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Clint Eastwood (XXXII): Hexen von heute – Für ein paar Lire mehr

21 Jul

Le streghe

Von Tonio Klein

Komödie // Die Italiener zwischen Kunst- und Genrefilm sind schon gelegentlich schräg drauf. Nach Sergio Leones „Für ein paar Dollar mehr“ (1965) war dort der Clint-Eastwood-Hype auf dem Höhepunkt, während in den USA sein Name noch Nobody war. Und so kam es zur kurios erscheinenden Mitwirkung des Euro-Stars in einem Kurzfilm Vittorio De Sicas, dem mit „Fahrraddiebe“ (1948) ein Meilenstein des Neorealismus gelungen war. Mittlerweile wandelte er auf eher komödiantischen Filmwegen, zu denen auch „Eine Nacht wie jede andere“ zählt, De Sicas Beitrag zur vorliegenden Anthologie „Hexen von heute“ (1967). Vorab: Eastwood hat in dem Segment die zweite Hauptrolle, es ist also kein Etikettenschwindel, wenn Pidax nun ein wenig den berühmten Namen in Schrift und Bild herausstellt. Da ist das Label ehrlich: Erst kommt Silvana Mangano, dann lange nichts, aber dann sind da durchaus Eastwood und ein paar andere Mimen, die jeweils nur in einer Episode an der Seite der Mangano tragende Rollen haben.

Hommage an die Produzentengattin

Produzent Dino De Laurentiis wollte ganz offensichtlich seiner Ehefrau Silvana Mangano huldigen. „Liebeserklärung an einen Star“, so zitiert Pidax cinema.de. Es wirkt indes gerade in einem Episodenfilm ein wenig aufdringlich, wenn die Mangano über allem und allen steht und in allen fünf Segmenten die Hauptrolle hat. Schon im Cartoon-Vorspann ist sie das erste reale Foto in einer gezeichneten Collage, hinreißend schön und ziemlich mondän, und sie löst unter anderem ein Verkehrschaos aus.

Man weiß nicht so recht, was „Hexen von heute“ zusammenhalten soll. Das Thema „Hexen“ ist zwar immer mehr oder minder vorhanden, aber nun wirklich, betrachtet man alle Episoden, etwas bemüht und weit hergeholt. Ob es gewisse Vorgaben an die fünf teils sehr namhaften Regisseure gab, ist mir nicht bekannt. Der Film sieht jedenfalls so aus, als sei die einzige Vorgabe des Produzenten gewesen, die Gattin glänzen zu lassen. Liebe ist ja was Schönes, aber der Gesamtfilm wirkt zerfahren und kurios, kein Vergleich etwa zu „Die sieben Todsünden“. Das macht ihn natürlich auch wieder interessant. Letztlich aber ein inspiriertes und inspirierendes Rätsel, in dem selbst so scheinbar banale Dinge wie die extrem unterschiedliche Länge der Einzelteile zu einer gewaltigen Unwucht führen. Drei etwa dreißigminütige Kurzfilme und zwei kurze Sketche passen nicht so gut zusammen.

Hexen verbrennt man lebendig

Die erste Episode (35 Min.) stammt von niemand Geringerem als Luchino Visconti und ist eine interessante, aber – was isoliert gesehen keine Kritik ist – die bitterste der Folgen. Bereits in seinem Frühwerk „Bellissima“ (1951) hatte sich Visconti kritisch den predatorischen Klauen des Filmbusiness gewidmet, und nun sehen wir die immens berühmte Hollywoodschauspielerin Gloria (Mangano) inmitten einer reichlich blasierten Clique in einem schmucken Chalet in Kitzbühel. Dort wollte Gloria eigentlich dem Glamour entfliehen, aber dies geht gewaltig schief. Mit Annie Girardot in der zweiten Hauptrolle und erstmals Viscontis Lebensgefährten Helmut Berger (in einer kleineren Rolle als Hausangestellter) offenbaren sich lauter gebrochene Seelen hinter der Fassade der offenen Eitelkeiten und manchmal offenen Gemeinheiten. Menschen, die zu aufrichtigen Gefühlen oder gar Beziehungen längst nicht mehr fähig sind und darüber umso mehr erschrecken, als sie die Erinnerung daran noch nicht ganz verloren und die Hoffnung darauf noch nicht aufgegeben haben. Die Hexe nicht als Zauberin, sondern als Opfer, wie bereits der Titel sagt. Gloria, wörtlich „Ruhm“, als Mondäne, die sogar zu einer auch im Gesamtvorspann präsenten Ennio-Morricone-Easy-Listening-Nummer im Goldpaillettenkleid einen sexy „Hexentanz“ hinlegt.

Der Ruhm ist nur Hülle

Aber das Kleid wie die übrige Aufmachung sind in jeglicher Hinsicht viel zu eng; die Haare sind wegen einer exorbitanten Kopfbedeckung, die auch kein Schutzpanzer mehr sein kann, an den Kopf geklebt wie bei einer Perücke tragenden Schauspielerin. Was für eine Symbolik, wenn Gloria nach mehrfachen Schwächeanfällen ihre ganze Fassade abgenommen bekommt. Kleidung, Wimpern, alles falsch, Stück für Stück wird freigelegt, was ein Wrack ist. Nicht nur muss sie in ihr Hamsterrad zurück, auch muss sie erkennen, dass sie nie draußen war. Eine so boshafte wie traurige, hochemotionale Episode. Der flirrende, extravagante und sehr bunte Sixties-Look ist opulent, aber auch Anklage an Gemeinheiten unter der schönen Oberfläche, und, wie man noch in Zeiten weit nach der Epoche der Hexenverbrennungen sagt: Da wird jemand aber so richtig gegrillt.

Praktische Hilfsbereitschaft

Hierbei handelt es sich um einen vom ersten Segment völlig unterschiedlichen kurzen Sketch (6 Min.), in dem die Mangano Täterin statt Opfer ist, der Witz durchaus witzig ist – und immerhin haben die beiden Teile das Makabre gemeinsam. Die Situation ist schnell erklärt: Die hier namenlose Mangano gibt vor, einen bei einem Unfall verwundeten Lieferwagenfahrer (Alberto Sordi) ins Krankenhaus zu bringen, um dem römischen Verkehrschaos ein Schnippchen zu schlagen. Das ist – gerade im Schlussbild – gemein und irgendwo auch wieder eine Kritik am selbsternannten Jet-Set, weil die extravagante Hedonistin und der bodenständige Mann einen pointierten Kontrast bilden. Die von Mauro Bolognini inszenierte Episode liefert ihren Gag ab und ist dann auch schon zu schnell vorbei, um Tiefenwirkung zu entfalten. Ganz nett.

Die Erde, vom Mond aus betrachtet

Es folgen dreißig Minuten und wieder ein Regie-Schwergewicht, gelegentlich auch Enfant terrible: Pier Paolo Pasolini, siehe „Die 120 Tage von Sodom“. In „Die Erde vom Mond aus betrachtet“ erweist es sich als Nachteil, dass Pidax weder die deutschen Zwischentitel (an die ich mich noch aufgrund einer Fernsehausstrahlung erinnern kann) verwendet noch die italienischen untertitelt hat. Ein bisschen Wühlarbeit und eine englisch untertitelte Version im Netz ließen die Erinnerung zurückkommen: Der Titel sei, da man sich ja nicht auf dem Mond, sondern auf der Erde befinde, Blödsinn, und es handele sich um eine von Pasolini geschriebene und inszenierte Fabel. Am Ende steht auch eine Moral: Tot oder lebendig zu sein, sei dasselbe. Die Filmkomikerlegende Totò als Ciancicato Miao und sein erwachsener Sohn Baciu (Ninetto Davoli) entführen uns in eine Kunstwelt, die – obschon es darum nicht geht – an die Welt der Clowns und Gaukler erinnert. Ein volkstümliches Mandolinenstück als Leitmotiv, feuerrote Haare des Sohnes und Kunstglatze mit seitlichen Locken beim Vater könnten auch einer Zirkusdarbietung entspringen. Und nicht erst seit Charlie Chaplin (dem mit einem Bild gehuldigt wird) und Johannes Mario Simmel kamen mit den Clowns auch die Tränen. Ciancicato hat bei einem tragischen Unfall (welchen das Grabsteinmotiv aber karikiert) seine geliebte Frau verloren, eine neue muss her. Natürlich wird dies Signorina Mangano, hier als gehörlose Assurdina. Eine ganz andere Welt als in den vorherigen Teilen, fast eine Märchenwelt, wobei uns Pasolini damit mutmaßlich aber auch etwas über die reale Welt sagen will, statt hinterm Mond zu sein. Er war stets politisch engagiert, zeitweilig Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens, und er setzte sich auch in seinem (nicht nur filmischen) Schaffen sozialkritisch mit der italienischen Klassengesellschaft und dem Faschismus auseinander. So kommt die Inhaltsangabe des „Filmdienstes“ der Entschlüsselung vielleicht am Nächsten, wo es heißt, Assurdina erweise sich als „unsterblicher Engel der Entrechteten“.

Den Männerfang wird’s erst wieder in Episode 5 geben

Mondän ist sie nicht, auch nicht äußerlich, eher von einer schlichten, aber bezaubernd weltentrückten Reinheit. Damit ein Kontrast zu Vater, Sohn und ihrem Umfeld, die nicht nur überzeichnet aussehen und spielen, sondern offenkundig auch Underdogs, Außenseiter, Randexistenzen in einer ärmlichen Baracke auf einem so gesichts- wie stadtlosen Felde sind. Dass der „Engel“ als erste Amtshandlung die Siffbude der Männer-WG quietschbunt auf Vordermann poliert, ist dann zwar ein Hausfrauenklischee, aber so schlimm ist das nicht. Es gibt noch viel zu bestaunen in diesem so skurrilen wie mutmaßlich auch sozialkritischen Märchen, in dem die Hexe die gute Fee ist.

Die Sizilianerin

Mit viereinhalb Minuten am kürzesten. Silvana Mangano hext in der Titelrolle eher ungewollt einen lokalen Kataklysmus herbei. Die Grundidee ist ganz charmant in der Art, wie sie Klischees überspitzt: Weil Nunzia (Mangano) ihrem Vater (Pietro Tordi) berichtet, was ihr ein Mann angetan habe, sprechen irgendwann die Patronen mit Chaos und Sound Design so übertrieben wie im Italowestern. Schade ist, dass der Film, der Form nach ein Sketch, ohne Schlussgag irgendwann einfach zu Ende ist. Gelungen ist aber die konsequente Übertreibung – permanente Betonung von Tagen diverser Heiliger und faktisch ein Nichts an Vorwürfen à la „Asterix auf Korsika“: Oh mein Gott, Obelix hat die Schwester eines befreundeten Korsen angesprochen und noch dazu gelächelt. Achtung! Wunderschön auch die Dialektik, in der sich die stolze, furiose Tochter erst dem stolzen, furiosen Vater widersetzt und sich weigert, vom Geschehenen zu berichten, was den Vater noch stolzer macht und die Tochter ob der Bewunderung dieses Stolzes dann doch zum Berichten animiert. Die ganz kurzen Teile sind zwar insgesamt schwächer, weil sie weniger in die Tiefe gehen können, aber das von Franco Rossi inszenierte Segment ist nicht ohne Qualität und (Aber-)Witz.

Eine Nacht wie jede andere

Lange mussten wir auf Clint Eastwood warten, und der Lohn ist nicht gering, in Vittorio De Sicas „Eine Nacht wie jede andere“ (der deutsche Titel ist eine Fehlübersetzung des italienischen „sera“, also „Abend“ – vielleicht, weil das englische „night“ gleichzeitig „Abend“ bedeutet). In etwa 25 ½ Minuten lässt sich durchaus eine Geschichte erzählen, und in dieser möchte die Mangano als Giovanna gern die Männer verhexen – vor allem den ihren. Der aus den USA stammende Carlo ist ein echter Biedermann und Langweiler, den Eastwood erstaunlich wandlungsfähig mit Anzug, Seitenscheitel und phasenweise Brille verkörpert.

Eastwood, wie ihn keiner kennt

Bei beiden hat sich eine mit den Jahren immer stärkere routinierte Müdigkeit in die Ehe geschlichen, und die komische Reibung resultiert daraus, dass dies lediglich die Frau stört. Du liebe Zeit, wie extrem ist Eastwood als Spießer! Offenbar fordert ihn sein Bürojob so sehr, dass er lieber darüber schwadroniert, die Menschen schliefen nicht genug, statt mit seiner Frau (und Mangano ist auch mit Brille und Staubsauger noch Mangano!) auszugehen oder das gemeinsame Bett für etwas anderes als den Schlaf im wörtlichen Sinne zu nutzen. Einschlafen und schnarchen tut er dann auch ständig und gelegentlich in absolut unpassenden Situationen; vom verzweifelten Schrei der Gattin nach Liebe und Begehrtwerden bekommt er nichts mit. Das Ende ist seltsam offen und steht für Stillstand statt Bewegung, aber vorher konnten wir noch Giovannas Erinnerungen und Fantasien zusehen, und diese sind nun wirklich herrlich satirisch und mit amüsanten Verfremdungseffekten garniert.

Vor allem aber bekommt der Eastwood-Fan jetzt genau das geboten, weswegen der Mime vermutlich engagiert worden war. Die Überraschung ob des Bieder-Clint wäre nicht mal die halbe Miete, wäre dies nicht in Kontrast zu Eastwood, wie man ihn kannte, gesetzt worden. Beispielsweise vergegenwärtigt sich Giovanna die Vergangenheit, bebildert in leicht unscharfem Weiß und mit schroffem Lippenrot-Kontrast statt der gedeckten Farbtöne der realen Ebene. Wenn Carlo sie in der noch jungen Ehe im offenbar nur aus dem übergroßen Bett bestehenden Zimmer bespringt, wechselt Eastwood auf Eastwood und lässt seine, ähem, athletischen Leistungen und Macho-Sprüche spielen, wie der Fan das kennt. Und wie er es mag – sieht man doch immer die augenzwinkernde Lust an der persiflierenden Übertreibung, mit der der Personenkult gleichsam bedient und ironisiert wird. Wenn sich Giovanna am Schluss vorstellt, ihr liefen alle Männer nach, bis sie ein ganzes gefülltes Stadion in den Wahnsinn strippt, bleibt Carlo nur noch, als schwarzgekleideter Westerner per Sergio-Leone-Schnellfeuer die aufdringlichsten Verehrer abzuknallen.

Ich will nen Cowboy als Mann!

Und auch die Mangano darf in einem weiteren Fantasiebild die Wumme sprechen lassen. Die Bezüge zu Eastwoods damaligem Image sind also überdeutlich, aber das alles steht in einer äußerst fantasievollen und spaßigen Episode im Kontrast zu einer sagenhaft langweiligen Eheroutine, die den Macho-Spruch „Die würd’ ich auch nicht von der Bettkante stoßen“ ad absurdum führt.

Das Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile

Fazit: Kein Segment ist wirklich schlecht, Visconti ist am ernsthaftesten, Pasolini am Rätselhaftesten, De Sica am Fantasievollsten und Ironischsten. Leider wirkt alles arg zusammengewürfelt und können die kurzen Sketche sich weder einfügen noch mithalten. Insgesamt ein seltsamer Film, aber mit Qualitäten, teils Witz und oft opulentem Sixties-Flair in Farben, Kostümen und Musik. In Bild und Ton gut, aber leider ohne Untertitel und nennenswerte Extras präsentiert. Das beim Label übliche „Booklet mit vielen Bildern und Infos“ ist ein Nachdruck der „Illustrierten Film-Bühne“. Und nie war so ärgerlich wie hier, dass dieses Filmprogramm vom Originalformat (ca. DIN A4) auf Bookletformat zurechtgeschrumpft wurde, diesmal zudem mit abgeschnittenen Rändern. Diese Programme enthalten stets eine Komplett-Inhaltsangabe mit Spoilern und recht ansprechendes Bildmaterial. Dies alles auf gerade einmal vier Seiten ist vor allem wegen der Notwendigkeit, gleich fünf Filme zu beschreiben, nun nur mit Lupe zu genießen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von oder mit Clint Eastwood haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.

Veröffentlichung: 22. Juli 2022 als DVD

Länge: 107 Min.
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Italienisch
Originaltitel: Le streghe
IT/F 1967
Regie: Luchino Visconti, Mauro Bolognini, Pier Paolo Pasolini, Franco Rossi, Vittorio De Sica
Drehbuch: Giuseppe Patroni Griffi, Age – Scarpelli, Bernardino Zapponi, Pier Paolo Pasolini, Cesare Zavattini
Besetzung: Silvana Mangano, Totò, Clint Eastwood, Annie Girardot, Alberto Sordi, Pietro Tordi, Helmut Berger
Zusatzmaterial: Trailershow, Bildergalerie, Werbematerial (PDF), Nachdruck der Illustrierten Film-Bühne, Wendecover
Label: Pidax Film
Vertrieb: Al!ve AG

Copyright 2022 by Tonio Klein

Szenenfotos & unterer Packshot: © 2022 Pidax Film

 

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