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Harry und Sally – Mehr Liebeskomödie geht nicht

07 Nov

When Harry Met Sally

Von Christoph Leo

Liebeskomödie // Nach dem College-Abschluss lernen Harry (Billy Crystal) und Sally (Meg Ryan) einander bei einer Fahrgemeinschaft von Chicago nach New York kennen. Harry ist pragmatisch und pessimistisch veranlagt und scheint auf jedes Problem eine vorgefertigte Antwort parat zu haben, sieht das Leben aber gelassen. Sally ist strukturiert und glaubt an das Gute im Menschen, in manchen Dingen ist sie sehr kompliziert. Beide treffen im Laufe der Jahre immer wieder aufeinander und es entwickelt sich entgegen Harrys Aussage eine Freundschaft. Trotzdem stellt sich die Frage: Können die beiden Freunde sein oder stehen dem am Ende Gefühle im Weg?

Harry und Sally reden viel

Es gibt sie also noch (oder gab es sie?), die rundum gelungenen Romantikkomödien. Das letzte Mal hatte ich „Harry und Sally“ (1989) vor knapp 20 Jahren bei einer Fernsehausstrahlung gesehen – damals fand ich Rob Reiners Regiearbeit eher durchschnittlich. Ich war jung, fand die Dialoge langweilig und das gesamte Thema hat mich wenig interessiert. Das hat sich mit der schönen Veröffentlichung von capelight pictures im UHD-Mediabook geändert und ich habe das Werk nun neu kennengelernt.

Sie reden über alles

Die Geschichte über zwei gegensätzliche Menschen, die einander kennenlernen, scheinbar nicht wirklich mögen, dann Freunde und schließlich ein Paar werden, klingt dabei wenig innovativ. Wie der Film dies erzählt, erweist sich dann aber als das genaue Gegenteil. Rob Reiner zeigt diverse Aufeinandertreffen von Harry und Sally über mehrere Jahre, die beschreiben, wie sich die Beziehung und Freundschaft der beiden entwickelt. Dabei wird die Haupthandlung stets von einem wechselnden Paar unterbrochen, das die Geschichte seines Kennenlernens erzählt. Diese Geschichten sind allesamt völlig unterschiedlich, mal sehr liebenswürdig, mal sehr lustig oder nachdenklich stimmend, und immer interessant. „Harry und Sally“ wirkt durch seine Erzählung über mehrere Jahre hinweg episodenhaft, was dem Ganzen aber eine größere Tragweite gibt; wir verstehen auf diese Weise die Entwicklung der Beziehung von Harry und Sally sehr gut. Bei ihrer ersten Begegnung vertritt Harry die Ansicht, dass Männer und Frauen nie befreundet sein könnten, da am Ende immer der Sex zwischen beiden stehen wird. Sally lehnt diese Ansicht ab. Es kommt zu etlichen Gesprächen über die Themen Beziehung, Ehe und Freundschaft, wobei diese niemals aufgesetzt oder belanglos wirken. Die Dialoge helfen dem Publikum, die Figuren tatsächlich besser zu verstehen und ein Bild über Harrys und Sallys Charakter zu bekommen.

Mit „Star Wars“-Star Carrie Fisher

„Harry & Sally“ ist dabei nie durchgängig super lustig, was ich sehr angenehm im Vergleich zu aktuellen, ähnlich gelagerten Komödien finde (wobei ich bei einigen Szenen schon sehr lachen musste). Hier steht die Geschichte mehr im Vordergrund und keine vulgären Witze oder nervige Nebencharaktere, was ein weiterer Pluspunkt des Films ist. Die wichtigen Nebenfiguren sind die jeweils besten Freunde von Harry und Sally. Beide werden glaubhaft durch Bruno Kirby („Donnie Brasco“) als Harrys bester Freund Jess und Carrie „Leia Organa“ Fischer als Sallys beste Freundin Marie dargestellt, sorgen aber auch immer wieder für lustige Momente. Jede Figur wirkt glaubhaft, wenn sie aus ihrem Leben erzählt oder mit einer anderen Person interagiert. Die Nebendarsteller und -darstellerinnen sind gut besetzt und schaffen, es die Charaktere zu mehr als nur Stichwortgebern für Harry und Sally werden zu lassen.

Sally (r.) und Marie werden beobachtet

Zu kritisieren gibt es an „Harry und Sally“ meiner Meinung nach eigentlich nichts. Ich könnte nun anbringen, dass es in dem Film nur um privilegierte weiße Hetero-Menschen geht und das ist aus heutiger Sicht auch ein berechtigter Kritikpunkt, aber es war damals eine andere Zeit und hier kann auch so argumentiert werden, dass der Film genau diese Welt und diese Personen zeigen will. Die Komödie ist in puncto Inszenierung, Erzählung und Besetzung so vorzüglich, dass eine Kritik diesbezüglich aufgesetzt und falsch wirken würde, weil „Harry und Sally“ einfach aus der beschriebenen Welt erzählt und nicht politisch oder gesellschaftskritisch wird. Es ist weiterhin fraglich, ob ein Mann und eine Frau fast überwiegend nur über Beziehungen reden würden, aber auch hier zieht das Argument, dass der Film dem Publikum stets nur diesen Zeitpunkt des Aufeinandertreffens zeigt und es hierbei nun mal um das Thema Beziehungen geht – genau das ist das übergeordnete Thema.

Die Orgasmus-Szene

Jenny Jecke, Autorin des sehr lesenswerten Booklets des Mediabooks, beschreibt die Figuren ebenfalls als reich, weiß und privilegiert. Nie sehen wir Armut oder andere soziale Probleme. Beide Figuren leben ein wohlhabendes Leben und sind in diesem auch gleichgestellt, was den beruflichen Erfolg angeht. Hier ist der Film in seiner Darstellung von gleichwertigen Geschlechterrollen seiner Zeit wiederum voraus. „Harry und Sally“ bearbeitet sein Thema Beziehung auf eine clevere Art und Weise, da die beiden Hauptfiguren lange Zeit wirklich nur Freunde sind und wir die beiden bei diversen Aktivitäten beobachten, wie einen Weihnachtsbaum kaufen, miteinander telefonieren, Essen gehen, Filme schauen. Der Film zeigt diese Interaktionen mal als Montage, nur mit Musik unterlegt, mal per Splitscreen oder ganz herkömmlich beim normalen Dialog. Die berühmt gewordene Orgasmus-Szene im Restaurant von Sally gegenüber am Tisch von Harry wirkt dabei fast wie ein Werbevideoeinschub, ist aber auch gerade im Gegenschnitt auf Harry und andere Restaurantgäste überaus amüsant.

Der Beobachter ist Harry, der Sally nach Jahren wiedererkennt

Regisseur Rob Reiner, der besonders durch seine hervorragenden Stephen King Verfilmungen „Stand by Me“ (1986) und „Misery“ (1990) auffiel, inszenierte „Harry und Sally“ im ähnlichen Stil wie diese beiden Filme. Das heißt, dass der Film schön inszeniert ist und nicht durch optische Spielereien wie beispielsweise auffällige Kamerafahrten von der Geschichte ablenkt. Die Bilder werden angenehm ruhig eingefangen und nicht durch ständige Schnitte unterbrochen. Die bereits mehrfach erwähnte episodenhafte Erzählweise lässt sich den Film von ähnlich gelagerten Filmen abheben und zu etwas besonderem werden. Durch die Verwendung mehrerer Splitscreens bekommt der Film doch noch einen inszenatorisch interessanten Aspekt, mit dem der Film auch eine der besten Filmszenen zeigt, in der Harry seinen Freund Jess anruft, um mit diesem über Sally zu sprechen und Sally ihre Freundin Marie anruft um über Harry zu sprechen. Dabei befinden sich unwissend von Harry und Sally die beiden Freunde im gleichen Raum und im Hintergrund hören Harry und Sally jeweils den Freund und die Freundin des anderen den gegensätzlichen Gesprächspart mit.

Hommage an Screwball

Im bereits erwähnten informativen und gut geschriebenen Booklettext von Jenny Jecke geht diese näher auf die Drehbuchautorin Nora Ephron ein, die später unter anderem die Skripts zu „Schlaflos in Seattle“ (1993) und „e-m@il für Dich“ (1998) verfasste. Die Idee für viele der Dialoge im Film kam ihr bei ihrem ersten Treffen mit Rob Reiner und dem Produzenten Andrew Scheinman, die so unverblümt frei und ungehemmt redeten, dass Ephron dies als Inspiration für die Gestaltung der Dialoge im Film nahm. Weiterhin geht die Autorin im Booklet auf die Vorbilder von „Harry und Sally“ ein, unter anderem die Screwball-Komödien, die ihre Hochzeit Mitte der 1930er- bis Anfang der 1940er-Jahre hatten. In diesen meist dialoglastigen Filmen ging es ebenfalls um Gegensätze wie zum Beispiel Mann und Frau und wie man lernte, damit zu leben. Die Screwballkomödien wie „Leoparden küsst man nicht“ (1938) zeichneten sich durch schnell gesprochene Dialoge und reichlich Wortwitz aus, meist stammten die Figuren aus gut situierten Verhältnissen, sodass sie sich keine Gedanken um Finanzielle Probleme machen mussten. „Harry und Sally“ greift diese Attribute auf und verlagert die Inhalte in die damalige Gegenwart. Ebenfalls wird im Film viel über Sex geredet, aber er wird nie gezeigt. Dies wäre 1989 auch in den USA problemlos möglich gewesen, es gab genug Filme, die sehr viel zeigten. „Harry und Sally“ konnte sich zu der Zeit wiederum davon abheben und ließ seine interessanten Figuren durch Dialog und Wortwitz aufleben. Das Booklet beinhaltet wesentlich mehr interessante Anekdoten und Fakten zum Film und lohnt sich aufgrund des gut geschriebenen Textes nicht nur für Fans des Films, sondern auch für allgemein am Film Interessierte. Es gilt aber wie so oft, wenn man den Film nicht bereits kennt, das Booklet besser erst nach der Sichtung lesen.

Ein Doppeltelefonat, da sich gewaschen hat

Das Mediabook ist wie von capelight pictures gewohnt wertig gestaltet. Das Motiv ist sauber auf die matte Oberfläche gedruckt. Auf der Rückseite befindet sich ein weiteres ansprechendes Motiv von Harry und Sally. Alle technischen Informationen befinden sich auf einem Papierumleger. Da ich kein Experte in Bezug auf Bild und Ton bin, halte ich mich hier weitgehend zurück. Das Bild der UHD wirkte auf mich stimmig, die Farben ausgewogen, Filmkorn ist ebenfalls vorhanden. Beim Ton waren die Dialoge klar verständlich, sodass ich nichts an Bild und Ton auszusetzten habe. Das Bonusmaterial ist reichlich vorhanden und bis auf die zwei sehr informativen Audiokommentare weitgehend deutsch untertitelt.

New York im Wandel der Jahreszeiten

Insgesamt bekommen Harry und Sally gleichwertige Leinwandzeit und Dialoge zugesprochen, sodass niemand wichtiger als der andere erscheint. Aufgrund der besprochenen Themen ist der Film für Kinder weniger geeignet, wird aber nie niveaulos oder peinlich. Aus heutiger Sicht wirkt „Harry und Sally“ noch immer fast zeitlos. Die Dialoge werden interessant und wortgewandt vorgetragen, die Charaktere sind gut geschrieben und die episodenhafte Erzählung lässt den Film eigenständig wirken. Ein weiterer schöner Aspekt ist, dass man durch die episodenhafte Erzählweise New York City zu unterschiedlichen Jahreszeiten zu sehen bekommt. Es gibt Passagen im Sommer und Herbst, aber auch im Winter zu Weihnachten, was „Harry und Sally“ immer wieder eine angenehme Gemütlichkeit ausstrahlen lässt. Für mich nach langer Zeit eine sehr schöne Neuentdeckung und bestimmt auch eine der besten Komödien aller Zeiten, die ich mir noch häufiger anschauen werde.

Alle als „Limited Collector’s Edition” von capelight pictures veröffentlichten Filme haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgelistet. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Carrie Fisher haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet.

Veröffentlichung: 20. Oktober 2023 als 2-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (UHD Blu-ray & Blu-ray) und DVD, 14. Juni 2013 als Blu-ray und DVD, 12. August 2011 als Blu-ray „CineProject“, 20. November 2009 als DVD „CineProject“, 5. September 2008, 14. Juli 2003, 15. März 2001 und 13. Oktober 1998 als DVD

Länge: 96 Min. (Blu-ray), 92 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: When Harry Met Sally
USA 1989
Regie: Rob Reiner
Drehbuch: Nora Ephron
Besetzung: Billy Crystal, Meg Ryan, Carrie Fisher, Bruno Kirby, Steven Ford, Lisa Jane Persky, Michelle Nicastro, Gretchen Palmer, Robert Alan Beuth, David Burdick, Joe Viviani, Harley Jane Kozak, Joseph Hunt, Kevin Rooney, Franc Luz, Tracy Reiner, Estelle Reiner,
Zusatzmaterial 2023: deutscher Kinotrailer, US-Kinotrailer, nur Mediabook: 24-seitiges Booklet mit einem Text von Jenny Jecke, nur DVD: Wendecover
Zusatzmaterial früher (variiert je nach Veröffentlichung): Audiokommentar von Regisseur Rob Reiner, Audiokommentar von Rob Reiner, Drehbuchautorin Nora Ephron und Hauptdarsteller Billy Crystal, Dokumentation „Wie Harry & Sally sich trafen“ (35:21 Min.), Featurettes „So fing alles an“ (19:47 Min.), „Liebesgeschichten“ (5:10 Min.), „Rob & Billy (3:55 Min.), „Wer ist Harry?“ (5:47 Min.), „Ich liebe New York“ (8:29 Min.), „Die Auswirkungen von ,Harry & Sally‘“ (12:25 Min.) und „Können Männer & Frauen wirklich Freunde sein?“ (7:54 Min.), 7 entfallene Szenen (7:24 Min.), Musikvideo „It Had to Be You“ von Harry Connick Jr. (2:49 Min.), Deutscher Kinotrailer, US-Kinotrailer, Trailershow
Label 2023: capelight pictures
Vertrieb 2023: Al!ve AG
Label/Vertrieb früher: Twentieth Century Fox Home Entertainment / MGM

Copyright 2023 by Christoph Leo

Szenenfotos & gruppierter Packshot: © 2023 capelight pictures

 
 

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Eine Antwort zu “Harry und Sally – Mehr Liebeskomödie geht nicht

  1. Frank Hillemann

    2023/11/11 at 14:00

    Ein schönes Beispiel wenn die Chemie zwischen den Hauptdarstellern stimmt. Dieser Film ist einfach zeitlos und wird nie peinlich. Mich hat nie der soziale Background interessiert, in dem der Film spielt. Manchmal will man einfach nur intelligent und komisch unterhalten werden. Und das ist hier perfekt gelungen.

     

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