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Dario Argento (VIII): Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe – Mord als Kunst, Mord durch Kunst

18 Mai

L’uccello dalle piume di cristallo

Von Tonio Klein

Horrorthriller // Schon der erste Spielfilm des Giallo-Papstes Dario Argento hat alles drin, was einen guten Argento ausmacht. Beispielsweise gibt es hier noch erkennbar an Hitchcock geschulte, stilisierte Morde mit ästhetisierten Werkzeugen und ebensolcher Mörderkleidung (Messer aus rotsamtenem Behältnis, schwarzer Mantel, schwarze Handschuhe).

Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe ist ein tödliches

Schon etwas Argento-spezifischer ist hingegen der ausländische Künstler in Italien (Tony Musante als US-Schriftsteller Sam Dalmas), der zum Zeugen eines Verbrechens und zum Hobbydetektiv wird. Und bereits voll ausgefeilt sind die sehr kunstgeprägten Settings – insbesondere in diesem Film erscheinen die Skulpturen einer Galerie selbst als mörderisch und wird es im Finale beinahe tatsächlich zum Mord DURCH Kunst kommen.

Berto Consalvi hat ganz eigene kulinarische und frisurentechnische Vorlieben

Ähnlich, wie George Seeßlen über die Riesenpenis-Attacke in „Uhrwerk Orange“ (1972) schrieb, weiß man hier nicht, ob jemand Angst UM ein Kunstwerk oder VOR einem Kunstwerk hat. Zudem, was des Meisters Markenzeichen wurde: Es gibt bereits die eine Schlüsselszene, in der jemand etwas sieht, aber seinen Augen nicht trauen darf (diesmal ein bisschen zu offensichtlich, da von Anfang an durch Dalmas hinterfragt).

Natürlich bleibt des Detektivs Grübeln vergeblich

Schließlich finden sich auch in diesem Frühwerk schon ein paar Ausflüge ins Groteske, etwa anhand einer seltsamen Nebenrolle für Mario Adorf als Maler Berto Consalvi, der den armen Dalmas ganz schön schockiert, als er verkündet, was beide gerade gegessen haben … Freunde von „Alf“ mögen jetzt rätseln; der Sinn ist nicht so ganz klar. Aber dass wir niemandem trauen können, schon!

Opferblick vom Boden der Tatsachen?

Der Film ist teils besser, teils geringfügig schwächer als spätere Argentos. Insoweit, als alles noch ein wenig in der Entwicklung begriffen scheint, ließe sich sagen, Argentos Höhepunkt sollte erst noch kommen. Die Nebenfiguren sind in ihrer comichaften Überzeichnung etwas plakativ, ein klischeehafter „warmer Bruder“ darf beim frühen Argento nicht fehlen, und der Detektiv hat in bester Hitchcock-Tradition keine Ahnung.

Schrecken des Würgens – und des Schauens

Die Ästhetisierung des Schreckens sollte noch ausgefeilter werden; man betrachte etwa den Rasierklingen-Aufzugsmord, der „noch recht einfach … in nur zwei gegeneinander geschnittenen Einstellungen“ gefilmt wurde, wie es Heiko Nemitz in seinem Essay „Obsessions – Was Dario Argento und Brian De Palma verbindet – und trennt“ formulierte (zu finden in „Dario Argento – Anatomie der Angst“, herausgegeben 2013 von Michael Flintrop und Marcus Stiglegger). Der Einsatz von Farbe wurde später noch wilder, rauschhafter.

Ob Sams Hände wirklich sauber bleiben?

Gleichwohl: „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ ist alles andere als schlecht! Der Horrorthriller hat noch eine weitgehend kohärente Geschichte, er hat Momente von Dunkelheit, Suspense, Bedrohung durch lange Verfolgungen/Kamerafahrten. Das sind Dinge, die dem allzu ungestümen späteren Argento meines Erachtens ein bisschen verlorengingen – eine berühmte komplexe Kamerafahrt in „Tenebre – Der kalte Hauch des Todes“ (1982) erscheint mir beispielsweise auch bei mehrmaligem Sehen als gleichsam kunstvolles wie unmotiviertes l’art pour l’art ).

Gnade ist keine Option

In „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ hat der Regisseur deutlich hitchcocksche Qualitäten, beispielsweise in einer der besseren absurden Ideen, in der ein Killer in (wie blöd kann man sein?) leuchtend gelbem Trikot auftritt. Lange Verfolgung à la „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“ (1958), dann wird der Verfolger zum Verfolgten, und dann die großartige Szene: Dalmas kommt in einen Raum, in dem sich Ex-Boxer treffen, die sämtlich ein solches Oberteil tragen; irritierend schunkelige Musik, die totale Verwirrung in einer großen Gesellschaft, die eigentlich Harmlosigkeit ausstrahlen sollte. Wie oft hatte Hitchcock skurrilen Humor mit der falschen Sicherheit großer Gesellschaften verknüpft, zum Beispiel in „Der unsichtbare Dritte“ (1958): der Mord beim Empfang, die Versteigerung …

Wenn Kunst den Betrachter umhaut

„Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ hat aber auch Argento-eigene Qualitäten; vieles findet sich in seinem späteren Werk wieder. Was die Bedeutung von Kunst betrifft, ist dies nicht ein Frühwerk, sondern ein Hauptwerk; neben dem Setting der Galerie hat ein Bild eine entscheidende Bedeutung für die Entschlüsselung der Morde und die Persönlichkeit des Täters. Diese wird dem Zuschauer zwar in einem etwas aufgesetzten „Psycho“-artigen Schluss mal eben erklärt und findet in dem späteren Meisterwerk „Das Stendhal-Syndrom“ (1996) eine bessere Darstellung. Gelungen ist es gleichwohl, weil es unsere Sehgewohnheiten hinterfragt. Wie so oft bei Argento, findet dies mehr als eine bildliche Entsprechung. Subjektiver Kamerablick des Täters, hilfesuchender Opferblick in die Kamera – das alles wird sich am Ende als zusammenhängend erweisen, mehr sei nicht verraten.

Sehen und (nicht) gesehen werden

Daneben gibt es Gucklöcher (auch dies mag an „Psycho“ erinnern) und Messer, die sicherlich nicht zufällig dort hineinstechen und das Auf-den-Täter-Blicken auslöschen wollen, um nur mal einige der vielfältigen Stilmittel zu nennen. Der Guckkasten, in dem Dalmas am Anfang gefangen ist, ist sowieso ein Knaller – er ist damit in einem Zwischenreich zwischen Kunst und Wirklichkeit, kann weder in die Galerie, um dem Mordopfer zu helfen, noch hinaus, um die Polizei zu rufen. Damit ist er der Zuschauer, der seinen Blick nicht abwendet, ohne eingreifen zu können. Dieser genaue Blick wird am Ende ganz entscheidend sein. Der Film konzentriert sich somit ganz auf das Sehen, das einseitige Sehen (ohne gesehen zu werden) sowie die Umkehrung, das Nicht-Sehen-Können.

Einmal bückt sich der frontal gefilmte Dalmas, und wir werden plötzlich einer anderen Gestalt hinter ihm gewahr. Wir hatten also zunächst mit ihm (nicht) gesehen und gleichzeitig ihn gesehen, um anschließend in einer Mischung aus Surprise und Suspense den entscheidenden Informationsvorsprung zu bekommen. Ein Effekt übrigens, der einen Widerhall in Argentos „Tenebre“ sowie in vielen späteren Filmen Brian De Palmas findet. Und sogar in der Prügelklamotte „Zwei außer Rand und Band“ (1977), wenn eine Clique denkt, es nur mit Bud Spencer aufnehmen zu müssen, sich aber auf einmal zeigt, dass Terence Hill hinter ihm steht. Die Physiognomie der beiden bietet sich für den Effekt aber auch an.

Kunst und Erzählkunst

Man kann demnach sagen: Manchmal noch etwas einfach und ungelenk, aber viele der faszinierenden Argento-Ansätze sind bereits da, auch insoweit, als es nicht völlig offensichtlich ist. Ein genauer Blick lohnt sich; das ist viel mehr als eine Fingerübung für Späteres und Besseres. Bezüglich der Einbindung von Kunst ein bereits ausgefeiltes Meisterwerk. Und das noch etwas Konventionellere bietet neben kleinen Nachteilen auch den Vorteil, dass Argento das spannende Geschichtenerzählen nicht vergisst.

Etikettenschwindel mit Bryan Edgar Wallace

Erwähnt sei des Weiteren, dass es sich bei „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ um eine italienisch-bundesdeutsche Koproduktion handelt. Auf deutscher Seite zeichnete Artur Brauner mit seiner CCC-Filmkunst verantwortlich, und der ordnete Argentos Regiearbeit kurzerhand in die erfolgreiche Reihe mit Bryan-Edgar-Wallace-Filmen ein, obwohl das Drehbuch überhaupt nicht auf einem Roman von Edgars Sohn beruhte. Tatsächlich orientierte sich Dario Argento beim Verfassen des Skripts wohl eher an dem 1949 erstveröffentlichten Roman „Die schwarze Statue“ („The Screaming Mimi“) des US-Schriftstellers Fredric Brown (1906–1972) – allerdings ohne dass die Vorlage in Vor- oder Abspann erwähnt wird.

Veröffentlichungen

Pidax Film hat die jüngste Veröffentlichung von „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ inhaltlich unsauber, aber vermarktungshistorisch korrekt unter dem Banner „Bryan Edgar Wallace“ herausgebracht – die DVD im September 2020, die Blu-ray einen Monat später. Leider konnte mir das Label keine Auskunft darüber geben, um welches Master des Films es sich handelt. Immerhin hat das englische Label Arrow Video 2017 eine feine 4K-Abtastung des Films veröffentlicht – als zweite wertige Edition nach der schon sehr guten von 2011. Eine deutsche 2020er-Veröffentlichung sollte an sich die aktuell bestmögliche Version lizenziert haben. Ob das hier der Fall ist, lässt sich somit nicht bestätigen. Die Zeitschrift „Deadline – Das Filmmagazin“ hat im Januar 2021 eine auf 500 Exemplare limitierte Blu-ray in VHS-Retro-Verpackung als Repack der Pidax-Disc aufgelegt. Das mag für all jene die bevorzugte Edition darstellen, die beim Gedanken an die VHS-Ära von nostalgischer Rührseligkeit übermannt werden.

Leider fehlen auf den Pidax-Discs die Boni des Mediabooks von Koch Films, 2015 erstmals in den Handel gebracht, ein Jahr später mit alternativem Cover erneut. Auch auf Untertitel hat Pidax verzichtet. Der analytische Audiokommentar von Marcus Stiglegger sowie diverse Featurettes (siehe Auflistung unten) hätten die Neuveröffentlichung spürbar aufgewertet, wobei es von Koch völlig legitim wäre, seinerzeit als exklusiv produzierte Extras nicht weiter lizenzieren zu wollen – ich weiß allerdings nicht, ob Pidax versucht hat, diese zu erhalten. Zum Vergleich lagen die Pidax-Blu-ray von 2020 und die Arrow-Video-Blu-ray von 2011 vor, die Pidax-Disc hat etwas kräftigere Farben zu bieten. Zu Tode geschärft wurden beide nicht.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Dario Argento haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.

Veröffentlichung: 15. Januar 2021 als 2-Disc VHS-Retro-Edition (Blu-ray & DVD, limitiert auf 500 Exemplare), 2. Oktober 2020 als Blu-ray, 4. September 2020 als DVD, 15. Juli 2016 und 13. August 2015 als 3-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & 2 DVDs), 26. August 2002 als DVD (gekürzt)

Länge: 96 Min. (Blu-ray), 93 Min. (Blu-ray, Kinofassung), 92 Min. (DVD), 88 Min. (DVD, gekürzt)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Italienisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: L’uccello dalle piume di cristallo
Internationaler Titel: The Bird with the Crystal Plumage
Alternativtitel: The Gallery Murders, Point of Terror, The Phantom of Terror, Bird with the Glass Feathers
IT/BRD 1970
Regie: Dario Argento
Drehbuch: Dario Argento, frei nach einem Roman von Fredric Brown
Besetzung: Tony Musante, Suzy Kendall, Enrico Maria Salerno, Eva Renzi, Umberto Raho, Renato Romano, Giuseppe Castellano, Mario Adorf, Pino Patti, Gildo Di Marco, Rosita Torosh, Omar Bonaro, Fulvio Mingozzi, Werner Peters, Karen Valenti
Zusatzmaterial 2021: deutscher, englischer und italienischer Trailer, 2 TV-Spots, Bildergalerie, deutscher Werberatschlag (PDF), deutsches Presseheft (PDF), 2 Poster, 4 Lobby-Cards, Booklet
Zusatzmaterial 2020: deutscher, englischer und italienischer Trailer, 2 TV-Spots, Bildergalerie, deutscher Werberatschlag (PDF), deutsches Presseheft (PDF), Booklet, Wendecover
Zusatzmaterial 2016/2015: Audiokommentar von Marcus Stiglegger, deutsche Kinofassung (93:25 Min.) Featurettes (jeweils Italienisch mit optionalen deutschen Untertiteln): „Schwarze Handschuhe“ (32:31 Min.), „Out of the Shadows“ – Interview mit Dario Argento (17:58 Min.), „Painting with Darkness“ – Interview mit Vittorio Storaro (10:03 Min.), „The Music of Murder“ – Interview mit Ennio Morricone (7:31 Min.), „Eva’s Talking“ – Interview mit Eva Renzi (11:19 Min.), deutsches Featurette „Abenteuer Filme machen“ – Interview mit Mario Adorf (29:44 Min.), deutscher, englischer und italienischer Trailer, 2 TV-Spots, Bildergalerie, 16-seitiges Booklet mit einem Text von Hans Langsteiner, nur Erstauflage Mediabook: Postkarte
Label/Vertrieb 2021: Deadline
Label 2020: Pidax Film
Vertrieb 2020: Al!ve AG
Label/Vertrieb 2016/2015: Koch Films
Label/Vertrieb 2002: Polyband

Copyright 2021 by Tonio Klein

Szenenfotos & Packshot Mediabook: © Koch Films, Packshot VHR-Retro-Edition: © Deadline

 

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