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Das tödliche Wespennest – Dreist-brillanter „Assault“-Klon

14 Nov

Nid de guêpes

Von Volker Schönenberger

Actionthriller // Es ist der 14. Juli, Frankreichs Nationalfeiertag. Ausgerechnet heute müssen die Spezialagentin Helene Laborie (Nadia Farès, „Die purpurnen Flüsse“) und ihr Kollege Giovanni (Valerio Mastandrea) unterstützt vom deutschen SEK-Beamten Winfried (Richard Sammel, „Inglourious Basterds“) den albanischen Gangsterboss Abedin Nexhep (Angelo Infanti) in einem Panzerfahrzeug von Colmar nach Straßburg bringen. Dem Schwerverbrecher soll dort wegen Mädchenhandels, Folter und Vergewaltigung der Prozess gemacht werden.

Doch Nexheps Männer lauern dem Konvoy auf und schalten die Eskorte aus. Mit Müh und Not kann sich der Panzerwagen in eine Lagerhalle retten. Die wurde aufgrund der darin lagernden Computertechnik zufällig gerade von den Kleinkriminellen Nasser (Samy Naceri, „Taxi“-Reihe), Santino (Benoît Magimel, „Hass“), Selim (Sami Bouajila), Nadia (Anisia Uzeyman) und Martial (Martial Odone) überfallen. Die Albaner stehen auch schon vor den Toren. Für die drei Parteien beginnt eine so lange wie bleihaltige Nacht, die etliche der Beteiligten nicht überleben werden.

Vom Rio Bravo über den Anschlag bei Nacht ins Wespennest

Regisseur und Ko-Drehbuchautor Florent-Emilio Siri („Hostage – Entführt“) hat „Assault – Anschlag bei Nacht“ (1976) offenbar mit der Muttermilch aufgesogen. Böswillig kann man „Das tödliche Wespennest“ als dreistes Plagiat von John Carpenters Belagerungsklassiker bezeichnen, ich finde es aber schöner, den französischen Actionthriller von 2002 als brillante Hommage an „Assault“ zu sehen, wobei der Film selbst ja schon eine Hommage ist – an Howard Hawks’ Western „Rio Bravo“ (1959). „Das tödliche Wespennest“ strotzt jedenfalls vor Zitaten an das Vorbild. Das beginnt bei bedrohlichen Schattengestalten, die sich draußen ums Lagerhaus formieren, und endet nicht damit, dass die Belagerer ihre Toten unbemerkt entfernen. Die Belagerer bleiben namen-, wort- und weitgehend gesichtslos. Sogar einen Fluchtversuch eines Einzelnen durch den Untergrund wie bei Carpenter hat Siri eingebaut.

Bleihaltig, blutig – und tödlich

Wenn man sich von den Besten inspirieren lässt, kommt eben bisweilen auch selbst etwas Gutes bei heraus. Das gilt jedenfalls für „Das tödliche Wespennest“, dessen Story auf den berühmten Bierdeckel passt, aber das sind ja unter Umständen beste Voraussetzungen für einen knackigen Actioner. Für seine Exposition nimmt sich der Film Zeit. In ruhigen Bildern steuert die Handlung aus zwei verschiedenen Richtungen auf die Lagerhalle zu – auch dies eine Parallele zu Carpenters Film, in welchem verschiedene Handlungsstränge in der Belagerung der Polizeistation kulminieren. Sowohl der Überfall der Albaner auf den Gefangenentransport als auch die Überwältigung der Lagerhaus-Nachtwächter Louis (Pascal Greggory, „La Vie En Rose“) und Spitz (Martin Amic) durch die Bande um Nasser und Santino bringen erste Actionspitzen, die aber von dem folgenden Geschehen im Lagerhaus locker in den Schatten gestellt werden. Fortan geht es bleihaltig, blutig und absolut tödlich zu. Die Figurenzeichnung bleibt dabei etwas auf der Strecke, das lässt sich aber locker verschmerzen.

Vom Fantasy Filmfest zur DVD

Nach Deutschland gelangte „Das tödliche Wespennest“ erst anderthalb Jahre nach dem französischen Kinostart: Im August 2003 lief der Actionthriller beim Fantasy Filmfest, um ohne reguläre Kinoauswertung zwei Monate später als Verleih-DVD und im folgenden Januar als Verkaufs-DVD veröffentlicht zu werden. Sogar eine VHS-Kassette wurde damals noch veröffentlicht, obwohl das Format bereits im Niedergang begriffen war. Die DVD ist im Handel vergriffen, aber problemlos gebraucht für einen einstelligen Betrag zu finden. Die fesselnde Schießerei-Action hat auch eine Neuauflage in Blu-ray-Form verdient, geplant ist derzeit meines Wissens aber keine.

Auch der „Tatort“ kann das

Abschließend sei auf eine hiesige Hommage an „Assault – Anschlag bei Nacht“ verwiesen, die 2019 in der Deutschen liebster Krimireihe entstand: Im hessischen „Tatort: Angriff auf Wache 08“ (2019) findet sich der von Ulrich Tukur verkörperte Hauptkommissar Murot mit einigen anderen Personen in einer zum Polizeimuseum umfunktionierten Revierwache am Rande Offenbachs in einer enorm an Carpenters Klassiker angelehnten Belagerungssituation wieder.

Veröffentlichung: 12. Januar 2004 als DVD

Länge: 103 Min.
Altersfreigabe: FSK 18
Sprachfassungen:
Untertitel:
Originaltitel: Nid de guêpes
Internationaler Titel: The Nest
F 2002
Regie: Florent-Emilio Siri
Drehbuch: Florent-Emilio Siri, Jean-François Tarnowski
Besetzung: Samy Naceri, Benoît Magimel, Nadia Farès, Pascal Greggory, Sami Bouajila, Anisia Uzeyman, Richard Sammel, Valerio Mastandrea, Martial Odone, Martin Amic, Alexandre Hamidi, Angelo Infanti
Zusatzmaterial: Making-of (82 Min.), deutscher Kinotrailer, Texttafeln und Filmografien von Samy Naceri, Nadia Farès, Benoît Magimel und Florent-Emilio Siri, Trailershow
Label/Vertrieb: Universum Film (heute: Leonine)

Copyright 2021 by Volker Schönenberger
Unterer Packshot: © 2004 Universum Film (Leonine)

 
 

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2 Antworten zu “Das tödliche Wespennest – Dreist-brillanter „Assault“-Klon

  1. Christoph Wolf

    2021/11/16 at 23:33

    Die Rezension macht wirklich Lust auf den Film. Toll auch die Erwähnung des Tatorts, der war richtig gut. Thematisch verwand und eenfalls von Carpenters Film beeinflusst, aber in meinen Augen nur Mittelmaß ist Last Shift (Anthony DiBlasi, 2014), ein US-amerikanischer Horrorfilm, in dem eine junge Polizistin die letzte Schicht in einer Polizeiwache verbringen muss, die geschlossen werden soll. Die Angreifer in diesem Film sind freilich übernatürlich und bereits in der Wache.

     
  2. Rainer Pampuch

    2021/11/14 at 12:48

    Ein sehr ausführliches Review zu diesem coolen Streifen, welcher unbedingt eine zeitgemäße Veröffentlichung spendiert bekommen sollte.

    Ebenso sehenswert ist der ebenfalls in Frankreich entstandene „Crossfire“, bzw. „Les Insoumis“ mit u.a. Richard Berry und Zabou Breitman von 2008, welcher hier 2010 über Koch auf DVD & BD erschienen ist.

     

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