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Ein Mann geht über Leichen – Viel Action, wenig Stringenz

14 Jun

The Stone Killer

Von Tonio Klein

Actionthriller // Am Ende geht alles schnell, alle feuern auf einmal, die Beutel mit dem entstehungszeittypisch zu hellen Blut platzen munter und die Stunt-Arbeit ist wirklich sauber. Gleichwohl steht dieses Ende für etwas, das den ganzen Film durchzieht und das „Ein Mann geht über Leichen“ zu einer recht durchschnittlichen Angelegenheit macht. Ganz offensichtlich möchte er im Kielwasser einer Welle von Filmen schwimmen, die sich der großstädtischen Verbrechenswelle angenommen haben und die Polizei in die Nähe der Verbrecher rücken – am Berühmtesten in den 1970ern natürlich in „Dirty Harry“ (1971) von Don Siegel mit Clint Eastwood. Da ist „Ein Mann geht über Leichen“ natürlich nicht der einzige Thriller zum Trend, und man könnte ihn auch angesichts gewisser Schwächen durchaus als Exemplar einer Filmwelle zur Verbrechenswelle betrachten, sozusagen als Beispiel eines soziokulturellen Phänomens. Allein, es fällt schwer, weil er auch im Scheitern kaum Zeugnis ablegt von dem, was diese Welle ausgemacht hat. Er ist wie das Ende: hart, schnell, und vor allem von einem ziemlichen Durcheinander.

Torrey hat seine Finger überall drin

„It’s not an Oscar winner, it’s a Michael Winner” – bei manchen genießt der Regisseur dieses Namens keinen guten Ruf. Was ein wenig ungerecht ist, denn der Mann ist sicherlich kein Visionär, hat aber eben doch diverse interessante Werke hinterlassen, auch mit Charles Bronson. Der so kritische wie stilistisch sichere und für Bronson sehr körperbetonte Western „Chatos Land – Ein Halbblut wird gejagt“ und der Profikillerthriller „Kalter Hauch“ (1972) gehören unbedingt dazu, und dem heißen Eisen „Ein Mann sieht rot“ (1974) kann man immerhin attestieren, eine kontroverse statt gar keiner Haltung zu haben. „Ein Mann geht über Leichen“ hingegen ist ein Film, über den man sich nicht mal aufregen kann, obschon er an Krawumm und Bodycount die anderen bei Weitem übertrifft.

Das Ganze ist nicht mehr als die Summe seiner Teile

Kann man den Streifen dann nicht wenigstens als Nur-Actionfilm goutieren? Teils, teils, und hier ist auf eine andere Schwäche hinzuweisen, nämlich die gute alte Arbeit des Storytellings, bei der sich „Ein Mann geht über Leichen“ ebenfalls als eine zerfahrene und beliebige Angelegenheit erweist. Charles Bronson als Polizist Lou Torrey stochert zufällig in ein Wespennest einer Mafiafehde, und was seine eigentliche Tätigkeit mit einem lang geplanten Massaker eines Clans an einem anderen zu tun hat, werden wir lange Zeit nicht erfahren. Das Zusammenpuzzlen verschiedener Handlungsstränge ist an sich nichts Schlechtes, aber hier sehen wir in zu kurzer Zeit zu viele Bruchstücke, und nicht wenige Szenen scheinen beinahe mittendrin abzubrechen. Vor allem im ersten Akt wirkt der Film phasenweise wie eine zu lange Montage, bei der man sich fragt, wann er einmal bei der Sache bleibt und ob die eingestreuten Fetzen irgendeine Bedeutung haben. Auch ist hier, anders als in manch anderem Film des Genres oder in den Vorgängern, den „Semidocumentaries“ ab Ende der 1940er, nicht die Stadt der heimliche Hauptdarsteller. Der Film springt zwischen New York, Los Angeles und der Mojave-Wüste hin und her, zwischen den Black Panthers, einer New-Age-Sekte und der Mafia und was weiß ich wem sonst noch. Die zwischen Torrey und seiner (vermutlich Noch- oder Ex-)Frau angerissene Frage, ob er in L. A. wenigstens einmal die gemeinsame Tochter besuchen könne, deutet eine gebrochene Familienbiografie an, verschwindet aber im Nichts. Schon bezeichnend und klug, dass in der Kinofassung gerade diese Szene herausgeschnitten war. Obwohl man sowas natürlich den Machern überlassen sollte, selbst wenn es gegen das Werk spricht.

Ost- oder Westküste oder mittendrin: egal, Hauptsache bewaffnet

Was die politischen Subtexte betrifft, wird man aus dem Film einfach nicht schlau. Torrey schießt einen Gangster zu Beginn eindeutig in Notwehr ab, aber die Kamera filmt ihn von unten in triumphaler Pose, in der er zwischen den an der Feuerleiter baumelnden Beinen des Niedergeschossenen steht, mit Kanone in der Hand. Er beklagt hinterher, dass das Opfer – erst 17 Jahre alt – nie eine Chance gehabt hätte und dass es (da wird der Film höchst aktuell) ein Riesenproblem sei, dass jedermann in den Staaten eine Waffe kaufen könne. Er ermahnt einen Kollegen, zu einem Schwarzen nicht das N-Wort in der Variante mit zwei g zu sagen, setzt Letzteren aber auch damit unter Druck, dass Schwarze bei der Polizei bekanntermaßen nicht sonderlich beliebt seien. Später schlägt er einen (weißen) Verdächtigen beim Verhör, mehrmals, und demonstriert auch gleich den Korpsgeist, weil der Kollege, der in die Verhörzelle gerufen wird, äußert, er könne keine Spuren eines Angriffs erkennen (und sie sind überdeutlich). Zwischenzeitlich blickt Torrey in den Abgrund seiner inneren Dämonen; hier gelingt dem Film einmal eine interessante Bildsprache, die sich eines Spiegels und eines Goya-Gemäldes eines Kannibalen bedient.

Francisco de Goya: „Saturno devorando a su hijo“

Zu gefallen weiß auch der Einfall, „Ein Mann geht über Leichen“ mit der Großaufnahme von Frieden und Idylle verheißenden grünen Baumblättern zu beginnen und dann durch den Rückwärtszoom zu offenbaren, dass das nur ein Fleck im Dreck der Großstadt ist.

Achtung, ein schießwütiger Cop im Anzug

Aber sonst! Die Idee, eine Szene mit einem Insert zu beginnen, lässt sich beispielsweise auch bei dem Blick auf ein nur spärlich bekleidetes Frauengesäß finden, ohne jegliche Bedeutung, es ist auch nicht der Blick Torreys oder einer anderen Figur, nur der Blick des männlichen Zuschauers, der vielleicht mal schmunzeln soll. Letztlich ist aber auch dies nicht schlimm, denn um sich aufzuregen, ist der Film wirklich zu zerfahren und unentschlossen. Bronson gibt die wie üblich verlässliche Figur ab. Indes wird sein sonst oft besonders körperbetontes Spiel, das zu manchem Auftritt mit nacktem Oberkörper oder auch fast nacktem Unterkörper geführt hat (man denke an seine Indianerrollen), etwas gebremst: Hier trägt er durchgängig Anzug und oft auch noch einen Hut. Aber an der Wumme und bei einer wirklich gelungenen Verfolgungsjagd am Steuer eines Pkws gibt er alles.

„Ich hab’s noch nie mit nem Bullen gemacht.“ Wirst du auch nicht

Das ist ein wenig wie der ganze Film: Immer feste drauf, aber hinter den puren Schauwerten versteckt er sich ein wenig oder weiß nicht, wie er den Kitt drumherum basteln will. Trotz viel Action teils sogar langweilig, ohne Seele. Wohl gemerkt, ich erwarte und verlange keine Filmkunst, aber eine runde Erzählung eben schon. Und vielleicht interessantere Charaktere. Zweiter Hauptdarsteller ist Martin Balsam als Pate, der den Mafioso-Grandseigneur solide gibt, aber im Grunde seinen eigenen Film hat, wobei lange nicht klar wird, wie alles mit allem zusammenhängt. Immerhin sagt eine Parallelmontage am Ende noch etwas dazu, aber das rettet den Actionthriller auch nicht mehr. Wen das alles nicht stört und wer ein paar gute Actionszenen mit ordentlichem 70er-Flair schätzt, der wird passabel unterhalten, aber wer auch von einem Nicht-Kunstfilm mehr erwartet, der wird mit sehr gemischten Gefühlen zurückgelassen.

Charly haut den Lukas?

Pidax zeigt den Film in einer sehr ordentlichen Bild- und Tonqualität, und vor allem: nicht künstlich mit mehr Glanz versehen, als die dreckigen 70er je hatten. Als Extra gibt’s die kürzere Kinoversion; bei der Langfassung sind die Unterschiede anhand einer fehlenden Synchronisation zu erkennen. Die dann automatisch eingeblendeten deutschen Untertitel kommen immer einen kleinen Moment zu spät, und da sie offenbar neu hergestellt wurden, empfinde ich als unangenehm sorglos, dass auch in ihnen das N-Wort noch einmal vorkommt, wo es zur Veranschaulichung des ruppigen Tonfalls nicht nötig ist. Der Synchronisation, offenbar älteren Datums, sei dies hingegen verziehen. Übrigens eine Synchro, bei der ich jetzt Bud Spencer nicht mehr aus dem Kopf bekomme, denn die markante Stimme von Wolfgang Hess spricht hier auch die Bronson-Figur. Diesmal macht Charly statt Buddy alle fertig. Bei Buddy überlebt man’s aber.

Wenn Torrey in der Schusslinie ist, dann nur in der der Presse

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Michael Winner haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Martin Balsam und Charles Bronson unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 27. Januar 2023 als Blu-ray, 17. Juni 2022 als DVD

Länge: 91 Min.
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Italienisch
Untertitel: Deutsch in nicht synchronisierten Szenen
Originaltitel: The Stone Killer
IT/USA 1973
Regie: Michael Winner
Drehbuch: Gerald Wilson, nach einem Roman von John Gardner
Besetzung: Charles Bronson, Martin Balsam, Jack Colvin, Paul Koslo, Norman Fell, David Sheiner, Stuart Margolin, Ralph Waite, Alfred Ryder, Walter Burke, Kelley Miles, Eddie Firestone, Charles Tyner, John Ritter
Zusatzmaterial: Kinoversion (83 Min.). Trailer, Trailershow, Bildergalerie, Werbematerial (PDF), Nachdruck der „Illustrierten Film-Bühne“
Label 2022: Pidax Film
Vertrieb 2022: Al!ve AG

Copyright 2022 by Tonio Klein

Szenenfotos & unterer Packshot: © 2022 Pidax Film

 

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