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Silent Movie – Mel Brooks’ letzte Verrücktheit

10 Jan

Silent Movie

Von Lutz R. Bierend

Stummfilm-Komödie // Dem jüngeren Publikum ist der Name Mel Brooks vermutlich eher aufgrund der „Star Wars“/SciFi-Persiflage „Spaceballs“ von 1987 bekannt. Mit „Robin Hood – Helden ins Strumpfhosen“ (1993) und „Dracula – Tot aber glücklich“ (1995) unternahm der Filmemacher in den 90ern zwei weitere mehr oder weniger lustige Versuche, berühmte Kinovorlagen durch den Kakao zu ziehen. Wenn man dieses späte Œuvre des Regisseurs Mel Brooks betrachtet, mag man es kaum glauben, dass dieser Mann in den 70ern nicht nur ein erfolgreicher, sondern auch außerordentlich lustiger Komiker und Regisseur war. Er ist bekannt für das Zitat „Ich bin der einzige Jude, der jemals einen Dollar mit ‚Hitler verdient hat“, denn nicht nur hat ihm sein Debüt „Frühling für Hitler“ („The Producers“) 1969 seinen ersten und einzigen Oscar eingebracht (bestes Drehbuch) und ihn als Komödien-Regisseur etabliert, auch war die Musicalversion, die er von diesem Stoff 2001 am Broadway herausgebracht hat, das erfolgreichste Musical seit dreißig Jahren: Die Bühnenversion war für 15 Tonys (den Broadway-Oscar) nominiert, von denen sie zwölf gewonnen hat (mehr als jedes andere Musical zuvor), und lief dort sechs Jahre in Folge. Dass „Frühling für Hitler“ in Deutschland kein Erfolg war, lag wohl vor allem am deutschen Filmtitel und dem in Deutschland verständlicherweise etwas verkrampfteren Umgang mit Komödien, die sich über den GröFaZ lustig machen.

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Insofern erfreulich, dass sich Pidax Film Mel Brooks’ früherem Werk angenommen hat und „Mel Brooks’ letzte Verrücktheit – Silent Movie“ in einer neu gemasterten Version auf den Markt bringt. Mit „Silent Movie“ erstellte Mel Brooks eine Hommage an die Helden der Stummfilmzeit, die in den frühen Tages des Kinos mit Slapstick die Massen amüsierten.

Stummfilmer erwacht nach 40 Jahren aus dem Koma

Der Film erzählt die Geschichte von Mel Funn, einem alten Stummfilm-Regisseur, der nach 40 Jahren aus dem alkoholbedingten Koma erwacht und sein altes Studio mit der neuesten Idee zu überzeugen versucht: einem Stummfilm. „Slapstick is Dead!“, wird ihm entgegengeworfen, und erst als er verspricht, die größten Stars der 70er für diesen Film zu engagieren, beginnen die Registerkassen vom Boss von „Big Pictures“ zu klingeln, denn das Studio befindet sich in finanzieller Not. In einer Zeit, in der sich das Fernsehen zu einer großen Konkurrenz entwickelt hat, braucht fast jedes der großen Studios eben endlich mal wieder einen echten Kassenschlager.

Fast prophetisch: Popcorn in der Mülltonnenportion

„Silent Movie“ erzählt, wie Mel Funn eben diese Stars zur Mitarbeit an seinem Stummfilm überredet, und der Cast des Films liest sich wie ein Who’s Who der 70er-Jahre-Stars: Burt Reynolds, Paul Newmann, James Caan, Liza Minelli und Anne Bancroft sowie der französische Pantomime Marcel Marceau, der paradoxerweise als einziger Darsteller überhaupt etwas sagt: ein einziges Wort, was „Silent Movie“ einen Eintrag ins Guiness Buch der Rekorde einbrachte – für die wenigsten gesprochenen Zeilen in einem Tonfilm.
Doch mit der Besetzung der Stars ist es für Mel Gunn nicht getan, denn die bösartige Investorengemeinschaft „Engulf & Devour“ (in der deutschen Synchronisation: „Gierschlund und Raffke“) hat sich vorgenommen, das strauchelnde Studio aufzukaufen und setzt daher alles daran, die Premiere des Stummfilms zu verhindern.

Slapstick inspiriert von wahren Begebenheiten

Mel Brooks lebt sein Faible für Absurditäten und Slapstick voll aus, und er gibt vielen Stars der Stummfilmära Gelegenheit, noch einmal ihr Talent in Szene zu setzen. Ironischerweise basiert „Silent Movie“ quasi auf einer wahren Geschichte. Zwar lag Mel Brooks nicht 40 Jahre im Koma, aber als er mit seiner Idee, eine Hommage an Harold Lloyd und Buster Keaton zu drehen, bei Twentieth Century Fox vorstellig wurde, wollte man ihn vor die Tür setzen. Das Studio hatte gerade finanzielle Probleme und wollte sich nicht von so einer absurden Geschichte die Bilanz verhageln lassen. Zwar hatte Mel Brooks 1974 mit „Frankenstein Junior“ und „Der Wilde Wilde Westen“ zwei der erfolgreichsten Fox-Filme des Jahres beigesteuert, aber einen Stummfilm? In den 70ern? Das Unternehmen Gulf and Western Industries hatte ein paar Jahre zuvor schon Paramount übernommen, obwohl es nichts von Film verstand, und tatsächlich waren solche Firmen auch an einer Übernahme der Fox-Studios interessiert und lieferten das Vorbild für „Engulf and Devour“ im Film. Erst als Mel Brooks versprach, er würde für diesen Film große Stars ranschaffen, gab Fox das Okay, und siehe da: „Silent Movie“ wurde ein Erfolg.

Beim Who’s Who der 70er-Jahre-Stars darf Liza Minnelli nicht fehlen

Mel Brooks muss ein sehr überzeugender Verhandlungspartner gewesen sein, denn er schwört, dass keiner seiner Stars mehr als 300 Dollar Tagesgage haben wollte. Auch wenn man damals von Millionengagen heutiger Tage weit entfernt war, lag das weit unter den üblichen Stargagen. Es schien allen doch ein zu verlockender Spaß zu sein, in der eigenen Identität aufzutreten und mit ihren Starklischees zu kokettieren. Anne Bancroft (damals schon mit Brooks verheiratet) als ewige Mrs. Robinson, die sich von sechs jungen Kerlen gleichzeitig den Hof machen lässt, Burt Reynolds, der zu dieser Zeit eher als harter Mann im Kino zu sehen war, spielt sich so ironisch selbstverliebt, dass sich kein Karikaturist getraut hätte, ihn so überzogen darzustellen. Die beste Szene hat sich wohl Paul Newman herausgepickt: Mit seiner Verfolgungsjagd im elektrischen Rollstuhl durfte er seiner Leidenschaft für den Motorsport frönen.

Unterschätzt: „Das Leben stinkt“

„Silent Movie“ ist voller absurder Ideen – die absurdesten sind in der Endfassung sogar noch rausgeschnitten worden – und legendärer Szenen. Wenn der deutsche Titel von „ Mel Brooks’s letzter Verrücktheit“ spricht, ist das übrigens fast prophetisch zu verstehen, denn „Silent Movie“ ist der letzte Film von Mel Brooks, der sich nicht darauf beschränkte, die Filmgeschichte zu persiflieren, und leider muss man sagen, dass seine Persiflagen selten auf dem Niveau der ZAZ-Filme wie „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ (1980), „Top Secret“ (1984) oder „Die nackte Kanone“ (1988) liegen. Einzige Ausnahmen: seine Hitchcock-Hommage „Höhenkoller“ (1977) und die 1991 weit unter Wert gelaufene Komödie „Das Leben stinkt“, die sein Talent in einer originären Geschichte ahnen lässt.

Bedauerlicherweise hat Pidax Film bei dieser Neuveröffentlichung mit den Extras gegeizt. Während die US-Blu-ray ausführlich über die Entstehungsgeschichte und die historischen Vorbilder des Slapsticks informiert, muss man sich bei der Neuauflage mit einer Bildergalerie und dem Trailer begnügen. Das lässt eine Empfehlung der DVD schwerfallen, Auch wenn die Komödie selbst sicher zu den amüsantesten Mel-Brooks-Filmen zählt.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Mel Brooks sind unter Regisseure zu finden, Filme mit Anne Bancroft in der Rubrik Schauspielerinnen, Filme mit James Caan, Paul Newman und Burt Reynolds unter Schauspieler.

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Veröffentlichung: 23. November 2018 und 3. Juli 2003 als DVD

Länge: 84 Min.
Altersfreigabe: FSK 6
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: keine
Originaltitel: Silent Movie
USA 1976
Regie: Mel Brooks
Drehbuch: Mel Brooks, Ron Clark, Rudy De Luca, Barry Levinson
Besetzung: Mel Brooks, Marty Feldman, Dom DeLuise, Sid Caesar, Harold Gould, Ron Carey, Bernadette Peters, Carol Arthur, Liam Dunn, Fritz Feld, Chuck McCann, Liza Minnelli, Burt Reynolds, James Caan, Anne Bancroft, Marcel Marceau, Paul Newman
Zusatzmaterial: Bildergalerie, Trailer, Wendecover
Label 2018: Pidax Film
Label 2003: Twentieth Century Fox Home Entertainment
Vertrieb 2018: Al!ve AG

Copyright 2019 by Lutz R. Bierend
Szenenfotos & Packshot: © 2018 Pidax Film

 

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