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Hollywood-Story: Verleugneter Idealismus führt unweigerlich zur Zerstörung der Seele

22 Feb

The Big Knife

Von Tonio Klein

Drama // Ach du Schreck, ein Siebenjahresvertrag droht, einer jener berüchtigten Knebel, von denen Bette Davis gesagt hatte, es gäbe nur eines, das schlimmer wäre, als einen zu haben: keinen zu haben! Da bezog sie sich aber auf die 1930er-Jahre, und wir befinden uns im Jahre 1955. Die Macht der Studiobosse war längst am Bröckeln, die externen Manager sollten es Jahre später nicht minder schlimm treiben – aber Mitte der 1950er war die Zeit der Kreativen und die Zeit der eigenmächtigen Stars. Ironischerweise – und folgerichtig – konnten gerade dann so viele Hollywoodfilme entstehen, die ein kritisches Licht auf den Hollywoodzirkus warfen.

Backstage statt „Klappe … und Action!“

„Hollywood-Story“ nimmt insoweit eine Sonderstellung ein, als die Adaption einer 1949er-Theatervorlage von Clifford Odets die Einheit des Ortes fast vollständig wahrt. Und so fehlt alles, was ansonsten zelebriert wird und der Kritik gelegentlich ein wenig die Schärfe nimmt: die possierlichen Studioszenen, in denen Cowboys und Indianer urplötzlich und scheinbar deplatziert durch die Szenerie wackeln, die Tricksereien beim Dreh, der Glamour … Von der Hollywoodarbeit sieht man nichts.

Und irgendwie doch alles, denn was gibt’s stattdessen? Jack Palance mit seinem kantigen Gesicht ist ein Riesenbaby mit der Betonung auf Baby, und daher perfekt besetzt als der Filmstar Charlie Castle, der sich einem neuen Siebenjahresvertrag für den Studiomogul Stanley Hoff (Rod Steiger) verweigern möchte. Die Luftaufnahmen vermessen den Reichtum der Villen der Stars in Bel Air, um den Film dann nahezu ausschließlich in Castles Prachtbehausung spielen zu lassen. Die Frage „Was kann einem solch reichen Mann schon passieren, wenn er einfach in den Sack haut?“ schwebt natürlich über allem, und das ist sicherlich einkalkuliert. Denn tatsächlich, das konnten sie sich nicht vorstellen, die Normalos, die auf ein Häuschen mit Garten sparten und auf Bustouren lediglich die Außenmauern der Stars sehen konnten (1953 herrlich aufgespießt in „Der Mann mit den zwei Frauen“ von und mit Ida Lupino). Was haben sie sich denn bitteschön zu beschweren, die Stars, denen Hollywood Reichtum, Ruhm, Ehre und jede Menge superschöne Damen oder Herren (je nach Geschlecht/Orientierung) beschert hat?

Die glorreichen Sieben – und Hoff

Dieser Film zeigt nun: Kalamitäten sind in solch einer Situation sehr wohl denkbar, wenngleich nicht notwendigerweise. Wenn Charlies Ehefrau Marion (Ida Lupino) am Anfang sagt, dass Hollywood durchaus Qualität und Originalität zu bieten habe – außer eben bei Hoff –, lässt dies Kennerschaft durchblicken: George Stevens, John Huston, Elia Kazan, William Wyler, Billy Wilder, Stanley Kramer und Joseph L. Mankiewicz – oh ja, mit den Werken dieser glorreichen Sieben ließe es sich schon eine Weile auf einer einsamen Insel aushalten! Aber es gibt eben auch das andere Hollywood, das der Stanley Hoffs, und in dem ist Charlie gefangen. Was durch zwei Dinge begünstigt wird: Zum einen ist er ein nicht unsympathischer Charakter, aber ein schwacher Mann, ein bald sanfter, bald eruptiver, bald verzweifelter Riese. Was auch – es gab da wohl mehr als eine außereheliche Bettgeschichte – zu einer zunächst vorläufigen Trennung von Marion geführt hat; dabei ist klar, dass beide einander wie immer und nie lieben. Zum anderen hatte er eine schwere Schuld auf sich geladen. Diese hatte der „Markt der schönen Lügen“ zwar, wofür es genügend reale Vorbilder gibt, geschickt vertuscht, aber das macht Charlie erpressbar – zu einem neuen Siebenjahresvertrag oder auch zu einem weiteren außerehelichen Sexualakt im eigenen Heim.

Fiktion und Realität

„Hollywood-Story“ hat mit dem Thema „Siebenjahresvertrag und Studiobossmacht“ Anknüpfungspunkte, die 1955 etwas aus der Zeit gefallen schienen. Dies hatten ihm manche angekreidet, aber gemach, das Ganze ist mit einem allgemeineren Drama über menschliche Schwächen verbunden, und rückschauend waren die 1950er-Jahre auch nur ein kurzes Aufblitzen neuer kreativer Freiheiten. Interessanterweise waren die 1970er dann wieder ein Jahrzehnt der Hollywoodfilme über Hollywood, und zwar der sehr kritischen, von „Der Tag der Heuschrecke“ (1975) bis zu „S.O.B. – Hollywoods letzter Heuler“ (1981). Und auch 1955 waren die im Film verhandelten Themen noch nicht Geschichte. Robert Lorenz hat in seinem kürzlich erschienenen Buch „Traumafabrik – Hollywood im Film“ (2021) dem vorliegenden Werk ein Kapitel gewidmet; es auszulassen hätte dem hervorragenden Buch auch einen seltsamen Beigeschmack verpasst. Er berichtet unter anderem, dass Harry Cohn den Regisseur Robert Aldrich noch ein paar Jahre später loswerden wollte, als er merkte, dass Aldrichs Stanley Hoff ein Amalgam aus Cohn und Louis B. Mayer ist. Lorenz habe ich die Information zu verdanken, dass sich der Cohn-Anteil darin manifestiert, dass Cohn wie Hoff Abhöranlagen in den Räumen des Studiogeländes installiert hatte. Mayer lässt sich auch so bemerken, jedenfalls wenn man weiß, dass dieser eine schauerliche Theatralik bewusst einsetzte, um seine Stars gefügig zu machen. Von daher ist das expressive Spiel Rod Steigers, das manche kritisiert haben und das in der Tat gefährlich nah an einer Karikatur ist, sehr passend.

Lorenz legt noch mehr Anspielungen frei; so ist der Part von Jack Palance eine Hommage an den zu früh verstorbenen John Garfield, der die Rolle auch im Theater gespielt hatte. Wie Charlie wollte sich Garfield einem Druck (im Falle Garfields, vermeintlich kommunistische Kollegen zu denunzieren) nicht beugen und bekam dadurch massive Probleme. In „Hollywood-Story“ gibt es einen Film im Film, in dem Charlie einen Boxer spielt, wie Garfield in „Body and Soul“ (1947). Die offensichtlich extrem mächtige Klatschkolumnistin Patty Benedict, mit der Charlie trotz seiner Verachtung Süßholz raspeln muss, wird von Ilka Chase gespielt und erinnert laut Lorenz schon im Aussehen an Hedda Hopper. Zudem ist der Rollennachname „Benedict“ eine geschickt gesetzte Ironie, denn dies kommt von „bene dicere“, wörtlich „gut sprechen“.

Stil und Substanz

Das Ganze wird ausnehmend stilvoll, gleichzeitig aber unbarmherzig präsentiert. Eng am Theaterhaften orientiert, gibt es eine Vielzahl mehr oder minder mittelgroßer Rollen von immenser Wichtigkeit. Beim erneuten Sehen erstaunlich, wie wenig Leinwandzeit einige von ihnen haben – weil sie sie so beeindruckend füllen. Hier können nur Beispiele herausgegriffen werden. Jean Hagen als Connie, Charlies Affäre (die, die ihn ins Bett erpresst), kommt im Abendkleid, etwas angesäuselt und ist nur auf eines aus: Sex. Wie Charlie und Connie einander zunächst auf dem Sofa ein Duell liefern, bei dem der Mann keine Chance hat, muss man einfach gesehen haben. Kamera und Ausstatter setzen sogar weidlich einen kleinen Stab mit einer Art Mini-Kamm an der Spitze ein (wozu er eigentlich gut sei, ist mir unbekannt; er sieht wie die Miniatur eines Greifstabs aus, mit dem der Croupier die Würfel vom Tisch holt). Man könnte „phallisch“ denken, aber nicht er, sondern sie führt ihn, in einer sehr beunruhigenden Mischung aus Umgarnen, Auf-Distanz-Halten und Angriff. Kann er seinen (Selbst- und Fremd-)Hass kaum zügeln, macht es sie sogar an, dass er roh ist, und irgendwann haben die Umstände über Charlie gesiegt: Die aggressive Jazzmusik im Soundtrack des von Aldrich häufig eingesetzten Frank De Vol schwillt an, die üppige Ausstattung des Wohnzimmers bleibt scharf, aber die Beine und die Tequliaflasche nehmen diffus die Wendeltreppe und es ist klar, was oben passieren wird, ohne dass wir es sehen. Theaterhaft, hohe Schauspielkunst und doch viel mehr als schnöde abgefilmtes Theater – das haben wir nicht nur hier in Vollendung.

Das Haus, seine Einrichtung und wie Menschen damit umgehen und darin positioniert sind; das alles ist eine Klasse für sich. An der Wand die klassischen „Masken der Musen“, eine lachend, eine tragisch, was sowohl auf Charlies Beruf als auch auf seine Zerrissenheit hinweist. Kunstwerke, wie man sie sich aus Statusgründen eben kauft, ohne sie zu verstehen – Charlie lebt in einer Welt, die ihm fremd bleibt. Auch ohne, dass die Kamera es hervorhebt: auf der Bar ein Geduldsspiel – Charlie könnte mehr innere Ruhe dringend gebrauchen. Und immer wieder Alkohol aller Arten, wobei gerade Charlie, Connie und die frustrierte Dixie (Shelley Winters) oft und viel davon intus haben. Dixie ist übrigens ebenfalls eine brillant gespielte Figur, eine Kleindarstellerin, die um Charlies Geheimnis weiß und vor allem unter Alkohol nicht dichtzuhalten droht, sich aber nie gegen Charlie selbst richtet.

Verleugneter Idealismus, verzweifelte Liebe

So viele andere sind zu nennen, beispielsweise Wendell Corey als Smiley (das Lächeln ist falsch!) Coy, Adlatus des Produzenten, eiskalter Realist bis hin zum Plan, Dixie für immer zum Schweigen zu bringen. Oder Charlies Freund Hank (Aldrichs regelmäßiger Nebendarsteller Wesley Addy), unter anderem hellsichtiger Kommentator, dem ich auch die Überschrift dieses Textes zu verdanken habe. In solchen Sentenzen verbindet der Film dann wieder das Hollywooddrama mit dem allgemeineren Psychodrama, denn besser lebt sich’s, wenn man seinen Idealismus behält oder nie einen hatte. Aber verleugneter Idealismus ist nicht nur in Hollywood ein Problem. Und so handelt der Schluss des Filmes auch nicht nur von einem, der an Hollywood zugrunde geht (dass er das wird, erahnen wir schon an der Titelsequenz von Saul Bass, in der Charlie förmlich zu zerspringen scheint). Sondern auch an sich selbst, und übrigens auch an der Liebe. Denn die Geschichte zwischen Charlie und Marion ist neben vielem auch eine große Liebesgeschichte, die Ida Lupino neben den mehrheitlich exzentrischen Typen mit stiller, sehnender, manchmal auch verzweifelter Würde spielt.

Die Kamera unterstützt das Szenenbild und die großartige Besetzung, indem sie je nach Bedarf das riesige Wohnzimmer und seine Einrichtungsgegenstände zur Hauptfigur macht und die Personen zum Teil dieses, ihres Umfeldes werden lässt. Die Schwarzweißfotografie ist oft hart und kontrastreich und erinnert daran, dass manche diesen Film auch als Film noir listen. Je nach Bedarf wählt der Film eine unbarmherzige Tiefenschärfe, die „kein Entkommen“ signalisiert, oder er verzichtet gerade darauf und zeigt Menschen als isoliert und verloren. Robert Aldrich, der noch mehrmals als Haupt- oder Nebenthema auf Hollywood zu sprechen kommen sollte, hatte diesen Film als ersten, den er unabhängig produzierte, sehr gemocht, und er wusste offenbar, was er tat. Dies wurde mit einem Silbernen Löwen auf den Filmfestspielen von Venedig belohnt, aber mit bescheidenen Zuschauerzahlen vergolten. Also auf, zumindest Letzteres lässt sich noch ändern.

Auf die Blu-ray einen Tequillja!

Die Blu-ray hat ein scharfes, kontrastreiches Bild. Eine gewisse (nicht starke) Grobkörnigkeit ist offenbar der unvermeidliche Preis dafür. Als Extras gibt es den Trailer, einen kurzen TV-Werbebeitrag und eine Bildergalerie. Die Synchronisation ist offensichtlich diejenige, mit der der Film 1956 in die westdeutschen Kinos gekommen ist. Dass man damals nicht immer sattelfest bei der Aussprache fremdländischer Wörter war, führt zu einem Schmunzeln, wenn Connie (gesprochen von Margot Leonard) beim Tête-à-tête mit Charlie den Tequila fortwährend „Tequillja“ nennt. Und Walter Bluhm (als Sprecher eines von Everett Sloane gespielten älteren Agenten) ist auch in ernster Rolle immer als Sprecher von „Stan“ (also dem dünnen Teil von Stan & Ollie) und Mr. Stringer (aus den Miss-Marple-Filmen mit Margaret Rutherford) erkennbar.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Robert Aldrich haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Ida Lupino und Shelley Winters unter Schauspielerinnen, Filme mit Jack Palance und Rod Steiger in der Rubrik Schauspieler. Welche noch nicht rezensierten Regiearbeiten Aldrichs sollten wir unbedingt aufnehmen?

Veröffentlichung: 24. Februar 2022 als Blu-ray und DVD

Länge: 111 Min. (Blu-ray) / 107 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: The Big Knife
USA 1955
Regie: Robert Aldrich
Drehbuch: James Poe, nach einem Theaterstück von Clifford Odets
Besetzung: Jack Palance, Ida Lupino, Wendell Corey, Rod Steiger, Jean Hagen, Shelley Winters, Everett Sloane, Ilka Chase, Wesley Addy
Zusatzmaterial: Originaltrailer, TV-Spot, Bildergalerie, Wendecover
Label 2021: explosive media
Vertrieb 2021: Koch Films

Copyright 2022 by Tonio Klein

DVD- und unterer Blu-ray-Packshot: © 2022 explosive media

 
 

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18 Antworten zu “Hollywood-Story: Verleugneter Idealismus führt unweigerlich zur Zerstörung der Seele

  1. Imke

    2022/04/30 at 15:43

    Die Chorknaben oder Vera Cruz bitte!

     
  2. Gantzu

    2022/04/28 at 21:44

    „Kesse Bienen auf der Matte“ ist mein Vorschlag

     
    • gerlinde kaneberg

      2022/05/22 at 20:09

      „El Perdido“

       
  3. Thomas Oeller

    2022/04/28 at 19:56

    Von den bisher nicht aufgeführten kenn ich nur „El Perdido“ mit Rock Hudson und Kirk Douglas

     
  4. Christian Wiese

    2022/04/26 at 14:12

    Die Arbeit, die hier am häufigsten genannt wird, sollte aufgenommen werden 😉

     
  5. Fabi

    2022/04/26 at 09:35

    „What Ever Happened to Baby Jane?“ wäre noch interessant.

     
  6. Roman G.

    2022/04/25 at 09:20

    Vera Cruz👍🏻

     
  7. Sören Prescher

    2022/04/24 at 17:51

    „Rattennest“ von Robert Aldrich klingt recht interessant.

     
  8. Michael Behr

    2022/04/24 at 15:39

    Die, die ich kenne, sind schon alle rezensiert. Interessieren würde mich „Sodom und Gomorrha“.

     
  9. SmileySmile77

    2022/04/23 at 21:36

    Whatever happened to Baby Jane

     
  10. Andreas H.

    2022/04/23 at 16:52

    „Hügel des Schreckens“ und „Sodom und Gomorrha“ wären interessant.

     
  11. Frank Warnking

    2022/04/23 at 05:20

    Vera Cruz und Die Grissom Bande 🙂

     
  12. Björn Kramer

    2022/04/22 at 11:33

    The Longest Yard von 1974

     
  13. Holly Wendland

    2022/04/22 at 09:33

    meine favoriten Kiss me deadly 1955 und Whatever happened to baby jane 1962-nebenbei bemerkt habe ich exakt den gleichen kleinen stab mit einer art mini-kamm an der spitze-wie er im film zu sehen ist..james stewart in rear window hätte sich gefreut…

     
  14. Eva

    2022/04/22 at 08:17

    Vera Cruz
    Große Lüge Lylah Clare

     
  15. Dominik F.

    2022/04/22 at 07:56

    Ich hätte gerne eine Review zu „Die Chorknaben“ von Aldrich, im Zuge einer hoffentlich bald kommenden deutschen Blu Ray Vö. In den Staaten gibt es eine gute BD von Kino Lorber.

     
  16. Markus Tump

    2022/04/22 at 07:54

    Wird gerne übersehen : „Die Grissom Bande“.

     
  17. Matthias Klug

    2022/04/22 at 07:24

    Ardennen 1944 ein großartiger Film, der in der Top Film Liste unter Robert Aldrich nicht fehlen darf!
    Darunter zählt meiner Meinung nach auch Vera Cruz! Ein klasse Western, der endlich bald in einem schicken Mediabook von Capelight Pictures veröffentlicht wird.

     

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