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Brüder – Feinde: Esten gegen Esten im Zweiten Weltkrieg

05 Okt

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1944

Kriegsdrama // 1940 besetzt die Rote Armee Estland. 55.000 Esten werden in die Rote Armee verpflichtet. 1941 besetzt Deutschland Estland. 72.000 Esten werden in deutsche Armeen verpflichtet. Da die Wehrmacht nur Deutsche aufnimmt, müssen die Esten in Einheiten der Waffen-SS kämpfen. Mit diesen Texteinblendungen beginnt die filmische Aufarbeitung der Rolle estnischer Soldaten im Zweiten Weltkrieg.

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Die Kämpfe auf dem Gebiet Estlands sind schonunglos

Die Handlung setzt 1944 ein, als die Rote Armee wieder an der estnischen Grenze steht. Am 27. Juli ist ein Grenadier-Unterstand an der sogenannten Tannenberg-Linie schwerem Granatbeschuss ausgesetzt. Die fürs Deutsche Reich kämpfende Einheit estnischer Soldaten muss alsbald einen Ansturm von Rotarmisten abwehren. Viele Angreifer werden niedergemäht, doch auch unter den Verteidigern gibt es Verluste. Im September kommt es zu einem denkwürdigen Aufeinandertreffen: Die estnische Einheit der Waffen-SS trifft auf eine estnische Einheit der Roten Armee. Auf Initiative eines Offiziers der Roten Armee wird Blutvergießen vermieden. Doch dabei bleibt es nicht.

Der teuerste Film aus Estland

Laut Pressemitteilung handelt es sich bei „Brüder – Feinde“ nicht nur um den „teuersten estnischen Film aller Zeiten“, sondern er „sprengte auch alle Rekorde an den Kinokassen“ (gemeint sind offenbar estnische Kinokassen). Exemplarisch für die gewalttätige Spaltung der Esten durch Hitler-Deutschland und Stalin-Sowjetunion dienen der als Mitglied der Waffen-SS kämpfende Karl (Kaspar Velberg) und der in die Rote Armee einberufene Jüri (Kristjan Üksküla).

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Wie immer im Krieg: Auch die Zivilbevölkerung muss leiden

Der Film ist stark, wenn er sich auf das Schicksal der Frontsoldaten fokussiert, die – wie so oft im Krieg – ohne Rücksicht auf Verluste verheizt werden. Speziell ihr persönlicher Zwiespalt wird deutlich, dienen sie doch einem Land, das nicht das ihre ist – in der vagen, gar naiven Hoffnung, vielleicht auch ihrem Heimatland zu dienen. Die Ausstattung wirkt authentisch, wobei das mangels Kenntnis militärischer Rangabzeichen und Uniformen ein oberflächliches Urteil bleiben muss. Die Schlachtenszenen sind intensiv und aufwühlend, kommen allerdings mit vergleichsweise wenig Blut aus. Eine etwas drastischere Darstellung hätte die Schrecken des Krieges noch deutlicher herausgestellt.

Die estnischen Freiwilligen in der Waffen-SS

Erfolg an den Kinokassen hin oder her – „Brüder – Feinde“ muss sich auch weitere Kritik gefallen lassen: Die eingangs erwähnte Zwangsrekrutierung durch das „Dritte Reich“ und die Sowjetunion ist das beherrschende Thema des Kriegsdramas. Zu kurz kommt, dass es auch estnische Freiwillige auf beiden Seiten gegeben hat. Am Anfang des Films wird mittels Stimme aus dem Off herausgestellt, dass es um Schuld geht, da hätte die Rolle estnischer Freiwilliger in der Waffen-SS auf jeden Fall Platz finden müssen.

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Kämpfen die estnischen Einheiten für ihr Land?

Es ist einerseits verständlich, dass Esten gegen die 1940 erfolgte Annexion und damit verbundene Einverleibung durch die Sowjetunion kämpfen würden, nachdem ihre junge Republik Estland erst im von 1918 bis 1920 dauernden Estnischen Freiheitskrieg die Unabhängigkeit erlangt hatte. Andererseits waren Waffen-SS und Wehrmacht verbrecherische Organisationen auf Eroberungsfeldzug – vom Deutschen Reich war nichts Gutes zu erwarten. Schaut man sich jedoch die Gegenseite an, war auch der spätere Kampf estnischer Einheiten in der Roten Armee kritisch zu sehen, obgleich das als Einsatz gegen die deutschen Truppen ebenso verständlich war wie umgekehrt zuvor. Immerhin war zu befürchten, dass die Sowjetunion Estland erneut zur Sowjetrepublik machen würde, wie es dann auch geschehen ist.

Der Zwiespalt der estnischen Kampfeinheiten bleibt vage

Auch wenn meine Kenntnisse der historischen Situation Estlands im Zweiten Weltkrieg oberflächlich sind, kann ich doch konstatieren: Dieser große Zwiespalt in beiden Lagern kommt etwas zu kurz. Es entsteht der Verdacht, dass die Produzenten des Films in dieser Hinsicht etwas Verklärung betrieben haben, um den Vorwurf zu vermeiden, das Andenken estnischer Kampfeinheiten des Zweiten Weltkriegs in den Schmutz zu ziehen.

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Der Krieg fordert viele estnische Opfer

Ist es in Estland am Ende gar nicht gewollt, jene Zeit schonungslos und selbstkritisch aufzuarbeiten? Es ist ja etwas einfacher, die Ereignisse mit dem nicht zu leugnenden Zangengriff durch zwei verbrecherische Regimes zu erklären. Diese Frage kann eine Filmrezension nicht beantworten. So bleibt die Erkenntnis, dass mit „Brüder – Feinde“ in Estland ein beeindruckendes Kriegsdrama von internationalem Format entstanden ist, das dem Anspruch an historische Aufarbeitung vielleicht nicht ganz gerecht wird.

Veröffentlichung: 6. Oktober 2015 als Blu-ray und DVD

Länge: 100 Min. (Blu-ray), 96 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch
Untertitel: keine
Originaltitel: 1944
EST/FIN 2015
Regie: Elmo Nüganen
Drehbuch: Leo Kunnas
Besetzung: Marko Leht, Kaspar Velberg, Krisjan Üksküla, Maiken Schmidt, Mait Malmsten
Zusatzmaterial: Making-of (Tannenberg-Schlacht, Luftangriff), entfernte Szenen (Ehrung, Sainas im Bunker, Poder und Kamenski im Bunker, Ausheben der Schützengräben, Freiwillige Kämpfer in Finnland, Vor der letzten Schlacht, Jüri und Joffe)
Vertrieb: Ascot Elite Home Entertainment

Copyright 2015 by Volker Schönenberger
Fotos & Packshots: © 2015 Ascot Elite Home Entertainment

 

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