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Tote tragen keine Karos – Im Andenken an Carl Reiner

13 Jul

Dead Men Don’t Wear Plaid

Von Tonio Klein

Krimikomödie // Natürlich ist dieser Klassiker von sprühendem Witz und unglaublich liebevollem Charme, mit dem er dem Film noir der 1940er-Jahre seine Reverenz erweist, wie das bezüglich des Stummfilms erst wieder in „The Artist“ gelingen sollte. Das Grundprinzip, falls nicht ohnehin schon längst bekannt: In einer abstrusen Detektivgeschichte, die in den 1940er-Jahren spielt, trifft der von Steve Martin gespielte saucoole Ermittler Rigby Reardon auf nahezu sämtliche Größen des US-Films jener Dekade. Das ist eine Masche, die schnell zum Ruhekissen für die Macher werden könnte. Man kennt das von den schlechteren Filmparodien des Zucker-Abrahams-Zucker-Teams und seiner Epigonen: Nicht jedes Zitat ist schon um des Zitierens willen gut oder witzig. Nummernrevue statt Hommage/Parodie? Nein, hier nicht, hier stimmt alles, denn das Team um Regisseur Carl Reiner (1922–2020) hat mehr gemacht, als Schnipsel alter Filme hineinzuschneiden. Auch die neu gedrehten Passagen von „Tote tragen keine Karos“ atmen den Geist der 1940er, unter anderem durch die Beteiligung von zweien, die damals schon dabei waren: Komponist Miklos Rosza und Kostümdesignerin Edith Head.

Film-noir-Huldigung in Story und Stil

Und das ist noch lange nicht alles in „Dead Men Don’t Wear Plaid“, so der Originaltitel. Schon die Handlung ist gleichsam künstlich wie verworren, sodass man darin eine Hommage an den verworrensten Film der „schwarzen Serie“ sehen mag, „Tote schlafen fest“ („The Big Sleep“, 1946), durch dessen Plot einer Anekdote nach nicht mal mehr Raymond Chandler durchstieg – und der war immerhin Autor der Romanvorlage. Und die Typen, vor allem die Hauptfigur! Hier ist alles Pose, alles künstlich. Noch scheinbar etwas pubertäre Gags (Steve Martin knetet die Brüste von Rachel Ward, und sie knallt ihm nicht etwa eine, sondern das Ganze mündet in einen Dialog absurder erotischer Anziehung) würde ich als Liebe zu Hollywoods Goldenen Jahren deuten: So waren sie halt, die Machos des Film noir und die überirdisch schönen Frauen, die ihnen unverständlicherweise viel zu oft zu Füßen lagen, was angesichts der typischen Femme fatale aber auch umgekehrt vorkam.

Pure Pose: die Klientin vor der Tür

Bestechend ist ferner, dass Reiner auch bei der Technik des Ineinandermontierens von neu Gedrehtem und Filmklassikern dem Geist der 1940er-Jahre verhaftet ist: Das alles ist gar nicht so kompliziert und hochperfekt wie etwa in Filmen von Robert Zemeckis (Forrest Gump in Interaktion mit diversen realen Berühmtheiten, um nur eines von vielen Beispielen zu nennen). Oft haben wir nur simplen Schuss-Gegenschuss oder Over-Shoulder-Shots mit einem Double. Einmal nur gibt es eine Doppelbelichtung – die Technik, bei der in der einen Bildhälfte der eine und in der anderen Bildhälfte der andere ist, bei zweien, die eigentlich nicht zusammen im Bild sein können. Zwei bemerkenswerte Doppelrollenfilme von 1946 haben es so gemacht: „Die große Lüge“ („A Stolen Life“) mit Bette Davis und „Der schwarze Spiegel“ („The Dark Mirror“) mit Olivia de Havilland, jeweils als Zwillingsschwestern.

Zitate, dass Fluppe und Kopf rauchen

Und als ob das noch nicht genug sei, gibt es auch jenseits der direkten Filmschnipsel wunderbare Anspielungen: Wenn Rachel Ward Steve Martin sehr erotisch das Fingerkreisen im Löchlein einer Wählscheibe erklärt, verweist das auf Howard Hawks’ „Haben und Nichthaben“ („To Have and Have Not“, 1944). Und wenn sich seine Verbundenheit mit Ward dadurch ausdrückt, dass er eine Zigarette von beiden Seiten für beide anzündet und dann zerteilt, erinnert das an eine vergleichbare Szene mit Bette Davis und Paul Henreid in „Reise aus der Vergangenheit“ („Now, Voyager“, 1942), wenngleich der Film nicht das Zigarettenszenenmonopol gepachtet hat. Dankenswerterweise darf die große Bette Davis auch direkt auftauchen und scheinbar von Steve Martin gewürgt werden, auch wenn die Quelle kein reiner Film noir ist: „Trügerische Leidenschaft“ („Deception“, 1946).

Harte Fäuste, fesche Hüte, bunte Krawatten in Schwarz-Weiß

Die Zitate reichen von hübschem Effekt bis genau vorbereiteter, punktgenauer Reverenz, am besten vielleicht, wenn sich Rigby Reardon als Frau verkleidet. Da trägt er eine absurde blonde Perücke, um die absurdeste blonde Perücke der Filmgeschichte zu verspotten, nämlich die von Barbara Stanwyck in Billy Wilders „Frau ohne Gewissen“ („Double Indemnity“, 1944). Oder er spielt auf den durchgeknalltesten Gangster mit Mutterkomplex an, den er als dessen Mutter dann natürlich auch trifft, James Cagney in „Maschinenpistolen“ („White Heat“, 1949), den übrigens „Die nackte Kanone 33 1/3“ (1994) hervorragend parodiert.

Ein Film mit Format

Zur Debatte um das korrekte Bildformat kann ich nichts sagen, da ich den Film damals nicht im Programmkino gesehen habe, wo er laut einigen im Netz zu findenden Rezensenten im klassischen 1:1,37-Format gelaufen sein soll, wohingegen er auf DVD in 1:1,85 vorliegt. Im Fernsehen wird er ebenfalls im 1:1,85-Format gezeigt, welches auch die Internet Movie Database ohne Hinterfragung im Diskussionsforum ausweist; in der Datenbank von Turner Classic Movies findet man keine Angaben. Da Abgeschnittenes kaum auffällt (und es fällt üblicherweise auf, man kann das jeden Sonntag beim Tatort-Vorspann sehen), bin ich geneigt, daran zu glauben, dass die DVD den Film im Originalformat präsentiert. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass seinerzeit laut dem Regie-Kollegen Sidney Lumet keine guten Linsen für das alte 1:1,37-Format existierten (er wollte dies für einen nostalgischen Film nutzen und hatte schließlich kapituliert). Also wollen wir mal nicht so sein.

Er gab ihm Feuer: Carl Reiner höchstselbst

Auch die Synchronisation geht meines Erachtens in Ordnung und ist bei einem entscheidenden Running Gag durchaus kreativ: Das Wort „cleaning woman“, bei dem Martin stets ausrastet und Bärenkräfte entwickelt, wird vom schnöden „Putzfrau“ zum etwas gestelzteren und damit in diesem Zusammenhang besseren „Reinemachefrau“. Das hat auch mehr Silben und kann in einem Wutanfall viel schräger akzentuiert werden: CLEEEA-NIIING-WOOOO-MAAAAN wird eben besser zu REEEI-NE-MAAA-CHE-FRAAAAU statt zu einem schnöden „Putzfrau“. Und weil in der Finalszene im Englischen (!) das deutsche Wort „Reinemachefrau“ ausgesprochen und mit „cleaning woman“ erklärt wird, konnte man im Deutschen natürlich nicht „Reinemachefrau ist Reinemachefrau“ sagen. Stattdessen hören wir ein keckes, von Rachel Ward kokett schäkernd gesagtes „mein kleines Staubwedelchen“. Ist doch süß und originell. Synchronisationen müssen nicht sklavisch wörtlich, sondern nur gut sein, wie zum Beispiel der Dschungelbuchklassiker „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ oder die berlinerische „My Fair Lady“-Version gezeigt haben.

In memoriam Carl Reiner

Nun ist Carl Reiner hochbetagt verstorben und sein Son Rob auch schon über 70 – ein vielleicht noch berühmterer Regisseur, für den „Harry und Sally“ (1989) wohl das Hauptwerk bleiben wird wie für Carl die „Karos“. Carl war Multitalent, mit erstaunlich wenigen Regie-Arbeiten, aber einem Vorlauf als das, was man neudeutsch Comedian nennt und wo er sich als Autor und Darsteller profilierte. Vor die Kamera trat er auch danach immer wieder, auch in „Tote tragen keine Karos“ sowie in „Ocean’s Eleven“ (2001). Mit Mel Brooks hatte er ein Team geblidet, und beiden gemein ist, dass sie auch in ihren Filmen immer mal wieder auf das Medium selbst blicken und die „vierte Wand“ durchbrechen. In „Tote tragen keine Karos“ gibt die schon im alten Film noir oft an den Zuschauer gerichtete Off-Stimme des Helden am Ende unumwunden zu, dies sei ja nur ein Film. Und in Teil 2 komme vielleicht eine Nacktszene zwischen Rachel Ward und Steve Martin vor. Mel Brooks hat im selben Jahr, 1981, in „Mel Brooks – Die verrückte Geschichte der Welt“ einen zweiten Teil angekündigt, den es nie geben sollte. Schade – Brooks’ „Hitler on Ice“ hätten wir genauso gern gesehen wie die Nackedeis.

Der Schlips ist ab, mehr gibt’s nicht zu sehen

Von Reiner selbst gibt es so einige Regie-Arbeiten neu oder wieder zu entdecken. Dass er bei Parodien, ähnlich Mel Brooks, trotz manchmal großer Albernheit immer sehr stilsicher und liebevoll agiert, zeigt zum Beispiel „Der Mann mit zwei Gehirnen“ (1983), wie so manches von Reiner ebenfalls mit Steve Martin. Hier wird das Fatale der Femme fatale ins Absurde gesteigert – Kathleen Turner konnte ihre ikonische Darstellung in „Heißblütig – Kaltblütig“ (1981) veräppeln – und mit einer Mad-Scientist-Thematik à la 1950er-B-Science-Fiction verknüpft. Ohne Steve Martin und zu Unrecht im Schatten der „Karos“ findet sich die Perle mit dem idiotischen deutschen Titel „Allein unter Idioten“ („Fatal Instinct“, 1993), die Zucker-Abrahams-Zucker noch einmal zeigte, was eine Harke ist. Und das mir noch nicht bekannte Frühwerk „Wo is’ Papa?“ (1970) soll eine herrlich gallige Humorschwärze haben, was man sich bei Hauptdarstellerin Ruth Gordon auch gut vorstellen kann.

Gerade die Parodien zeigen, dass man nicht einmal die parodierten Filme kennen muss. Auch die „Karos“ sind schon so extrem lustig, aber der Nostalgie-Fan hat eben noch ein wenig mehr Spaß.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Steve Martin haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Veröffentlichung: 23. Mai 2019 als Blu-ray, 4. Oktober 2007 als DVD

Länge: 88 Min. (Blu-ray), 85 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Dead Men Don’t Wear Plaid
USA 1982
Regie: Carl Reiner
Drehbuch: Carl Reiner, George Gipe, Steve Martin
Besetzung: Steve Martin, Rachel Ward, Carl Reiner, Reni Santoni, George Gaynes
Archivaufnahmen: Alan Ladd, Barbara Stanwyck, Ray Milland, Ava Gardner, Burt Lancaster, Humphrey Bogart, Cary Grant, Ingrid Bergman, Veronica Lake, Bette Davis, Lana Turner, Edward Arnold, Kirk Douglas, Fred MacMurray, James Cagney, Joan Crawford, Charles Laughton, Vincent Price
Zusatzmaterial:
Label/Vertrieb: Universal Pictures Germany GmbH

Copyright 2020 by Tonio Klein

Szenenfotos & unterer Packshot: © 2020 Universal Pictures Germany GmbH

 

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