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Außergewöhnliche Geschichten – Rätselhaft

02 Feb

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Histoires extraordinairies

Von Volker Schönenberger

Episoden-Horror // Kommt die Rede auf Edgar-Allan-Poe-Verfilmungen, fallen in erster Linie Namen wie Roger Corman und Vincent Price. Trotz geringer Budgets sind mit diesen Beteiligten herausragende Gruselperlen wie „Die Verfluchten“, „Das Pendel des Todes“ und „Die Maske des Roten Todes“ entstanden.

Für einen ganz anderen Ansatz entschieden sich die Produzenten des Episodenfilms „Außergewöhnliche Geschichten“ allein schon mit der Wahl der Regisseure: Federico Fellini („Das süße Leben“), Louis Malle („Fahrstuhl zum Schafott“) und Roger Vadim („… und ewig lockt das Weib“) sind eher im Bereich des Arthaus-Kinos angesiedelt. Niemand sollte daher B-Horror à la Corman erwarten – wobei ich die Bezeichnung B-Horror nicht als negative Wertung verstanden wissen will.

Die erste, von Vadim inszenierte Episode trägt den Titel „Metzengerstein“ und markiert die einzige Zusammenarbeit von Jane Fonda mit ihrem Bruder Peter. Jane spielt die junge Gräfin Federica von Metzengerstein, die die Reichtümer der Familie geerbt hat, fortan ein ausschweifendes Leben führt und ihre Untertanen brutal schikaniert. Eine Begegnung mit ihrem Cousin Baron Wilhelm (Peter Fonda) lässt sie seltsam verwirrt zurück.

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Gräfin Federica von Metzengerstein frönt sonderbaren Lustbarkeiten

Von Malle stammt die zweite Episode „William Wilson“, in der Brigitte Bardot mitwirkt. Die von Alain Delon verkörperte Titelfigur nötigt einen Priester, ihr die Beichte abzunehmen. William Wilson berichtet von seiner Laufbahn als Kadett: Zunehmend drangsaliert und demütigt er seine Mitmenschen. Einzig ein Rivale bietet ihm Paroli. Der trägt ebenfalls den Namen William Wilson …

Fellini orientierte sich für die dritte und letzte Episode „Toby Dammit“ nur grob an Edgar Allan Poes literarischer Vorlage „Never Bet the Devil Your Head“. Er verlegte die Handlung in die Moderne: Ein dekadenter Filmstar (Terence Stamp) auf dem absteigenden Ast reist für Dreharbeiten nach Rom, wo er von sonderbaren, gar teuflischen Visionen geplagt wird.

Ein wenig wollten die Produzenten des Films doch von Cormanscher Stimmung profitieren: In der Original-Sprachfassung fungiert Vincent Price als Erzähler. Darin erschöpft sich allerdings der Bezug zu Cormans Poe-Zyklus: Die drei Episoden sind allesamt moderner, bizarrer und deutlich schwerer zu ergründen. Allein die Kostümierung ist mit „überkandidelt“ harmlos beschrieben, sie wirkt speziell bei Jane Fonda mitunter, als hätte sich eine Riege Pariser Catwalk-Designer auf einen Drogentrip mit halluzinogenen Pilzen und anderen bewusstseinserweiternden Substanzen begeben. Auch die Ausstattung wirkt übersteigert artifiziell, speziell in Fellinis Episode um den Schauspieler in Rom.

Die drei Handlungsstränge folgen keiner stringenten Dramaturgie – am ehesten noch William Wilsons auf einen blutigen Höhepunkt zusteuernde Beichte. Jane Fondas Gräfin von Metzengerstein lebt in den Tag hinein, ihre Gedanken nach der Begegnung mit dem Cousin wirken unergründlich, das Finale ist keineswegs vorhersehbar. Auch Terence Stamps berauschter Filmstar weiß nicht recht, wo er hinwill, als er in seinen Ferrari steigt und davonbraust. Oder weiß er es doch? Man weiß es nicht.

Geben Fellini, Malle und Vadim Poes Stimmung wieder? Schwer zu beantworten, aber die Antwort ließe ohnehin keine Rückschlüsse auf die Qualität von „Außergewöhnliche Geschichten“ zu. Filmemacher dürfen und sollen eine literarische Vorlage nach Gusto verändern und ein eigenständiges Werk daraus machen. Das gelingt den drei Regisseuren ohne Frage bravourös.

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Spaß an der Bosheit: William Wilson

Meine Leser merken vielleicht: Eine Einordnung fällt mir nicht leicht. Müsste ich wählen, würde ich Corman jederzeit vorziehen, was Poe angeht. Dennoch war es faszinierend, eine ganz andere Herangehensweise kennenzulernen. Ein Filminteressierter aus dem Bekanntenkreis, der ein ausgewiesener Fan der Zusammenarbeit von Corman und Poe ist, zählt die drei Episoden in „Außergewöhnliche Geschichten“ zu den besten Poe-Adaptionen überhaupt.

Der Film erscheint in Deutschland erstmals auf DVD und Blu-ray. Eine VHS-Veröffentlichung ist mir nicht bekannt. Umso erfreulicher, dass Koch Media diese drei Blickwinkel auf Edgar Allan Poe in der Reihe „Masterpieces of Cinema“ veröffentlicht. Der Titel „Außergewöhnliche Geschichten“ passt vorzüglich – die Episoden bieten eine Sichtweise auf den Schauer-Schriftsteller, die es zuvor nicht gegeben hat. Das ist sicher nicht jedermanns Sache und mit dem Etikett Horror auch nur unzureichend beschrieben; der Versuch, die Episoden zu ergründen, lohnt aber allemal.

Die literarischen Vorlagen sind im Netz verfügbar:

„Metzengerstein“ im Original,
„Metzengerstein“ in deutscher Übersetzung,
„William Wilson“ im Original,
„William Wilson“ in deutscher Übersetzung,
„Never Bet the Devil Your Head“ im Original.

Die Reihe „Masterpieces of Cinema“ haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgelistet. Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Alain Delon, Peter Fonda und Terence Stamp sind in unserer Rubrik Schauspieler aufgeführt.

Veröffentlichung: 24. Januar 2014 als Blu-ray und DVD

Länge: 121 Min. (Blu-ray), 116 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Französisch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: Histoires extraordinairies
F/IT 1968
Regie: Federico Fellini, Louis Malle, Roger Vadim
Drehbuch: Federico Fellini, Louis Malle, Roger Vadim, nach Vorlagen von Edgar Allan Poe
Besetzung: Brigitte Bardot, Alain Delon, Jane Fonda, Terence Stamp, James Robertson Justice, Peter Fonda
Zusatzmaterial: Bildergalerie, alternativer Vorspann, Kinotrailer, Trailer
Vertrieb: Koch Media

Copyright 2014 by Volker Schönenberger
Fotos & Packshot: © 2014 Koch Media

 

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