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Terry Gilliam (V): Jabberwocky – Urkomischer Unsinn im Mittelalter

06 Jan

Jabberwocky

Von Volker Schönenberger

Fantasy-Komödie // „Jabberwocky“ lautet der Titel eines Unsinn-Gedichts in Lewis Carrolls 1871 veröffentlichtem Kinderbuch „Alice hinter den Spiegeln“ („Through the Looking-Glass, and What Alice Found There“), der Fortsetzung von „Alice im Wunderland“ („Alice’s Adventures in Wonderland“, 1865).

Hier die ersten beiden Strophen:

Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe;
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.

Beware the Jabberwock, my son!
The jaws that bite, the claws that catch!
Beware the Jubjub bird, and shun
The frumious Bandersnatch!

Unsinnig genug? Jedenfalls hielt das aus Fantasiewörtern ohne Bedeutung gebildete Gedicht in vielfältiger Form Einzug in die moderne Popkultur. Donovan beispielsweise machte daraus ein Lied. Die wohl berühmteste Adaption schuf Monty-Python-Mitglied Terry Gilliam: Die 1976 gedrehte Fantasy-Komödie „Jabberwocky“ feierte im März 1977 in London Weltpremiere und gelangte im Dezember auch in die deutschen Kinos. Zwei Jahre zuvor hatte Gilliam gemeinsam mit Terry Jones für „Die Ritter der Kokosnuss“ auf dem Regiestuhl gesessen, der noch unter dem Monty-Python-Banner lief, wie allein schon der Originaltitel „Monty Python and the Holy Grail“ belegt. Der wie dieser im tiefen Mittelalter angesiedelte „Jabberwocky“ stellt sein Langfilm-Alleinregiedebüt dar – die beiden Kurzfilme „Storytime“ (1968) und „Miracle of Flight“ (1975) stehen noch zu Buche. Terry Gilliam mochte es allerdings überhaupt nicht, dass „Jabberwocky“ in einigen Ländern als Monty-Python-Film vermarktet wurde.

Der Büttnerslehrling (r.) …

Die Handlung folgt dem jungen Dennis Cooper (Michael Palin), der in einem abgelegenen Dorf im Reich von König Bruno dem Fragwürdigen (Max Wall) als Büttner in die Fußstapfen seines Vaters (Paul Curran) tritt. Der weiß das leider nicht zu würdigen und enterbt den Sohn auf dem Sterbebett. Also verabschiedet sich Cooper Junior von seiner Angebeteten Griselda Fishfinger (Annette Badland), um in die große Stadt zu gehen – der etwas vulgären jungen Frau ist der Weggang ihres Verehrers allerdings herzlich gleichgültig.

Der Harndrang am Morgen

Der Einlass an den Stadtmauern wird Dennis verweigert. Es wimmelt vor Menschen, welche aus Ortschaften geflüchtet sind, die von einem grauslichen Drachen verwüstet worden sind. Morgens wird Dennis von einem warmen Strahl geweckt – die Wachen strullern gern durch die Zinnen. Als Dennis eine der Wachen erblickt, die sich durch eine Tür hinausschleicht, um ihr großes Geschäft zu verrichten, nutzt er die Gelegenheit und ist nun auch im Innern der Stadt. Doch bis zu seinem Lebensglück ist es noch ein weiter Weg.

… sucht das Glück

Wer den brachial-absurden Monty-Python-Humor mag, wird auch an „Jabberwocky“ seine helle Freude haben. Das liegt zum einen natürlich an den drei beteiligten Pythons: Michael Palin in der Hauptrolle, Terry Gilliam auf dem Regiestuhl und in einer Nebenrolle als „Man with Rock“ sowie Terry Jones als Wilderer. Zum anderen kommt der anarchische Slapstick immer wieder zum Tragen, etwa wenn sich der König zu seiner liebreizenden Tochter (Deborah Fallender) in ihrem Gemach ans Fenster setzt und sogleich ein Mauerstück in die Tiefe stürzt, woraufhin ihn die Prinzessin warnt: Vorsicht, Vater! Erst letzte Woche ist Schwester Winfried da runtergefallen. Der Regent verspricht, ihr nach dem Tod des Monsters eine fabelhafte moderne Wohnung (im Original allerdings: a beautiful bridal suite, mithin ein schönes Brautgemach) einzurichten – im Westturm der Burg, der allerdings genau in dem Moment zusammenbricht, woraufhin der König sein Versprechen auf den Ostturm ändert.

Clevere Geschäftsidee beim Betteln

Ja, die königliche Burg ist arg baufällig. Regisseur Terry Gilliam, der gemeinsam mit dem US-Schriftsteller Charles Alverson auch fürs Drehbuch verantwortlich zeichnete, skizziert das Mittelalter wenig glänzend und ruhmreich, sondern heruntergerockt, schäbig, schmutzig und unhygienisch. So war es wohl auch, ohne nun allerdings zu behaupten, dass wir es mit einem realitätsnahen Bild dieser Epoche zu tun bekommen. Doch zurück zum Humor: Dass er schwarz ist, kommt bei Monty-Python-Nähe wenig überraschend. Tatsächlich gibt sich „Jabberwocky“ recht blutig, was sich gleich zu Beginn zeigt, wenn der Drache einen Menschen skelettiert (erstmals zu sehen ist das Monster allerdings erst im Finale). Ein Bettler erhält Mitleid in Form klingender Münze, weil er vor sich seinen frisch abgetrennten Fuß drapiert. Und das Turnier, das der König veranstaltet, um denjenigen Ritter zu ermitteln, der gegen den Drachen antritt und nach dessen Bezwingung die Hand der Prinzessin erhält, dezimiert den Gesamtbestand der Ritter des Reiches spürbar – der König, sein Haushofmeister Passelewe (John Le Mesurier) und die Prinzessin werden in ihrer Loge von mehr und mehr Blut besudelt. Auf humorige Weise wird auch thematisiert, dass Ritterrüstungen recht schwer wiegen und die Beweglichkeit einschränken, die Helme zudem das Sichtfeld verringern.

Kritik an Kapital und Klerus

Die riesige Schere zwischen Arm und Reich kann durchaus als Bezug zur Moderne verstanden wissen. Dafür spricht auch, dass sich Händler mit überteuerten Waren schamlos an den Flüchtlingen bereichern und in der Stadt die Gilden eine Politik der Protektion betreiben – Kapitalismuskritik kommt zum Tragen. Auch die Kirche bekommt ihr Fett weg, erfreut sich der Bischof (Derek Francis) doch sehr daran, dass die Gottesdienste im Angesicht der Angst vor dem Monster regeren Zulauf erhalten.

Der König (2. v. r.) verspricht dem Retter des Reichs die Hand …

Außenaufnahmen für „Jabberwocky“ entstanden in Wales, unter anderem in den Burgen Chepstow Castle und Pembroke Castle. Als Schwarzer Ritter ist der am 28. November 2020 im Alter von 85 Jahren leider verstorbene David Prowse zu sehen, der kurz nach diesem Film erstmals seine ikonische Rolle als Darth Vader in „Star Wars: Episode IV – Eine neue Hoffnung“ einnahm.

… der Prinzessin

Die Story zieht sich etwas, beinahe geht im Mittelteil gar der rote Faden verloren, aber das liegt nicht zuletzt daran, dass sie mit Situationskomik gespitzt ist, die ich auch nicht missen will. So recht erfolgreich war „Jabberwocky“ seinerzeit nicht, weder an den Kinokassen noch bei der Filmkritik. Über die Jahre hat sich das Werk einen gewissen Kultstatus erarbeitet, ohne auch nur annähernd den Bekanntheitsgrad von „Die Ritter der Kokosnuss“ und „Das Leben des Brian“ (1979) zu erreichen. Da kommt das Mediabook von capelight pictures gerade recht. Es enthält die vom British Film Institute National Archive und The Film Foundation restaurierte Fassung auf Blu-ray und DVD, Bild- und Tonqualität sind daher tadellos. Das Zusatzmaterial kann sich sehen lassen, beginnend mit einem Audiokommentar von Regisseur Terry Gilliam und Hauptdarsteller Michael Palin sowie einem von Kameramann Terry Bedford. Ein fast dreiviertelstündiges Making-of und ein viertelstündiges Featurette mit der Jabberwocky-Designerin Valerie Charlton stellen meines Erachtens die zentralen Boni dar, wobei auch der Vortrag des Gedichts durch Michael Palin und Annette Badland sehenswert ausfällt. Das Booklet enthält einen ausführlichen Text von Frank Arnold über die Entstehung des Films und Terry Gilliams Schaffen, dazu findet sich ein Abdruck des vollständigen Gedichts „Jabberwocky“. Einmal mehr eine runde Veröffentlichung eines feinen Regie-Karrierestarts mit satirischen Seitenhieben.

Das spornt an

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Terry Gilliam haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet. Lesenswerte Texte zu „Jabberwocky“ finden sich auch bei den Kollegen von Blu-ray-Rezensionen.net (dort auch ausgesprochen fachkundig zur Bild- und Tonqualität) und vom Fluxkompensator.

Auf in den Kampf!

Veröffentlichung: 18. Dezember 2020 als 2-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (Blu-ray & DVD), 18. Juni 2002 als DVD

Länge: 106 Min. (Blu-ray), 101 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Jabberwocky
GB 1977
Regie: Terry Gilliam
Drehbuch: Charles Alverson, Terry Gilliam, nach einem Gedicht von Lewis Carroll
Besetzung: Michael Palin, Harry H. Corbett, John Le Mesurier, Deborah Fallender, Warren Mitchell, Annette Badland, Max Wall, Rodney Bewes, John Bird, Bernard Bresslaw, Antony Carrick, Peter Cellier, Terry Jones, Terry Gilliam, Paul Curran, David Prowse, Derek Francis
Zusatzmaterial Mediabook: Audiokommentar von Terry Gilliam & Michael Palin (OmdU), Audiokommentar von Kameramann Terry Bedford (OmdU), Making-of (41 Min.), „From Sketch to Screen“ – Storyboard und Skizzen von Terry Gilliam (7 Min.), „Jabberwocky“ – Michael Palin und Annette Badland tragen das berühmte Unsinn-Gedicht vor (1:27 Min.), „Making of a Monster“ – Featurette mit Jabberwocky-Designerin Valerie Charlton (15 Min.), Originalbeginn (3:15 Min.), Originaltrailer, deutscher Kinotrailer, 24-seitiges Booklet mit einem Text von Frank Arnold
Zusatzmaterial DVD: Audiokommentar von Terry Gilliam & Michael Palin (OmdU), Storyboard-Vergleich (7 Min.), Postergalerie (3 Bilder), Trailershow

Label Mediabook: capelight pictures
Vertrieb Mediabook: Al!ve AG
Label/Vertrieb DVD: Columbia TriStar

Copyright 2021 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & unterer Packshot: © 2020 capelight pictures

 
 

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2 Antworten zu “Terry Gilliam (V): Jabberwocky – Urkomischer Unsinn im Mittelalter

  1. Tonio Klein

    2021/01/06 at 11:01

    Schöne Würdigung. Ich liebe Gilliam und erlaube mir mal die Ergänzung, dass er viele Vorbilder in der Malerei hat – ich meine, es war Breughel, bei dem der abgetrennte Fuß (an den ich übrigens bei Deathcember denken musste) und Fishfingers „großes Geschäft“ aus dem Fenster heraus vorkommt. Herrlich blöde finde ich auch, dass es im Mittelalter in der „alten Welt“ schon Kartoffeln gibt. Zudem sind verfaulte Zähne nicht nur im Mittelalter mutmaßlich Regel statt Ausnahme gewesen, sondern durchziehen sie Gilliams Werk. Und die völlig richtige Beobachtung, dass in seinem Mittelalter auch eine gehörige Portion Frühkapitalismus steckt, kommt so richtig schön zum Ausdruck, wenn Dennis durch einen simplen Handgriff eine Kettenreaktion auslöst, die eine ganze Fabrik plattmacht – ein automatisierter Vorgang, wie man sich das erst in der frühen Indústrialisierung vorstellt. Sehr zu empfehlen ist das bis inkl. „Parnassus“ reichende Gilliam-Buch von Harald Mühlbeyer, dem ich z. B. die Malerei-Verweise zu verdanken habe.

     
    • V. Beautifulmountain

      2021/01/06 at 11:20

      Schöne Ergänzungen, vielen Dank! Den Verweis in deiner kommenden zweiten „Deathcember“-Rezension hatte ich natürlich wahrgenommen, die Verlinkung zu meinem „Jabberwocky“-Text habe ich bereits eingebaut.

       

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