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Runaway Train – Express in die Hölle: Rasende Flucht auf dem Gleis

02 Dez

Runaway Train

Von Simon Kyprianou

Actionthriller // Verbrecher Oscar „Manny“ Manheim (Jon Voight) ist unter den Häftlingen im Stonehaven Hochsicherheitsgefängnis eine Art Märtyrer. Speziell der junge Häftling Buck McGeehy (Eric Roberts) schaut zu ihm auf, buhlt um seine Gunst und seine Freundschaft. Mannys Aufbegehren gegen den tyrannischen Gefängnisdirektor Ranken (John P. Ryan), der ihn drei Jahre lang in Einzelhaft hat absitzen lassen, gibt den Mitgefangenen Hoffnung. Den ständigen Entwürdigungen Rankens und dessen menschenunwürdigem Gefängnis setzt Manny eine ungebrochene Widerständigkeit entgegen, die ihn für seine Mitgefangenen zu einem Symbol der Hoffnung gemacht hat. Nachdem Manny erfolgreich gegen die Jahre währende Einzelhaft geklagt hat, plant er umgehend die Flucht. Rankens Drohung, ein Ausbruchsversuch werde Mannys Tod bedeuten, spornt den Häftling dabei erst recht an.

Manny (r.) und Buck sind aus dem Gefängnis ausgebrochen

Widerwillig nimmt Manny Buck bei seiner Flucht mit, weil er dessen Hilfe beim Ausbruch braucht. Nach einem Marsch durch die Schneewüste von Alaska erreichen die beiden einen Bahnhof und besteigen unbemerkt einen der Züge – den mit der größten, bulligsten Lokomotive, der Manny wie schicksalhaft anzieht. Eben jenem Schicksal fällt dann auch der Fahrer des Zugs zum Opfer, der beim Losrollen an einem Herzanfall sterbend aus der Lok fällt, der Zug mit den Ausbrechern fährt führerlos davon (Zufallskrämer mögen sich daran stören). Nach und nach werden sich Manny und Buck ihrer misslichen Lage bewusst, versuchen von ihrem hinteren Wagen nach vorn zur Lock zu klettern und treffen dabei auf Sara (Rebecca De Mornay), eine Zugarbeiterin, mit deren Hilfe sie den Zug stoppen wollen.

Hervorragende Stunts am Zug

Andrey Konchalovskiy („Tango und Cash“) schneidet im Folgenden zwischen der Einsatzzentrale der Eisenbahn-Gesellschaft und dem Treiben im Zug hin und her, sodass der Film gern mit Tony Scotts „Unstoppable“ oder Jan de Bonts „Speed“ verglichen wird, aber diese Vergleiche treffen nicht unbedingt zu: Es geht dem russischen Regisseur nicht wirklich um technische Lösungsansätze und deren Ausführung wie Scott und auch nicht wirklich um die zerstörerische Dynamik des außer Kontrolle geratenen, riesenhaften Fahrzeuges, was sowohl bei „Speed“ als auch bei „Unstoppable“ wesentlich ist. Konchalovskiy benutzt dieses Szenario eher als Rahmen, innerhalb dessen er von der Verzweiflung seiner Figuren adäquat erzählen kann. „Runaway Train“ ist natürlich trotzdem ein hervorragender Actionfilm, auch wenn es nicht allzu viel Action gibt – die aber ist wunderbar geschnitten und die Stunts am fahrenden Zug beeindrucken.

Ihr überdimensionales Fluchtfahrzeug gerät außer Kontrolle

Jon Voight ist sensationell, er spielt seine Figur als Mensch, von dem nichts mehr übrig ist, man sieht nur noch den Wahnsinn in seinem Blick schimmern, ein Mensch reduziert auf seine Instinkte, alle Gefühle sind ihm über die Zeit ausgetrieben worden. Und deswegen kann sich Voight bei seiner Darstellung auch nur auf seinen Körper verlassen: Man sieht ihn nackt, wie er sich mit Fett einreibt, mit Folie umwickelt, wie er durch Abwasserkanäle voller Scheiße kriecht, wie er in eisigem Wasser schwimmt, im Schneetreiben von Waggon zu Waggon springt und man sieht, wie sein Körper dabei immer mehr kaputtgeht und dennoch allen Widrigkeiten trotzt. Trotz dieser Widerständigkeit arbeitet Voigt immer die tiefe Verletztheit seiner Figur heraus, die erst vom Leben zu dem verformt und entstellt wurde, was sie ist. Bei Eric Roberts’ Figur Buck sieht man in der zweiten Filmhälfte nur noch die blanke Angst in den Augen flackern, seine Überheblichkeit und Großspurigkeit von Anfang sind am Ende völlig von ihm abgefallen, wie paralysiert kauert er still am Boden, verzweifelt verschlungen in die ebenso verängstige Sara.

Der folgende Absatz enthält Spoiler

Und dann sitzen sie für ein paar großartige Filmminuten lang alle drei erschöpft und still gemeinsam am Boden des Waggons, halten sich gegenseitig fest und warten auf das Entgleisen des Zugs und auf ihren Tod. Während Buck und Sara den Tod fürchten, sehnt Manny ihn geradezu entgegen, weil er für ihn der Befreiung gleichkommt, die er sucht. Und so sind die letzten Bilder des Films auch eine Höllenfahrt: Die Lok rast ins Chaos, man kann ihr nur noch – wie Buck und Sara – fassungslos hinterherblicken, wie sie langsam im weißen Schneerauschen unsichtbar wird, während Manny dem Tod mit kaltem Stolz ins Auge blickt, nachdem er in einem Akt der Freundschaft seine Freunde gerettet hat. Für ihn ist es ein würdevolles und zugleich niederschmetterndes Ende, damit aber wohl adäquat für eine so problematische und ambivalente Figur wie Manny. Überhaupt ist es ein ergreifender Film, der die Figuren in dem gemeinsamen Überlebenswillen eint – und darin, sich so viel ihrer Würde zu bewahren, wie sie können.

Ab hier wieder spoilerfrei

Das Originaldrehbuch stammt von Akira Kurosawa, der sich an einem realen Vorfall eines außer Kontrolle geratenen Zuges orientierte. Es sollte sein erster in Amerika realisierter Film und gleichzeitig sein erster Farbfilm werden, aber die Produktion kam nicht zustande. Für Andrey Konchalovskiy wurde Kurosawas Drehbuch von Paul Zindel und Edward Bunker überarbeitet. Man merkt dem Film auch an, dass er kein rein „westlicher“ Film ist. Sowohl der Regisseur als auch der Originaldrehbuchautor Kurosawa geben dem Film eine europäische beziehungsweise asiatische Note. Konchalovskiy hatte in den USA nie eine große Karriere – außer „Runaway Train“ hat er noch den vergnüglichen „Tango und Cash“ und das schöne Roadmovie „Homer und Eddie“ inszeniert. Letztes Jahr feierte er mit seinem neuen Film „Paradies“ erneut Erfolge.

Mit der Hilfe von Zugarbeiterin Sara wollen sie den Zug wieder unter Kontrolle bringen

Die 2006 veröffentlichte DVD ist längst vergriffen, umso schöner, dass es nun eine Neuauflage von capelight pictures gibt, und das auch noch als limitiertes Mediabook mit Blu-ray und DVD in bewährter Qualität. Zwei Covermotive stehen zur Auswahl, zudem behält das Label seine moderate Mediabook-Preispolitik bei und veröffentlicht „Runaway Train – Express in die Hölle“ für Mediabook-Verschmäher parallel auch als DVD.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Rebecca De Mornay haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Danny Trejo und Jon Voight unter Schauspieler. Einen lesenswerten Text zu „Runaway Train – Express in die Hölle“ hat auch Christoph auf seinem Blog „Fluxkompensator“ veröffentlicht.

Dazu müssen sie zur Lokomotive klettern

Veröffentlichung: 4. Dezember 2017 als 2-Disc Limited Collector’s Edition (Blu-ray & DVD, zwei Covervarianten) und DVD, 4. Dezember 2006 als DVD (20th Century Foy Home Entertainment)

Länge: 111 Min. (Blu-ray), 106 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Runaway Train
USA 1985
Regie: Andrey Konchalovskiy
Drehbuch: Djordje Milicevic, Paul Zindel, Edward Bunker, Akira Kurosawa
Besetzung: Jon Voight, Eric Roberts, Rebecca De Mornay, Kyle T. Heffner, John P. Ryan, T. K. Carter, Kenneth McMillan, Danny Trejo
Zusatzmaterial: „Vom Schauspieler zum Flüchtling“: Interview mit
Jon Voight, „Süß und wild“: Interview mit Eric Roberts, Originaltrailer, nur Mediabook: „Ausgepowert“: Interview mit Regisseur Andrey Konchalovskiy, „Die Ruhe vor dem Chaos“: Interview mit Kyle T. Heffner
Label: capelight pictures
Vertrieb: Al!ve AG

Copyright 2017 by Simon Kyprianou
Fotos & Packshots: © 2017 Al!ve AG / capelight pictures

 

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