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Westfront 1918 – Vier von der Infanterie: Von den Nazis verboten

19 Jul

Westfront 1918 – Vier von der Infanterie

Von Volker Schönenberger

Kriegsdrama // Die Oberprüfstelle hat Beweis erhoben darüber, ob der Bildstreifen unter den gegenwärtigen Zeitumständen aus inner- oder wehrpolitischen Gründen geeignet ist, dem Verbotstatbestand der Gefährdung lebenswichtiger Interessen des Staates zu erfüllen. Die Sachverständigen des Innern und des Reichswehrministeriums haben die Beweisfrage bejaht. (…) Der Film hinterlässt einen niederziehenden Eindruck in dem Beschauer. (…) Dass im Kampf gegen den Feind, im Tod der Gefallenen vor allem ein hohes vaterländisches Opfer liege, sei in dem Film in keiner Weise gewürdigt. (…) Die gebrachten Opfer würden als mehr oder weniger unnütz dargestellt. (…) Der Bildstreifen vermeide es peinlich, die heroische Seite des Krieges zu zeigen, er zerstöre den Wehrwillen und werde dem Opfergeist der Heimat nicht gerecht. So ein Auszug der Zensurentscheidung der Film-Oberprüfstelle vom April 1933 (zitiert aus dem Booklet des Films), die den Film ganz im Geiste des militaristischen und frisch von den Nazis geführten Deutschen Reiches für verboten erklärte. Kann es eine bessere Empfehlung für einen Antikriegsfilm geben? Zumindest für Personen mit gesundem Menschenverstand, die keinen Grund sehen, auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen stolz zu sein, um einen tiefbraunen Hetzer unserer Tage zu zitieren. Wem das noch nicht reicht, dem sei ein ebenfalls aus dem Booklet zitierter Auszug aus dem Verriss nachgereicht, den die Zeitung „Völkischer Beobachter“ im Juni 1930 veröffentlicht hatte: Lieber Freund, Sie fragen, ob auch dieser Kriegsfilm als Werbung für Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung gedacht ist? Aber natürlich ist er das! … daher auch der neue Tonfilm WESTFRONT 1918 mit dem Endziele, die deutsche Wehrmüdigkeit zu vertiefen. So das selbsternannte „Kampfblatt“ der NSDAP, das in seinem Text selbstverständlich auch auf die angebliche Unterwanderung der deutschen Filmindustrie durch die jüdische Wirtschaftsmacht verwies. Demzufolge würde das Judentum immer versuchen, die pazifistische Geisteshaltung im deutschen Volke zu fördern. Wenn das wirklich so wäre, könnte man nur anfügen: Danke dafür, liebe Juden! Wehrkraftzersetzung nannte sich das im „Dritten Reich“, derlei Gebaren galt als Straftatbestand, der einen den Kopf kosten konnte. So musste die Produktionsfirma Nero-Film 1933 auch ihr Wirken einstellen.

Zurück in die Schützengräben

Widmen wir uns nach solchen Vorschusslorbeeren nun der Handlung von „Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“, der am 23. Mai 1930 im Berliner Capitol-Kino uraufgeführt worden ist: Die vier, das sind Karl (Gustav Diessl), ein Bayer (Fritz Kampers), ein Student (Hans-Joachim Möbis) und ein Leutnant (Claus Clausen), die 1918 in Frankreich stationiert sind. Sie sind Infanteristen – zu deutsch: Schütze Arsch. In einem französischen Bauernhaus verleben sie ein paar ruhige Stunden, flirten ausgelassen mit der jungen Yvette (Jackie Monnier), woran auch zwischenzeitliche Bombardierungen durch die Franzosen nichts ändern können. Die Kampfpause ist jedoch von kurzer Dauer, bald muss das Quartett mit seinen Kameraden wieder zurück an die Front, um erneut in den Schützengräben das Dasein zu fristen, mit dem Tod als allgegenwärtigem Begleiter.

Im Dreck der Schützengräben …

„Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ liefert Protagonisten wie Publikum immer wieder ausgedehnte Unterbrechungen des dreckigen Sterbens in den Schützengräben, um die Figuren und uns dann unvermittelt ins tödliche Geschehen zu werfen. Zwar liegt der Erste Weltkrieg in den letzten Zügen, das ändert aber nichts daran, dass den Infanteristen Geschosse und Handgranaten um die Ohren fliegen – für mageren Verlust oder Gewinn an Raum. Hautnah erleben wir die Auseinandersetzungen mit, das dürfte damals besonders auf die dem Militarismus huldigenden deutschen Kinogänger verstörenden Eindruck gemacht haben, sofern sie nicht der Propaganda des heroischen Opfers fürs Vaterland aufgesessen sind und empört den Saal verlassen haben. Auch einen Blick in ein Frontlazarett in einem Gotteshaus erhaschen wir, wo gelitten und gestorben wird und Ärzte wie Krankenschwestern bis an den Rand der Erschöpfung und darüber hinaus ackern und doch nicht viel ausrichten können.

Mutiger zeitgenössischer Rezensent Siegfried Kracauer

Das Booklet bietet mir weitere Gelegenheit, schamlos abzuschreiben. Aber wenn schon ein zeitgenössischer Rezensent treffende Worte für „Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ gefunden hat, so hat er es auch verdient, heute noch zitiert zu werden. Am 27. Mai 1930 schrieb Siegfried Kracauer (1889–1966) in der „Frankfurter Zeitung“: Ich kann mich nicht erinnern, dass der Krieg, und zwar der Stellungskrieg in seiner letzten schrecklichsten Phase, im Film je so realistisch dargestellt worden wäre. … ist unter der Regie von G. W. Pabst ein Stück Kriegswirklichkeit entstanden, wie es bisher noch niemand zu rekonstruieren gewagt hat. Die Aussage kann ich in ihrer Absolutheit nicht bestätigen, weil mir ein in den 1920er-Jahren entstandenes Kriegsdrama ähnlicher Qualität entgangen sein mag, aber womöglich hat Kracauer recht. Bisweilen werde gar beinahe die Grenze des Sagbaren überschritten. Es ist, als seien mittelalterliche Marterbilder lebendig geworden. Nun dürfen Kenner moderner Kriegsdramen von einem bald 90 Jahre alten Film keinen Gewaltexzess wie im Invasionsgemetzel von „Der Soldat James Ryan“ (1998) erwarten, dennoch hat Pabst auch damals schon eindringliche Bilder gefunden. Rezensent Kracauer kommt zu klugen, in jener Zeit fast schon gefährlichen Schlüssen: Es gelte, die Erinnerung an den Krieg um jeden Preis festzuhalten. Eine Erkenntnis, die auch heute nichts von ihrer Bedeutung verloren hat. Kracauer schließt seinen Text mit einer fast schon resigniert anmutenden Einschätzung, da während der Vorstellung, die er besuchte, viele Zuschauer fluchtartig das Lokal verlassen hätten: Doch wie sie den Anblick des Krieges scheuen, so fliehen sie in der Regel auch die Erkenntnis, deren Verwirklichung ihn verhindern könnte. Neun Jahre nach der Niederschrift jener Zeilen entfesselte Nazi-Deutschland den Zweiten Weltkrieg.

… stirbt es sich schnell …

Regisseur Georg Wilhelm Pabst (1885–1967) lässt sich politisch klar dem linken Spektrum zuordnen. Nach der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten verließ er Deutschland zunächst, arbeitete als Regisseur in Frankreich und Hollywood, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Pabsts erster Tonfilm „Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ steht auf einer Linie mit Lewis Milestones „Im Westen nichts Neues“ („All Quiet on the Western Front“ nach Erich Maria Remarques Roman) aus dem selben Jahr und hat zu Unrecht weniger Beachtung gefunden. Umso erfreulicher, dass das Kriegsdrama nun eine würdige Veröffentlichung von atlas film erfahren hat.

Restauriert von der Deutschen Kinemathek und dem British Film Institute

Vor Beginn des Films liefert eine Texttafel die Information, das Originalnegativ sei verschollen. Die Restaurierung basiere auf einem Duplikatpositiv aus der Sammlung des BFI National Archive, fehlende Szenen seien aus einem in der Deutschen Kinemathek deponierten Duplikatnegativ ergänzt worden. Bild und Ton wurden unter Beibehaltung der altersbedingten Patina vorzüglich restauriert, englisches und deutsches Filminstitut haben dafür kooperiert. Das Mediabook mit dem Film auf Blu-ray und DVD kommt zwar ohne jedes Bonusmaterial auf den Discs daher, enthält aber immerhin ein aufschlussreiches Booklet mit diversen aktuellen und auch zeitgenössischen Texten auf 24 Seiten.

… und der Wahnsinn ist allgegenwärtig

Parallel hat atlas film in vergleichbarer Edition auch Pabsts Bergarbeiter-Drama „Kameradschaft“ von 1931 veröffentlicht. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das für sorgfältig aufgemachte Editionen bekannte englische Label Eureka Entertainment „Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ und „Kameradschaft“ bereits im Juli 2017 als Double Feature in seiner „The Masters of Cinema Series“ herausgebracht hat. Auch beim feinen US-Label The Criterion Collection ist der Film als Blu-ray und DVD erschienen. Mit den beiden hierzulande lieferbaren Mediabooks von atlas film liegen nun aber auch zwei vorzügliche deutsche Editionen vor. Herausragende Kriegsdramen gibt es eine ganze Menge, doch nicht allzu vielen kann man auch die Bezeichnung Antikriegsfilm zubilligen. „Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ gehört dazu.

Ein lesenswerter Text zu „Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ findet sich auch im Filmforum Bremen.

Veröffentlichung: 13. April 2018 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & DVD), 4. September 2006 als DVD

Länge: 96 Min. (Blu-ray), 92 Min. (DVD), 88 Min. (alte DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch
Untertitel: Englisch, Französisch
Originaltitel: Westfront 1918 – Vier von der Infanterie
D 1930
Regie: Georg Wilhelm Pabst
Drehbuch: Ladislaus Vajda, nach einem Roman von Ernst Johannsen
Besetzung: Fritz Kampers, Gustav Diessl, Hans-Joachim Möbis, Claus Clausen, Jackie Monnier, Hanna Hoessrich, Else Heller
Zusatzmaterial Mediabook: Booklet
Label Mediabook: atlas film
Vertrieb Mediabook: Al!ve AG
Label/Vertrieb DVD: Universum Film

Copyright 2018 by Volker Schönenberger

Szenenfotos: © 2018 atlas film / Stiftung Deutsche Kinemathek

 

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