RSS

Horror für Halloween (XXIII): Die Mühle der versteinerten Frauen – Das Grauen im Marschland

21 Okt

Il mulino delle donne di pietra

Von Volker Schönenberger

Horror // Der deutsche Architekturstudent Hans von Harnim (Pierre Brice) reist zu einer Mühle in der Nähe von Amsterdam, um das „Carillon der versteinerten Frauen“ zu studieren. Diese Konstruktion auf einem Mühlrad lässt düstere historische Frauenskulpturen am Betrachter vorbeiziehen. Erbaut wurde sie knapp hundert Jahre zuvor vom Großvater von Gregorius Wahl (Herbert A. E. Böhme), einem Kunstprofessor und Bildhauer, der die Mühle nun bewohnt und das der Öffentlichkeit zugängliche Carillon hegt.

Hans von Harnim trifft in der Mühle ein

Vor Ort lernt Hans auch des Professors Tochter Elfie Wahl (Scilla Gabel) kennen. Er lässt sich von ihrer Anmut verzaubern, des Nachts tauschen die beiden Küsse aus. Dies bereut er tags darauf, zumal ihn seine Verlobte Liselotte Kornheim (Dany Carrel) und sein Studienfreund Ralf (Marco Guglielmi) besuchen. Doch Elfie leidet nicht nur an einer mysteriösen Blutkrankheit, sie ist obendrein emotional instabil und will nicht von Hans lassen. Ein weiteres Treffen zwischen den beiden endet tragisch. Nach und nach kommt Hans hinter ein entsetzliches Geheimnis, das die Mühle hütet.

Verführerisch: Elfie Wahl

Schön schaurig geht es in der holländischen Mühle zu, in der sich mit ein paar Ausnahmen das gesamte Geschehen von „Die Mühle der versteinerten Frauen“ abspielt. Bedächtig schreitet die Handlung voran, verwirrt tigert Hans von Harnim durch die feinen Kulissen, von den Setdesignern der Produktion mit Liebe zum Detail entworfen und aufgebaut. Die Innenaufnahmen entstanden in den berühmten Cinecittà-Studios in Rom. Sie werden ergänzt von ein paar feinen Einstellungen des niederländischen Marschlands (vielleicht auch des belgischen, laut IMDb ebenfalls Drehort).

Einziger Horrorfilm von Giorgio Ferroni

Der Sandalenfilmspezialist Giorgio Ferroni auf dem Regiestuhl schuf mit seinem einzigen Horrorfilm ein visuelles Kleinod des Gothic-Horrors. Dem Vernehmen nach handelt es sich dabei um den ersten in Farbe gedrehten italienischen Horrorfilm. Im selben Jahr in die Kinos gekommen wie Mario Bavas Regiedebüt „Die Stunde wenn Dracula kommt“ (1960), überflügelte „Die Mühle der versteinerten Frauen“ dieses sogar an den italienischen Kinokassen. Bavas Meisterwerk bewies allerdings längeren Atem, hat heute zu Recht Klassikerstatus, wohingegen viele Horrorfans Ferronis Arbeit nicht mehr auf dem Zettel haben. Das allerdings hat sie nicht verdient, auch wenn sich allein schon anhand des Filmtitels schnell erahnen lässt, was es mit dem grausigen Geheimnis der Mühle auf sich hat. Des Rätsels Lösung wird am Ende denkbar kurz, fast schon nebensächlich enthüllt. Ausnahmsweise bildet der stimmungsvolle deutsche Titel sogar schlicht die wörtliche Übersetzung des Originaltitels – das kennt man aus Horrorfilmen der 60er und 70er auch anders.

Hans will einen Schlussstrich ziehen

Zwei Jahre vor „Der Schatz im Silbersee“ (1962) hat Pierre Brice noch kurze Haare und erweist sich nicht unbedingt als Ausbund an Ausdruckskraft. Für den gediegen durchs Bild wandernden und im Wilden Westen Frieden stiftenden Apachenhäuptling Winnetou mag das ausreichen, als junger Mann, der Grauenhaftes erlebt, überzeugt das nicht. Obendrein steht er zuvor sogar zwischen zwei Frauen, gerät ob der Anmut von Elfie in Versuchung, gar ins Schwanken, und verfällt bei seiner nächsten Begegnung mit seiner Verlobten Liselotte der Idee, sie um Verzeihung zu bitten, ohne ihr zu beichten, für welche Verfehlung. Eine zentrale Rolle spielt auch die verhängnisvolle Vater-Tochter-Beziehung zwischen Gregorius Wahl und Elfie. Sie weist erstaunliche Parallelen zum französischen „Augen ohne Gesicht“ (1960) von Georges Franju auf. Da beide Werke völlig unabhängig voneinander einigermaßen gleichzeitig entstanden, handelt es sich wohl um einen Zufall.

Professor Gregorius Wahl widmet sich den Skulpturen des Carillons mit Hingabe

Als sinistrer Arzt Loren Bohlem ist Wolfgang Preiss zu sehen. Der 1910 in Nürnberg Geborene begann seine Schauspielkarriere während des Zweiten Weltkriegs und wurde nach Anfängen im deutschen Kino später auch international gebucht. Oft verkörperte er Wehrmachtsoffiziere, im deutschen Film beispielsweise in „Ein Leben für Deutschland – Admiral Canaris“ (1954), „Der 20. Juli“ (1955 – Preiss ist als Hitler-Attentäter Stauffenberg zu sehen), „Haie und kleine Fische“ (1957) und „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ (1959), international in „Der längste Tag“ (1962), „The Train – Der Zug“ (1964), „Von Ryans Express“ (1965), „Schlacht um Anzio“ (1968), „Im Morgengrauen brach die Hölle los“ (1971) und „Die Brücke von Arnheim“ (1977). Unvergessen blieb er dem deutschen Kinopublikum als Dr. Mabuse – den Superverbrecher verkörperte er fünfmal: in „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ (1960), „Im Stahlnetz des Dr. Mabuse“ (1961), „Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse“ (1962), „Das Testament des Dr. Mabuse“ (1962) und schließlich in „Scotland Yard jagt Dr. Mabuse“ (1963). Wolfgang Preiss starb 2002 im gesegneten Alter von 92 Jahren.

Von wegen flämisches Märchen

Der Vorspann von „Die Mühle der versteinerten Frauen“ behauptet, der Film sei nach einer Kurzgeschichte von Pieter van Weigen entstanden, die im Buch „Racconti Fiamminghi“ (Flämische Märchen) erschienen sei. Dieser Vermerk hat es sogar in die Internet Movie Database und den deutschen Wikipedia-Eintrag zum Film geschafft, allerdings handelt es sich dabei womöglich um eine Fehlinformation. Laut englischem Wikipedia-Eintrag existieren weder der Autor Pieter van Weigen noch der erwähnte Geschichtenband. Auch eine Google-Suche bringt keinerlei Informationen über „Racconti Fiamminghi“ von Pieter van Weigen ans Tageslicht.

Noch ahnen Ralf (l.), Liselotte und Hans nichts Böses

Das feine Label Subkultur Entertainment hat „Die Mühle der versteinerten Frauen“ 2016 in zwei Auflagen als limitierte Blu-ray veröffentlicht, 2017 auch als limitierte Blu-ray in Hartbox. Der Film ist dabei jeweils in vier Schnittfassungen enthalten, die allesamt neu in 2K abgetastet worden sind. Die von Regisseur Giorgio Ferroni präferierte Fassung ist die italienische, welche somit als Director’s Cut durchgeht. „Die Mühle der versteinerten Frauen“ kann Freunden sowohl gepflegten Gothic-Horrors als auch des italienischen Horrorfilms bedenkenlos ans Herz gelegt werden.

Dr. Bohlem hat einiges …

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Pierre Brice und Wolfgang Preiss haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

… zu verbergen

Veröffentlichung: 29. September 2017 als Blu-ray in auf 50 Exemplare limitierter großer Hartbox, 31. August 2016 als auf 500 Exemplare limitierte Blu-ray, 30. Juni 2016 als auf 1.000 Exemplare limitierte Blu-ray, 7. Juli 2016 als DVD, 12. Dezember 2007 als auf 999 Exemplare limitierte DVD (auch in kleiner Hartbox mit zwei limitierten Covervarianten)

Länge: 95 Min. (Blu-ray, internationale Fassung), 90 Min. (Blu-ray, französische Fassung), 96 Min. (Blu-ray, italienische Fassung), 93 Min. (Blu-ray, deutsche Kinofassung von 1962), 92 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK nicht geprüft
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Il mulino delle donne di pietra
IT/F 1960
Regie: Giorgio Ferroni
Drehbuch: Remigio Del Grosso, Ugo Liberatore, Giorgio Stegani, Giorgio Ferroni
Besetzung: Pierre Brice, Scilla Gabel, Wolfgang Preiss, Dany Carrel, Liana Orfei, Marco Guglielmi, Herbert A. E. Böhme, Olga Solbelli, Alberto Archetti
Zusatzmaterial 2016: Audiokommentar von Christopher Huber und Olaf Möller zur internationalen Fassung, Archivinterview „Das Plauderstündchen des Dr. Mabuse“ mit Wolfgang Preiss (15:52 Min.), deutscher Kinotrailer (3:21 Min.), internationaler Trailer (2:10 Min.), Bildergalerie (96 Bilder), Wendecover mit Alternativmotiv, Blu-ray enthält vier Fassungen des Films
Zusatzmaterial 2007: Über „Die Mühle der versteinerten Frauen“, geschnittene Szene, alternative Szene, Bildergalerie, PC-Part
Label 2016: Subkultur Entertainment
Vertrieb 2016: Media Target Distribution GmbH
Label/Vertrieb 2007: MPW

Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Unterer Packshot: © 2016 Subkultur Entertainment, Szenenfotos: Fair Use

 

Schlagwörter: , , , , , , , ,

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..