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Clint Eastwood (XXIV): Weißer Jäger, schwarzes Herz – Der Regisseur als Regisseur

12 Jun

White Hunter Black Heart

Von Tonio Klein

Abenteuerdrama // Popcornfresser, Juden und Schwarze … Letztgenannte heißen in den Worten von John Wilson (Clint Eastwood) aber anders, nämlich Itzigs und Nigger. Und wie schon in „Bird“ (1988) – in welchem ein weißer Jude und ein Schwarzer jeweils einmal in die Haut des anderen schlüpfen müssen –, „Gran Torino“ (2008) und „Flucht von Alcatraz“ (1979) hat Eastwood ein untrügliches Gespür für Herz und Schnauze. Denn sein Wilson ist mit seinen Worten immer auf der Seite der Bezeichneten. Und die Popcornfresser? Da ist er gleichsam kompromisslos wie auch ein bisschen verlogen, aber Schwamm drüber.

Die Entstehung von „African Queen“

Dazu muss man wissen, worum es geht: 1951 brachte der Regisseur John Huston den unter nervenaufreibenden Strapazen an Originalschauplätzen entstandenen Abenteuerfilm „African Queen“ in die Kinos. Sein Drehbuchautor Peter Viertel verfasste darüber einen halb fiktiven, halb realen Schlüsselroman, den Eastwood 1990 verfilmte. Der Filmemacher spielt also einen Filmemacher, John Wilson = John Huston. Und obwohl Eastwood damals schon deutlich älter war als seinerzeit Huston: Besser hätte es nicht kommen können! Zwei Haudegen haben sich in Schauspieler und Rolle gefunden, sodass es auch gar nicht stört, dass Eastwood immer genauso sehr Eastwood wie Huston ist. Und Wilson sagt eben auf den Wunsch des Drehbuchautors Pete Verrill (klar, Peter Viertel ist gemeint) nach einem weniger deprimierenden Film-Ende, er ließe sich von 85 Millionen Popcornfressern nichts vorschreiben. Und noch mehr: „Um einen Film zu machen, musst du vergessen, dass ihn sich irgendjemand anschauen wird.“

Eastwood inszeniert seinen Wilson/Huston grandios, gerade in dieser Szene, in der das Set Design gar nicht hoch genug zu loben ist: ein stolzes Herrenhaus in Europa (man vermutet England, der echte Huston hatte – allerdings erst später – in Irland gelebt), das Hustons Hang zum Verschwenderischen, Exzentrischen, Kunstsinnigen wunderbar in jedem Raum, jedem Accessoire, jedem Hintergrundgemälde zum Ausdruck bringt. Passt zu einem Egomanen, den nicht interessiert, ob er das Geld dafür hat, was andere dazu sagen und ob sein Film einem Publikum gefällt. Dabei ist diese Haltung des tatsächlich kompromisslosen Filmemachens eine, die ich weder Huston noch Eastwood abnehme. Sicherlich, beide haben sich in zwischendurch immer wieder sehr mutigen Werken anscheinend einen Dreck darum geschert, ob sie Geld machen. Aber beide sind auch keine künstlerischen Onanisten, die ihr Publikum verachten, da man doch selbst dann, wenn man nur die Filme macht, die man will, damit auch Menschen erreichen möchte – sonst müsste man sie ja nicht machen.

Heute darf Eastwood weinen

Gerade Eastwood weiß genau, was er seinem Publikum zumuten kann: 1995 war es bei „Die Brücken am Fluss“ noch nicht so weit, einen weinenden Clint zu akzeptieren, und er wandte sich von der Kamera ab – als bewusste Entscheidung dokumentiert in „Clint Eastwood – Out of the Shadows“ (2000). 2004 wusste er dann, dass er sein Publikum so weit hatte und flennte hemmungslos in die Kamera in „Million Dollar Baby“, einem gleichsam grandiosen wie in jeder Hinsicht erfolgreichen Film. Weiß auch John Wilson, was er seinem Publikum zumuten kann? Nein, und das ist sein Problem. Dieser Wilson ist ein Egomane, dabei zwar oft nicht unsympathisch, etwa wenn er mit unnachahmlichem Eastwood-Gestus und grinsend vorgetragenem Monolog eine Antisemitin fertigmacht, aber das ganze Filmunternehmen gefährdend, und auch sich selbst.

Der reale John Huston war passionierter Großwildjäger. John Wilson möchte in Afrika unbedingt einen Elefantenbullen schießen. Eastwood benutzt gern große Worte und nimmt sie erfrischend ernst, wie zum Beispiel das Schwören in „Absolute Power“ (1997): Was er vorhabe, sei eine „Sünde“, die einzige, für die man eine Erlaubnis kaufen könne, und darum müsse er diese Sünde begehen, bevor er etwas anderes, gleichsam Schlimmes tue. Da hat Wilson wohl nicht aufgepasst, das Drehbuchteam um Eastwood aber sehr wohl: „Sünde“ kommt aus dem Griechischen und steht für „sein Ziel verfehlen“. Es wird etwas geschehen, was alles verändert, für Wilson aber auch kathartische Rettung und Neuanfang bedeuten kann. Und so verzeihen wir seinem Wilson auch die etwas angeberische Publikumsverachtung: Man sieht – und das Drehbuch betont es am Ende auch noch einmal hübsch knapp –, dass sie eben nicht aufgeht und dass Wilson das lernen muss.

Prügelei mit dem Rassisten

Eastwood hat es längst verstanden. Wusste John Huston es? Es ist mir offen gesagt nicht so wichtig, wie viel an Roman und Film Wahrheit und wie viel Fiktion ist. Fest steht jedenfalls, dass in dem Stoff genug Anspielungen auf den realen John Huston enthalten sind; so hat er beim Dreh in Afrika tatsächlich die Großwildjagd betrieben und wollte die insoweit renitente Katharine Hepburn ebenfalls überreden, es einmal zu versuchen. Und auch eine gewisse egomane Rücksichtslosigkeit sowie eine nicht ganz geringe Überzeugung von sich selbst liest man immer wieder aus Anekdoten von Viertel, aber auch aus Hustons Autobiografie „… mehr als nur ein Leben“ heraus. Und ein hartgesottener Haudegen und Abenteurer war er, der sich vor keinem Drehort scheute und dort zudem den Kontakt zu Land und Leuten suchte (großartig zum Beispiel, was 1958 in Hollywood noch absolut unüblich war: „Der Barbar und die Geisha“ wurde in der Geisha-Rolle tatsächlich mit einer Japanerin besetzt, die er vor Ort gecastet hatte). Dabei letztlich genauso angenehm altmodisch wie Eastwood: Da gibt es in „Weißer Jäger, schwarzes Herz“ beispielsweise eine Szene, in der sich Wilson und ein rassistischer Hoteldirektor prügeln, ganz wie bei einer verabredeten Prügelei, bei der man im Streit beschließt, nach draußen zu gehen und alle Anwesenden auch zugucken, aber eine gewisse Fairness gewahrt und zum Beispiel nicht auf einen am Boden Liegenden eingedroschen wird. John Huston hatte sich auf diese Weise einmal eine ganze Stunde lang mit Errol Flynn geprügelt, aber das war eher wie ein verabredeter Kampf, und hinterher waren die Animositäten eben auch ausgefochten, sodass Huston völlig objektiv Flynn später in einem Film besetzte, weil er sich keinen Besseren für die zu vergebende Rolle vorstellen konnte.

Eastwoods Film enthält daneben ein paar augenzwinkernde Parallelen zur Realität am Rande; so haben die beiden Hauptdarsteller von „African Queen“ kleine Rollen. Obwohl diesmal ohne Namensähnlichkeiten, sind unschwer Übereinstimmungen mit den realen Darstellern Humphrey Bogart und Katharine Hepburn auszumachen (und ja, der männliche Hauptdarsteller hat seine schöne junge Frau mit dem langen ondulierten Haar dabei; eine Anspielung auf Bogies Gattin Lauren Bacall, die tatsächlich damals dabei gewesen war). In der deutschen Fassung wird der Effekt noch durch den Einsatz des Bogie-Synchronsprechers verstärkt. Schließlich sei erwähnt, dass der Film mit wunderschönen Natur- und Tieraufnahmen glänzt, die in Zimbabwe entstanden sind.

Im Alter immer besser

Fazit: Abenteuer, Film-Film und Charakterstudie in einem; großartig, weil Eastwood immer weiß, welche Stoffe zu seiner Erzähl- und Schauspielweise am besten passen. Bei manchen Künstlern schätze ich nicht so sehr, wenn sie immer auch zu einem gewissen Teil sie selbst sind. Bei Eastwood, der vieles, aber gewiss kein Chamäleon ist, ist das umgekehrt: In seinen Erzählungen steckt immer auch etwas von ihm selbst, zumindest von seinem eigenen Stil, aber er wählt die richtigen Stoffe dafür, sodass eine perfekte Symbiose aus Erzählung und Erzähltem entsteht. Noch in seinem jüngsten Regie-Hauptrollen-Film „The Mule“ (2019) ist dies so, in dem die wahre Geschichte eines greisen Drogenkuriers nur so lose verwendet wurde, dass sie zu Eastwood passt wie die Magnum zu Dirty Harry.

Bei allen Unterschieden im Übrigen: Dies verbindet ihn mit einem anderen großen Geschichtenerzähler des US-Films, der ebenfalls souverän das Wort Renteneintrittsalter aus seinem Vokabular gestrichen hat und munter Film um Film dreht: Woody Allen. Ob man dem einen das (mehr als schwach belegte) #Metoo-Vorgeworfene und dem anderen seine Trump-Unterstützung übelnimmt, sei dahingestellt. Von den beiden versuche ich immer noch, jedes neue Werk zu sehen, und ich bewundere sie für ihre Schaffenskraft auf weitgehend gleichbleibend hohem Niveau. Verachtet mir die Alten nicht! Und seht auch mal einen 30 Jahre alten Eastwood-Film, bei dem der gute Mann ebenfalls schon nicht mehr der Jüngste war. Aber im Grunde wurde er ungefähr ab dieser Zeit noch viel besser, ernsthafter und endlich auch von den Feuilletons geachtet. Ohne sich zu verleugnen. Weiter so, Clint – und nein, Popcorn fresse ich im Kino nicht, sondern bin ganz bei deinen Werken.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von und mit Clint Eastwood haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Jeff Fahey und Timothy Spall unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 1. Januar 2010 und 23. Oktober 2003 als DVD

Länge: 108 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Spanisch
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: White Hunter Black Heart
USA 1990
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Peter Viertel, James Bridges, Burt Kennedy, nach Viertels Roman
Besetzung: Clint Eastwood, Jeff Fahey, Charlotte Cornwell, Norman Lumsden, George Dzundza, Edward Tudor-Pole, Richard Warwick, Roddy Maude-Roxby, Catherine Neilson, Marisa Berenson, John Rapley, Timothy Spall
Zusatzmaterial: keine Angabe
Label/Vertrieb: Warner Home Video

Copyright 2020 by Tonio Klein
Packshots: © Warner Home Video

 

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