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Pig – Nicolas Cage und das Trüffelschwein

01 Nov

Pig

Von Volker Schönenberger

Thrillerdrama // Von seiner tief im Gehölz von Oregon gelegenen Hütte aus streift Rob (Nicolas Cage) mit seinem Schwein durch die Wälder, um Trüffel aufzuspüren. Robs Mittelsmann Amir (Alex Wolff), sein einziger menschlicher Kontakt, versorgt Luxusrestaurants in Portland mit diesen meist unterirdisch wachsenden edlen Pilzen, einer kostbaren Zutat für die Haute Cuisine.

Der Raub des Trüffelschweins

Der Eremit lässt das Trüffelschwein sogar im selben Raum übernachten. Er kann jedoch nicht verhindern, dass er eines Nachts überfallen und ihm das Schwein geraubt wird. Nun streift Rob sein Dasein als Einsiedler ab und macht sich auf die Suche nach seinem Nutztier, das offenbar auch sein einziger Freund ist. Notgedrungen begleitet ihn Amir dabei, wie Rob kopfüber in die Nacht von Portland taucht.

Ein Herz und eine Seele

Immer schön, wenn Erwartungen unterlaufen werden, wobei ich bei „Pig“ gar nicht recht weiß, was ich erwartet habe. Auf jeden Fall allerdings einen Nicolas Cage, der sich in mindestens einer Szene mal wieder zu hemmungslosem Overacting oder gar „Mega Acting“ hinreißen lässt. Aber Fehlanzeige! Seinen nicht wie zuletzt bei „Willy’s Wonderland“ wortlosen, dafür aber wortkargen Eigenbrötler Rob verkörpert er homogen und stringent, ganz ohne bizarre Ausfälle. Dass Cage schauspielern kann, weiß man nicht erst seit seinen großen Rollen wie etwa in Mike Figgis’ „Leaving Las Vegas – Liebe bis in den Tod“ (1995, Oscar!) und Martin Scorseses „Bringing out the Dead – Nächte der Erinnerung“ (1999). Nach meinem persönlichen Cage-Favoriten „Lord of War – Händler des Todes“ (2005) von Andrew Niccol konnte man das angesichts von Cages zum Teil unterirdischer Rollenwahl gepaart mit lustlosem Schauspiel fast vergessen. Beides – Rollenwahl wie Schauspielkunst – hat sich seit einiger Zeit wieder deutlich gebessert. In „Pig“ geht er im Vergleich zu vielen früheren Rollen überaus zurückhaltend zur Sache, was seinem Rob trotz Zottelbart und -frisur gepaart mit durchweg zerschlagenem und blutigem Gesicht Würde verleiht. Präsenz nennt man das, was Cage hier zeigt. Bravourös.

Keine Ein-Mann-Show von Nicolas Cage

Erwartet hatte ich angesichts des auf einen Bierdeckel passenden Grundplots „Eigenbrötler sucht sein geraubtes Trüffelschwein“ vielleicht auch eine Ein-Mann-Show. Doch obwohl sich „Pig“ anfangs in diese Richtung zu entwickeln scheint, ist es alles andere als das, weil nach einiger Zeit auch die Figur seines Helfers Amir immer mehr Gewicht erhält. Dessen Darsteller Alex Wolff („Hereditary – Das Vermächtnis“, 2018) gibt Amir Profil, wonach es zu Beginn überhaupt nicht aussieht. Nach und nach erfahren wir einiges sowohl über Amirs als auch Robs Vergangenheit, über das das Publikum zuvor nicht allzu viel wissen sollte. Was man sich denken kann: Rob war nicht immer Eremit, und dass er sich zum Leben eines solchen entschloss, hängt mit einem Verlust zusammen – ein starkes Motiv in „Pig“, nicht nur bei der Hauptfigur.

Im Fight Club

Eine „Fight Club“-Sequenz in der Frühphase lässt obendrein einen gewalthaltigen Film erwarten, zumal Cage so etwas ja durchaus schon abgeliefert hat, aber „Pig“ ist alles andere als das; vielmehr eine frei von jeglichem Zynismus inszenierte Reise ins Innere der Figuren, sei es Rob, sei es Amir oder sei es Amirs Vater Darius (Adam Arkin), der beizeiten ins Spiel kommt. Diese Reise erfolgt mit viel Gefühl. Bisweilen bricht sich plötzlich eine Warmherzigkeit Bahn, die man nicht kommen sah, etwa wenn es um das Hervorholen verschütteter Träume geht. Erneut spielt das Thema Verlust eine Rolle. Besonders berührt hat mich in der Hinsicht eine Szene, in der Rob und Amir im Restaurant des Chefkochs Finway (David Knell) sitzen und in der ein Eklat in der Luft liegt, bevor unvermittelt ein Irish Pub Thema wird.

Von Oldenburg zum Fantasy Filmfest

Der geschätzte Blogger-Kollege Marco Koch vom Filmforum Bremen hat in seiner Rezension nach dem Besuch der „Pig“-Vorstellung beim 28. Internationalen Filmfest Oldenburg an „Pig“ einzig kritisiert, „dass Cage vom Anfang bis zum Ende mit blutverschmiertem Gesicht und Bart herumläuft, obwohl sich die Geschichte über mehrere Tage zieht und er mehr als einmal die Gelegenheit hätte, sich endlich mal das Gesicht zu waschen.“ Legitim, dies zu missbilligen, ich habe mich daran allerdings nicht gestört; es machte die Geschichte bis zu ihrem Ende sogar rund. Apropos Oldenburg – dort feierte „Pig“ im September 2021 auch seine Deutschlandpremiere, bevor er einen Monat später beim Fantasy Filmfest haltmachte, um einen weiteren Monat später ganz ohne flächendeckende Kinoauswertung auf Blu-ray und DVD veröffentlicht zu werden.

Langfilm-Regiedebüt in 20 Tagen gedreht

Regisseur Michael Sarnoski war mir zuvor überhaupt kein Begriff, was daran liegen wird, dass er mit zuvor drei Kurzfilmen und ein paar Serienepisoden ein recht unbeschriebenes Blatt war. Dem Vernehmen nach drehte er „Pig“ an Originalschauplätzen innerhalb von 20 Tagen mit geringem Budget, was die Möglichkeit arg einschränkte, Aufnahmen zu wiederholen. Angeblich war das Thrillerdrama ursprünglich fast eine Stunde länger, musste aber auf Geheiß der Verleiher zusammengeschnitten werden. Das wirft die Frage auf, was da denn wohl alles fehlen mag. Offenbar hat Sarnoski aus der Not des Kürzens eine Tugend gemacht, denn „Pig“ wirkt rund. Dass weniger oft mehr und es gelegentlich angebracht ist, vermeintlich wichtige Sequenzen zu entfernen, gehört zum Lehrgeld junger Filmemacher. Vielleicht erfahren wir dereinst in einem Director’s Cut noch mehr über Robs und Amirs Vergangenheit, am Ende gar in Rückblenden?! Bitte nicht!

Ein Film aus dem Nichts

Angesichts des mannigfachen Lobs bei Kritik und Publikum kann man mittlerweile schon gar nicht mehr von Überraschung sprechen, aber letztlich ist „Pig“ genau das: eine faustdicke Überraschung. Die Durchschnittswertung von 6,9 von 10 möglichen bei den angemeldeten Usern der IMDb klingt dabei deutlich unspektakulärer als die satten 97 Prozent der Kritikerskala „Tomatometer“ und 84 Prozent beim „Audience Score“ unter Rotten Tomatoes (Stand jeweils Oktober 2021). Vielleicht hatte ich auch etwas Überbordendes, Brachiales erwartet, bekommen habe ich etwas Stilles, das Wärme ausstrahlt und aus Hoffnungslosigkeit Hoffnung macht. Gut so. Ein in seiner aus dem Nichts kommenden Wahrhaftigkeit bemerkenswerter Film.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Nicolas Cage und Alex Wolff haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Rob serviert stilvoll

Veröffentlichung: 19. November 2021 als Blu-ray und DVD

Länge: 92 Min. (Blu-ray), 88 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Originaltitel: Pig
GB/USA 2021
Regie: Michael Sarnoski
Drehbuch: Michael Sarnoski
Besetzung: Nicolas Cage, Alex Wolff, Adam Arkin, Julia Bray, Beth Harper, Elijah Ungvary, Cassandra Violet, Brian Sutherland, David Shaughnessy, Gretchen Corbett, Sean Tarjyoto, Kevin Michael Moore, Tom Walton, Davis King, Nina Belforte, David Knell, October Moore, Dalene Young, Dana Millican
Zusatzmaterial: keine Angabe
Label/Vertrieb: Leonine

Copyright 2021 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & Packshot: © 2021 Leonine

 

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