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Don Siegel (XI): Der Tod eines Killers – War das Opfer lebensmüde?

30 Mai

The Killers

Von Tonio Klein

Actionthriller // Leider habe ich „Die Killer“ von Hemingway nie gelesen und auch Robert Siodmaks 1946er Erstverfilmung mit Burt Lancaster und Ava Gardner nicht mehr gut in Erinnerung: Trotz angeblich großer Freiheiten in der vorliegenden Adaption weiß ich aber noch, dass Ausgangslage und puzzle-artige, multiperspektivische Rückblendenstruktur beider Verfilmungen identisch sind. Zwei Killer (hier Lee Marvin und Clu Gulager) erschießen einen Mann, der das erstaunlich resigniert akzeptiert, was die Täter irritiert und auf eine Reise in des Opfers Vergangenheit schickt, auf der verschiedene Weggefährten von ihm berichten. Eine Reise auch für uns Zuschauer, eine Reise ins Innere der Frage, was einen Mann zugrunde richten kann. Vorgeblich eine typische Femme fatale (hier Angie Dickinson als Sheila), letztlich aber auch sie nur ein Mosaikstein in einer kalten Welt. Und diese Welt hat Regisseur Don Siegel meisterhaft dargestellt.

Mord ist ein Geschäft, aber beschäftigt den Film

Es geht nicht nur um den Rennfahrer Johnny North (John Cassavetes), der von Sheila geangelt wird, die doch nur zum skrupellosen Gangsterboss Browning (Ronald Reagan) hält. Es geht um viel mehr Intrigen, bei denen auffällig ist, dass auch das Verbrechen oft wie ein „normales“ Geschäft verhandelt wird. „Du bist 27 Jahre alt und gut durchtrainiert, Du kannst es in diesem Job noch weit bringen“, so der ältere zum jüngeren Killer – als sei es ein Job wie jeder andere. Auch ein Raubzug wird hochprofessionell geplant und ausgeführt (zwischenzeitlich wird der Film zum klassischen Heist-Movie).

Bei dieser Archetypik wird es nicht bleiben

Gut-böse-Grenzen verschwinden mitunter. So wirkt der ältere Killer Charlie (Marvin) mitunter geradezu menschlich, etwa wenn er völlig sachlich zu seinem Kumpan Lee (Gulager) Dinge sagt wie: „Du weißt, ich habe schon ’ne Menge umgelegt“. Feine Nuancen schaffen ein durchaus differenziertes Charakterbild von so manchem. Wenn die Killer auftreten, ist es immer der ältere Auftragsmörder, der – obschon seinerseits nicht zimperlich – nur so weit geht, wie er muss, während sein Partner einen gewissen sadistischen Spaß an der Unterdrückung seiner Opfer zu haben scheint. Das illustrieren nicht nur eingestreute Gags wie der, dass er sich mit dem Schweiß aus dem Schwitzkasten eines Opfers die Sonnenbrille putzt. Auch ist es immer der Jüngere, der den markant-zynischen Spruch beim Abtritt auf den Lippen hat, wirklich jedes Mal, das scheint mir kaum Zufall zu sein. „Der Tod eines Killers“ ist gleichermaßen gut gespielt wie geschrieben. Und er ist immer groß im scheinbar Nebensächlichen. Wenn zum Beispiel am Ende einer Szene ein Mechaniker einmal weint, was für seine bis dahin schon klare Charakterisierung nicht nötig zu zeigen gewesen wäre, so verdeutlichen die Tränen, dass dem Film der ganze eiskalt-berechnende Dreck, in dem er sich suhlt, nicht egal ist.

So hochprofessionell, wie die Nebenfiguren agieren, so zerstörerisch ist diese Welt für diejenigen, die noch Gefühle haben, allen voran natürlich Johnny. Vielleicht ist es gar nicht so seltsam, wie es scheint: Viele Neo-Noirs sind nicht schwarz-weiß, sondern auf geradezu künstlich-expressive Weise ausgesprochen bunt, so auch dieser. Auch das schwärzeste Schwarz, das Robert Siodmak in seinem „Die Killer“, Version 1946, auf die Leinwand zaubern ließ, ist eben künstlich-expressiv und allegorisch sowieso. Hier nun: schroffe Primärfarben, wobei Siegel die Kamera immer mal aus leichter Froschperspektive filmen lässt, sodass wir als Hintergrund nur den strahlend blauen Himmel haben, davor zum Beispiel Sheila in einem knallgelben Kleid, da muss Mann doch Augenkrebs bekommen, und einen Knall sowieso. Interessanterweise werden später Johnnys Augen verletzt und ist er schließlich als Lehrer in einem Blindeninstitut untergekommen – die Liebe (oder was er dafür hält) scheint auch ihn blind gemacht zu haben. Wir Zuschauer können uns unterdessen am delirierenden Farbenrausch erfreuen, wenn etwa in einer Jazzbar ein Henry-Mancini-Song erklingt und Johnny und Sheila im Taumel der Scheinwerferlichtfarben (unter anderem ein nie dominierendes, aber immer verwirrend sich in den Raum schiebendes aggressives Pink) tanzen, einander annähern und schließlich küssen. Das ist so bunt wie das Bild rätselhaft und eben voller verschiedener Eindrücke, sodass wir uns nie ganz sicher sein können, ob sie wirklich das Dreckstück ist, das sie zu sein scheint.

Erst kommt das Bleifressen, dann kommt die Moral?

Letztlich haben wir es aber doch mit einer Welt des eiskalten Professionalismus zu tun, in der interessanterweise Sheila und Browning unter dem Deckmantel des Rechtschaffenen noch skrupelloser wirken als die offen auftretenden Killer, von denen Charlie sogar zur moralischen Instanz wird, als er weiß, was selbst ein Killer nicht konnte: einen Mann töten, der bereits ein Toter war. „Ich konnte ihn nicht umbringen, das haben Sie bereits vor vier Jahren getan“, sagt er zu Sheila. Und sein Scheitern wird noch ganz anders illustriert, aber jetzt genug gespoilert!

Die Brille ist weg – sieht Charlie das Blendwerk seines Berufes?

Von den Darstellern überzeugen am meisten der harte, aber mit Zwischentönen ausgestattete Lee Marvin sowie John Cassavetes als Johnny, dessen Lächeln präsent wie immer ist und mal Naivität, mal Verzweiflung, mal Resignation ausdrücken kann, immer perfekt zur Stimmung passend. Erstaunlich gut ist der ansonsten etwas steife Ronald Reagan, der seine Steifheit zum Vorteil gewandelt hat. Hinter dem professionellen Boss mit dem ruhigen, aber dauerherrisch wirkenden Gesicht blitzt immer wieder die Aggressivität durch, wenn sich die ohnehin schmalen Lippen noch weiter zusammenpressen, die Augen zu messerscharfen Schlitzen werden und das Grinsen zu gefrieren scheint, ohne dass mit dem Grinsen Schluss ist. Reagan hat hier Abgründe ausgelotet wie in keiner seiner Rollen. Was hätte aus ihm künstlerisch noch werden können? Bekanntermaßen machte er auf anderem Gebiet Karriere – weswegen dies sein letzter Film war. Angie Dickinson ist eine gute Femme fatale, auch wenn ich gestehe, eine Schwäche für Ava Gardner aus der Erstverfilmung zu haben, weswegen Dickinson es im Vergleich schwer hat. Clu Gulager setzt wie beschrieben ein paar wunderbare Akzente als jüngerer Killer-Partner.

Grinst, ohne zu lächeln: Browning

Optisch kommt man nicht umhin, zu bemerken, dass der Film eigentlich fürs Fernsehen gedreht worden war, dann aber im Kino ausgewertet wurde. Da ist natürlich das 4:3-Format, welches mir korrekt zu sein scheint. Da sind auffällig viele Großaufnahmen und am Anfang überflüssige Kamera-Fingerzeige (muss man noch auf das Schild des Blindeninstituts zoomen, das man schon vorher sehr gut lesen konnte?). Angesichts der Tatsache, dass es 1964 noch keine XXL-Flachbildschirme mit hoher Auflösung gab, ein häufiges Phänomen dieser Zeit, das gern verziehen sei. Immerhin studiert der Film nicht nur jede Faser von Lee Marvins beileibe nicht mehr jungenhaftem Gesicht, sondern auch seines Charakters. Und expressive Darstellungen wie die gen Kamera gerichtete, übergroße Schalldämpferpistole Charlies sind mehr als ein Effekt – der Film nimmt eben auch den Zuschauer ins Visier und lässt ihm kein Entkommen vor den Konflikten, die er uns um Augen und Ohren haut.

Meister der Montage: Don Siegel

Schade sind ein paar recht schlechte Rückprojektionen, zum Beispiel bei den Autorennszenen. Aber auch das können wir leicht vergessen, denn wie Don Siegel bei einem wichtigen Rennen zu Beginn den Spannungsaufbau gestaltet hat, hat wieder einmal Klasse: Zunächst das Wissen, dass Johnny und Sheila die Nacht zuvor miteinander verbracht haben, dann die Frage, ob das seine Fahrkünste schwächt oder gerade stärkt oder beides zugleich, indem es ihn übermütig werden lässt. Recht viel Zeit nimmt sich der Film, sodass wir uns die Antwort peu à peu zusammenpuzzeln müssen und eine Weile noch das Falsche glauben können. Dann geht es Schlag auf Schlag zu einem dramatischen Höhepunkt, nicht nur mit immer schnelleren Schnitten, sondern auch mit markanten Inserts von ganz verschiedenen Ausschnitten des Geschehens im Rennen und an seinem Rande. Alles hängt mit allem zusammen, gerade für Johnny, und hier sehen wir viel von der Kunst, in der Don Siegel groß geworden war, bevor er selbst Regisseur wurde: Er war ein Meister der Montage und ist es auch noch in „Der Tod eines Killers“.

Wegducken unmöglich

Fazit: ein grandioser, abgründiger Thriller, dessen Zynismus weder in Resignation noch ins Moralisieren abdriftet. Hervorragend inszeniert wie gespielt wie gestaltet (übrigens auch musikalisch mit pulsierenden Sixties-Rhythmen, manchmal aber auch fragiler, irritierender Atonalität). Ein echter Bastard im damaligen TV-Einheitsbrei, weswegen er zu Recht in die Kinosäle kam (und vielleicht wurde er umgeschnitten, da man die in den USA üblichen Stellen für die Werbung nicht bemerkt). Nur das 4:3-Format kündet noch von den ursprünglichen Produktionsbedingungen, was den einen oder anderen bei einem Kinofilm von 1964 irritieren mag. Bei dem Strudel, in den einen der Film gerade gegen Ende reißt, waren mir minimale Defizite wie schlechte Rückprojektionen schließlich herzlich egal, und ich habe mich einfach mitreißen lassen. Tut ihr dies auch!

Kompaktes Mediabook von Koch Films

Die Tonqualität der deutschen DVD von 2012 ist suboptimal, aber sie ist im Handel ohnehin vergriffen. Die Blu-ray aus dem Mediabook von Koch Films im fürs Label üblichen und von manchen Sammlern völlig zu Unrecht geschmähten Kompaktformat schlägt die alte DVD in puncto Bild- und Tonqualität locker. Fans der größtmöglichen Bildauflösung können sich über die ebenfalls beiliegende 4K UHD Blu-ray freuen. Ob das einen Qualitätszuwachs bedeutet, dieser überhaupt wahrnehmbar oder bei einem mehr als 50 Jahre alten Film wünschenswert ist, sei dahingestellt (ich bin speziell bei den Klassikern kein Freund dieser Rekordjagd bei der Auflösung). Für den wie üblich höheren Preis, der für ein Mediabook verlangt wird, bekommt man als Bonus immerhin Robert Siodmaks 1946er-Erstverfilmung „Die Killer“ in voller Länge (seinerzeit übrigens unter dem Titel „Rächer der Unterwelt“ in den bundesdeutschen Kinos), dazu ein Interview mit Don Siegel. Es mag sich also lohnen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Don Siegel haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Angie Dickinson unter Schauspielerinnen, Filme mit Lee Marvin in der Rubrik Schauspieler.

Ins Verderben führt die Schussfahrt – und mancher Schuss

Veröffentlichung: 11. Februar 2021 als 3-Disc Edition Mediabook (4K UHD Blu-ray & 2 Blu-rays), 3. Februar 2012 als DVD

Länge: 95 Min. (Blu-ray), 92 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch (DVD: keine)
Originaltitel: The Killers
USA 1964
Regie: Don Siegel
Drehbuch: Gene L. Coon, nach einer Story von Ernest Hemingway
Besetzung: Lee Marvin, Angie Dickinson, John Cassavetes, Ronald Reagan, Clu Gulager, Claude Akins, Norman Fell, Virginia Christine, Don Haggerty
Zusatzmaterial Mediabook: Trailer, Interview mit Don Siegel, Bildergalerie, Bonusfilm „Die Killer“
Zusatzmaterial DVD: Bio- u. Filmografien von Lee Marvin und Angie Dickinson.
Orginaltrailer, Trailershow
Label/Vertrieb Mediabook: Koch Films
Label/Vertrieb DVD: KSM

Copyright 2021 by Tonio Klein

Szenenfotos & Packshot Mediabook: © 2021 Koch Films,
Packshot DVD: © 2012 KSM

 

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