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Zum 100. Geburtstag von Charlton Heston: Ben Hur – Die Mutter aller Monumentalfilme

04 Okt

Ben-Hur

Von Lars Johansen

Historien-Abenteuer // „Ben Hur“ (1959) kennt vermutlich fast jeder Mensch, der sich ein wenig fürs Kino interessiert. Vielleicht weiß nicht jeder, dass es der Nachname des Helden Judah Ben-Hur ist und es außer einem bis heute beeindruckenden Wagenrennen noch ein paar mehr Szenen gibt. Aber grundlegend ist der Film bekannt. Er entstand nach einem ungeheuer erfolgreichen Buch von Lewis Wallace (1827–1905), welches im 19. Jahrhundert angeblich das meistverkaufte Buch nach der Bibel war. Egal ob es stimmt, 1907 wurde es zum ersten Mal verfilmt. Ganze 15 Minuten dauerte das Werk und erregte vor allem deswegen Aufsehen, weil der Autor des Theaterstücks, welches nach dem Roman entstanden war, die Filmemacher wegen Verletzung des Urheberrechts verklagte. 1911 bekam er in einem Musterprozess recht. Deswegen entstand die zweite Verfilmung von Regisseur Fred Niblo (1874–1948) im Jahr 1925 legal. Ramón Novarro (1899–1968) spielte die Titelrolle in dem aufwendig gedrehten Epos, das zwei Regisseure und auch den ersten Hauptdarsteller verschliss, aber trotz vieler Widrigkeiten nicht nur 142 Minuten lang war, sondern sich auch zu einem außerordentlichen Erfolg entwickelte. Diese Adaption kam dank des zwei-Farben-Technicolor-Verfahrens teils koloriert daher und als einer der Regieassistenten arbeitete ein gewisser William Wyler (1902–1981) an dem Werk mit. Der gebürtige Deutsche übernahm 1959 schließlich die Regie beim Remake, dessen Produzenten die Kopien des Stummfilms, derer sie habhaft werden konnten, vernichteten, weil sie ihn immer noch als Konkurrenz fürchteten.

Alte Freunde, neue Feinde

Die Handlung des mehr als dreieinhalb Stunden langen Historien-Abenteuers ist relativ rasch erzählt. Der reiche jüdische Kaufmann Judah Ben-Hur (Charlton Heston) wird von seinem Jugendfreund Messala (Stephen Boyd) hintergangen, einem römischen Tribun, weil er diesem nicht die Namen der jüdischen Widerstandskämpfer nennen will. Daraufhin wird er zu einer Strafe verdonnert, die er als Galeerenruderer absitzen soll. In einer Seeschlacht rettet er dem römischen Kapitän das Leben, woraufhin der ihn adoptiert. Schließlich tritt Ben-Hur als Wagenlenker zu einem Duell mit Messala an. Seine Rachegedanken wandeln sich durch das mehrfache Auftauchen von Jesus Christus (Claude Heater) in den Wunsch nach Frieden und Vergebung. Die Geschichte des Heilands wird am Rande parallel erzählt.

Elf Oscars, vier Golden Globes

All das klingt so holzschnittartig, wie es oberflächlich betrachtet auch ist. Wylers Inszenierung hebt den Film zusammen mit der einprägsamen Musik von Miklós Rózsa (1907–1995) und der herausragenden Kamera von Robert Surtees (1906–1985) aber weit aus dem Mittelmaß heraus. Auch die wirklich exzellente Schauspielerriege trägt dazu bei. Elf Oscars sprechen obendrein eine deutliche Sprache – als bester Film, für Regisseur William Wyler, Hauptdarsteller Charlton Heston, Nebendarsteller Hugh Griffith, Farbfilmkamera, Farbfilmausstattung, Farbfilmkostümierung, Ton, Schnitt, Spezialeffekte und die Musik von Miklós Rózsa. Mehr Academy Awards hat kein Film je gewonnen und nur „Titanic“ (1997) und „Der Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs (2003) haben dieselbe Zahl erreicht. Und den Oscar fürs adaptierte Drehbuch hat es trotz Nominierung nur deshalb nicht auch noch gegeben weil William Wyler bei der Jury massiv intervenierte, denn es sollte mit Karl Tunberg nur einer der eigentlich fünf Autoren ausgezeichnet werden, der seiner Ansicht nach aber nur einen kleinen Anteil am Buch hatte. Für Wyler selbst war es nach „Mrs. Miniver“ (1942) und „Die besten Jahre unseres Lebens“ (1946) der dritte Oscar als bester Regisseur, er stand auf der Höhe seines Ruhms. Kurz vor den Oscars hatte „Ben Hur“ bereits vier Golden Globes abgeräumt – als bestes Filmdrama, für Regisseur Wyler, Nebendarsteller Stephen Boyd sowie Andrew Martons Inszenierung des Wagenrennens (der Preis dafür wurde „Special Award“ genannt).

Messala und die McCarthy-Ära

Man neigt manchmal dazu, „Ben Hur“ und seinen Einfluss auf die Popkultur ebenso wie seinen Subtext zu unterschätzen. Mir jedenfalls ging es vor der erneuten Sichtung so. Aber wenn am Anfang bei der Begegnung zwischen Messala und Ben Hur die homoerotischen Untertöne nicht zu übersehen sind, dann ist das für die Entstehungszeit sehr mutig, auch wenn Wyler das zurückwies, obwohl sich mit Gore Vidal einer der Autoren deutlich dazu bekannte. Wyler hatte ja auch schon 1936 bei „Infame Lügen“ und 1961 beim Remake „Infam“ mit diesen Untertönen gearbeitet, auch wenn es darin um weibliche Sexualität ging. Die Blicke und Berührungen von Heston und Boyd jedenfalls sprechen eine deutliche Sprache. Das Gespräch über den Verrat der jüdischen Verschwörer erinnert überdeutlich an die McCarthy-Ära, die damals noch nicht lange zurücklag. Erst 1960 wurde mit Dalton Trumbo wieder ein in dieser Zeit verfemter Autor als Drehbuchautor genannt. Die römische Besatzungsmacht schließlich erinnert durchaus an die USA, welche den Koreakrieg sehr stark motivierten, und auch auf Kuba ab 1959, als Fidel Castro den Diktator Batista stürzte, zu intervenieren versuchten, was 1961 in die Kubakrise mündete, die sich zur Drehzeit des Films schon am Horizont abzeichnete.

Das große Rennen

Die Musik von „Ben Hur“ ist genauso ikonisch geworden wie viele seiner Szenen, und wenn man sich den 20 Jahre später entstandenen „Das Leben des Brian“ (1979) einmal genau anschaut, sind die Parallelen kaum zu übersehen. Gerade am Anfang bei der Geburtsszene fällt das auf. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der berühmte Löwe, das Wahrzeichen der MGM, schweigt. Wyler fand es unangemessen, ihn kurz vor der Geburt Jesu brüllen zu lassen.

Hauptdarsteller Charlton Heston

Vor allem aber prägte sich in der Titelrolle mit Charlton Heston ein Schauspieler ein, der schon 1956 in „Die zehn Gebote“ als Moses überzeugt und der ein Jahr vor „Ben Hur“ in dem herausragenden Western „Weites Land“ (1958) bereits mit Regisseur William Wyler zusammengearbeitet hatte (dort bildete Heston einen formidablen Gegenpol zu Gregory Peck, ohne Schurke zu sein). Der am 4. Oktober 1923 in Wilmette im US-Staat Illinois geborene Charlton Heston gilt uns heute als der alte Reaktionär, der er am Ende seines Lebens aufgrund seines Einsatzes für die US-Waffenlobby auch war. Sein (eher unfreiwilliger) Auftritt in „Bowling for Columbine“ (2002) mag diesem oder jener im Gedächtnis geblieben sein. Damals litt er aber zum einen schon unter Alzheimer, zum anderen beschreibt ihn seine Haltung zu jenem Zeitpunkt seines Lebens nur bedingt. Denn er war auch einmal ein anderer – und über den wird zu reden sein, wollen wir Charlton Heston gerecht werden. Zu Beginn seiner Karriere gehörte der Schauspieler eher zum liberalen Teil der Hollywood-Gemeinde. Er setzte sich Zeit seines Lebens für die Rechte von Afroamerikanern ein und war einer der wenigen weißen Teilnehmer am Marsch auf Washington am 28. August 1963, welcher unter anderem von Martin Luther King initiiert worden war. Bis Anfang der 70er-Jahre lässt sich seine liberale Gesinnung anhand zahlreicher Aktivitäten nachweisen. Heston war in jener Zeit auch ein Gegner des Vietnamkriegs. Dann jedoch, etwa mit 50 Jahren, veränderten sich seine Positionen. Spätestens in den 90ern hatte sich der Liberale in einen eher rechtskonservativen Brocken verwandelt. Aber das ist eben nur der Heston in seiner zweiten Lebenshälfte. Auch als Schauspieler hatte er sich verändert.

Nach hartem Kampf

Zu Beginn seiner Karriere, nach einer Zeit am Theater, landete er erst einmal in dem exzellenten Film noir „Stadt im Dunkel“ (1950), dann wurde es schon monumentaler in Cecil B. DeMilles Zirkusfilmklassiker „Die größte Schau der Welt“ (1952). DeMille verpflichtete ihn dann auch als Moses für „Die zehn Gebote“, wofür er prompt eine Golden-Globe-Nominierung kassierte. Ab jetzt sollte er zur Geheimwaffe für den Monumentalfilm werden. Diese kamen zu dem Zeitpunkt in Mode, als das Fernsehen in den USA immer populärer wurde. Das Kino musste mit Schauwerten punkten und wie ein letztes Aufbäumen vor dem Verschwinden der alten Studiokultur und dem Entstehen von New Hollywood warfen die alten Studiobosse noch einmal alles nach vorn, um die längst verlorene Schlacht noch zu gewinnen. Das erinnert durchaus an Anthony Manns „El Cid“ (1961) mit Heston in der Titelrolle, wo am Ende der tote Held auf sein Pferd gebunden wurde, als würde er leben und so die letzte Schlacht doch noch gewinnen. Schon seit Dracula wusste man eben: „Die Toten reiten schnell“. Für „Ben Hur“ gab es dann sogar den Oscar für den besten Hauptdarsteller. Heston blieb monumental, er war Michelangelo in „Michelangelo – Inferno und Ekstase“ (1965) und Johannes der Täufer in „Die größte Geschichte aller Zeiten“ aus demselben Jahr.

Elf Oscars, vier Golden Globes

Aber die Zuschauerzahlen ließen immer öfter zu wünschen übrig und standen kaum noch im Verhältnis zu den Ausgaben. Dann kam mit „Planet der Affen“ (1968) ein kleiner Film, der alles veränderte. Mit drei dystopischen Filmen, neben dem genannten noch „Der Omega-Mann“ (1971) und „Jahr 2022 … die überleben wollen“ (1973) definierte Charlton Heston die filmische Science-Fiction für die 60er- und frühen 70er-Jahre. Es waren Zeiten des Aufbruchs und wenn wir heute die „Fridays for Future“-Demonstrationen sehen, dann sind sie es, die uns auf eine Zeit vorbereiten, in der wir in totaler Überbevölkerung leben oder uns selbst durch Seuchen oder einen Atomkrieg auslöschen. Hestons Figuren sind der Rest Humanität in einer unmenschlichen Umwelt. Ob er nun die Freiheitsstatue entdeckt oder herausfindet, dass wir Menschen essen, um überleben zu können, oder sogar stirbt, um der nachfolgenden Generation das Überleben in einer menschenfeindlichen Umwelt zu sichern – er ist der Held dieser Dystopien, ein Held, der zwangsläufig scheitern muss. Für Heston brachten diese Filme einen kleinen Imagewandel mit sich; aus den überlebensgroßen Monumentalhelden wurden Helden des Alltags, zupackende Männer, die er dann in den späten 70ern auch immer wieder in Katastrophenfilmen spielte.

Der Preis ist bedeutungslos

Die Sprachlosigkeit des Helden in „Planet der Affen“ angesichts der Ereignisse (gut, eigentlich ist er verletzt) steht natürlich auch für die Gesellschaft des Jahres 1968, die mit dem Kalten Krieg, der realen Gefahr eines Atomkriegs und den Studentenunruhen jener Tage zurechtkommen muss. Dieser Film stellt einen direkten politischen Kommentar dazu dar, auch wenn das Studio das abschwächen wollte. Gerade wenn man „Planet der Affen“ heute wieder sieht, wird einem das deutlich bewusst. Das Ende ist hoffnungslos und apokalyptisch. Die erste Fortsetzung, an der Heston nur partiell beteiligt war, bläst am Ende alles noch einmal in die Luft. In „Der Omega-Mann“ spielt Heston wieder einmal den Mann aus der Menge, der mehr oder weniger zufällig in die Rolle eines Helden oder Erlösers hineinfindet (wobei Richard Mathesons Romanvorlage die Titelfigur eher als Letzten seiner Art definiert). Aber dann muss es schon der Übererlöser sein, der auch als schon getöteter Märtyrer noch die Welt rettet. Wie in dem schon erwähnten Historiendrama „El Cid“ ist es seine Leiche, welche auf dem Pferd angebunden die siegreichen Truppen anführt, und in dem Science-Fiction-Film der Tote, dessen Blut das Serum enthält, mit welchem die nachfolgende Generation gerettet werden kann. Und sein Körper liegt nicht einfach nur da, sie entspricht in der Haltung dem Gekreuzigten und bedient sichtbar die christliche Ikonografie des Märtyrers, was letztlich auch wieder auf „Ben Hur“ verweist. Und damit schließt sich der Kreis.

Von Arnie betrauert

Charlton Heston starb am 5. April 2008 im kalifornischen Beverly Hills im Alter von 84 Jahren. Unter den Gästen der Trauerfeier eine Woche später befanden sich Nancy Reagan, Arnold Schwarzenegger, Olivia de Havilland, Oliver Stone, Rob Reiner und Christian Bale. Am 4. Oktober 2023 wäre er 100 Jahre alt geworden. Er wird als eine der schillerndsten Gestalten in Erinnerung bleiben, die Hollywood hervorgebracht hat. Ein „Larger than Life“-Star, wie es kaum einen anderen gab.

Lewis Wallace oder Edgar Wallace: Die toten Augen von Judäa

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von William Wyler haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Stephen Boyd, Hugh Griffith und Charlton Heston unter Schauspieler.

Always look on the bright side of life

Veröffentlichung: 23. Oktober 2014 als Blu-ray (Diamond Luxe Edition), 30. September 2011 als Ultimate Collector’s Edition Blu-ray und Blu-ray, 5. Februar 2010 als DVD, 9. November 2007 als DVD (Edition bester Film), 25. November 2005 als 4-Disc Collector’s Edition DVD, 25. Oktober 2001 als DVD

Länge: 222 Min. (Blu-ray), 213 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: Ben-Hur
USA 1959
Regie: William Wyler
Drehbuch: Karl Tunberg, nach dem Roman „Ben Hur“ von Lew Wallace
Besetzung: Charlton Heston, Jack Hawkins, Stephen Boyd, Haya Harareet, Hugh Griffith, Martha Scott, Cathy O’Donnell, Sam Jaffe, Finlay Currie, Frank Thring, Terence Longdon, George Relph, André Morell, Ady Berber, Marina Berti, Jerry Brown, Lando Buzzanca, Mino Doro, Enzo Fiermonte, Giuliano Gemma, Claude Heater, John Horsley, Duncan Lamont, Cliff Lyons, Ferdy Mayne, May McAvoy, Laurence Payne, Claude Heater
Zusatzmaterial (variiert je nach Veröffentlichung): Audiokommentar von Charlton Heston und T. Gene Hatcher, Dokumentation „Charlton Heston & Ben Hur – Eine persönliche Reise“ (78:03), Dokumentation „Ben Hur – Das Epos, das Filmgeschichte schrieb“ (2005, 57:44 Min.), Dokumentation „Ben Hur – Ein Epos entsteht“ (1993, 58:14 Min.), „Ben Hur – Eine Reise durch Bilder“ (5:07 Min.), Probeaufnahmen (7:18 Min.), Original-Wochenschauberichte „Costliest Film Makers Screen History“ (1:04 Min.), „The Night Ben-Hur Comes to Broadway“ (1:55 Min.), „West Coast Welcomes Ben-Hur“ (1:21 Min.), „Japan’s Emperor Goes to the Movies“ (1:09 Min.) und „Oscar Likes Ben-Hur“ (2:54 Min.), Höhepunkte der Oscar-Verleihung vom 4. April 1960 (9:44 Min.), diverse US-Kinotrailer, Tonspur nur mit Musik von Miklos Roszas Oscar-prämiertem Soundtrack, Stummfilm „Ben Hur“ (Erstverfilmung von 1925, 142:51 Min.), zehnseitiges Booklet, „Charlton Heston – Das Ben-Hur-Tagebuch“ (Softcover, 128 Seiten), exklusives Fotobuch von der Produktion (Softcover, 64 Seiten)
Label/Vertrieb: Warner Home Video

Copyright 2023 by Lars Johansen

Szenenfotos & Packshots: © Warner Home Video

 

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