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Die verrücktesten 90 Minuten vor Christi Geburt – Humor ist, wenn man trotzdem lacht

24 Nov

Deux heures moins le quart avant Jésus-Christ

Von Tonio Klein

Komödie // Platte Überschrift für einen platten Film. An ihm stimmt nichts, leider. Ohne den vorherigen Vorsatz oder auch nur die Erwartung eines Verrisses: Manchmal muss es sein, wobei natürlich der Satz gilt: Geschmäcker sind verschieden, und Humorgeschmäcker ganz besonders. In Frankreich wurden 1982 rund viereinhalb Millionen Eintrittskarten verkauft, was den Streifen dort zum dritterfolgreichsten des Jahres machte. In Deutschland fristet er eher ein Schattendasein, und man ahnt nach dem Sehen, warum. Wozu nicht unerheblich die Synchronisation beiträgt, aber auch vieles andere.

Anachronismen

Wir befinden uns im Jahre 1 vor Christus. Das ganze römische Imperium weiß Caesar (Michel Serrault) und Cleopatra (Mimi Coutelier) bei den Toten. Das ganze Imperium? Nein! In einem gallischen Bewegtbild sind diese quicklebendig. Nicht schlimm, Quatsch darf Quatsch sein und als weiteren Protagonisten die literarische und filmische Figur Ben Hur (Coluche) aufbieten. Was aber gibt es im Übrigen? Pop- und Discomusik, Telefone und Telefonzellen, das Fernsehen, Aerobic, höchst moderne Werbung allerorten, eine Schwulendisco, Joints, Zigarren, gelbe Taxis, die Formel 1, Halteverbotsschilder moderner Prägung, einen pseudomodernen, wenn auch nicht motorisierten Feuerwehrwagen, Pseudo-NS-Symbolik, in Schreibschrift bedruckte T-Shirts, Mechaniker mit Schweißgerät und Blaumann aus Jeansstoff, Brillen, Shell-Tankstellen … es reicht, die Dosis macht schon nach ein paar Minuten das Gift.

Zehn Punkte bei Flensburgus

Man möge mir verzeihen, trotz entsprechender Sprachkenntnisse den Film nicht, auch nicht ausschnittsweise, ein zweites Mal und dann in der französischen Originalversion gesehen zu haben. Es steht zu befürchten, dass die deutschen Dialoge noch erheblich zur Verschlechterung beigetragen haben.

Hat Karl Lauer die Dialoge geschrieben?

Wir hören, teils in Sächsisch und Bayerisch deklamiert, Kalauer der untersten Schublade. Schnodderdeutsch, welches Rainer Brandt für die Serie „Die 2“ (1971–1972) und Bud-Spencer/Terence-Hill-Klamotten hierzulande berühmt machte, muss man eben können. Und zugegeben, manches kann man einfach nicht übersetzen, wie beispielsweise aus Monty Pythons „Die Ritter der Kokosnuss“ (1975) die Szene, in der man seine Toten herausbringe und jemand einen alten Mann anschleppt, der noch nicht so ganz tot ist – im Original ein Spiel mit der phonetischen Identität von „dead“ und „dad“. Aber was die Texter und Sprecher im Falle von „Die verrücktesten 90 Minuten vor Christi Geburt“ abliefern, entspricht dem vermeintlich kaschierten „Setzen, sechs!“ in einem Dienstzeugnis: „Er/sie war stets bemüht.“ Allzu bemüht und vor allem völlig inflationär eingesetzt sind beispielsweise Namensnennungen, die durch eine lateinische oder sonstwie verfremdete Endung nicht lustig werden. Wohlgemerkt, die obige Bildunterschrift ist Mist, der nicht auf meinem eigenen gewachsen ist! Weitere „Perlen“ seien ausgespart, höchstens noch eine: „Ronaldus Regenmacher“ ist ein Beispiel für schnell alterndes Aktualitätsgeheuchel. Und wirklich symptomatisch für eine Fülle solch unlustigen Unsinns. Man wähnt sich in einer der schlechteren Asterix-Übersetzungen, die mit „Hol mir mal ’ne Flasche Bier“ auf den Zug eines von Stefan Raab verwursteten Gerhard-Schröder-Zitats aufsprang – Haltbarkeitsspanne extrem begrenzt.

Ben Hur lässt sich berichten, was Heinrich des Löwen Leibspeise ist

Zudem kranken die Texte an Überdeutlichkeit und Übertreibung. Der Löwe, dem Ben Hur vorgeworfen werden soll, heißt „Heinrich der Löwe“, und als würde dies nicht reichen, darf’s auch noch mit Gretchen aus Goethes „Faust“ heißen: „Heinrich, mir graut vor dir.“ Wenn Konsul Demetrius (Michel Auclair) wegen des Fehlens intelligenter Bediensteter meint, die seien alle Polizisten, genügt das nicht, sondern breitet der Dialog den „Gag“, dass das eine dem anderen widerspreche, noch weidlich aus – Erklärbären brauchen wir aber nicht.

Zugegeben, derartige Texte finden sich, immerhin in geringerem Ausmaße, auch in deutlich besseren Komödien der 1980er-Jahre: In „Dotterbart“ (1983) heißt es nach einem Massaker in einem Gasthaus, jemand hätte wohl „mit Ostgeld bezahlt“ – in einer Parodie historischer Piratenfilme. Und in „Erik der Wikinger“ (1989) endet eine Weissagung mit „… bis der Reagan auf den Bush fällt und der Kohl schwarz wird“. Zudem wartet die Rom-Episode von „Mel Brooks – Die verrückte Geschichte der Welt“ (1981) ebenfalls mit Anachronismen wie einem Gettoblaster und einem (dort: gigantischen) Joint auf. Aber „Die verrücktesten 90 Minuten vor Christi Geburt“ versagt auch jenseits des deutschen Textes:

Handlung und Timing (soweit vorhanden)

Geht es um irgendetwas im vorliegenden Film, der in einer Kleinstadt in Nordafrika spielt, die Teil des Imperium Romanum ist? Caesar und Cleopatra wollen dort aufeinandertreffen, der Durchschnittstyp Ben Hur wird mal eben zum Gewerkschaftsführer der Unzufriedenen und Caesar-Attentäter auserkoren, Taxifahrer Paulus (Regisseur Jean Yanne persönlich) ist auch noch bei den Guten. Nach ein paar gewollt überraschenden Wendungen werden Wagenrennen, Gladiatorenkampf und Löwenfraß abgesagt, alle haben einander lieb, und da überträgt das Fernsehen zufällig gerade ein Ereignis aus einem Stall in Bethlehem. Auf den besonders schlecht gealterten Spruch, Caesar möge das Privatfernsehen zwecks weniger Lenkung durch die existierenden Programme zulassen, folgt der Abspann. Was aus des schwarzen Helmut Kohl „geistig-moralischer Wende“ wurde, ist bekannt.

Caesar sollte das Privatfernsehen zulassen

Das alles ist technisch ordentlich gemacht und hinsichtlich der Schauwerte halbwegs nett anzusehen. Dass das große Spektakel am Ende ins Wasser fällt, kann man verzeihen, denn wer hat schon das Budget eines „Ben Hur“ (1959)? Indes: Symptomatisch ist, dass die wenigen Momente, die mir ein Schmunzeln entlockten (ja, ein paar gibt es), ausschließlich solche der Bewegung und/oder des Schnittes, nicht solche des Dialoges sind. Wenn Cleopatras Wagen sich in den viel zu kleinen Gassen nach und nach zerlegt (aber musste sie unbedingt über eine „zerwichste Sänfte“ fluchen?): Dies mag auch ein schöner Seitenhieb auf „Cleopatra“ (1963) sein, in dem ihr Triumphzug wirklich kolossal ist und die Crew alle 15 Minuten die Straße von Tierhinterlassenschaften befreien musste. Gelungen ist, wenn die aufgebrachten Massen hinter Ben Hur zu stehen scheinen, er nach einer Protestrede verhaftet werden soll, sich umdreht und mit uns feststellt, dass der Platz sich in Sekundenschnelle geleert hat. Das sind kleine Inseln, die aber sehr einsam sind, verglichen mit der kinetischen Komik eines Mel Brooks und eines Blake Edwards oder der Parodie/Satire von Brooks sowie Monty Python (Einzelmitglieder der legendären Gruppe wirkten auch an „Dotterbart“ und „Erik der Wikinger“ mit). Was hätte Carl Reiner („Tote tragen keine Karos“) aus dem Stoff gemacht, was für einen irre komischen Irrsinn hätten Zucker/Abrahams/Zucker („Die nackte Kanone“ – 1988) abgeliefert? Man darf ja mal träumen …

Brian!

Gelegentlich begibt sich der Film (ob bewusst oder nicht, sei dahingestellt) sogar in die direkte Konkurrenz zu einem Meisterwerk, welches ebenfalls im tunesischen Monastir gedreht wurde, und da kann er nur verlieren: In einem Streit nennt ein Mann einen anderen ständig „fette Sau“; dies erinnert an „Rübennase“ aus Monty Pythons „Das Leben des Brian“ (1979), mit dessen Steinmeißel-Titel auf dem Plakat auch das nun vorliegende Cover viel gemein hat. Das ist nun wirklich eine vermessene Messlatte. Stattdessen passiert in den verrücktesten 90 (leider 96) Minuten vor Christi Geburt ausgesprochen wenig und wird viel palavert, was angesichts des textlichen Niveaus schnell Langeweile aufkommen lässt. Gerade „Das Leben des Brian“ lässt aber erkennen, wie Satire und höchst moderne Anspielungen gelingen können. Hier fallen keine aktuellen Namen, hier wird nicht gekalauert, hier wird – um ein Beispiel zu nennen – einfach ein „Selbstmordkommando“ in die Antike transferiert und der Begriff wörtlich genommen. Der Anachronismus muss nicht noch betont werden, sondern zeigt sich von ganz allein und sorgt für jede Menge Lacher. Dito bei Parallelen zu modernen politischen Diskussionen, und ich möchte manchen, der die Demokratie aktueller Prägung am liebsten grün und vor allem blau prügeln will, gern fragen: Was haben die Römer eigentlich je für uns getan? (Für die wenigen, die dieses Zitat nicht kennen: Es stellt sich heraus, dass dies ganz schön viel ist, die Wutbürger dies aber nicht zu schätzen wissen.)

Eine Nase, mein Lieber, eine Nase

Von der besten Zeit Asterix’ sei hier gar nicht die Rede – noch so ein Vergleich, bei dem „Die verrückesten …“ nur verlieren kann. Ob Cleopatras Ausprobieren falscher Nasen von vor allem Miraculix’ Begeisterung für der Königin Riechorgan herrührt? Da hätte sich das Werk ein weiteres Mal verhoben.

Schwulenklischees

Nun das Zitat des oft zu sauertöpfischen, hier aber passenden „Filmdienst“, welches mir fast eine Schreibblockade eingebracht hätte, denn dort ist alles Wesentliche zusammengefasst: „Der von Anachronismen strotzende Versuch einer Zeitsatire verfängt sich schon bald in den billigen Scherzen einer Homosexuellen-Plotte. Die peinlich kalauernde Synchronisation treibt dem Film auch noch den letzten Witz aus.“ 1982 lag man in puncto Respekt vor Menschen mit nicht heterosexueller Ausrichtung natürlich noch weiter zurück als heute, aber wenn schon politisch unkorrekt, dann bitte weder überdosiert noch flach. Caesar – und nicht nur er – ist mit allen „Tunten“-Klischees ausgestattet, die man sich vorstellen kann. Eine missverständliche Begegnung zweier Männer, die konsequent aneinander vorbeireden (einer denkt an eine Kontaktanbahnung, einer an die Planung eines Attentats), wird weit bis nach Verpuffung des Gags ausgewalzt. Flaue Witzchen per pseudolateinischen Schriftzügen tun ihr Übriges. Wenn jemand, wie mir mehrere Buchhändlerinnen glaubhaft bekundet haben, „Ich hätt gern das Buch mit dem Schwulen“ sagt und „Homo Faber“ (Max Frisch) meint, ist dies lustig, weil der Fragende den Spott abbekommt. Wenn die nun wirklich nicht nur Bildungsbürgern bekannte Tatsache, dass das lateinische „homo“ „Mensch“ heißt, für unzählige Anspielungen herhalten muss, ist das das Gegenteil: Der Witz entsteht nicht daraus, dass jemand das nicht weiß, sondern dass wir es natürlich wissen, was es nicht besonders komisch macht. Zudem wiederum die Fülle … Wenn in der Schwulendisco dann auch noch „ecce homo“ steht, reicht es wirklich – obschon dieser Ausspruch tatsächlich einer der wenigen mit Bezug zu Jesus ist, denn mit diesen Worten („Seht, welch ein Mensch“) habe Pontius Pilatus dem Volk Jesus vorgeführt, für dessen Verurteilung er entgegen der aufgepeitschten Masse keinen Grund gesehen habe. Mon Dieu – wie verschenkt kann ein Gag sein?

Die ordentliche Qualität des 2013 von Pathé restaurierten Filmes kann es nicht herausreißen. Untertitel für die französische oder auch die deutsche Tonspur fehlen – haben sich die Texter fremdgeschämt? Fürs Backcover kannten sie indes kein Halten: „Als Produzenten argierten [sic!] Tarak Ben Ammar (…) und Claude Berri, dem [sic!] erfolgreichsten Regisseur und Produzenten Frankreichs.“ Auch der Dativ kann dem Nominativ sein Tod sein. Und mit Superlativen angesichts nicht objektiv Messbarem sollte man sich zurückhalten. Wobei alle Beteiligten tatsächlich deutlich Besseres gemacht haben. Tarak Benn Ammar produzierte beispielsweise Brian De Palmas wunderbar doppelbödigen Thriller „Femme Fatale“ (2002). Hier aber: Film fatal.

Veröffentlichung: 10. November 2023 als DVD

Länge: 96 Min.
Altersfreigabe: FSK 6
Sprachfassungen: Deutsch, Französisch
Untertitel: keine
Originaltitel: Deux heures moins le quart avant Jésus-Christ
F 1982
Regie: Jean Yanne
Drehbuch: Jean Yanne
Besetzung: Coluche, Michel Serrault, Jean Yanne, Michel Auclair, Mimi Coutelier, Françoise Fabian, Darry Cowl, Paul Préboist, Daniel Emilfork, André Pousse, Michel Constantin, Philippe Clay, José Artur
Zusatzmaterial: Originaltrailer, Bildergalerie, Trailershow, Wendecover
Label: Pidax Film
Vertrieb: Al!ve AG

Copyright 2023 by Tonio Klein

Szenenfotos & unterer Packshot: © 2023 Pidax Film

 

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