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Brennendes Indien – Mit der Dampflok auf der Flucht

15 Feb

North West Frontier

Von Volker Schönenberger

Historien-Abenteuer // 1905 untersteht der indische Subkontinent als Kronkolonie dem Vereinigten Königreich. Im Nordwesten von Britisch-Indien brennen muslimische Rebellen den Palast des dortigen Maharadschas (Frank Olegario) nieder und töten den Regenten. Das eigentliche Ziel der mordlüsternen Aufständischen ist sein fünfjähriger Sohn Prinz Kishan (Govind Raja Ross), doch den hat der Herrscher kurz zuvor in die Obhut des britischen Offiziers Captain Scott (Kenneth More) gegeben. In Begleitung der amerikanischen Gouvernante Catherine Wyatt (Lauren Bacall) flieht Scott mit dem Knirps nach Haserabad, um von dort nach Delhi und in Sicherheit zu gelangen. Doch der letzte Zug nach Kalapur hat den Ort soeben heillos überfüllt verlassen.

Die „Empress of India“ flieht …

Schon haben die Rebellen Haserabad eingekesselt, als Captain Scott eine betagte kleine Lokomotive namens „Empress of India“ entdeckt, von ihrem Lokführer Gupta (I. S. Johar) liebevoll Victoria genannt. Ein Plan reift heran: Die „Empress of India“ könnte mit nur einem Waggon im Schlepptau das bereits von den Rebellen gehaltene äußere Stadttor durchbrechen. Gesagt, getan, einer kleinen Reisegesellschaft gelingt das Husarenstück, darunter der Waffenhändler Peters (Eugene Deckers), die Gouverneursgemahlin Lady Windham (Ursula Jeans), der englische Expat Bridie (Wilfrid Hyde-White) und der zwielichtige niederländische Journalist Peter Van Leyden (Herbert Lom). Das Abenteuer hat gerade erst begonnen.

… vor den Rebellen

Szenen im fiktiven Haserabad entstanden in der Umgebung des berühmten Amber-Forts in Amber im indischen Bundesstaat Rajasthan. Die Motive für die Bahnreise hingegen fanden Regisseur J. Lee Thompson („Ein Köder für die Bestie“) und sein später mit zwei Oscars prämierter Kameramann Geoffrey Unsworth („Cabaret“, „Tess“) in der südspanischen autonomen Gemeinschaft Andalusien (es kann dahingestellt bleiben, ob die andalusische Landschaft adäquat für Indien herhält). Diese prachtvollen CinemaScope-Bilder bilden einen reizvollen Kontrast zur Enge des Waggons, in welchem die zusammengewürfelte Reisegesellschaft den Massen von Rebellen zu entkommen versucht – ständig in der Angst vor Entdeckung, die unweigerlich zur Folge hätte, massakriert zu werden. Berühmt geworden ist die lebensgefährliche Überquerung einer maroden Hochbrücke, die durchaus angetan ist, schweißnasse Hände hervorzurufen. Der koloniale Konflikt in Britisch-Indien bleibt dabei an der Oberfläche, dient vornehmlich als Aufhänger für ein fesselndes Abenteuer, das für die große Leinwand gemacht ist.

Ein tödlicher Kampf

Mit der Erstürmung des Palasts des Maharadschas geht „Brennendes Indien“ von Anfang an in die Vollen. In der Folge zieht das Abenteuer aus der Fluchtsituation ein gehöriges Maß an Spannung. Diese erhöht sich zusätzlich, wenn sich zwischen den Flüchtenden Spannungen und Misstrauen Bahn brechen. Dazu trägt nicht zuletzt der unverwüstliche Herbert Lom („Der Schatz im Silbersee“) bei, dessen Rolle um einiges interessanter ausfällt als die des gradlinigen Helden Captain Scott. Lauren Bacall adelt natürlich jede Besetzung, so auch diese, auch wenn ihr Part ebenfalls recht eindimensional ausfällt.

Catherine Wyatt beweist Mumm

Dem Vernehmen nach war Hollywoodstar Gregory Peck ganz angetan von „Flame over India“, so der Titel, unter dem „Brennendes Indien“ in die US-Kinos gelangte. Als der Filmproduzent (und Drehbuchautor) Carl Foreman kurz vor Drehbeginn des Kriegs-Actioners „Die Kanonen von Navarone“ (1961) einen Regisseur brauchte, machte ihn Peck auf J. Lee Thompson aufmerksam, der auf diese Weise zu seiner ersten Arbeit für Hollywood kam („Die Kanonen …“ gilt als britisch-amerikanische Produktion).

Dank Pidax endlich vollständig in Deutschland

Trotz des letztlich simplen Flucht-Plots und der stattlichen Spieldauer von 129 Minuten kommt zu keiner Zeit Langeweile auf. In Deutschland war „Brennendes Indien“ allerdings viele Jahre nur in einer um eine mehr als eine halbe Stunde verstümmelten Fassung verfügbar. Erst 2022 kam die vollständige Fassung dank Pidax Film auf Blu-ray und DVD zu Heimkino-Ehren. Die zuvor nicht enthaltenen Szenen sind dabei im englischsprachigen Original belassen worden, oft die richtige Entscheidung gegenüber einer Neu- oder Nachsynchronisation. Bedauerlicherweise hat Pidax der Veröffentlichung keinerlei Untertitel hinzugefügt, sodass des Englischen nicht mächtige Filmguckerinnen und Filmgucker bei den ergänzten Szenen ins Hintertreffen geraten. Auch das Zusatzmaterial fällt sparsam aus. Gleichwohl löblich, dass es „Brennendes Indien“ nun endlich in vollständiger Pracht nach Deutschland geschafft hat.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von J. Lee Thompson haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Lauren Bacall unter Schauspielerinnen, Filme mit Herbert Lom in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 9. Dezember 2022 als Blu-ray und DVD, 6. Juli 2015 als DVD unter dem Titel „Flammen über Indien“, 11. Oktober 2013 als Blu-ray unter dem Titel „Flammen über Indien“, 20. Februar 2012, 14. Dezember 2007 und 28. April 2005 als DVD

Länge: 129 Min. (Blu-ray), 124 Min. (DVD), 98 Min. (Blu-ray, gekürzte Fassung), 94 Min. (DVD, gekürzte Fassung)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: keine
Originaltitel: North West Frontier
US-Verleihtitel: Flame over India
GB 1959
Regie: J. Lee Thompson
Drehbuch: Robin Estridge
Besetzung: Kenneth More, Lauren Bacall, Herbert Lom, Wilfrid Hyde-White, I. S. Johar, Ursula Jeans, Eugene Deckers, Ian Hunter, Jack Gwillim, Govind Raja Ross, Basil Hoskins, S. M. Asgaralli, Sam Chowdhary, Frank Olegario
Zusatzmaterial: Bildergalerie, Trailershow, Wendecover
Label 2022: Pidax Film
Vertrieb 2022: Al!ve AG
Label/Vertrieb 2015 & 2013: WME Home-Entertainment
Label/Vertrieb 2012 & 2007: Power Station GmbH
Label/Vertrieb 2005: Starmedia Home Entertainment

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & Doppel-Packshot: © 2022 Pidax Film,
„Flammen über Indien“-Packshots: © 2013/2015 WME Home-Entertainment,
DVD-Packshot unten rechts: © 2005 Starmedia Home Entertainment

 

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