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Der Herrscher von Kansas – Hängt ihn! Hasst ihn! Leichter gesagt als getan

20 Dez

The Jayhawkers!

Gratulation an Ansgar Skulme für seinen 75. Beitrag bei „Die Nacht der lebenden Texte“.

Western // Im Jahre 1859 ist Kansas kurz davor, ein Bundesstaat der USA zu werden, der Rebellenführer Luke Darcy (Jeff Chandler) jedoch hat andere Pläne. Er strebt ein unabhängiges Kansas unter seiner Führung an – mehr als Kansas will er nicht, aber auch nicht weniger. Nach und nach erobert Darcy Stadt um Stadt, setzt fragwürdige Tricks ein, um sich die Sympathie der Bürger von vornherein zu sichern. Und er geht rigoros gegen Verräter in den eigenen Reihen vor, die er selbst nach Jahren der Zusammenarbeit immer noch mit harten Regeln einschüchtert. Gouverneur Clayton (Herbert Rudley) will Darcy öffentlich hängen lassen, um ein Exempel an ihm zu statuieren, und drängt den entflohenen Strafgefangenen Cam Bleeker (Fess Parker) zur Mitwirkung an seinem Plan. Bleeker, der im umkämpften, politisch noch lange nicht stabilen Kansas einst ähnliche Wege wie Darcy – nur weit weniger erfolgreich – ging, willigt ein und geht von klaren Verhältnissen aus. Schnell jedoch muss er feststellen, dass Darcy und seine Motive bei weitem nicht so eindimensional böse sind, wie man es ihm nachsagt.

In Anlehnung an wahre Begebenheiten um John Brown und die Jayhawkers genannten Guerillaeinheiten, die zur Zeit des Sezessionskriegs speziell in Kansas gegen die Konföderierten antraten, entstand mit „Der Herrscher von Kansas“ ein Film, den man guten Gewissens als den letzten großen US-Western der 50er-Jahre bezeichnen kann. Das Werk weist eine ganze Reihe an Besonderheiten auf, die es zu einem der besten Western des Jahrzehnts erheben – und unter selbigen ist er zweifelsohne einer der am wenigsten bekannten.

Das Spiel mit den Erwartungen

„Der Herrscher von Kansas“ ist ein Meisterwerk, da er auf so gut wie jeder Ebene etwas Besonderes zu bieten hat. Das fängt mit dem phänomenalen Drehbuch an, das den vermeintlichen Schurken immer wieder unerwartet reagieren und mit Konventionen brechen lässt, das geht mit dem für dieses Genre ungewöhnlichen Regisseur weiter, der sich tief vor dem Western als Phänomen des Kinos verbeugt und mit Spaß bei der Sache zu sein scheint, gleichzeitig aber auch mit einer hervorragenden Schauspieler-Führung glänzt, die Jeff Chandlers Stärken interessant in einer ungewöhnlichen Rolle zur Geltung bringt, Fess Parker zu seiner wahrscheinlich besten Rolle geleitet, aber auch in den Nebenrollen mehrere Höchstleistungen zutage fördert: Die Französin Nicole Maurey, für deren Rolle zunächst Vivien Leigh („Vom Winde verweht“) im Gespräch war, bezaubert in diesem, während ihrer nur einige Jahre dauernden Hollywood-Phase entstandenen Film als auf sich allein gestellte Familienmutter im rauen Westen; Leo Gordon – sonst häufig in harten Rollen und sehr brutal besetzt – überrascht hier als vor Angst und Einschüchterung gebrochener Darcy-Anhänger; und Henry Silva bleibt als provokant-brutaler Billy-the-Kid-Verschnitt mit regungslosem Blick in Erinnerung, der diverse Schurkenkonventionen bis hin zu einer in aller Konsequenz auf die Spitze getriebenen Art, sich cool und lässig durch den Raum zu bewegen, absichtlich übertreibt und gewissermaßen ikonisch werden lässt, wodurch er gerade neben Chandlers innovativem, gerade nicht an typische Western-Bösewichte anknüpfenden Schurkenanführer eine besondere Stellung einnimmt.

Die Qualität des Films zeigt sich auch daran, dass man hier einen der leider eher wenigen Scores von Jerome Moross zu hören bekommt, der zwar an der Musikeinspielung diverser Produktionen beteiligt war, als Komponist jedoch nur für etwa 15 Spielfilme verantwortlich zeichnete. Moross, der zuvor schon die Musik zu „Der stolze Rebell“ (1958) und „Weites Land“ (1958) geschrieben hatte und für letztgenannten für den Oscar nominiert worden war, war zum Zeitpunkt des Drehs sozusagen der heißeste Schrei unter den Western-Komponisten, dennoch sollte „Der Herrscher von Kansas“ sein dritter und letzter Kinowestern bleiben. Die unverkennbare, immer wieder nach vorn treibende Handschrift des Komponisten hält den Film konstant auf hohem Tempo und macht selbst das bloße Reiten zu Pferde von A nach B allein durch das scheinbar simple Wiederholen desselben musikalischen Motivs zu einem Erlebnis. Nicht nur dahingehend ist der Film ein Bilderbuchbeispiel für einen handwerklich gekonnten Western, der das meiste hat, was man sich von diesem Genre erhofft. Ob es nun die ganz klassisch im Studio entstandenen Aufnahmen sind, die teils für im Freien spielende Aufnahmen herhalten, oder ob es ganz allgemein die angenehm altmodische, zurückhaltende Kameraführung ist, die sich ihren auffällig intensivsten Moment mit voller Absicht clever für das Finale aufhebt – man merkt in jeder Minute des Films, dass die Macher dieses Genre bis tief in seine Wurzeln verinnerlicht hatten und es mochten; sowohl was inszenatorische Konventionen als auch narrative Konventionen anbelangt, an die man anschloss, mit ebenso viel Interesse an Hommage wie an Weiterentwicklung. Der Film ist ein Vorzeigewestern, der vor Genrewissen nur so sprudelt und trotzdem neue Wege geht. So gesehen der perfekte Abschluss der 50er-Ära, auch hinsichtlich der ungewöhnlichen Männerfreundschaft, die sich zwischen den beiden Hauptfiguren entspinnt – die Männerfreundschaft, eines der ganz großen Themen des Westerns, hier besonders ergreifend in Szene gesetzt –, oder hinsichtlich des brillanten Finales mit einem mehr als nur standesgemäßen Duell, bei dem man bis ganz zum Schluss genau auf die Blicke der Figuren achten sollte, um zu verstehen, was passiert ist, da es verbal nicht kommuniziert wird. Ein Finale, das aber auch durch die Rückführung in einen Saloon epische Größe entwickelt – der Saloon, nicht nur ein ganz klassischer Schauplatz des Westerns generell, sondern auch der Ort an dem sich Darcy und Bleeker in diesem Film zum ersten Mal und dann im Finale wieder treffen. Salopp gesagt: Genau so muss das!

Werte, Normen, Emotionen

„Der Herrscher von Kansas“ ist letztlich einer der polit-, gesellschafts- und sozialwissenschaftlich bedeutendsten Western, die bis dato entstanden waren. Es gibt generell nicht allzu viele klassische Hollywood-Filme, die einen Eroberer und vermeintlichen Despoten so vorurteilsfrei und offen diskutieren wie hier Luke Darcy. Immer wieder überrascht der Film damit, wie er Darcy zu ergründen versucht – als zwiespältige Person mit ehrenwerten Idealen und guten Vorsätzen, aber fragwürdigen Mitteln. Dieser aufstrebende Herrscher ist eben mehr als nur der Westentaschen-Napoleon, als den ihn der Gouverneur zunächst verschreit – noch bevor man Darcy das erste Mal im Film gesehen hat. Das geht so weit, dass der eigentliche Protagonist Cam Bleeker in ernsthafte Gewissenskonflikte gerät und beginnt, diese mit seiner Angebeteten zu diskutieren – statt sich belanglos in einer Liebesgeschichte mit der schönen Frau zu verlieren. So gesehen geraten Bleeker und der Filmzuschauer beinahe in dieselbe vertrackte Situation, was die Haltung zu Darcy anbetrifft, was wiederum aber auch zu einer besonderen Identifikation zwischen dem Zuschauer und der von Fess Parker verkörperten Rolle führt – einmal ganz davon abgesehen, dass man sich auch immer wieder dabei erwischt, Sympathie für den vermeintlichen Schurken Darcy zu empfinden.

Bis hin zu dem berührenden Finale gelingt dem Film Großartiges, was die Annäherung zwischen Publikum und beiden Hauptfiguren sowie der Figuren untereinander, die Frau als Dritte im Bunde eingeschlossen, anbelangt. Filmische Immersion kann durch stilistische Mittel, geprägt von Regie, Kameraarbeit und Schnitt, oder die Geschichte, geprägt durch das Drehbuch, geschehen und auch all das ist hier Teil des Erfolgsrezeptes, vor allem aber zeigt sich „Der Herrscher von Kansas“ als Musterbeispiel dafür, was Immersion durch Charaktere anbelangt. Wie gut ein Western wirklich war, erweist sich spätestens dann, wenn man beim finalen Duell Gänsehaut bekommt und wenn der letzte Akt als gesamter emotional berührt, wenn nicht sogar zu Tränen rührt. Die Schlussszene, in der Cam Bleeker im Beisein des Gouverneurs dessen Soldaten verbal anfährt, zählt zum intensivsten, was der klassische Western an finalen Abschlüssen hervorgebracht hat – und die vorausgegangenen knapp 100 Minuten führen geradezu in Vollendung darauf hin.

Verdammt viel richtig gemacht

Abseits von Drehbuch, Regie, Kameraarbeit, der Musik und den Leistungen der Schauspieler, ist man geneigt auch vor denjenigen, die für die Besetzung verantwortlich waren, den Kniefall zu machen. Paramount hätte sich gewissermaßen jeden leisten können, dennoch setzte man auf im Western erprobte Hauptdarsteller, die bis dato vor allem bei kleineren Studios von sich reden gemacht hatten und für deren Verträge bei der Konkurrenz gerade der letzte Vorhang fiel. Jeff Chandler kam von Universal, Fess Parker von Disney, wo beide die hauseigene Western-Schmiede des jeweiligen Studios maßgeblich mitgeprägt hatten. Die Rolle des Cam Bleeker soll auch William Holden angeboten worden sein, der diese jedoch ablehnte – und wenn man sich klarmacht, wie Fess Parker hier zu Höchstform aufläuft, gerät man auch ins Zweifeln, ob Holden die Rolle mit einer derartigen Motivation lebendig gemacht hätte. Parker ist als bodenständiger, aber ambitionierter Landbursche ideal besetzt. Gerade der Verzicht auf extrovertiertes Gebaren macht die Figur Cam Bleeker besonders stark – Bleeker ist eine Art Beobachter und Kommentator des Geschehens, allerdings mit klaren Moralvorstellungen, die er dennoch immer wieder hinterfragt. Die Annäherung von Darcy und Bleeker ist beiderseits überragend gespielt – angemessen extrovertiert auf Darcys Seite und mit notwendiger, gebotener Zurückhaltung auf Bleekers Seite verkörpert.

Der schlau gegen den Strich eingesetzte Jeff Chandler, als Sänger und Schauspieler mit reichlich Hörspielerfahrung aus dem Radio erprobt, beeindruckt als Luke Darcy nicht zuletzt immer wieder durch den intensiven, nuancierten Einsatz seiner Stimme. Chandlers Image, seine filmhistorische Vorgeschichte als attraktiver, gut aussehender Sympathieträger mitsamt dem eloquenten Charisma eines gebildeten Gentlemans mit früh ergrautem Haupthaar, wird hier wundervoll genutzt, um den Zuschauer einzuwickeln und zum Nachdenken über die kontroverse Figur Luke Darcy zu zwingen – und da gehört auch der gekonnte Einsatz der Stimme dazu. Wenn man es in Relation zu seiner Oscar-Nominierung für „Der gebrochene Pfeil“ (1950) setzt, hätte Chandler die Nominierung mit Sicherheit auch in diesem Fall verdient gehabt. Möglich, dass er auch im Blickfeld war, es sich dann aber als problematisch herausstellte, dass seine Figur erst nach fast einer halben Stunde erstmals im Film zu sehen ist, man ihn mit einer Nennung an erster Stelle des Vorspanns wiederum aber auch nicht als „Bester Nebendarsteller“ nominieren konnte.

Die Verbeugung hinsichtlich der Besetzung gebührt auch dem Team der Berliner Synchron GmbH, das mit der Bearbeitung des Films für die deutsche Kinoveröffentlichung betraut wurde. Mit Curt Ackermann engagierte man den Synchronsprecher, der Jeff Chandler bereits in fast all seinen Universal-Filmen und zuvor in „Der gebrochene Pfeil“ synchronisiert hatte, und mit Gert Günther Hoffmann ließ man erneut den Sprecher zum Zuge kommen, der Fess Parker unter anderem in seiner bekanntesten Disney-Rolle als Davy Crockett gesprochen hatte. Da mit Paramount nun ein anderer Auftraggeber am Werke war, war beides keine Selbstverständlichkeit, doch mit ihren besten Stimmen kommen die Hauptdarsteller so auch in der deutschen Fassung optimal zur Geltung. In den beiden United-Artists-Filmen „Drango“ (1957) und „Vor uns die Hölle“ (1959) wurde Chandler jeweils mit dem völlig daneben liegenden Arnold Marquis besetzt – so etwas kann bei Wechsel des Auftraggebers eben auch passieren – und da Fess Parker bis dato nicht allzu viele Filme gedreht hatte, war die Besetzung von Gert Günther Hoffmann erst recht keine Selbstverständlichkeit. Das Gespann um Dialogregisseur Bodo Francke und Dialogbuchautor Fritz A. Koeniger bewies hier großes Fingerspitzengefühl.

Apropos Dialoge: Ein wirklich großer Western braucht nicht zuletzt auch ein paar Zeilen, an die man sich erinnert. Wenn man sich die Szene vor Augen führt, in der Jeff Chandler, wie ein Priester vor seiner Gemeinde in der Kirche, eine Ansprache an die Bürger einer gerade eroberten Stadt mit den provokanten Worten „Mein Name ist Luke Darcy. Ich habe soeben Ihre Stadt eingenommen.“ eröffnet und dafür entsprechende Reaktionen aus der brav auf ihren Bänken sitzenden Menge erntet, oder die Szene sieht, in der Fess Parker dem Gouverneur, der gerade um seine Mitarbeit buhlt, aber auch für seine Inhaftierung mitverantwortlich war, trocken ins Gesicht sagt: „Wenn Sie wüssten, wie wenig es mich interessiert, was der Gouverneur von Kansas tut oder nicht tut, würden Sie sofort anfangen zu weinen!“, weiß man, dass die Macher von „Der Herrscher von Kansas“ auch hier auf Kurs gewesen sind und wussten, welche Zutaten in einem starken Western nicht fehlen dürfen.

Ein eingespieltes Team

Produziert wurde das verkannte Meisterwerk von Melvin Frank und Norman Panama, einem Duo mit langjähriger Erfahrung, das sich auch aufs Drehbuchschreiben und Regieführen verstand. Als Drehbuchautoren wirkten die beiden unter anderem an dem von Michael Curtiz inszenierten Klassiker „Weiße Weihnachten“ (1954) mit, der nach dem seinerzeit schon lange berühmten Song „White Christmas“ von Hauptdarsteller Bing Crosby benannt wurde – wenn man einem Laien erklären wollte, wer Melvin Frank und Norman Panama waren, ist dieser Film mitsamt des weltbekannten Liedes sicherlich der einfachste Weg. Bei „Der Herrscher von Kansas“ führte Frank – zumindest auf dem Papier – allein Regie, doch gelegentlich teilten sich beide auch in diese Arbeit, so dass ihre Filmografien gleich auf mehreren Ebenen eng verwachsen sind. Bemerkenswert ist, dass das Duo zuvor hauptsächlich mit Komödien auf sich aufmerksam gemacht hatte, darunter die Westernkomödie „Der Cowboy, den es zweimal gab“ (1951), aber „Der Herscherr von Kansas“ der erste und einzige waschechte Western von Frank und Panama war. Dass die beiden auch dramatisch konnten, hatten sie mit dem zweifach Oscar-nominierten Kriegsfilm „Die letzte Entscheidung“ (1952) gleichwohl bereits bewiesen. Für „Der Herrscher von Kansas“ war das Fluch und Segen zugleich. Segen, weil der Film inmitten vieler routiniert abgespulter Genrebeiträge der 50er-Jahre spürbar von einem Regisseur inszeniert wurde, der Lust hatte, endlich einmal einen Western zu drehen, und dem es gelang, eine angenehm altmodische Bildsprache mit einer guten, ungewöhnlichen Geschichte und hervorragenden schauspielerischen Darbietungen zu verbinden. Fluch, weil der Film heute sicherlich erheblich bekannter wäre, stünde ein Name wie John Ford oder Robert Aldrich darauf. Es hat eben nicht jeder das Glück eines Fred Zinnemann, der für einen einzelnen Genrebeitrag – „12 Uhr mittags“ (1952) – auch von wissenschaftlicher Seite bald darauf zum Schöpfer eines Genre-Meilensteins erkoren wurde. Ganz vergleichbar sind die Fälle dennoch nicht, da es realistisch ist, dass selbst „12 Uhr mittags“ mit anderen, weniger populären Hauptdarstellern als Gary Cooper und Grace Kelly bis heute weitaus weniger bekannt und wissenschaftlich wesentlich seltener diskutiert worden wäre. Selbst der von der Western-Legende John Ford inszenierte Genrebeitrag „Westlich St. Louis“ (1950) ist schließlich auch wesentlich weniger bekannt, weniger wissenschaftlich diskutiert und mit einem Hype überzogen worden als Fords Filme mit berühmten Hauptdarstellern wie John Wayne. Das kann man jetzt Zufall nennen – oder auch nicht.

Schemenhafte Abläufe

So absurd es letztlich auch ist, muss man klar festhalten, dass zwei der größten Stärken des Meilensteins „Der Herrscher von Kansas“ aus Aspekten resultieren, die gleichzeitig dazu führen, dass er wissenschaftlich bisher weitgehend ignoriert wurde: Der Regisseur gehört ebenso wenig wie die Hauptdarsteller zum „Kanon“ der Filmschaffenden des klassischen Hollywood-Kinos, die in der Filmwissenschaft ständig durchgekaut werden; dies gilt sowohl im Großen und Ganzen als auch bezogen auf den Western. Somit haben wir es zwar, auch über Regie und Schauspieler hinaus, mit einem hochmotivierten Ensemble zu tun, und dies spiegelt sich im filmischen Ergebnis wider; dumm nur, wenn man den Streifen genau deswegen aber nie zu Gesicht bekommt, weil man sich lediglich an den Filmografien der am meisten beschrienen Akteure entlang durch das Genre hangelt – Ford, Hawks, Aldrich, Wayne, Lancaster, Fonda und wie sie alle heißen. Wer einigermaßen den Überblick über die Materie hat, müsste normalerweise zwar wenigstens Jeff Chandler als durchaus wichtigen Westerndarsteller kennen, der bereits für seine frühe Rolle in „Der gebrochene Pfeil“ die besagte Oscar-Nominierung erhielt, doch selbst das hat nicht gereicht, um „Der Herrscher von Kansas“ zum Gegenstand wissenschaftlicher Diskurse zu machen, die sich zumindest hinsichtlich des investierten Aufwandes auf Augenhöhe mit den Besprechungen von vielen anderen ganz großen und berühmten Western dieser Epoche bewegen würden. Dass Chandler den größten Teil der 50er-Jahre bei Universal unter Vertrag stand, wo man vom Budget her in erster Linie auf hochwertige B-Filme ausgerichtet war, ist sicherlich einer der Gründe dafür, dass man seine Filme oder sein Schauspiel nur äußerst selten für würdig befand, um wissenschaftlich darüber zu sprechen oder zu schreiben. Zuweilen wird so etwas auch ganz lapidar von oben herab entschieden – ohne die Filme überhaupt gesehen zu haben, versteht sich.

Dass „Der Herrscher von Kansas“ eine Paramount-Produktion und somit selbst nach Definition der Hardliner ein „A-Film“ durch und durch ist, mag man bei so viel Oberflächlichkeit dann vielleicht auch einmal übersehen. Fälle wie diese sind es, warum ich es müde bin, wenn Filmwissenschaftler anfangen, in Bezug auf wichtige Genrebeiträge mit dem Wort „Kanon“ zu hantieren. Das liegt weniger daran, dass ich der Ansicht bin, dass in diesen Auflistungen zu viele Filme stehen, die dort nicht hingehören, sondern mehr daran, dass meistens einige zentrale Filme fehlen, daraus resultierend auch die gesamten Genres häufig viel zu schlecht ausdifferenziert werden und dieser Umstand als Folgefehler langfristig bestehen bleibt, weil man vor allem weiterhin „Kanon“ und zu wenig anderes schaut.

Der sogenannte „Kanon“ ist stets eine selbsterfüllende Prophezeiung – eine teils fast schon dogmatische Auflistung von Filmen eines Genres, die man feiern „muss“, wenn man dazugehören will und die natürlich selbstverständlich über Generationen in aller Munde bleibt, wenn man sein Sehverhalten in erster Linie nach dem Kanon ausrichtet. Wenn man dem Publikum und den Filmstudenten immer wieder dieselben Filme eines Genres vorsetzt, werden auch immer wieder überwiegend nur dieselben rezipiert und besprochen werden. Logisch eigentlich. Und daraus dann abzuleiten, dass diese Filme erwiesenermaßen die beliebtesten seien – weil am häufigsten gesehen, besprochen und/oder gemocht –, ist dementsprechend albern. Gesehen haben „muss“ man überhaupt keinen Film, aber wenn auf „Kanon“-Listen von klassischen Western, die man gesehen haben „sollte“, gewissermaßen systematisch „Der Herrscher von Kansas“ fehlt, ist das einfach alles wenig glaubwürdig oder maßgeblich, da so etwas nicht von Fachkompetenz zeugt, die einen umfassenden Blick auf das Genre mitsamt aller Strömungen und seiner A-, B- oder auch C-Filme einschließt.

Versteht mich nicht falsch: Ich erwarte nicht, dass der Film auf jeder dieser Listen zu finden ist. Es ist selbstverständlich völlig legitim, wenn nicht die ganze Wissenschaftswelt ihn für gut befindet, wenn man wenigstens kontrovers diskutieren würde und auch, dass nicht jeder ihn bespricht, der auch höchst populäre Western wie „12 Uhr mittags“ (1952) oder „Der schwarze Falke“ (1956) besprochen hat, ist natürlich absolut okay – und jeder Zuschauer im Kino oder vor dem Fernseher soll sowieso die Filme am besten finden, die er am liebsten mag. Aber wenn wir von Wissenschaft reden und man dann aber von sogenannten Experten selten mal auch nur ein Wort über diesen Film findet, wenn es um maßgebliche Western geht, fängt es doch an, merkwürdig zu werden. Das ist einfach zu viel der Einseitigkeit – und man findet dieses Phänomen immer wieder, über praktisch alle Genres hinweg. Sich systematisch auf gewisse Genrebeiträge zu versteifen und andere dafür gänzlich unter den Tisch fallen zu lassen, hat nichts mit wissenschaftlichem Arbeiten zu tun. In dieser Hinsicht gibt es auch nach Jahrzehnten immer noch unglaublich viel Luft nach oben.

Eine Blu-ray, die sich lohnt

In Deutschland ist der Film bisher nur unter einem neuen Titel und mit einem Cover erschienen, das zudem die Rechteinhaber nicht in der üblichen Deutlichkeit preisgibt, was mittlerweile auch für diverse andere Paramount-Klassiker gilt. Ferner liest man zur Veröffentlichung des „Herrschers von Kansas“ auch wenig Gutes über die Bildqualität. Obwohl sich die Veröffentlichungen dieser ominösen Reihe auch in den DVD-Regalen vieler großer Märkte finden und ich mir daher nicht anmaßen will, etwas zu unterstellen, gehe ich hier und jetzt trotzdem nicht näher auf diese Veröffentlichung ein. Man hätte den Film ja auch einfach mit dem richtigen Titel und mit den entsprechenden Verweisen auf Rechteinhaber, Verleih, produzierendes Studio oder ähnliches, in der üblichen Art und Weise, veröffentlichen können – dann hätten wir das Problem jetzt nicht und ich müsste meine Hände nicht umständlich in Unschuld waschen. Eine klare Empfehlung kann ich hingegen zur US-amerikanischen Blu-ray aussprechen. Auch wenn das Ausgangsmaterial ein paar Beschädigungen aufweist, ist die Bildqualität hinsichtlich Farbe und Schärfe einfach wundervoll. Wäre es ein Universal-Film, hätte ihn Koch Films wahrscheinlich schon lange veröffentlicht – wie auch eine Vielzahl anderer Jeff-Chandler-Filme, darunter sämtliche von Universal produzierten Western, in denen er die Hauptrolle spielte. Sogar um Chandlers 20th-Century-Fox-Western hat sich Koch bereits erfolgreich bemüht, aber dass die Veröffentlichung von Paramount-Klassikern durch Sublizenznehmer äußerst problematisch ist, ist ja mittlerweile kein Geheimnis mehr.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Jeff Chandler und Henry Silva haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Veröffentlichung (USA): 24. April 2012 als Blu-ray und DVD

Länge: 100 Min.
Altersfreigabe: FSK 12
Originaltitel: The Jayhawkers!
USA 1959
Regie: Melvin Frank
Drehbuch: A. I. Bezzerides, Frank Fenton, Joseph Petracca, Melvin Frank
Besetzung: Jeff Chandler, Fess Parker, Nicole Maurey, Henry Silva, Herbert Rudley, Leo Gordon, Frank DeKova, Don Megowan, Renata Vanni, Ned Glass
Verleih: Paramount Pictures

Copyright 2017 by Ansgar Skulme
Filmplakat: Fair Use

 
 

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Eine Antwort zu “Der Herrscher von Kansas – Hängt ihn! Hasst ihn! Leichter gesagt als getan

  1. diawl

    2023/10/13 at 00:10

    Ansgar Skulme, your critique of ‚The Jayhawkers‘ is a brilliant re-assessment of a sadly neglected masterpiece. I am full of admiration that you have put into such scholarly form my own private thoughts on seeing this film for the first time! Your depth of knowledge also expands my original appreciation. It actually is better than some more ‚canonical‘ Westerns. It is a remarkable movie, and an important piece of authentic Americana.

    If only more people would be more open and curious in their approach to film! But my experience of running a film society (once upon a time) has disillusioned me on that score, as even intelligent people these days only want to see the same things that everyone else wants to see, and simply disregard anything unfamiliar or out of the ordinary. There is no urge to explore and to discover for themselves! Thank-you for doing full justice to this truly superb film! And please forgive me for addressing you in English. (Thank goodness for Google Translate!)

     

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