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Machine Gun Kelly – Das Raubtier, das seines Willens beraubt war

25 Jan

Machine-Gun Kelly

Von Tonio Klein

Gangsterdrama // George „Machine Gun“ Kelly hat es wirklich gegeben, der Rest – da ist der vorliegende Film ganz ehrlich – ist reine Fiktion (sogar die titel- und spitznamengebende, im Film recht präsente „Machine Gun“ – tatsächlich hat Kelly eine solche nie eingesetzt). B-Film-König Roger Corman verschaffte Charles Bronson 1958 seine erste Hauptrolle, und eine richtig gute in einem richtig guten Film. Schon klar, dass die Geschichte um Bankräuber und Kindesentführer in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren nicht die ganz große Kunst ist und auch gar nicht sein will. Aber mannomann, was sich die Macher da für eine wilde Räuberpistole haben einfallen lassen, in der Gangster auch nur Menschen sind mit all ihren Schrullen – oder sind Menschen auch nur Gangster? Die Banalität des Bösen, mit Schmackes und vor allem in der originell-schnodderigen deutschen Synchronisation jeder Menge Spaß, ohne je in Klamauk abzudriften. Da pflaumt man sich stets ernst, aber mit sprachlichem Furor an, dass es eine Freude ist. Man versteht, dass Tarantino Bronson mag – und doch mit seinen manierierten Übertreibungen nie so gut war, wie der schnörkellosere (aber durchaus über Ecken, Kanten, Brüche verfügende) „Das Raubtier“ ist (so ein alter deutscher Titel des Films). Mit Wumme und unfrommen Sprüchen, hinter denen aber immer auch das Bedrohliche und manchmal sogar das Tragische steckt. Die Cops nur als Randfiguren. Gangster unter sich, und selbst Nebenfiguren entpuppen sich mal eben als solche, etwa wenn George bei der Mutter (Connie Gilchrist) seiner Freundin Florence „Flo“ Becker (Susan Cabot) aufschlägt und diese sich nicht nur als Hure(nhausleiterin) mit Herz, sondern auch Schnauze entpuppt und sogleich kritisiert, dass George das letzte Ding in den Sand gesetzt hat und es offenbar nicht fertigbringe, die Konkurrenz umzunieten.

Oberflächenreize …

Hier sind wirklich alle schräg drauf, die Femme fatale ist allzu offen verrucht („Soll Florence dich schlagen? Du stehst doch bestimmt auf sowas“), der Schwule (Bandenmitglied Fandango, gespielt von Morey Amsterdam) ist klischeehaft schwul. Bei George ist man nie ganz sicher, ob er nicht auch Schwächen und Ängste offenbaren wird, obwohl Bronson in Sachen Virilität alles gibt, was bei ihm im Alter leider zur unfreiwilligen Selbstparodie geworden ist. Nie ohne seine Maschinenpistole, die er genauso gern wie Frauen hat, oder umgekehrt. Die Waffe immer wieder als Fetisch. Das Ganze mit einem frechen Charleston-Hauptmotiv (Musik: der auch für den jungen Kubrick tätige Gerald Fried) garniert, wobei der blecherne, pulsierende Sound (jedenfalls für einen Deutschen) nach Nachkriegs-Swing klingt, wie man ihn in Edgar-Wallace-Filmen oder in der musikalisch verhunzten deutschen Tonspur von „Die Spur des Falken“ (1941) hört. Natürlich konnten die Macher nicht wissen, dass das Plakative, aber Effektive im Titeldesign (das Schlagzeug als Schüsse, die Einschusslöcher als grafische Punkte) teils an die Edgar-Wallace-Reihe erinnern würde, die ab 1959 auf der anderen Seite des Ozeans gedeihen sollte. So oder so, immer feste drauf, zu heiterer Charleston mitunter auch bei den Action-/Gewaltszenen – man merkt, dass sich „Machine Gun Kelly“ nicht allzu ernst nimmt.

… und dann doch Unterströmungen

Letztlich, und das ist seine große Stärke, ist er es dann doch, was gegen Ende angenehm durchkommt. So gibt es beispielsweise immer wieder Momente, in denen nicht nur der erste Eindruck von George, sondern auch die Klischees der anderen gebrochen und die Seelen hinter der Farce sichtbar werden. Auch streut Cormans Regiearbeit in ihren ernsthaften Momenten geschickt Fährten, von denen man nicht genau weiß, ob man ihnen trauen kann, zum Beispiel von Anfang an Todessymbolik und -ahnungen bei George (man muss die ersten paar Minuten ein zweites Mal sehen, da man beim ersten Sehen Georges Blick in ein Bestattungsgeschäft noch kaum Bedeutung beimessen kann; so geschickt und gezielt sind hier die Zeichen gesetzt). Bei einer Kindesentführung am Ende geht es drunter und drüber, wobei fast jede/r zumindest zeitweilig eine Rolle einnimmt, die man ihm oder ihr kaum zugetraut hätte, was unsere zuvor munter geschürten Klischeevorstellungen gewaltig ins Wanken bringt. So viel sei verraten: Am Ende ist der starke Mann schwach, aber vielleicht zum ersten Mal frei – und dieses Ende ist nicht schwach, sondern definitiv stark, weil es unerwartete Vielschichtigkeit und eine Welt in totaler Unordnung offenbart, was wir uns so nicht vorstellen konnten und gemeinerweise wohl auch nicht sollten. Offen gesagt: Corman überrascht und ich bin ihm auf den Leim gegangen. Was ich (frei nach Hellmuth Karasek) gern tue, wenn der Leim denn gut ist.

Fast ein Psychothriller – mit Stil!

Auch filmisch ist „Machine Gun Kelly“ besser, als man erwarten sollte. Erkennbar kein großes Budget, aber stattdessen gibt es Dinge wie: indirekt / aus ungewöhnlicher Perspektive gezeigte Gewalt (siehe den ersten Überfall). Ein reibungsloses, atemraubend schnelles und punktgenaues Ineinandergreifen von Vorgängen als urfilmische, da pure kinetische Energie (Flucht danach). Diverse in die Tiefe gestaffelte Mehrebenenbilder, wenn beispielsweise jemand im Vordergrund seine Reaktion ob der Vorgänge im Hintergrund nur uns zeigt. Oder wenn George im Hintergrund mitbekommt, dass ein Spießgeselle eine Frau vergewaltigen will und wir wissen: Er wird gleich dazwischengehen. Obwohl der Film im Original nicht so heißt und explosive media ihn nun als „Machine Gun Kelly“ veröffentlicht, eine weidlich ausgekostete Parallele Georges zu einem echten Raubtier, das sich ein Mittäter in einem absurd engen Käfig hält. Auch George hat seinen allegorischen Käfig. Nach einer langen Einführung des Tieres und seiner Bedeutung hat Corman gegen Ende so viel Chuzpe der Verdichtung und Abstraktion, dass er einfach nur einmal eine Großaufnahme des Tieres einschneidet, ganz kurz, aber wir genau wissen können, dass dies für ein viel längeres äußeres wie inneres Ereignis steht. Fazit: Eine Perle im Gewande des Reißers.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Roger Corman haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Susan Cabot unter Schauspielerinnen, Filme mit Charles Bronson in der Rubrik Schauspieler. Welche Roger-Corman-Filme sind eure Favoriten?

Veröffentlichung: 7. Dezember 2023 als Blu-ray und DVD

Länge: 84 Min. (Blu-ray), 80 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Machine-Gun Kelly
Alternativtitel: Das Raubtier / Revolver-Kelly
USA 1958
Regie: Roger Corman
Drehbuch: R. Wright Campbell
Besetzung: Charles Bronson, Susan Cabot, Morey Amsterdam, Richard Devon, Jack Lambert, Frank DeKova, Connie Gilchrist, Wally Campo, Barboura Morris, Lori Martin, George Archambeault, Robert Griffin, Michael Fox, Larry Thor, Dwight Brooks, Gene Corman, Mitzi McCall
Zusatzmaterial: Originaltrailer, Bildergalerie, Schuber, Wendecover
Label: explosive media
Vertrieb: Plaion Pictures

Copyright 2024 by Tonio Klein

Gruppierter Packshot: © 2023 explosive media

 
 

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28 Antworten zu “Machine Gun Kelly – Das Raubtier, das seines Willens beraubt war

  1. SmileySmile77

    2024/03/24 at 09:29

    „Tower of London“ – eine kurzweilige Adaption von Richard III.

     
  2. Birgit

    2024/03/21 at 14:42

    Da denke ich gleich an die wunderbaren Edgar-Allan-Poe-Verfilmungen der Sechziger Jahre, vor allem an „Das Pendel des Todes“ und „Der Rabe“.

     
  3. JensA

    2024/03/18 at 20:19

    Das Grab der Lygeia

     
  4. Thomas Oeller

    2024/03/17 at 22:48

    „Das Pendel des Todes“ und „Das Grab der Lygeia“

     
  5. Klaus

    2024/03/16 at 14:11

    Meine Roger Corman-Favoriten sind die E.A.Poe-Verfilmungen „Lebendig begraben“ (1961) und „Satanas – Das Schloß der blutigen Bestie“ von 1964.

     
  6. Seb

    2024/03/16 at 13:07

    Uff, habe einiges von Corman und da sind echte Perlen bei. Meine 3 Favoriten sind:

    Das Pendel des Tode, der grauenvolle Mr. X und der Mann mit den Röntgenaugen.

    Habe nur welche aufgezählt, wo er Regisseur war. Produzent hätte den Rahmen gesprengt mit der Auswahl, viel mir so schon schwer genug

     
  7. Julian Conrad

    2024/03/16 at 11:03

    Die Wespenfrau

     
  8. Frank Warnking

    2024/03/16 at 07:52

    Little Shop of Horrors und The Raven

     
  9. Thomas P.

    2024/03/15 at 23:14

    Piranhas (!!) 🙂

     
  10. Marco

    2024/03/15 at 18:29

    „Weißer Terror“, „Satanas – Schloss der blutigen Bestie“, „Folterkammer des Hexenjägers“, „Grab der Lygeia“, „X – Der Mann mit den Röntgenaugen“

     
  11. olliechen

    2024/03/15 at 17:14

    The Trip

     
  12. Andreas H.

    2024/03/15 at 16:48

    „Die Verfluchten“ und „Das Pendel des Todes“.

     
  13. Stefan

    2024/03/15 at 16:38

    Weißer Terror (The Intruder), Die Verfluchten (House of Usher), Kleiner Laden voller Schrecken (Little Shop of Horrors), Die wilden Engel (The Wild Angels), Sador – Herrscher im Weltraum (Battle Beyond The Stars; Co-Regie/uncredited)

    als Produzent sehr vieles, aber Highlight eindeutig Bewegliche Ziele (Targets) von/für Regisseur Peter Bogdanovich

     
  14. Ralf Staude

    2024/03/15 at 14:48

    The Premature Burial von 1962, The Wild Angels 1966 und sowieso natürlich die Poe-Verfilmungen (Vincent Price! Peter Lorre!)

     
  15. Marco Winnig

    2024/03/15 at 13:25

    Der Rabe

    Little Shop of Horrors

    Die Wespenfrau

     
  16. Jens Albers

    2024/03/15 at 12:35

    Ganz weit oben stehen da für mich „Ein kleiner Laden voller Schrecken“ und „Das Pendel des Todes“

     
  17. Dominik F.

    2024/03/15 at 12:19

    Ich mag die frühen S/W Sachen von Corman immer noch am liebsten. A Bucket of Blood und Little Shop of Horrors.

     
  18. Björn Kramer

    2024/03/15 at 11:11

    sador , die Wespenfrau , Frankensteins Todesrennen, das Pendel des Todes usw.

     
  19. Oliver Kempka

    2024/03/15 at 10:24

    Meine Corman-Favouriten sind: The Intruder, House of Usher, Masque of the Red Death, Premature Burial

     
  20. Andreas Laskowski

    2024/03/15 at 10:14

    Fällt mir mal wieder nichts ein

     
  21. Michael Behr

    2024/03/15 at 10:03

    Neben den klassischen Poe-Verfilmungen möchte ich hier „The Wasp Woman“ nennen. Kommt natürlich nicht wirklich an den, ähem, ähnlich gelagerten „Die Fliege“ heran, aber für Fans der alten Gruselschocker dennoch ein Tipp.

     
  22. markschinken

    2024/03/15 at 09:24

    Kleiner Laden voller Schrecken

     
  23. Karsten Knipps

    2024/03/15 at 09:17

    „Die Folterkammer des Hexenjägers“

    „The Raven“

     
  24. Martin

    2024/03/15 at 09:14

    Ich glaube ich kenne bisher leider keinen seiner Filme…

     
  25. Marcel Stiehl

    2024/03/15 at 08:58

    Zu meinen Favoriten gehören Sador – Herrscher im Weltraum und Der Mann mit den Röntgenaugen.

     
  26. Sascha K.

    2024/03/15 at 08:55

    Als Regisseur: Sador, als Produzent: Flesh Gordon – Die Schande der Galaxis und Deathstalker.

     
  27. Erik

    2024/03/15 at 08:38

    X: The Man with the X-ray Eyes

     
  28. Sven Böttger

    2024/03/15 at 08:10

    Das Pendel des Todes

     

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