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Stunden des Terrors – Der Albtraum aller Spießer

09 Mai

A Day of Fury

Von Ansgar Skulme

Western // Marshal Allan Burnett (Jock Mahoney) wird in einem Hinterhalt beinahe von einem Gesetzlosen erschossen. Der mysteriöse Jagade (Dale Robertson) bewahrt ihn im letzten Moment vor dem Schlimmsten. Wenig später treffen sich die beiden in West End wieder – der Stadt, in der Burnett die Verantwortung trägt. Als der Marshal dort eintrifft, hat Jagade sich bereits mit rauen Mitteln Eindruck verschafft. Er hält den Spießbürgern den Spiegel vor Augen, nimmt ihnen ihr Hab und Gut beim Kartenspielen ab, wiegelt manch einen zu Gewalttaten auf oder treibt sie in moralische Sackgassen. Burnett jedoch steht in Jagades Schuld und versucht den Konflikt so gering wie möglich zu halten, ohne Jagade aus der Stadt jagen zu müssen. Lange kann das nicht gut gehen.

Mit Jagades Ankunft ändert sich die Stadt

Harmon Jones‘ „Stunden des Terrors“ ist ein Kleinod des 50er-Jahre-Westerns. Ein Film, so vergessen, dass Koch Films ihn weltweit erstmals in einer in HD restaurierten Fassung veröffentlicht. Auch wenn mit Dale Robertson und Jock Mahoney gleich zwei Schauspieler zu sehen sind, die damals häufig Hauptrollen in Western spielten und die Konstellation, zwei Helden-Darsteller des Genres gegeneinander auszuspielen, eher ungewöhnlich ist, hat es lange gedauert, bis der Film endlich wiederentdeckt wurde. Sicher auch, weil Robertson und Mahoney aus heutiger Sicht zu den weniger bekannten Genre-Helden der 50er gehören, was für Regisseur Jones ebenfalls gilt. Jones hatte bereits drei Jahre zuvor mit „Die silberne Peitsche“ (1953) einen Western inszeniert, der zwei Helden-Darsteller des Genres – in dem Falle Robertson und Rory Calhoun – Seite an Seite zeigte. Beider Popularität entwickelte sich vornehmlich allerdings erst in den Folgejahren. „Stunden des Terrors“ hingegen zeigt Robertson und Mahoney mehr oder minder auf dem Zenit ihres Erfolges in den 50ern.

Ein Hauch von „El Perdido“

Was diesen Film so besonders macht, ist das relativ ambivalente Auftreten des Schurken, da er sich eben nicht durch wüste Prügeleien oder Schießereien Eindruck verschafft, sondern die Bevölkerung auf recht subtile Weise einschüchtert und gegeneinander ausspielt. Zudem haben viele seiner Kritikpunkte am in West End üblichen Spießbürgertum sogar Hand und Fuß, was ihn in gewisser Weise sympathisch macht. Jagade ist ehrlich und direkt, nutzt die Macht, die er dadurch über die leicht einzuschüchternden Menschen im Städtchen bekommt, aber auch rücksichtslos für seine Zwecke aus. Gleichzeitig ist die Rolle des Marshals, der weder aus Schuldgefühlen in blinden Gehorsam noch aus Gründen der beruflichen Verantwortung in Aktionismus gegenüber Jagade verfällt, recht klug geschrieben und hält den Film bis zum Schluss spannend. Es bleibt bis zuletzt offen, wie sich der Konflikt regeln wird, da beide Figuren einen cleveren Eindruck machen und zudem einen gewissen Respekt füreinander hegen. Der Film braucht sich vor Melvin Franks „Der Herrscher von Kansas“ (1959) und Robert Aldrichs „El Perdido“ (1961) nicht zu verstecken, in denen Jeff Chandler bzw. Kirk Douglas ähnlich schlaue, doppelbödig angelegte Antagonisten spielen wie hier Dale Robertson.

Eine Stadt zerbricht

Jagade ist zudem nicht die einzige Figur, die überrascht. Da sind ein Richter (Carl Benton Reid), der das Gesetz mit dem Schießeisen in die eigene Hand zu nehmen versucht, und ein Priester (John Dehner), der zum Aufstand aufruft und sogar bereit ist, sein Priestergewand abzulegen, um Meinungsverschiedenheiten mit den Fäusten zu klären. Auch wie schonungslos anhand der prüden Miss Timmons (Dee Carroll) die Macht öffentlicher Meinung demonstriert wird, deren spießbürgerliche Angst davor, dass sie jemand in einem unvorteilhaften Licht sehen könnte, größer als ihr Lebenswille ist, ist ein gekonnter Kniff des Drehbuchs. Der Film ist sehr darum bemüht, sein Publikum zum Nachdenken anzuregen und einem jeden den Spiegel vorzuhalten – wie es auch Jagade mit den Bürgern von West End tut. Umso besser, dass die Erzählung bis zum Schluss stimmig bleibt. Für eine Dauer von nicht einmal 80 Minuten ist das Werk erstaunlich anspruchsvoll und ein Musterbeispiel für effizientes Erzählen ohne Hänger. Ein Drehbuch, das für einen B-Western der 50er das Prädikat „Extraklasse“ verdient!

Für die Schießwütigen gibt es endlich neue Herausforderungen

Dem Regisseur Harmon Jones gebührt zusätzliches Lob dafür, wie gekonnt er die schauspielerischen Möglichkeiten von Dale Robertson und Jock Mahoney aufeinander abstimmte. Während sich bei Robertson gerade in diesem Film zeigt, dass er im Allgemeinen wohl als unterschätzt bezeichnet werden kann, gelang es gleichzeitig auch sehr gut, die eher limitierten Möglichkeiten Mahoneys passend zur Rolle auszunutzen. Die Mahoney als Schauspieler eigene Passivität fügt sich gut in die Handlung und trägt dazu bei, dass der Film bis zum Schluss unvorhersehbar bleibt, da man gerade deswegen umso mehr immer auf der Rechnung haben muss, dass jeder der beiden als Western-Helden bekannten Schauspieler am Ende als Sieger hervorgehen könnte oder dass ein Patt bestehen bleibt. Den Marshal zu souverän zu verkörpern, und sei es nur durch die Präsenz etwa eines John Wayne, hätte dem Film geschadet. Und als ob das alles noch nicht genug des Guten wäre, bietet der Film auch noch ein Finale, das fast schon eine Verbeugung vor einigen Mythen des Westerns ist – mit einem der besten Einsätze einer Kirchenglocke, die es jemals in einem Film des Genres auf dem Höhepunkt der Anspannung gegeben hat. Spätestens hier zeigt sich in aller Größe, dass neben den starken Leistungen der Drehbuchautoren und des Regisseurs auch Kamera und Schnitt vom Lob nicht ausgenommen werden dürfen. Was wäre ein wirklich guter Western ohne eine denkwürdige Abschlussszene?

Western-Fans aus aller Welt: Greift zu!

Man kann jedem Western-Fan nur ans Herz legen, sich diese weltweit erste Veröffentlichung in erstklassiger Bild- und Tonqualität zuzulegen. Der Film gehört ohne jeden Zweifel zu den 50 besten, meiner persönlichen Meinung nach vielleicht sogar zu den 25 besten Hollywood-Western der 50er-Jahre – und bei kaum einem Western des Jahrzehnts ist die Spanne zwischen der weit überdurchschnittlichen Qualität und dem geringen Bekanntheitsgrad zu Ungunsten des Films so groß. Die deutschen Western-Fans werden zudem mit einer durchweg stimmigen, zeitgenössischen Synchronfassung belohnt, die mit Axel Monjé den damaligen Stammsprecher von Jock Mahoney aufbietet und Arnold Marquis als Stimme von Dale Robertson in petto hat – genau wie in dem in den USA im selben Jahr erschienenen, ebenfalls sehr, sehr guten Western „Die Todesschlucht von Laramie“, der im Juli 2016 von Filmjuwelen auf DVD veröffentlicht wurde. Erwähnt werden soll an dieser Stelle auch Wolfgang Eichberger, der die ungewöhnliche Priesterrolle stimmlich hervorragend ausfüllte. An Bild und Ton gibt es nichts zu kritisieren und zudem als Bonus neben Bildergalerie und Booklet auch noch den Originaltrailer. Genau wie „Schüsse peitschen durch die Nacht“ (1956) eine weitere lohnende Wiederentdeckung mit Jock Mahoney, die uns Koch Films hier beschert. Mehr Filme mit diesem für die Universal-Western in der zweiten Hälfte der 50er durchaus wichtigen Star dürfen gern folgen!

Marshal Burnett hat Mühe, die Ordnung aufrecht zu erhalten

Die „Edition Western Legenden“ haben wir in unserer Rubrik Filmreihen aufgeführt.

Immer mehr Bürger sind zum Töten bereit

Veröffentlichung: 11. Mai 2017 als Blu-ray und DVD

Länge: 78 Min. (Blu-ray), 75 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch & Englisch
Untertitel: keine
Originaltitel: A Day of Fury
USA 1956
Regie: Harmon Jones
Drehbuch: James Edmiston, Oscar Brodney
Besetzung: Dale Robertson, Mara Corday, Jock Mahoney, Carl Benton Reid, Jan Merlin, John Dehner, Dee Carroll, Sheila Bromley, James Bell, Dani Crayne
Zusatzmaterial: Originaltrailer, Bildergalerie, Booklet
Vertrieb: Koch Films

Copyright 2017 by Ansgar Skulme
Fotos & Packshot: © 2017 Koch Films

 

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