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Das Millionenspiel – Menschenjagd als TV-Unterhaltung

02 Jan

Das Millionenspiel

Von Tonio Klein

SF-Actiondrama // Fernsehshows und nicht ganz wenige (bei Weitem aber nicht alle) deutsche Fernsehfilme waren und sind piefig. „Das Millionenspiel“ hat 1970 etwas gewagt und erreicht, indem er ironischerweise die Piefigkeit von Fernsehshows übernommen und gar nicht so sehr verändert hat, jedenfalls in der Tonlage nicht. So wurde das Folgende von einigen Zuschauerinnen und Zuschauern für echt gehalten, was aber auch zeigt, dass viele Menschen nicht aufmerksam fernsehen, denn ganz so konsequent dokumentarisch wie Orson Welles’ Radiohörspiel „Krieg der Welten“ (1938) ist die Regiearbeit von Tom Toelle („Der Trinker“) nicht.

Mögen die Spiele beginnen!

In einer Fernsehshow wird pro Staffel ein Kandidat sieben Tage lang von Killern gejagt, es lockt eine Million D-Mark. Während bei ähnlichen Stoffen Elio Petri („Das 10. Opfer“, 1965) auf Sex-Appeal und hippen Sixties-Look setzte und Arnold Schwarzenegger 1987 als „Running Man“ Kult-Action (in einem allerdings bemerkenswerten Fernsehstudio-Design) ablieferte, gibt sich „Das Millionenspiel“ zunächst einmal biederer. Der Film lässt die Killer eher zaghaft agieren, zeigt eine Kombination von schrillen 1970er-Klamotten und trostlosen Hotelzimmern, Hausfluren und Kneipen, wie das Rainer Werner Fassbinder nicht besser hinbekommen hätte, siehe etwa sein zwei Jahre später entstandener „Händler der vier Jahreszeiten“. Der Plot beruht im Übrigen auf Robert Sheckleys 1958 erstveröffentlichter Kurzgeschichte „The Prize of Peril“, die 1983 in der französischen Verfilmung „Kopfjagd – Preis der Angst“ von Yves Boisset mit Michel Piccoli auch zu Kinoehren kam.

Die Banalität des Bösen – ein ganz normales Studio

Die Szenen der Jagd sind in Schnitt und Montage so professionell, dass man das – zumal 1970 – nicht als Teil der Show mit zig versteckten Kameras und Außenteams verkaufen kann. Dass es sich um eine falsche Dokumentation, eine Mockumentary, handelt, zeigt sich zudem, wenn der Film die Bilder einfrieren und als Film im Film offenbar werden lässt, eingespielt auf einer Leinwand in einer Veranstaltungshalle (der echten, heute noch genutzten Halle Gartlage in Osnabrück), von der aus die Show live gesendet wird. Auftritt Dieter Thomas Heck (der hier aber nicht so heißt, sondern Thilo Uhlenhorst, weswegen man ebenfalls das Unechte bemerken kann). Vertreter einer nicht mehr ganz jungen Generation kennen ihn aus der „Hitparade im ZDF“ (bei ihm schneidig „Zettt Deee Efff“), die er von 1969 bis 1984 moderierte.

Heck-meck der Extraklasse

Heck ist großartig, gerade weil er nicht aus seiner Showmaster-Haut herausgeht (eine geniale „Verstehen Sie Spaß?“-Veräppelung zeigt, dass er das vielleicht auch gar nicht konnte). Moderator Uhlenhorst präsentiert das mörderische Spiel genauso jovial wie Heck die Hitparade im ZDF, redet immer ein bisschen zu viel und zu schnell (Heck war halt Gebrauchtwagenhändler), rückt den Gästen immer ein bisschen zu sehr auf die Pelle, spielt scheißfreundlich mit den Emotionen, wobei er scheinbar immer genau das Richtige, Gutmenschelnde sagt. Aber überzogener Tonfall, klischeehafte Vorhersehbarkeit und natürlich der Rahmen zeigen die Falschheit genau auf.

Willkommen zur Hitmanparade im Zettt – Deee – Efff

Ein besonderer Akzent mag sein, dass das Drehbuch dem Moderator ausgesprochen oft die Floskel „meine Damen und Herren“ hereingeschrieben hat (dringende Warnung: Daraus bitte kein Trinkspiel machen, es würde nach einer knappen halben Stunde im Koma enden). Der Kabarettist Matthias Brodowy hat einmal klug bemerkt, wie stark sich Politiker heutzutage damit einzuschleimen versuchen. Oder mit „liebe Kolleginnen und Kollegen“. Hört hierzu mal einen Vertreter der jungen Politikergeneration, Philipp Amthor. Auch bei ihm dringende Trinkspielwarnung. Da war „Das Millionenspiel“ seiner Zeit weit voraus.

Lasst die geistig-moralische Wende wackeln

Der Film wechselt munter die Show-, die „Außenwette“- und die Meta-Ebene, indem zum Beispiel auch die zum Teil nervösen Diskussionen hinter den Kulissen eingeblendet werden. Hierdurch kommt vieles zum Ausdruck, was frühestens in den 1990er-Jahren in die Diskussion geraten ist: Vor allem manipuliert das Fernsehen gewaltig, um gute Quote wie „gute“ Bilder zu erhalten. Und es macht ein eher schlichtes Gemüt zum Volkshelden (man schaue sich die diversen Dschungelköniginnen und -könige aus „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ an). Vergessen wir nicht, dass wir uns 1970 in einer Zeit befinden, in der es in Westdeutschland drei West-Programme gab und DDR in Farbe ein Luxus war. Hier nun haben wir es mit dem fiktiven Privatsender „TETV“ zu tun, der vieles von der Entwicklung ab den 1980er-Jahren vorwegnimmt. Es sei daran erinnert, dass ein treibender Initiator der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl war, der in anderem Zusammenhang eine „geistig-moralische Wende“ ankündigte. Hat geklappt – fragt sich nur, in welche Richtung. Auch die lächerlichen bis sexistischen Werbeunterbrechungen sind insoweit ein echter Brüller, wobei man mit deutscher Gründlichkeit streng auf die Gleichberechtigung achtet (und sie im Grunde dadurch verhöhnt), wenn in je einem Spot für ein ominöses Zeugs namens „Monte-Carlo-Quellen“ eine Frau und ein Mann scharf gemacht werden.

TETV sprach zuerst mit dem Toten

Die 1970er sieht man „Das Millionenspiel“ natürlich auch in der schrillbunten Showkulisse an, und man hört sie in der Musik. Das ist Geschmackssache, aber authentisch. Davon abgesehen ist das Werk zeitlos. Erwähnenswert sind weitere Elemente, in denen stringent die „Was wäre, wenn?“-Perspektive durchgespielt wird: Da gibt es eine konsequente Trennung zwischen legal und legitim. Weil wir uns nicht in einer wilden Dystopie befinden, sondern mitten im beamtenkorrekten Deutschland, klärt uns eine Ansagerin zu Beginn darüber auf, dass man auf rechtlich sicherer Seite stehe. Und so kann Bandenchef Köhler (Dieter Hallervorden!) nüchtern bis jovial im Interview sagen, dass er einfach seinen Job ausübt. Und erst die vorgeblichen Publikumsreaktionen und -interviews, die eine absurde und doch erhellende Qualität à la Loriots Befragungen zur Benachteiligung von Schweifträgern haben. Wer da hereinzappte, konnte damals schon ins Grübeln kommen, ob das nicht vielleicht doch echt sei, zumal als Außenreporter weitere echte Fernsehjournalisten wie Heribert Faßbender, Arnim Basche und Gisela Marx in Erscheinung treten.

Großstadtdschungelcamp ohne Ausgang

Es versteht sich von selbst, dass auch die fiktiven Kritiker der Show Heuchler sind, die ja einfach den Fernseher abschalten, sich nicht interviewen lassen oder der Show-Halle fernbleiben könnten (und wenn das alle täten, wäre manche miese Show ratzfatz erledigt). Hier ist „Das Millionenspiel“ sehr dicht an der auch heutigen und eigentlich zeitlosen Brot-und-Spiele-Realität. Daneben erklärt er zumindest indirekt (und so ist es am besten), wieso ein Mann wie der schüchterne Bernhard Lotz (Jörg Pleva) überhaupt als Gejagter mitmacht. Außenseiter – Spitzenreiter; in einem bitteren Kitschmoment muss ausgerechnet seine Mutter (Annemarie Schradiek) dies indirekt erklären. Und in Rückblenden wird klar, wie stark der Mann vom Fernsehen instrumentalisiert wurde, um ihm zu suggerieren, hier könne er zeigen, was er draufhabe. Ich bin ein Star – keiner holt mich hier raus. Weil selbst das Mörderspiel seine Regeln hat und dem TV-Sofagucker suggeriert wird, alles gehe korrekt zu, hat das Team sogar Ärzte und Sanitäter parat, falls Lotz in der Show-Arena (in der das Finale stattfindet) angeschossen wird. Dr. Bob aus dem „Dschungelcamp“ lässt grüßen.

Mancher guckt in die, mancher steckt in der Röhre

Das SF-Actiondrama (um eine Schublade zu bemühen) wird, wenn man sich an seine Tonlage gewöhnt hat, richtig spannend. Ihm gelingt in der zweiten Hälfte, einerseits die Hatz auf die Spitze und zum Finale zu treiben, andererseits immer mehr Facetten der Hintergründe wie beim Häuten einer Zwiebel hervorzubringen, wobei sich beides stimmig zusammenfügt. Weil man immer mehr über die Motive Lotzens sowie der TV-Macher und über deren manipulative Machenschaften erfährt, wächst gleichsam die Empathie für die Hauptfigur ebenso wie das Interesse am Ausgang. Dabei ist „Das Millionenspiel“ uns aber immer eine Nasenlänge voraus. Oder eine Pistolenkugel?

Eine Lanze für Til Schweiger

Fazit: Visionär, spannend, bitter, eigenwillig – ein Höhepunkt im TV-Schaffen vergangener wie heutiger Zeiten. Und was hat Til Schweiger mit allem zu tun? Für den zweiten Teil („Fegefeuer“) einer „Tatort“-Doppelfolge wollte er ebenfalls den Krimi für einen Moment wie die Realität erscheinen lassen. Ohne erkennbaren Übergang sollten Terroristen die bis zum Schluss reale „Tagesschau“ stürmen und die Moderatorin Judith Rakers entführen. Die Ende 2015 zur Ausstrahlung vorgesehene Folge wurde wegen der Terroranschläge in Paris vom 13. November 2015 erst verschoben und dann Anfang 2016 so ausgestrahlt, dass eben doch der altbekannte Serienvorspann Fakten und Fiktion trennte. Bei allem, was man gegen Schweiger sagen kann, und auch bei Verständnis für die Entschärfung: Das wäre mal unter anderen Umständen ein Mut gewesen, den ich im deutschen Fernsehen vermisse. „Das Millionenspiel“ hatte ihn schon!

Didi – Der Killerexperte: Kawumm statt Palim

Seinerzeit verschwand das Werk nach zwei Ausstrahlungen aufgrund rechtlichen Hickhacks für 30 Jahre im Giftschrank, bis es Anfang dieses Jahrtausends wieder zum Vorschein kam. 2009 erfolgte eine DVD-Auswertung, deren 2014er-Neuauflage sogar noch lieferbar zu sein scheint. Sie enthält feines Bonusmaterial, darunter sogar Wolfgang Petersens frühes Umweltschutzplädoyer „Smog“ von 1973 (zu beiden Filmen steuerte der legendäre Wolfgang Menge das Drehbuch bei). Lohnt sich!

Veröffentlichung: 21. November 2014 als Doppel-DVD, 3. April 2009 als Dreifach-DVD

Länge: 96 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch
Untertitel: keine
Originaltitel: Das Millionenspiel
BRD 1970
Regie: Tom Toelle
Drehbuch: Wolfgang Menge, nach der Kurzgeschichte „The Prize of Peril“ von Robert Sheckley
Besetzung: Jörg Pleva, Dieter Thomas Heck, Dieter Hallervorden, Heribert Faßbender, Suzanne Roquette, Theo Fink, Josef Fröhlich, Annemarie Schradiek, Elisabeth Wiedemann, Andrea Grosske, Friedrich Schütter, Peter Schulze-Rohr, Joachim Richert, Arnim Basche, Gisela Marx, Ralf Gregan
Zusatzmaterial: Audiokommentar von Jörg Pleva und Hanns-Georg Rodek, Interview mit Wolfgang Menge (18:57 Min.), Dokumentation „Geliebtes Ekel“ über Wolfgang Menge (43:36 Min.), Trailershow, 12-seitiges Booklet, Bonus-DVD mit Wolfgang Petersens „Smog“ (1973)
Label/Vertrieb: Studio Hamburg Enterprises

Copyright 2024 by Tonio Klein

Szenenfotos & Packshots: © Studio Hamburg Enterprises

 
 

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2 Antworten zu “Das Millionenspiel – Menschenjagd als TV-Unterhaltung

  1. OUROBOROS

    2024/01/02 at 13:02

    Muss man einfach gesehen haben. Ich frage mich nur, wie Dieter Thomas Heck auf jemanden wirkt, der nach 2000 geboren ist.

     
  2. Frank Hillemann

    2024/01/02 at 11:35

    Zum Glück bin ich im Besitz der Box. Damals bei VÖ direkt beim Shop der ARD für relativ kleines Geld bestellt ( um die 15€), wer wirklich was darüber sehen will, wie visionär Toelle und seine Kollegen waren, muss diesen Film sehen. Und “ Smog“ von Wolfgang Petersen war damals ein Skandal, weil es sowas ja in Deutschland nicht geben kann. Was sind die Politiker auf die Zinne gegangen. Absolute Empfehlung.

     

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