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Alfred Hitchcock (XII): Ich beichte – Das hat er jetzt nicht wirklich gesagt, oder?

23 Apr

I Confess

Von Ansgar Skulme

Krimidrama // Der Priester Michael Logan (Montgomery Clift) nimmt einem ihm bekannten Bediensteten (O. E. Hasse) die Beichte ab. Als dieser ihm eröffnet, einen Mord begangen zu haben, gerät Logan in einen enormen Gewissenskonflikt, da er aus religiösen Gründen verpflichtet ist, das Beichtgeheimnis zu bewahren, auch wenn er die Tat verurteilt. Zudem ist ihm infolgedessen keine glaubhafte Kommunikation mit den polizeilichen Ermittlern möglich, denn auf ihre Fragen muss er oft ausweichend reagieren. Inspektor Larrue (Karl Malden) findet heraus, dass in der Nähe des Tatortes ein wie ein Priester gekleideter Mann gesehen wurde. Sofern Logan das Opfer kannte und ein Motiv für die Tat hatte, droht ihm eine höllische Zwickmühle.

„Ich beichte“ war ein Herzensprojekt von Alfred Hitchcock, der das zugehörige Theaterstück „Nos deux consciences“ („Our Two Consciences“, übersetzt: „Unsere zwei Gewissen“) von Paul Anthelme in den 30er-Jahren gesehen hatte. Die Bühnenfassung gilt als Rarität – über die bisherigen Produktionen ist eher wenig bekannt. Den Dreharbeiten unter Hitchcocks Regie ging eine der längsten Vorbereitungsphasen seiner Karriere voraus. Angeblich arbeiteten zwölf Autoren über einen Zeitraum von acht Jahren an einem Drehbuch, ehe der Meister schließlich zufrieden war. Auch Hitchcock selbst und seine Frau Alma, nach der im Film die Frau des Mörders benannt wurde, sollen ein Treatment erarbeitet haben. „Ich beichte“ kam beim Publikum allerdings nur mittelmäßig an und wurde für Sir Alfred daher zu einer enttäuschenden Erfahrung.

Trotzdem Anklang gefunden

Hitchcock schrieb den vergleichsweise geringen Erfolg des Films beim Publikum rückblickend unter anderem der Abwesenheit des für ihn sonst so typischen Humors zu. Ihm war das Ergebnis, aus der Distanz einiger Jahre betrachtet, zu bierernst. Dennoch fand der Film sein Publikum und genoss etwa bei Vertretern der Nouvelle Vague große Beliebtheit, woran auch der Aspekt des für Hitchcock ungewöhnlichen Stils sicher einen gewissen Anteil hatte. „Ich beichte“ dürfte auf sie inspirierend gewirkt haben, denn neben der für Hitchcock ungewöhnlich streng gehaltenen, sachlich-präzisen Erzählstruktur sind einige interessante Kamera-Ideen für etliche Cineasten von spannendem Interesse, so etwa die Einnahme der Perspektive des Priesters Logan für kurze Momente – in Form von Point-of-View-Shots – oder der lange, zunächst aus großer Distanz gefilmte Abgang des Täters. Einige Außenaufnahmen fallen obendrein durch eine recht naturbelassen wirkende Ausleuchtung auf – eine Abkehr von typischen Ästhetiken des klassischen Studio-Films, wenn man so will.

Der Drehbuchautor George Tabori wiederum war von Hitchcock etwas enttäuscht, weil er sich mehr unterschwellige Anspielungen auf die McCarthy-Ära erhofft und für das Skript vorgesehen hatte. Immerhin ging es hier um einen Menschen, der hartnäckig und einschüchternd von Autoritäten verhört wird, aber die Wahrheit nicht zu verraten vermag. Dass Hitchcock kein besonders politischer Mensch war und auf das Ziehen derartiger Parallelen gern verzichtete, musste Tabori schließlich hinnehmen.

Eine Stimmung des Sonderbaren

Erstaunlicherweise scheint bisher eher wenig über den Einfluss von Dimitri Tiomkins Musik auf den kommerziellen Misserfolg des Films gesprochen worden zu sein. Diese ist sehr komplex, was keinen Zweifel an der außergewöhnlichen Begabung dieses Komponisten lässt, der musikalisch immer ein wenig Exot im klassischen Hollywood war. Aber ich versehe seine Musik zu „Ich beichte“ durchaus mit dem Prädikat „schwer“, wenn nicht „schwierig“. Die Musik allein entscheidet natürlich nicht über den Erfolg eines Films. Daran jedoch, dass „Ich beichte“ einen sicherlich recht steifen Beigeschmack mit sich schleppt, hat die Art und Weise wie Tiomkin das Bildmaterial musikalisch interpretierte und auflud, ganz erheblichen Anteil. Die Musik ist einfach nicht griffig, wirkt manchmal auch ein wenig hektisch bis sprunghaft und hat etwas Hochtrabendes an sich. Das in Kombination mit einem ungewöhnlich spielenden Hauptdarsteller und einem ungewöhnlich inszenierenden, sich ausprobierenden Hitchcock, ist ein bisschen viel auf einmal und führt zu dem Effekt, dass der Film bierernst und manchmal auch etwas pseudo-artifiziell herüberkommt. Es wird nicht final zu klären sein, aber ich bin überzeugt, dass der Film mit Musik von beispielsweise Miklós Rózsa oder Bernard Herrmann besser funktionieren würde und vom Publikum besser angenommen worden wäre. Leider entstand „Ich beichte“ kurz vor Herrmanns Hitchcock-Phase.

Hitchcock aber schoss sich hinsichtlich der Personalien, wie des Öfteren mal, primär auf seinen Star als angeblichen Problemfaktor ein. Diesmal also das Opfer: Montgomery Clift. Jener war „Method Actor”, eine Technik, die Hitchcock nur schwer nachvollziehen konnte und auf die er sich auch nicht völlig einzulassen vermochte. Es prallten zwei Welten aufeinander: Ein Typ Regisseur mit sehr klaren Vorstellungen, der sagen wollte, wo es langgeht, die Bilder quasi schon vorab im Kopf hatte, und ein Schauspieler, der auf maximale Einfühlung in seine Rolle und intuitives, gefühlsmäßiges Spielen setzen wollte. Wenn der Schauspieler also zu einem Schluss kommt, wie er sich in einer Szene real verhalten würde, und es so spielen will oder nach Gefühl improvisiert, der Regisseur ihm dann aber sagt, dass er es so machen soll, wie er will und beispielsweise in die Richtungen blicken soll, die er vorgibt, steht man fortlaufend vor einem Dilemma nach dem anderen. Dazu gesellte sich der Faktor, dass Clift während der Dreharbeiten zu diesem Film häufig alkoholisiert oder mit einem Kater am Set erschien – dass dies nicht unbedingt Hitchcocks Vertrauen in seinen Star stärkte, ist nachvollziehbar.

Unabhängig davon ist es Clift aber recht gut gelungen, die außergewöhnliche Situation lebendig zu machen, in der sich der Priester befindet. Da ist eine stetige Anspannung gepaart mit einer unfassbaren inneren Ruhe, vermischt mit zu erahnender großer Angst in dieser Figur, die im permanenten Konflikt mit sich selbst steht, über den gesamten Film hinweg. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Handlung wirkt zudem recht lückenlos, beinahe wie in Echtzeit erzählt, was die bedrückende Last auf seinen Schultern noch spürbarer macht. Man ist fast pausenlos damit konfrontiert, wie der Priester sein Wissen um die Wahrheit regelrecht in sich hineinfressen muss und wie er dies mit erstaunlicher Fassung trägt. Man kann nur erahnen, was wirklich in ihm vorgeht, sieht aber stetig, dass es in ihm arbeitet und arbeitet, er es aber alles herunterschluckt – mit beeindruckender Konsequenz. Immer wieder scheint es, als bräche er gleich unter der Last zusammen oder in Tränen aus, aber er setzt dem Credo „In der Ruhe liegt die Kraft!“ ein Denkmal und lässt sich im Beisein anderer einfach nichts Handfestes anmerken, auch nicht durch Mimik oder Gestik. Er nimmt hin und steckt ein; egal wie schlecht es um ihn steht und welches Schicksal droht, bleibt er loyal gegenüber seinem Glauben und dem, der sich ihm anvertraut hat. Man kommt nicht recht an ihn heran. Da ist etwas Distanziertes, etwas Abwesendes, wohl durch den Schmerz, den er empfinden muss, der fast mehr ist, als ein Mensch ertragen kann. Und doch, trotz dieses Gefühls von Distanz, fühlt man sich diesem Logan sehr verbunden.

Die üblichen Verdächtigen

Montgomery Clift verbrachte in Vorbereitung von „Ich beichte“ eine Woche in einem Mönchskloster und ließ sich auch während Drehs noch von einem der Mönche beraten, die er dort kennengelernt hatte. Am Set hatte er seine Schauspiellehrerin dabei, auf die er deutlich mehr hörte als auf Hitchcock. Seinen Schauspielkollegen fehlte es, wie Hitchcock, an Rückkopplung mit ihm, da er seine Rolle primär im Dialog mit seiner Lehrerin entwickelte und sich nach seinen Szenen meist als erstes von ihr eine Meinung einholte. Die Anwesenheit der Lehrerin deutet für mich darauf hin, dass Clift bestrebt gewesen sein dürfte, überzeugend und professionell, in ihn gesetzte Erwartungen ihrerseits zu erfüllen. Unter diesen Umständen völlig unreflektiert fortwährend besoffen oder verkatert am Set aufzutauchen, erscheint mir als eine zu einfache Sichtweise, die mich nicht vollständig überzeugt. Ich halte es stattdessen für möglich, dass Clift versucht haben könnte, durch den stabilen Alkoholkonsum während der Drehphase eine gewisse besonders ungewöhnliche Wirkung der Abwesenheit und äußerlichen emotionalen Distanziertheit vor der Kamera zu bestärken, da sich seine Figur emotional am absoluten Limit bewegt und das über mehr als eine Stunde Film am Stück hinweg. Ein unausgesprochener Ansatz bei der Einfühlung in die Rolle könnte außerdem gewesen sein, dass er davon ausging, der Priester könne diese Anspannung nur ertragen haben, indem er sie mit Alkohol betäubte, was letztlich nur subtil angedeutet werden konnte, wenn der Schauspieler selbst alkoholisiert war und anders im damaligen Kino bei so einem Film keinen Platz vor der Kamera hätte finden können. Sollte das der Gedanke gewesen sein, ist aber auch klar, dass die Methode nicht offiziell zugegeben werden konnte.

Das sind Spekulationen und Erklärungsansätze, da auch Interpretation Teil der Filmkritik und -wissenschaft sein kann, aber an die Theorie, dass Clift sich abends volllaufen ließ, in dem Wissen, am nächsten Morgen dennoch gut vor seiner Lehrerin dastehen zu wollen, glaube ich jedenfalls in der Form nicht. Das ist mir zu widersprüchlich. Dass er dennoch wahrscheinlich ein darüber hinausgehendes Alkoholproblem hatte, steht auf einem anderen Blatt. Wenn ich mich an Heath Ledger und seine Rolle als Joker in „The Dark Knight“ erinnere, ist ja auch den heutigen Generationen durchaus bekannt, wie weit Schauspieler für die Einfühlung in eine schwierige Rolle gehen können – vorbereitend sowie während der Drehphase.

Hitchcock jedenfalls blieb einmal mehr auf dem Ansatz hängen, dass er am liebsten einen Star verpflichtet hätte, mit dem er bereits zusammengearbeitet hatte. Dass im Kontext von Hauptdarstellern, mit denen er unzufrieden war, dann Namen üblicher Verdächtiger fallen, die er eigentlich lieber für den jeweiligen Film gehabt hätte, ist bei Hitchcock keine Seltenheit. Cary Grant lehnte die Hauptrolle in „Ich beichte“ allerdings ab und Laurence Olivier wurde vom Studio abgelehnt – auch James Stewart war im Gespräch, doch den Zuschlag erhielt Montgomery Clift, der dann von vornherein unter dem Damokles-Schwert spielen musste, aus Hitchcocks Sicht bestenfalls die C-Lösung für die Rolle gewesen zu sein. Was seine Besetzungspolitik bei Hauptrollen anging, war Hitchcock aus meiner Sicht etwas festgefahren und ein Freund der berühmten „Nummer sicher“. Dass Hitchcock nicht immer die Stars bekam, die er zwar wollte, weil er sie schon einmal erfolgreich in Szene gesetzt hatte, woraufhin er sich dann aber Absagen einhandelte oder mit einem Veto seiner Geldgeber leben musste, hat ihn zweifelsohne vor einer gewissen Eintönigkeit in seinem Gesamtwerk bewahrt. Was die Besetzung von Hauptrollen angeht, war es vermutlich manchmal gut, dass Hitchcock gewissermaßen vor sich selbst beschützt wurde. Oder sind Cary Grant, James Stewart und eine Handvoll ihrer Kollegen etwa doch die Antwort auf alle Fragen des Kinos? Wer weiß.

Auf Blu-ray noch ausstehend

Da es sich bei „Ich beichte“ um einen Film der Warner Brothers handelt, ist die Veröffentlichungssituation in Deutschland für Hitchcock-Verhältnisse zum Glück wenig chaotisch. Die Einzel-DVD wurde im Rahmen von Hitchcock-Boxen mit Warner-Filmen neu aufgelegt, aber ein mehrfaches Wechseln der veröffentlichenden Labels, sodass man den Faden zu verlieren droht, welches denn nun die beste Veröffentlichung hinsichtlich Bonus oder aber Bildqualität oder aber Sprach- und Synchronfassungen ist, bleibt uns so bisher zum Glück erspart. Eine Blu-ray gibt es von dem Film in Deutschland bislang noch nicht. Da wird früher oder später vermutlich etwas am Markt passieren. Vielleicht lässt sich bei dieser Gelegenheit dann auch das überschaubare Bonusmaterial ein wenig aufstocken, das zwar nette Standards bietet, aber trotzdem etwas dünn aufgestellt ist.

Die deutsche Synchronfassung punktet unter anderem damit, dass O. E. Hasse, der bis dato neben seiner Karriere vor der Kamera auch bereits rege als deutscher Synchronsprecher für internationale Kollegen aktiv gewesen war, in „Ich beichte“ mit seiner eigenen Stimme zu hören ist. Seine gut durchdachte schauspielerische Darbietung unter Hitchcocks Regie hätte es verdient gehabt, weit mehr Hollywood-Rollen nach sich zu ziehen. Er hatte das Format, um in derselben Liga mitzuspielen wie später andere deutschsprachige Schauspieler der Marke Gert Fröbe, Oskar Werner, Curd Jürgens oder Maximilian Schell.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Alfred Hitchcock sind in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Montgomery Clift und Karl Malden in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 5. November 2004 als DVD

Länge: 91 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch (beide auch für Hörgeschädigte) sowie Dänisch, Finnisch, Portugiesisch, Hebräisch, Norwegisch, Schwedisch, Tschechisch, Griechisch, Ungarisch, Polnisch, Türkisch
Originaltitel: I Confess
USA/KAN 1953
Regie: Alfred Hitchcock
Drehbuch: George Tabori & William Archibald, nach einem Theaterstück von Paul Anthelme
Besetzung: Montgomery Clift, Anne Baxter, Karl Malden, Brian Aherne, O. E. Hasse, Roger Dann, Dolly Haas, Charles Andre, Judson Pratt, Ovila Légaré
Zusatzmaterial: Originaltrailer, Dokumentation, Wochenschaubericht über die Premiere
Vertrieb: Warner Home Video

Copyright 2019 by Ansgar Skulme
Packshot: © 2004 Warner Home Video, Filmplakat: Fair Use

 
 

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Eine Antwort zu “Alfred Hitchcock (XII): Ich beichte – Das hat er jetzt nicht wirklich gesagt, oder?

  1. Liegeradler

    2019/05/12 at 06:20

    Grade ist eine umfangreiche Biographie erschienen: https://kinogucker.wordpress.com/2019/05/12/alfred-hitchcock-saemtliche-filme/

     

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