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Damascus Under Fire – In den Klauen des Islamischen Staats

21 Feb

Be Vaghte Sham

Von Volker Schönenberger

Actionthriller // Seit 2011 befindet sich das von seinem Präsidenten Baschar al-Assad (* 1965) diktatorisch geführte Syrien im Bürgerkrieg zwischen den regierungstreuen Streitkräften des Landes und diversen oppositionellen Gruppierungen. In diesem Stellvertreterkrieg mischt seit 2013 auch der sunnitische sogenannte Islamische Staat (IS) unter der Führung von Abu Omar al-Schischani (1986–2016) und Abū Bakr al-Baghdādī (1971–2019) mit. Die dschihadistische Terrormiliz erobert ganze Regionen Syriens und belagert Städte und Dörfer.

Die vom IS eingekesselten Syrerinnen und Syrer hoffen auf Hilfsgüter

Die iranische Produktion „Damascus Under Fire“ erzählt die Geschichte von Captain Ali Rostami (Babak Hamidian) und seinem Vater Captain Younes Rostami (Hadi Hejazifar), zweier Piloten der iranischen Luftwaffe. Ali hat gerade Hilfspakete über syrischen Ortschaften abgeworfen und seinen Dienst quittiert, um zu seiner hochschwangeren Frau Leyla (Laleh Marzban) zurückzukehren. Er sitzt bereits im Flugzeug, das ihn aus der syrischen Hauptstadt Damaskus ausfliegen soll, als er erfährt, dass sein Vater unmittelbar zu einem brandgefährlichen Einsatz aufbrechen will: Es gilt, ein in Tadmor (Palmyra) gestrandetes Iljuschin-Großraumflugzeug zu besteigen und damit 100 Menschen aus dem vom IS belagerten Ort herauszubringen.

Der Bürgerkrieg hinterlässt gewaltige Narben

Da Ali seinen Vater diese Mission nicht allein ausführen lassen will, treffen Vater und Sohn kurz darauf gemeinsam in Tadmor ein. Dort werden sie sogleich Zeugen eines Selbstmordattentats eines IS-Terroristen. Der Abflug des Flugzeugs gelingt trotz IS-Beschusses. Auch einige gefangene Terroristen des IS sind an Bord – sehr zum Zorn der übrigen Passagierinnen und Passagiere, die allesamt um geliebte Menschen trauern, die von den Terroristen getötet worden sind.

Vater und Sohn auf gemeinsamer Mission

Doch eine Passagierin erweist sich als Wölfin im Schafspelz: Mariyeh (Nada Abou Farhat) befreit die Gefangenen. Der fanatische Scheich Mamdooh Sa’dieh (Khaled El Sayed) und sein zorniger Sohn Abu Khaled (Layth Al-Mufti) übernehmen das Kommando über das Flugzeug.

Tadmor steht unter IS-Beschuss

Schön, einmal in ein anderes Filmland hineinschnuppern zu können. Mir zumindest ist das iranische Kino nicht geläufig, auch wenn „Die Nacht der lebenden Texte“-Autor Andreas hier seinerzeit mit „Taxi Teheran“ (2015) den Gewinner des Goldenen Bären der 2015er-Berlinale rezensiert hat. Dessen Regisseur Jafar Panahi war schon zuvor 20 Jahre lang auf etlichen internationalen Filmfestivals vielfach prämiert worden, darunter 1995 für „Der weiße Ballon“ (1995) mit der Goldenen Kamera von Cannes, 2000 für „Der Kreis“ mit dem Goldenen Löwen in Venedig und 2006 für „Offside“ mit einem Silbernen Bären der Berlinale (als Großem Preis der Jury). Doch Panahi ist dem Regime seiner Heimat eher ein Dorn im Auge. Er ist nicht der einzige Regisseur, der die Zustände des Landes aufgreift und dafür Probleme bekommt (um es milde auszudrücken). Immerhin bieten einige ausländische Filmfestivals iranischen Filmemachern ein Forum, nicht zuletzt die Berlinale.

Der IS kapert die Iljuschin

Umso interessanter, eine Produktion zu sichten, deren Regisseur vielleicht keinen derartigen Außenseiterstatus hat und insofern im Iran womöglich stärkeren Zwängen unterliegt. Es entzieht sich allerdings meiner Kenntnis, wie stark sich die iranische Filmindustrie staatlicher Kontrolle unterwerfen muss und ob sie auch kritischen Stimmen ein Forum bietet.

Scheich Mamdooh Sa’dieh übernimmt die Kontrolle über das Flugzeug

Angesichts dessen, was Ebrahim Hatamikia mit „Damascus Under Fire“ nach eigenem Drehbuch auf die Beine gestellt hat, lässt sich resümieren: Das ist internationales Action-Niveau made in Iran – Hut ab! Allein schon die Action genügt diesen Ansprüchen. Sie fällt nicht überbordend aus, vielmehr setzt Hatamikia sie punktuell und storydienlich ein. Beim erwähnten Selbstmordanschlag etwa kracht es gewaltig, die Druckwelle hat große Wirkung, hier kommt eine originelle Einstellung zum Einsatz, die sich gewaschen hat. Umgehend wird deutlich, auf was für eine gefährliche Mission sich Vater und Sohn Rostami eingelassen haben.

Terrorist Abu Khaled (r.) bedroht Ali …

Mit der Kaperung des Flugzeugs durch die IS-Terroristen könnte das Geschehen seinen simplen Lauf nehmen, aber Ebrahim Hatamikia hat ein paar interessante Haken in seine Geschichte eingebaut und setzt weitere interessante Figuren ein, etwa den IS-Tschetschenen Abu Omar Checheni (Joseph Saklameh) und die Terroristin Om Salamah (Cynthia Karam). Mit ihnen thematisiert der Regisseur auch Konflikte innerhalb der Terrormiliz. Deren religiöser Fanatismus hat eben mehrere Facetten, und nicht alle IS-Angehörige fühlen sich zum Märtyrertod eines Selbstmordattentäters berufen. Ein paar Wortgefechte zwischen ihnen sind zu beobachten, und nicht immer bleibt es dabei. Dies lässt vermuten, dass Ebrahim Hatamikia über einige Kenntnisse unterschiedlicher Strömungen innerhalb des Islams verfügt.

… und verbreitet Angst und Schrecken

Obendrein geht es auch sehr menschlich zu, und die ach so erhabenen ISler sind vor kleinen Fehlern nicht gefeit. Auf einer Startbahn unmittelbar hinter einem Flugzeug auszuharren, das gleich seine Turbinen aufröhren lassen wird, ist eben nicht ganz so clever. Auch das Erstellen eines Propaganda-Videos – sogar mittels Drohnen-Einsatzes – hat seine Tücken. Noch menschlicher ist der Blick auf das Protagonistenduo: Ali, der seinem Vater nacheiferte, indem er ebenfalls zur iranischen Luftwaffe ging, gibt diesem gegenüber in Tadmor zu, sich stets nach dessen Anerkennung gesehnt zu haben, woraufhin Younes so schlicht wie entwaffnend erwidert, er habe ihn lieb. Als sich die beiden später in IS-Gefangenschaft befinden, erweist sich Ali keineswegs als cooler Held, der die Bedrohung locker abschüttelt, als habe er bei John McClane („Stirb langsam“) gelernt. Nein, Ali ist ein Mensch aus Fleisch und Blut und reagiert als solcher erst einmal sehr menschlich: Er bekommt eine Heidenangst, die ihn phasenweise in Schockstarre versetzt. Sein Vater bemerkt dies, zeigt großes Verständnis (weshalb auch nicht?) und ist für seinen Sohn da. Der Vater-Sohn-Aspekt gehört zu den emotional berührendsten Elementen von „Damascus Under Fire“.

Russische Kampfjets sondieren die Lage

Bei einer Filmproduktion unter einem autokratischen Regime wie dem iranischen stellt sich die Frage, wie sehr diese propagandistisch gefärbt sein mag. Das ist in diesem Fall schwer zu beantworten, denn so sehr ich als Demokrat und freiheitsliebender Mensch die persische Führung ablehne, so sehr eint mich mit ihr der gemeinsame Feind IS. Nun wird mich das nicht zum Fan der Mullahs an der Spitze der iranischen Regierung mutieren lassen (von wegen „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“), aber ein Film, der so eindeutig Position gegen den IS ergreift, wie das „Damascus Under Fire“ tut, findet mit dieser Haltung meinen Beifall. Das Werk ist zudem weit davon entfernt, Propaganda für den Staat Iran zu betreiben. Wenn überhaupt, dann singt der Film das Hohelied auf iranische Piloten, die im Bürgerkrieg in Syrien humanitäre Flüge übernommen haben (welches Ausmaß dies in der Realität angenommen hat, vermag ich nicht zu beurteilen). Das tut er immerhin ohne falsches Pathos.

Abu Omar Checheni erwartet die Ankunft des Flugzeugs …

Mit überzeugender Story inklusive überraschender Entwicklungen, satter Action und interessanten Figuren auf beiden Seiten erweist sich „Damascus Under Fire“ als wie aus dem Nichts kommende Actionthriller-Perle aus dem Mittleren Osten. Sehr löblich, dass die Busch Media Group das Werk für den deutschen Markt lizenziert hat, auch wenn der dafür gewählte englischsprachige Titel „Damascus Under Fire“ überhaupt nicht passt (die Bedeutung des Originaltitels „Be Vaghte Sham“ konnte ich nicht herausfinden). Welche Spielfilme aus dem Nahen und Mittleren Osten könnt Ihr empfehlen?

… und kennt keine Gnade

Veröffentlichung: 24. Februar 2023 als Blu-ray, DVD und Video on Demand

Länge: 113 Min. (Blu-ray), 108 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Persisch/Arabisch/Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Be Vaghte Sham
IR 2018
Regie: Ebrahim Hatamikia
Drehbuch: Ebrahim Hatamikia
Besetzung: Babak Hamidian, Hadi Hejazifar, Pierre Dagher, Layth Al-Mufti, Khaled El Sayed, Ramy Atallah, Cynthia Karam, Joseph Saklameh, Nada Abou Farhat, Carmen Bsaibes, Tia Alkerdi, Leyla Azizi, Youssef El Zein, Ali Sokkar, Laleh Marzban
Zusatzmaterial: deutscher Trailer, Originaltrailer, Trailershow, Wendecover
Label: Busch Media Group
Vertrieb: Al!ve AG

Copyright 2023 by Volker Schönenberger

Szenenfotos: © 2023 Busch Media Group

 
 

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9 Antworten zu “Damascus Under Fire – In den Klauen des Islamischen Staats

  1. Thomas Oeller

    2023/04/09 at 17:37

    Ich kenne nur „Waltz with Bashir“, zumindest fällt mir sonst keiner ein

     
  2. Michael Behr

    2023/04/07 at 11:56

    Hier bin ich nicht sonderlich bewandert und müsste tatsächlich wohl googlen (pfui!) um mich inspirieren zu lassen. Aber ich fand seinerzeit „Taxi Teheran“ sehr gut und eindrücklich. Inwiefern da jetzt die Zeit zu stark drüber gegangen ist, kann ich nicht beurteilen, aber zu seiner Zeit war der ein interessantes Fenster in eine dem Mitteleuropäer doch (immer noch) recht fremde Welt. Aber auf jeden Fall ein gutes Zeitdokument.

     
  3. Birgit

    2023/04/06 at 11:34

    Der israelische Film „Die Band von nebenan“ (2007) hat mir gut gefallen.

     
  4. Rainer Pampuch

    2023/04/03 at 18:46

    Am Tag von Kippur
    Kandagar
    Beaufort
    Absurdistan
    Escape: Human Cargo

     
  5. Christoph Leo

    2023/04/02 at 23:47

    Ich finde auch Waltz with Bashir sehr stark.

     
  6. Klaus

    2023/03/31 at 14:12

    Mein Tipp: „Big Bad Wolves“ aus Israel (2013)

     
  7. Christoph Wolf

    2023/03/29 at 19:42

    Drei relativ aktuelle Filme aus dem Iran, alle sind Dramen, die den Iran als Unrechtsstaat zeigen:
    A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani (قهرمان, Asghar Farhadi, 2021, IR / F)
    Ballade von der weißen Kuh (قصیده گاو سفید, Behtash Sanaeeha / Maryam Moghaddam, 2021, IR / F)
    Doch das Böse gibt es nicht (Sheytan vojud nadarad, Mohammad Rasoulof, 2020, D / CZ / IR)

    Ein Kriegsfilm aus den Emiraten, der so auch in den USA hätte gedreht werden können. Eigentlich bräuchte man nur die Namen ändern. Solide Arbeit, nur nicht sehr originell.
    The Ambush (Al Kameen, Pierre Morel, 2022, UAE / F)

     
  8. Katja

    2023/03/29 at 19:38

    Hallo und wieder einmal vielen Dank für die nächste tolle Verlosung! Ich kann insbesondere folgende Filme empfehlen:

    – Ein Sommer in Haifa
    – Kinder des Himmels
    – Iron Island
    – The Hidden Half

    Viele Grüße
    Katja

     
  9. Björn Kramer

    2023/03/29 at 18:14

    Waltz with Bashir

     

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