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Howard Hawks (III): Tote schlafen fest – Ein Mythos, aber ohne Pracht

16 Jan

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The Big Sleep

Von Simon Kyprianou

Krimi // Üblicherweise geben wir bei „Die Nacht der lebenden Texte“ in den Rezensionen einen Überblick über die Handlung des Films. Im Falle von „Tote schlafen fest“ sei mir eine Ausnahme erlaubt: Ich habe keine Ahnung, was da so genau passiert.

Die Geschichte ist schwierig nachzuvollziehen – das kann man aber wahrscheinlich in wirklich jedem Text zu diesem Film lesen – andauernd trifft Privatdetektiv Philip Marlowe (Humphrey Bogart) neue Figuren, neue Informanten, jede Figur kennt nur einen Teil der Wahrheit, eine Figur ist so undurchschaubar wie die andere, Figuren widersprechen einander, alle paar Sekunden fallen neue Namen, in jedem Satz stecken neue Informationen. Einer witzigen Anekdote nach hat Regisseur Howard Hawks selbst beim Dreh den Durchblick verloren und nicht mehr gewusst, wer denn jetzt den Chauffeur umgebracht hat, nicht gerade eine Nebensächlichkeit. Raymond Chandler, Autor der Romanvorlage, wusste es auf Hawks‘ Nachfrage dann allerdings auch nicht.

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Marlowe und Vivian streiten mal wieder

Man kann den Einzelheiten des Plots schwerlich folgen, aber das muss man auch gar nicht: Hawks Film ist purstes Kino, das gar nicht daran interessiert ist, jedes Detail des Plots auszuerzählen, das nur daran interessiert scheint, den Zuschauer zu fesseln, ganz und gar einzunehmen, in seinen dunklen, treibsandigen Sog zu ziehen. Paul Thomas Anderson hat das ja in seinem letzten Film „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ ebenso gemacht und auch die Coen-Brüder in ihrem zum Klassiker avancierten „The Big Lebowski“, die ja beide an „Tote schlafen fest“ angelehnt sind, letztgenannter sogar im Titel.

Spektakel über Story

Stets aus Marlowes Perspektive erzählt geht es darum, mit ihm immer weiter in die Unterwelt vorzudringen, ihm durch ein schier undurchschaubares Chaos zu folgen, durch das er sich zur Wahrheit durchbeißen muss. An der Nachvollziehbarkeit der Geschichte ohnehin desinteressiert, versucht Hawks einfach, jede Szene so sehr aufzuladen wie nur irgend möglich, so komisch, brutal, hart, und sexy zu machen, wie es nur geht. Das erinnert ein wenig an Alfred Hitchcock und „Der unsichtbare Dritte“, wenn der Dialog, der den Plot auflöst, am Ende vom Dröhnen der Flugzeugmotoren übertönt wird, als wolle Hitchcock uns sagen, dass der Plot doch ohnehin völlig egal ist, auf das „Wie“ kommt es an, auf das Spektakel, die Dynamik.

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Vivian ist dem Schnüffler immer einen Schritt voraus

Und „Tote schlafen fest“ hat einiges Spektakuläres und Aufregendes zu bieten: einen kaltschnäuzigen Humphrey Bogart, der mit einer unglaublichen Kraft durch diese Geschichte, durch das verregnet-graue Los Angeles stapft, und eine noch viel kaltschnäuzigere, geheimnisvolle, unnahbare, verführerische und unberechenbare Lauren Bacall, die ihm den Kopf verdreht und ihn immer tiefer in die Geschichte hineinzieht. „Tote schlafen fest“ ist ja ein typischer Vertreter der „schwarzen Serie“, in dem der Protagonist in ein Verbrechen stolpert und mit jedem seiner Schritte, mit jedem seiner Befreiungsversuche darin wie in Treibsand nur noch tiefer versinkt. Und irgendwie scheint Bogart zu wissen, dass seine Figur eine mystische ist, der desillusionierte Protagonist im Film noir, der sich dem Schicksal willig hingibt, auch wenn es ihn in den Abgrund führt, ist ja eine der mystischen Figuren des amerikanischen Kinos, und Bogart spielt seine Rolle auch so, er weiß sie ist ein „Mythos, aber ohne Pracht“ (Tocotronic).

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Deshalb muss sie auch helfen, wenn er in der Patsche steckt

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Howard Hawks haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Lauren Bacall unter Schauspielerinnen, Filme mit Humphrey Bogart und Elisha Cook Jr. in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 14. Juli 2016 als Blu-ray, 28. Juni 2000 als DVD

Länge: 114 Min. (Blu-ray), 110 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Polnisch
Untertitel: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Polnisch
Originaltitel: The Big Sleep
USA 1946
Regie: Howard Hawks
Drehbuch: William Faulkner, Jules Furthman, Leigh Brackett, nach dem Roman von Raymond Chandler
Besetzung: Humphrey Bogart, Lauren Bacall, Elisha Cook Jr., John Ridgely
Zusatzmaterial: keine Angabe
Vertrieb: Warner Home Video

Copyright 2016 by Simon Kyprianou
Fotos & Packshot: © 2016 Warner Home Video

 
 

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Eine Antwort zu “Howard Hawks (III): Tote schlafen fest – Ein Mythos, aber ohne Pracht

  1. Stepnwolf

    2017/01/18 at 21:04

    Einer der besten Film Noir Vertreter. Ich mag dieses Werk wirklich sehr.

     

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