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Berlin Syndrom – Wolf im Schafspelz

19 Dez

Berlin Syndrome

Von Andreas Eckenfels

Thriller-Drama // Dass man sich als Tourist nicht unbedingt in die australischen Outbacks wagen sollte, weil dort ein fieser Killer lauern könnte, haben uns die „Wolf Creek“-Teile von Greg McLean auf brutale Weise demonstriert. Umgekehrt zeigt uns nun die australische Regisseurin Cate Shortland („Lore“), dass auch im Großstadtdschungel Berlin ein durchgeknallter Psychopath herumirren kann, der es auf unbescholtene Urlauberinnen abgesehen hat.

Allein in Berlin

Dies muss die australische Rucksacktouristin Clare (Teresa Palmer, „Hacksaw Ridge – Die Entscheidung“) bei einem Spaziergang durch die deutsche Hauptstadt am eigenen Leib erfahren. Sie lernt zufällig den sympathischen Englischlehrer Andi (Max Riemelt) kennen. Clare geht auf dessen Avancen ein und entscheidet sich für ein kleines erotisches Abenteuer mit dem Deutschen, bevor sie ihre Reise fortführen will. Als die Australierin am nächsten Morgen in Andis Wohnung erwacht, denkt sie sich noch nichts dabei, als sie die Eingangstür verschlossen vorfindet. Der Lehrer ist zur Arbeit gegangen, vielleicht hat er nur aus alter Gewohnheit die Tür abgesperrt?

Clare will Berlin erkunden

Als er am Nachmittag zurückkehrt hat Andi eine passende Ausrede parat, die Clare akzeptiert. Doch auch am nächsten Morgen findet die Australierin die Haustür verschlossen vor. Der Schlüssel, der ihr gegeben wurde, passt nicht und auch die Sim-Karte ihres Handys ist verschwunden. Clare begreift, dass sie in der Berliner Altbauwohnung, die in einem abgelegenen Hinterhof ohne direkten Nachbarn liegt, gefangen ist. Andi ist nicht gewillt, sie so schnell gehen zu lassen.

Die Wohnung wird zum Gefängnis

Wie Clare die Wohnung, ihr Gefängnis, in dem sie sich frei bewegen kann, erforscht, wie sie später die ersten Schneeflocken auf den doppelglasigen Fensterscheiben erblickt und dabei bemerkt, wieviel Zeit seit ihrer Entführung schon vergangen ist, das alles fängt Cate Shortland in ruhigen, poetischen Bildern ein. Man merkt, wie viel Mühe sich die Regisseurin gegeben hat, einen unkonventionellen Entführungsthriller zu inszenieren. Es wird keinen Polizisten geben, der sich auf die Suche nach der vermissten Frau begeben wird. Ein Großteil der Handlung findet in der Wohnung statt.

Bei ihrem Spaziergang trifft die Australierin auf den sympathischen Andi

Der auf das Stockholm-Syndrom anspielende Titel deutet es bereits an: Shortland legt das Hauptaugenmerk auf die wechselhafte Täter-Opfer-Beziehung. Doch trotz der zuvor ausgetauschten Intimitäten geht Clares emotionale Bindung zu ihrem Entführer nach dessen Wandlung verloren. Dies nimmt auch der Ausgangslage der Geschichte einiges an Wirkung. Sie versucht sich immer wieder zur Wehr zu setzen und nutzt anfangs jede Gelegenheit, um einen Fluchtversuch zu starten, was für ein paar wenige Spannungsmomente sorgt. Doch Clares Lage scheint aussichtslos: Andi ist ihr körperlich überlegen, ein Abhängigkeitsverhältnis entsteht, bei dem sich Clare auch demütigen lassen muss, wenn er sie etwa zwingt, Reizwäsche zu tragen oder er ihr einen Hund schenkt, nur um ihn ihr kurze Zeit später wieder wegzunehmen.

Psychologisch ungenügend

Während man mit Teresa Palmer als Clare durchaus mitfiebert, einen Ausweg aus ihrer misslichen Lage zu finden, ist es Max Riemelts Figur, die zu sehr an der Oberfläche bleibt, kaum psychologische Tiefe erhält. Während ihr Leben aufgrund ihrer Gefangenschaft stillsteht, lebt er seinen normalen Alltag weiter. Er pflegt seinen kranken Vater (Matthias Habich) und arbeitet tagsüber wie bisher als Lehrer. Doch die dunkle Seite, die in ihm schlummert, wird stets nur angedeutet. Warum er sich ausgerechnet Touristinnen als Opfer aussucht, bleibt ungeklärt. Die Mutter hat die Familie wohl während der Wende verlassen, weshalb ein permanenter Frauenhass in dem Ost-Berliner schlummert. Das ist zu wenig, um vor diesem Typen wirklich Angst zu haben, zu wenig, um glauben zu können, in dem netten Kerl von nebenan schlummere ein Wolf im Schafspelz.

Clare ist in Andis Wohnung gefangen

Somit nimmt „Berlin Syndrom“, der auf der Berlinale 2017 in der Sektion „Panorama Special“ und im gleichen Jahr auf dem Fantasy Filmfest gezeigt wurde, einen uneinheitlichen Zick-Zack-Kurs, kann aber letztlich weder als emotionales Arthaus-Drama noch als nervenzerrender Entführungsthriller wirklich überzeugen.

Der Lehrer wird sie so schnell nicht mehr gehen lassen

Veröffentlichung: 22. September 2017 als Blu-ray und DVD

Länge: 111 Min. (Blu-ray), 107 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Deutsch-Englisch-Hybrid
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Berlin Syndrome
AUS 2017
Regie: Cate Shortland
Drehbuch: Shaun Grant, Cate Shortland basierend auf dem gleichnamigen Roman von Melanie Joosten
Besetzung: Teresa Palmer, Max Riemelt, Matthias Habich, Emma Bading, Elmira Bahrami, Christoph Franken, Lucie Aron
Zusatzmaterial: Making-of, Trailer, Trailershow, Wendecover
Vertrieb: Sony Pictures Home Entertainment

Copyright 2017 by Andreas Eckenfels
Fotos & Packshot: © 2017 Sony Pictures Home Entertainment / MFA+

 

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