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Point Blank – Die Ganovenehre und der Rachefeldzug

09 Jun

Point Blank

Von Tonio Klein

Actionthriller // „Point Blank“ (1967) hat einen gewissen Kultstatus, was nicht zuletzt an der teils verunglückten Neuverfilmung mit Mel Gibson („Payback – Zahltag“, 2006) zu sehen ist, in der ein harter Kerl so hart ist, dass er mit zertrümmerten Füßen gehen und Auto fahren kann. Die Erstverfilmung des Romans „Jetzt sind wir quitt“ („The Hunter“) ist besser, wenn auch nicht vollkommen. Am Anfang weidet Regisseur John Boorman das eigentlich gelungene Verwirrspiel um Zeitsprünge zu weidlich aus und lässt seinen Film zu sehr zur delirierenden Pop-Art-Collage werden, als dass man sich auf Handlung und Charaktere einlassen könnte. Zudem wird hier der harte Kerl, Walker (Lee Marvin), ebenfalls zur unglaubwürdigen Ikone, wenn er, als künstlerisches Standbild drapiert, schwer verwundet am Stacheldrahtzaun von Alcatraz hängt, um dann die Flucht zu meistern, die selbst Unverwundeten mutmaßlich nie gelungen ist.

Es geht um mehr als um 93.000 Dollar

Aber es wird was draus. Walker hat ein starkes Motiv, das alles zu überleben – er will „seine 93.000“; Geld aus einem Überfall, um das er geprellt wurde. Es geht ihm im Grunde nicht um die Dollar, sondern um die Ehre: Angesichts der Mächtigkeit der als Wirtschaftsunternehmen getarnten „Organisation“, mit der er sich anlegt, ist die Summe im Grunde so lächerlich gering wie die eine Million, die „Dr. Evil“ in den 1990er Jahren dafür verlangt, die Vernichtung der Welt zu unterlassen („Austin Powers – Das Schärfste, was Ihre Majestät zu bieten hat“, 1997). Aber ein Deal ist nun mal einzuhalten, auch unter Ganoven. Und so zieht Walker mit einer Mischung aus Gerissenheit und Gewalt auf einen Feldzug, der nicht so sehr ein Rachefeldzug ist, sondern darauf abzielt, einer einmal geschlossenen Vereinbarung zu ihrer Durchsetzung zu verhelfen – was mich übrigens an den späteren „Der Profi“ mit Jean-Paul Belmondo erinnert hat.

Auf dem Weg steigert sich „Point Blank“ zu einer ziemlich bösen Konsequenz, denn die wahren Bösen sind eher die Buchhaltertypen als die Aggressiven mit der Knarre. Mehrfach wird uns ein Gegner präsentiert, von dem wir erst denken, er sei der Hauptgegner, der dann aber einem noch gefährlicheren Gegner Platz machen muss. Kann sich da die Ganovenehre durchsetzen? Walkers Schwägerin Chris (Angie Dickinson), mit der er nach dem Tod seiner Frau zusammenarbeitet und einmal auch zusammenkommt, meint zu Recht: „Du bist auf Alcatraz wirklich gestorben.“ Ihr geht es übrigens ähnlich, sie arbeitet für „die Organisation“, weil man ja von irgendetwas leben muss. Er hat nie einen Vornamen, sie hat nie einen Nachnamen (wie einmal in einem Dialog pointiert herausgestellt wird), die beiden sind also die perfekte Symbiose – aber im Grunde zwei lebende Tote. Werden sie sich gegen die höchst lebendige „Organisation“ durchsetzen können?

Das wird wohl nichts mit der Blondine

Bei aller gnadenlos-tragischen Konsequenz fehlt nicht der gallige Humor, der sich noch in kleinsten, für die Handlung eigentlich überflüssigen Details äußert – wenn etwa ein Mobster mittleren Ranges, getarnt als Gebrauchtwagenhändler, noch schnell ein Date mit einer knackigen Blondine ausmacht, bevor er zu einer Probefahrt mit Walker startet, und wir ahnen, dass das mit dem Date und dem eindeutig geplanten Abschleppen schwierig werden könnte. Oder wenn die in diesem Film durchweg negativ gezeichneten, scheinbar biederen Leute in Gestalt von allzu schaulustigen Frauen einen aus dem x-ten Stock unsanft auf den Boden gefallenen Nackten möglichst genau sehen wollen.

Auch jenseits solcher Einsprengsel ist „Point Blank“ enorm aufmerksam inszeniert. Hier sitzt jedes kleine, vermeintlich überflüssige Detail, wobei auffällt, dass „unschuldige“ Tiere für eine Menschlichkeit zu stehen scheinen, die sich bei vielen Menschen nicht mehr findet. Die Katze von Walkers Frau, die noch schnell herausgelassen wird, bevor es zu dramatischen Ereignissen kommt. Das Vögelchen auf dem Alcatraz-Stacheldraht, das in der Freiheit ist, in die Walker erst noch kommen muss (der dem Tier gleich, aber leidend, auf dem Stacheldraht zu sehen sein wird). Daneben ein wildes Delirium aus zerfließenden Farben, aggressiver Musik, Gewalt, Tod. Interessanterweise wird eine solchermaßen inszenierte Nachtclubszene bereits optisch durch das Ineinanderfließen von Farben in einer Badewanne vorweggenommen – ein eigentlich überflüssiger Zoom, aber in der einen wie der anderen Szene: alles in Unordnung, und der Tod ist nicht weit. Alles hängt mit allem zusammen, Vergangenheit und Gegenwart – und (keine) Zukunft.

Nur knapp an der Höchstwertung vorbei

Die Zeitsprünge ergeben im Nachhinein Sinn, wobei manchmal auch Parallelen im Dialog („Du musst mir vertrauen“) hervorgehoben werden. Schließlich ist die große Leistung von Lee Marvin hervorzuheben, der zu Unrecht gelegentlich als besserer „heavy“ gesehen wird. Die Inszenierung fordert ihn, beispielsweise in einer recht langen Szene zu Beginn, in der Walker seine Frau wiedertrifft. Die Kombination aus Breitwand und fehlendem Schuss-Gegenschuss führt dazu, dass Walker die ganze Zeit im Bild zu sehen ist, während die Gattin über die Ereignisse der vergangenen Zeit und ihre Gefühle spricht. Da spielt sich ein veritables Drama in Walkers Gesicht ab, und Marvin spielt das wunderbar minimalistisch, mit resigniertem Blick, in dem wir Romane lesen können. Dem ebenso harten und konsequent bitteren wie tragischen Thriller-Drama gerät höchstens im ersten Akt seine Eigenwilligkeit zu manieriert. Damit verfehlt „Point Blank“ nur knapp eine Höchstwertung.

Walker, Porter, Parker – was denn nun?

Romanautor Donald E. Westlake veröffentlichte seine Romane mit diesem Protagonisten allesamt unter dem Pseudonym Richard Stark. Seine Hauptfigur heißt dort allerdings nicht Walker, auch nicht Porter wie Mel Gibsons Rolle in „Payback – Zahltag“, sondern Parker. Immerhin trägt Jason Statham den richtigen Namen in – genau – „Parker“ (2013). Dafür haben die beiden Thriller „Point Blank“ von 1998 und 2019 wiederum nichts mit John Boormans Regiearbeit zu tun.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von John Boorman haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Angie Dickinson unter Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Sid Haig und Lee Marvin in der Rubrik Schauspieler.

Veröffentlichung: 31. Juli 2014 als Blu-ray, 14. Oktober 2006 als DVD der „SZ-Cinemathek“

Länge: 92 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Spanisch
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte, Englisch für Hörgeschädigte, Französisch, Spanisch
Originaltitel: Point Blank
USA 1967
Regie: John Boorman
Drehbuch: Alexander Jacobs, David Newhouse, Rafe Newhouse, nach dem Roman „The Hunter“ von Donald E. Westlake alias Richard Stark
Besetzung: Lee Marvin, Angie Dickinson, Keenan Wynn, Carroll O’Connor, Lloyd Bochner, Michael Strong, John Vernon, Sharon Acker, James Sikking, Sid Haig, Michael Bell
Zusatzmaterial: Audiokommentar von John Boorman und Steven Soderbergh, Dokumentationen „The Rock – Teil 1“, „The Rock – Teil 2“, US-Kinotrailer
Label/Vertrieb: Warner Home Video

Copyright 2020 by Tonio Klein

 

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