regisseur Jaume Balagueró (32 Min.), Videoclip Fang: „My Black Dress“, (4 Min.), Jaume Balagueròs Kurzfilme „Alicia“ (8 Min.) & „Tage ohne Licht“ (11 Min.), englischer Trailer, spanischer Trailer, 2 spanische TV-Spots, Trailershow, Wendecover
Label/Vertrieb: ‎3L Vertriebs GmbH & Co. KG

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & unterer Blu-ray-Packshot: © 2013 3L Vertriebs GmbH & Co. KG

 

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