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Skin –Ausstieg aus dem Hass

18 Mär

Skin

Von Lucas Knabe

Drama // Es ist die wahre Geschichte eines „White Supremacy“-Aussteigers, die Regisseur Guy Nattiv beim Durchblättern einer Zeitung inspirierte, seinen ersten englischsprachigen Spielfilm über ein Thema zu drehen, dass in den USA vor Jahren noch als rudimentär und lediglich lästig abgewatscht wurde. Doch neonationalistische Gruppierungen stehen spätestens seit der jüngsten US-Präsidentschaftswahl wieder inmitten der amerikanischen Gesellschaft und bedrohen die ohnehin gebeutelte Demokratie der Neuen Welt. Mit dem Film „Skin“ (2020) zeigt uns Nattiv den biografischen Wendepunkt des Neonazi-Deserteurs Bryon Widner, der als etabliertes Mitglied der „White-Power“-Szene den Ausstieg aus dem rassistischen Milieu wagte.

Eine schmerzhafte Metamorphose

Doch von Anfang an: Der Mittzwanziger Bryon (Jamie Bell) gehört als feste Größe zum „Vinlanders Social Club“, einer rechtsradikalen Gruppierung im Bundesstaat Ohio, welche von Fred Krager (Bill Camp) und Shareen regiert wird. Letztgenannte wird von Vera Farmiga gespielt, die wir unter anderem aus „Conjuring – Die Heimsuchung“ (2013), „Conjuring 2“ (2016) und „Godzilla II – King of the Monsters“ (2019) kennen. In diesem gemeinschaftlichen und hierarchisch geprägten Kollektiv verkörpert der von Fuß bis Scheitel tätowierte Bryon zu Anfang alle Stereotypen, welche man einem radikalen Skinhead zuschreiben mag. Bier trinkend, pöbelnd und prügelnd zieht er mit seinen Kumpanen in Bomberjacke und Springerstiefeln umher, um für ihre Überzeugung die Fäuste – vorzugsweise gegen Afroamerikaner – zu schwingen und extremistische Parolen zu skandieren.

Mit Bryon ist nicht zu spaßen

Wie es in jenem Milieu üblich ist, sind auch Feste und Treffen wichtiger Bestandteil dieser Gemeinschaften, bei denen man sich auf Ideologien „weißer Vorherrschaft“, etwa durch Musik und den Missbrauch ritenhafter Bräuche nordischer Mythologien, einschwört. Ausgerechnet auf solch einem „Nordic Fest“ trifft Bryon den wahrscheinlich letzten Ausweg aus seiner sumpfigen Misere in Form der dreifachen Mutter Julie Price (Danielle Macdonald), bevor Gewalt und Drogen endgültig übernehmen. Die verkümmerten und längst vergessen geglaubten Empfindungen außerhalb seines dominanten Umfelds schmecken ihm. Doch zwischen Bryon und einem paradiesischem Kleinod stehen seine eigene Identität und Wahlfamilie, die einen spontanen Sprung in ein gemäßigtes Leben schier unmöglich erscheinen lassen. Wir begleiten den tätowierten Haudrauf also, getrieben von Liebe und Vernunft, durch einen beschwerlichen Prozess der inneren wie äußeren Läuterung, der ihn förmlich in eine neue Haut hineinschlüpfen lassen soll. Zeitgleich wird er von seinen Alter Egos zum Verräter und Feind, sodass er in hetzerischer Manier bekämpft wird. Ihm steht eine Aussteigergeschichte bevor, die in vielerlei Hinsicht schmerzen wird, ihm aber gleichzeitig die Chance bietet, ein anderer Mensch zu werden und einer Welt zu entfliehen, in der Hass und Unterdrückung regieren. Zur Seite stehen ihm Julie und diejenigen, die er jahrelang erniedrigt und bekämpft hat.

„American History X“ 2.0?

Der erste Impuls, wenn man an eine verfilmte Neonazi-Aussteigergeschichte denkt, wird viele sicherlich an Tony Kayes 22 Jahre alten Film „American History X“ (1998) erinnern, in dem Derek Vinyard, großartig gespielt von Edward Norton, in den USA ebenso aus der Rechten-Szene aussteigt und sich resozialisiert. Guy Nattivs „Skin“ schlägt nun mit gleichen Anordnungen, ja sogar mit ähnlichen Motiven auf. Der einzige signifikante Unterschied besteht darin, dass „Skin“ auf einer wahren Begebenheit basiert, was dem Gesamteindruck durchaus zuträglich ist, da Nattiv vor der Produktion aufwendige Recherchen betrieben hatte, damit der Film so wirklichkeitsgetreu wie möglich die Realität und Vita Bryon Widners erzählen kann.

Von Billy Elliot zu Bryon Widner

Den Analogien zu „American History X“, die bedingt durch die große thematische Kongruenz ebenso auftreten, kann sich „Skin“ nur schwer entziehen, sodass Nattiv einen bereits gegangenen Weg lediglich erneut geht und ihn nur partiell verlässt. Und das ist meiner Meinung nach ein großes Manko des Films – er ist nicht mutig genug, und das macht ihn entbehrlich. Doch schmälern soll das die positiven Aspekte des Films nicht. Zuvörderst kann man die vielschichtige und physisch-präsente Schauspielleistung von Jamie Bell hervorheben, der unter anderem in „Snowpiercer“ (2013), „King Kong“ (2005) und „Billy Elliot – I Will Dance“ (2000) mitspielte. Er spielt glaubhaft die Konvertierung des ambivalenten und verirrten Bryon Widner und erinnert eben an Edward Norton in seiner einstigen Rolle als tätowierter und muskelbepackter Schrecken. Bell hat speziell für diese Rolle zehn Kilogramm zugenommen, um gleichermaßen die nötige optische Wucht und Ausstrahlung eines furchteinflößenden Schlägers mitzubringen, die er am Anfang des Films gekonnt in Szene setzt.

Der Weg in ein geregeltes Leben?

Überdies bleibt „Skin“, bedingt durch den realen biografischen Zugang, in der Perspektive einer Person. Hat man bei „American History X“ noch versucht, das Milieu einer gesamten jungen Generation politischer Hardliner aufs Bild zu bringen, so zeigt uns „Skin“ zwar auch ähnliche Strukturen und konstruiert eine einfache wie schlüssige Welt um Bryon, aber die Gefühlswelt und der intime Wandel dessen stehen eindeutig im Vordergrund. Ein Beispiel dazu ist die Entwicklung der Beziehung zwischen Bryon und Julie, die schon im ersten Drittel des Films im Sinne von „Boy meets Girl“ zu einem zentralen aber simplen Schwerpunkt wird, mit allem was dazugehört – Liebe, Streit, Versöhnung, das ganze Programm einer „love interest“ wird zu einem tragenden Element.

Überlebt der Hund?

Diese etwas aus dem Kontext gegriffene Zwischenüberschrift soll exemplarisch für die konventionellen und klassischen Triebfedern des Film stehen. In diesem Zusammenhang ist in vielen Filmen der Hund eines Protagonisten der Sympathieträger und Emotionen-Turbo schlechthin, womit man zügig positive wie negative Regungen beim Publikum lenken kann, man denke nur an die „John Wick“-Reihe oder „Crawl“(2019). Auch Bryon Widner gehört stereotypisch ein stämmiger Rottweiler, der aber angesichts einer ganzheitlichen Kehrtwende Bryons Lebens wegrationalisiert werden muss, um den Einschnitt in seiner Biografie noch deutlicher als Neuanfang darzustellen. Ein weiteres Beispiel abseits des Hundes, das wiederum mit „American History X“ verwandt ist, ist der Sinneswandel, der bewirkt, dass man seine einstigen Feindbilder tilgt und sogar den Kontakt zu den Gegenspielern sucht. Inhaltlich gesprochen sind es sowohl in „American History X“ als auch in „Skin“ Menschen afroamerikanischer Abstammung, die die eigentlichen Neonazi-Protagonisten zum Ausstieg bewegen oder ihnen Ausstieg und damit Resozialisierung erleichtern. Dies kann man „Skin“ allerdings weniger als Abpausen von „American History X“ unterstellen, da es sich in Guy Nattivs Film um eine wahre Begebenheit handelt. Nichtsdestoweniger wird dies gegen Ende des Films im gleichen Tenor verarbeitet.

Die Tinte wird entfernt

Bleibt zu sagen, dass es dem Regisseur durchaus gelungen ist, in einer Zeit des rechten Populismus einen Film zu platzieren, der eine kritische Geschichte dazu erzählt und zum Nachdenken anregen kann. Dass uns das Aussteigerdrama in der Form präsentiert werden kann, ist darüber hinaus keine Selbstverständlichkeit, da Guy Nattiv schon vor Produktionsstart händeringend Förderer und ein fähiges Ensemble gesucht hat, die trotz des immanenten politischen Minenfeldes zur Realisierung beitragen wollten. Als lohnendes Extra ist in der Blu-ray-Edition von Ascot Elite Nattivs oscarprämierter Kurzfilm „Skin“ (2018) enthalten, der das Thema Rassismus mit anderen Mitteln verarbeitet.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Vera Farmiga haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Jamie Bell unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 7. Februar 2020 als Blu-ray und DVD

Länge: 119 Min. (Blu-ray), 113 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Skin
USA 2018
Regie: Guy Nattiv
Drehbuch: Guy Nattiv
Besetzung: Jamie Bell, Danielle Macdonald, Daniel Henshall, Bill Camp, Louisa Krause, Zoe Margaret Colletti, Kylie Rogers, Colbi Gannett, Mike Colter, Vera Farmiga, Mary Stuart Masterson, Russell Posner, Jenna Leigh Green, Sean Cullen
Zusatzmaterial: Kurzfilm „Skin“, Wendecover
Label/Vertrieb: Ascot Elite Home Entertainment

Copyright 2020 by Lucas Knabe

Szenenfotos & Packshot: © 2020 Ascot Elite Home Entertainment

 

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