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Auf verlorenem Posten – Unbestechlich, unbeugsam, unbequem

25 Aug

La polizia è al servizio del cittadino?

Von Ansgar Skulme

Thriller // Im Hafen von Genua treibt eine Verbrecherbande ihr Unwesen, die den einfachen Händlern nicht nur ihre gesalzenen Preise aufzwingt, zu denen diese die Waren beziehen müssen, sondern auch kontrolliert, zu welchen Preisen die Waren dann weiterverkauft werden. Widerstand ist zwar möglich, aber dafür muss man in Kauf nehmen, ermordet zu werden. Als die Bande ein besonders grausames und aufsehenerregendes Exempel an einem Querdenker statuiert, der für alle anderen Zweifler sichtbar hoch oben an einem Kran aufgehangen wird, verschärft Kommissar Nicola Sironi (Enrico Maria Salerno) seine Bestrebungen, den Profithaien das Handwerk zu legen. Unterstützt von seinem jungen Kollegen Marino (Giuseppe Pambieri) widersetzt er sich Vorschriften und dem üblichen Papierkram nach bestem Wissen und Gewissen, um wirklich etwas zu bewirken und zu verändern. Bei seinen Vorgesetzten stößt Sironis Einzelkämpfer-Gangart auf wenig Gegenliebe, doch als gestandener und ausgenommen gut gebildeter Polizist hält er sich allen Widerständen zum Trotz im Sattel. Er hat die Nase endgültig voll, will die Hintermänner entlarven und offenlegen, welche Kreise für Korruption, Einschüchterung, Erpressung und Mord im Hafenviertel sowie darüber hinaus verantwortlich sind und damit ganz Genua in der Hand haben. Die Verantwortlichen sollen endlich allesamt aus dem Verkehr gezogen werden. Nicht labern – machen!

Die Stärke dieses Films speist sich aus drei zentralen Faktoren: Zum einen toppt er hinsichtlich der kompromisslosen Gewaltdarstellungen sogar den kürzlich von mir besprochenen „Die gnadenlose Hand des Gesetzes“ (1973) beträchtlich. Umso schockierender allerdings erscheint dies aufgrund der noch anspruchsvolleren, letztlich auch politisch interessierten Handlung. Es geht nicht einfach nur um Mafia-Morde, in die ein paar Unschuldige mit hineingezogen werden, sondern um das systematische Ausnutzen arbeitender Bürger durch wohlhabende, jedoch kriminelle Elemente aus der Oberschicht der Gesellschaft – in dem Fall sogar mittels organisierter, krimineller Strukturen, bezahlter Morde und perfide geplanter Erpressungen. Die Reichen schicken die Gewissenlosen, um den Arbeitern des Leben schwer zu machen. Moderne Unterdrückung im fortschrittlichen Europa – in einer ihrer leider geläufigsten Formen. Der Film hat dahingehend kaum an Aktualität eingebüßt, auch wenn er die Geschehnisse natürlich sehr drastisch auf die Spitze treibt. Als Spielfilm darf er das aber auch und verliert deswegen nicht automatisch den Anspruch, inhaltlich ernst genommen zu werden.

Effektives Anecken braucht Vorbilder

Nicht zuletzt ist der dritte und alles verbindende Faktor die Besetzung der Hauptrolle mit Enrico Maria Salerno, der es so gut wie kaum ein anderer in seinen Rollen als Kommissar im italienischen Poliziottesco der 70er beherrschte, nicht nur den konsequenten Einzelkämpfer, sondern gleichzeitig auch den höchst gebildeten, ja geradezu intellektuellen und zudem absolut stilsicheren Bullen auszustrahlen. Kein rabiater Schläger, aber trotzdem entwaffnend stringent und ohne jegliche Berührungsängste. Dies erhöht die Glaubwürdigkeit aller Filme, in denen er den Ermittler spielt. Wenn sogar einem solchen Figurentyp der Kragen platzt, unterstreicht das den Ernst der Lage. Salernos Bullen beherrschen das komplette Portfolio des Polizeiapparats, sind eloquent, aber auch zum knallharten Durchgreifen fähig. Der Schnurrbart mag akkurat und penibel geschnitten sein, aber dennoch scheut er sich keine Sekunde davor, knietief durch den Sumpf der Korruption zu waten, um die niedersten der Korrupten und die skrupellosesten der Käuflichen persönlich am Kragen zu packen.

Moralisch zwar absolut integer, für keinen Preis käuflich und stilvoll im Auftreten, ist Salernos Kommissar Sironi aber dennoch alles andere als der perfekte Vorzeige-Polizist, sondern hat private Probleme und wird nicht einmal von seinem eigenen Sohn akzeptiert, der ihm schwere Vorwürfe macht, ihm unterstellt, als Vater versagt zu haben. Es geht nicht darum, einen Super-Polizisten zu schaffen, der aufgrund seines hohen Bildungsniveaus, gepaart mit beispielloser Konsequenz, am Ende die Arbeit der gesamten Polizei im Alleingang macht und der Angsthasen-Bande in seiner Vorgesetzten-Etage damit ebenso ein Schnippchen schlägt wie den Verbrechern. Vielmehr geht es um einen Polizisten, der seinen Job ganz einfach aus vollstem Herzen auszufüllen versucht, damit er morgens noch in den Spiegel sehen kann. Während sein Chef und dessen Chef nirgends anecken wollen, sieht Sironi die Verpflichtung, die er gegenüber seinem Beruf und den Bürgern hat an erster Stelle, diskutiert gleichzeitig aber auch die Frage, inwieweit die Polizei wirklich im Dienste der Bürger stehen kann, darf, soll oder muss – dies thematisiert zudem auch der Originaltitel des Films. Schließlich bedeutet dieses Dienen der Polizei im Endeffekt auch eine Abhängigkeit, wenn reiche Bürger versuchen, sich die Polizei gefügig zu machen – es bekommt dann einen sehr unterwürfigen Beigeschmack.

Kommissar Salerno – Das Gefühl einer Trilogie

Leider gibt es insgesamt nur drei inhaltlich nah beieinander liegende Poliziotteschi mit Enrico Maria Salerno in der Hauptrolle als Kommissar. Diese kleine und nicht offizielle Trilogie wurde 1972 mit „Das Syndikat“ – in dem Jürgen Drews eine durchaus gelungene Nebenrolle spielte und auch Mario Adorf zu sehen ist – eröffnet und endete bereits im Folgejahr mit „Der unerbittliche Vollstrecker“. „Auf verlorenem Posten“ bildet gewissermaßen den Mittelteil der Trilogie. Alle drei Filme sind absolut zu empfehlen und als Einstieg in den Poliziottesco bestens geeignet. Salerno strahlt den Geist dieses Genres mit solch enormer Intensität aus, dass es fast unmöglich ist, davon nicht mitgerissen zu werden. Er war gewissermaßen für den italienischen Polizeifilm das, was Lino Ventura als Ermittler im französischen Polizeifilm darstellte. Poliziotteschi, und exemplarisch die Genrebeiträge mit Enrico Maria Salerno, sind voll von Gesellschaftskritik und einem unermüdlichen Bestreben, den Finger in die Wunden eines angeblich sozialen Staates zu legen, ohne dabei einen belehrenden oder zu stark vereinfachenden Charakter zu bekommen. Allerbestes, zeitloses, komplexes Polizeifilm-Kino – fotografiert in starken Bildern, von denen viele im Gedächtnis bleiben und mit einer Dynamik geschnitten, die auch heute noch funktioniert.

Mehr als nur „Zeuge einer Verschwörung“

Auch wenn im damaligen Italien sehr stark gegenläufige politische Strömungen grassierten und man schnell von Kommunisten auf der einen und Faschisten auf der anderen Seite sprach, wird die politische Stimmung, vor der die italienischen Polizeifilme der 70er mit all ihren Kapitalverbrechen und teils politisch motivierten Verbrechen spielen, in „Auf verlorenem Posten“ wie auch den meisten anderen Vertretern des Genres gekonnt und ohne propagandistische Tendenzen eingeflochten. Vor einem Kino des erhobenen Zeigefingers braucht man keine Angst zu haben. Vielmehr ist im Falle von „Auf verlorenem Posten“ von einem mutigen Kino zu sprechen, welches es gar nicht nötig hat oberflächliche Rechts-Links- oder Kapitalist-Sozialist-Diskussionen zu führen. Es geht vielmehr um das Vertreten der eigenen Überzeugungen und den Mut, sich auch im Angesicht unmenschlicher Verbrechen der eigenen Menschlichkeit bewusst zu bleiben, sich nicht verbiegen, erpressen oder kaufen zu lassen – oder, als Polizist, schlichtweg seinen Job mit voller, gebührender Ernsthaftigkeit auszufüllen. Die Gesellschaft wird folglich auch nicht von strahlenden Helden kritisiert, sondern von Figuren, die selbst genügend Fehler und eigene Probleme haben, geschützt – und manchmal sterben am Ende sogar noch diese aufrechten Beschützer. Ein Staat am Rande der Ohnmacht, dessen Gesicht in manchen der Filme zumindest für den Moment gerettet werden kann. Oft sind die Botschaften der Filme aber auch äußerst pessimistisch, und allumfassende Lösungsansätze werden hier schon gar nicht vorgegaukelt. Es wäre allerdings vermessen, den Poliziottesco gänzlich mit denjenigen US-Filmen der 70er in einen Topf zu werfen, die man in der Filmwissenschaft zuweilen als Paranoia-Kino definiert hat. Der Begriff der Paranoia suggeriert Übertreibungen, in einem die Glaubwürdigkeit der geschilderten Missstände gefährdenden Ausmaß; dass die geschilderten gesellschaftlichen Probleme in Poliziotteschi des Niveaus von „Auf verlorenem Posten“ unglaubwürdig seien, wird man allerdings nur schwerlich glaubhaft machen können. Filme als „übermotiviert“ abzustempeln ist immer einfach und leicht daher gesagt.

Ein weltweit seltener Thriller

Während „Das Syndikat“ schon vor einigen Jahren seinen Weg als Doppel-DVD auf den deutschen Markt gefunden hat, warten „Auf verlorenem Posten“ und „Der unerbittliche Vollstrecker“ bisher auf eine deutsche Veröffentlichung. „Auf verlorenem Posten“ scheint bisher sogar weltweit noch nicht offiziell auf DVD veröffentlicht worden zu sein; von einer Blu-ray dann selbstverständlich ganz zu schweigen. Für einige Kulturkreise mag der Film bis heute schlichtweg zu brutal sein. Ich habe bisher keinen anderen Film gesehen, in dem das Überfahren eines Menschen mit einem Auto als Hinrichtung so bitter, handwerklich gekonnt und niederschmetternd direkt ins Bild gesetzt wurde wie in „Auf verlorenem Posten“. Und das ist nur eine von etlichen brutalen Szenen, die regelrecht traurig machen. Speziell John Steiner bewegt sich in seiner Rolle als eiskalter Killer versiert auf dem schmalen Grat kurz vor dem Punkt, zu einer künstlich sadistischen Superschurken-Karikatur zu verkommen; er schafft es, die erschütternde Gewissenlosigkeit seiner Figur in einer Art zu vermitteln, dass man ihm selbst die schlimmsten der gezeigten Taten dann doch irgendwie noch real zutraut – mögen sie im ersten Augenblick noch so reißerisch erscheinen. Unter anderem deswegen gelingt es dem Film, von vornherein überzeugend einen extrem düsteren und aufrüttelnd direkten Ton anzuschlagen – und dieses Niveau wahrt er bis zum Ende. Weder visuell noch inhaltlich wird hier irgendein Blatt vor den Mund genommen, und Steiner gibt der käuflichen, gefühlskalten Skrupellosigkeit ein eindrückliches Gesicht. Alles Faktoren, die vielleicht dazu führten, dass man sich in einigen Ländern scheute oder scheut, das Werk gescheit und vor allem nachhaltig auszuwerten, auch wenn dies sicherlich nicht das Kernproblem hinsichtlich einer ausbleibenden Veröffentlichung ist.

In Italien existiert zwar eine DVD-Veröffentlichung eines Labels mit merkwürdigem Namen. Dafür, dass es sich um eine offizielle Auflage handelt, kann ich meine Hand allerdings nicht ins Feuer legen. Man bekommt sie heute nur noch zu horrenden Preisen. In Deutschland dauerte es bis Ende der 80er-Jahre ehe „Auf verlorenem Posten“ mit einer in der DDR entstandenen Synchronfassung zumindest überhaupt einmal gezeigt wurde – allerdings auf Sat.1 im westdeutschen Fernsehen. Ob die Version zuvor auch schon in der DDR gezeigt worden war, ist nicht genau zu klären. Der eloquente Gunter Schoß mit seiner äußerst sonoren und präzise eingesetzten Stimme erweist sich dabei als Idealbesetzung für Enrico Maria Salerno. Die Werte, die der Film vermittelt, werden dadurch umso besser transportiert. Schoß klingt nicht wie ein unerbittlicher Vollstrecker, und Salerno sieht nicht wie einer aus, aber beide können es spielen und die entschlossenen Ansagen, welche der Kommissar den Gangstern wie auch den zögernden Vorgesetzten auf seinem verlorenen Posten macht, geben der Figur enormes Gewicht als Mensch. Dem Vernehmen nach wurde „Auf verlorenem Posten“ in Deutschland auch nur dieses einzige Mal gezeigt und es wäre demnach einem wachen Sammler zu verdanken, der die einmalige Gelegenheit genutzt und den Film seinerzeit im TV aufgezeichnet hat, dass einige Fans des Genres heute noch Zugriff auf die deutsche Fassung haben. Demjenigen kann gar nicht genug Dank gesagt werden.

Länge: 102 Min.
Altersfreigabe: FSK unbekannt
Originaltitel: La polizia è al servizio del cittadino?
Alternativtitel: Der letzte Beweis
IT/F 1973
Regie: Romolo Guerrieri
Drehbuch: Massimo De Rita
Besetzung: Enrico Maria Salerno, Giuseppe Pambieri, Daniel Gélin, John Steiner, Venantino Venantini, Claudio Nicastro, Enzo Liberti, Alessandro Momo, Marie-Sophie Persson
Verleih: Capital Film & PECF

Copyright 2017 by Ansgar Skulme
Filmplakat: Fair Use

 

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