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Durch die gelbe Hölle – Von Seemännern in der Wüste, Wüstennomaden auf einem Boot, kämpfenden Wetterfröschen und wettervorhersagenden Kämpfern

22 Nov

Destination Gobi

Von Tonio Klein

Kriegsdrama // „Destination Gobi“ von 1953 ist wohl einer der verrücktesten Kriegsfilme, die je gedreht wurden. Der Krieg kann vieles verändern, aber das Stilprinzip, Menschen in total fremde Umgebungen zu verpflanzen, wurde nirgendwo so sehr auf die Spitze getrieben wie hier.

Seeleute auf dem Trockenen

Der Oberbootsmaat Samuel T. McHale (Richard Widmark), der sich nur zur See wohlfühlt, wird im November 1944 von einem Flugzeugträger in die tiefste Wüste Gobi versetzt. Sein befehlshabender Offizier Hobart Wyatt (Russell Collins) ist kein Militärhaudegen, sondern ein Akademiker; wie seine Crewmitglieder ein Meteorologe. Mit einem Angriff der Japaner rechnet niemand. Wie mit einem plötzlich auftauchenden mongolischen Nomadenstamm umzugehen ist, wird man lange nicht einschätzen können, da gibt es ein Hin und Her zwischen Verrat, Loyalität und Rettung. Die Orientierung kommt McHales Truppe nicht nur bei einem Wüstenmarsch abhanden.

Robert Wise, der Mann der Gegensätze

Regisseur Robert Wise macht das schlicht genial. Ihm wurde immer mal wieder vorgeworfen, allzu beliebig zu sein in seinen Genrewechseln. Doch die scheinbaren Widersprüche finden sich bereits im Innern seiner Filme. Er hat Menschen in betont realistischen Settings ein Ballett aufführen lassen („West Side Story“, 1961). Er verknüpft die so herzig beginnende Geschichte einer Familie mit der Flucht vor den Nazis („Meine Lieder, meine Träume“, 1965). Er hat einen Kriegsfilm ohne Kampfszenen gemacht („Land ohne Männer“, 1957).

Lasst uns Waffen holen, hohohoho, denn wir sind Mongolen, hahahaha

Vor all dem: „Durch die gelbe Hölle“, wo Wise seine Freude an Brüchen mit der Handlung wunderbar verknüpfen konnte. Die Truppe und der Film kommen vom Hundertsten ins Tausendste: erst Wüstenabenteuer mit beinahe heiterer Wildwestromantik, als McHale die Mongolen zur Kavallerie ausbilden kann.

Alles Glück der Erde …

Dann der Schrecken, als die Japaner plötzlich und unerwartet heftig angreifen. Bald darauf ein bisschen Abenteuerfilm, wenn unser Trupp den beschwerlichen Marsch durch die Wüste Gobi antreten muss. Dann noch ein Kriegsgefangenenlager-Szenario, schließlich ein höchst ungewöhnliches Gefecht auf See. Wise haut uns das voll um die Augen und Ohren, zeigt in seinem ersten Technicolorfilm die erbarmungslose Wüste genauso majestätisch wie das gewaltige, ewige Meer. Seine späteren Cinemascope/Todd-AO-Großproduktionen kündigen sich in den (brillant restaurierten) Bildern bereits an.

Gegensätze ziehen sich an

Auch das Drehbuch unterstützt Wise in dem Bemühen, Unerwartetes, aber oft doch Komplementäres zu zeigen. „Wilde“ als Kavallerie. Sättel, die als Belohnung in die Wüste geliefert werden sollen; das Hauptquartier glaubt es kaum. Ein Seemann und Meteorologen in der Wüste und beim Kampf zu Lande; am Ende die Wüstennomaden beim Kampf zur See, und noch vieles mehr. Ein hübsches Detail ist beispielsweise, dass den Amerikanern die Flucht aus dem Lager gelingt, weil die Mongolen einen unerwarteten Regen vorhersagen können. Nicht nur werden die Wetterfrösche zu Kämpfern, auch die Kämpfer müssen zu Wetterfröschen werden.

Wider Erwarten ist in diesem Film alles ausgewogen

Daneben: Wises übliche technische Versiertheit; in ein paar Szenen lässt er es richtig krachen, und das Stilmittel, dabei noch mit der Kamera zu ruckeln, wurde später im Actionfilm Standard (Wise probierte das auch in seinem im selben Jahr in die Kinos gekommenen Rommel-Film „Die Wüstenratten“ aus). Gelegentlich auch, typisch für den früheren Toncutter Wise, Akustik als Stilmittel: Die Amerikaner bemerken die Mongolen erstmals, als einer von ihnen vor Schreck das Blechgeschirr hat fallen lassen. Die Truppe hört einmal einen (übrigens nie erklärten) Laut, dem einer von ihnen einen dämonischen Charakter zuschreibt. Als aber etwas sehr real Dramatisches passiert, verdrängt dies die diffuseren Ängste sogleich, sodass die Soldaten und auch wir dieses Geräusch fortan nicht mehr hören. Gute alte Schule, die man beispielsweise aus Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) kennt, wenn sich der Mörder die Ohren zuhält und auch wir ein ihn peinigendes Peer-Gynt-Motiv nicht mehr hören. Doch das sind nur Sahnehäubchen auf einem Film, dessen wesentliches Stilprinzip das Spiel mit dem Wechselhaften und Unerwarteten ist. Darin und in fast allem anderen ist er hervorragend.

Sehr wenig Wasser in den Wein

Eine finale David-gegen-Goliath-Volte ist etwas zu schön, um wahr zu sein; „Durch die gelbe Hölle“ geht dann relativ schnell und nicht frei von Sentimentalität und Pathos zu Ende. Da dachte ich bei allem Lob daran, dass dieser Film dann doch nicht ganz die Klasse von Wises „Kanonenboot am Yangtse-Kiang“ (1966) erreicht, seinem späteren, großen, langen, vielschichtigen und ungleich tragischeren Kriegsdrama, welches ebenfalls aus der Konstellation „Menschen in fremder Umgebung“ viel Kraft und Spannung bezieht.

Mission erfüllt – Abschied zum Finale

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Robert Wise haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Richard Widmark unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 9. Februar 2012 als DVD

Länge: 86 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: keine
Originaltitel: Destination Gobi
USA 1953
Regie: Robert Wise
Drehbuch: Everett Freeman
Besetzung: Richard Widmark, Don Taylor, Max Showalter, Murvyn Vye, Darryl Hickman, Martin Milner, Ross Bagdasarian, Judy Dan, Rodolfo Acosta, Russell Collins, Leonard Strong, Earl Holliman
Zusatzmaterial: Originaltrailer, Trailershow
Label/Vertrieb: EuroVideo Medien GmbH

Copyright 2022 by Tonio Klein

Szenenfotos & Packshot: © 2012 EuroVideo Medien GmbH

 

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