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Zum 100. Geburtstag von Chuck Connors: Weites Land – Gegen manch enge Stirn

10 Apr

 

Weites_Land-Packshot

The Big Country

Von Tonio Klein

Western // Vielleicht die schönste Stelle beim zweiten Sehen von William Wylers „Weites Land“ (1958): Der Seefahrer James McKay (Gregory Peck) zieht von der Ostküste in den Wilden Westen, um in die Familie Terrill einzuheiraten. Seine Braut Patricia (Carroll Baker) trifft er zunächst im Haus ihrer Freundin, der Lehrerin Julie Madigan (Jean Simmons). Und weil Julie gerade nicht da ist, kann James mit Patricia ungestört knutschen und kommentiert die Freude darüber mit einem Kompliment an die Abwesende: „Die gefällt mir jetzt schon.“

Im weiten Land sind Umwege nötig

So viel darf verraten werden: Wie recht er doch hat … Im Laufe der Zeit spielt sich Jean Simmons’ Julie klammheimlich und mit ihrer vielgerühmten stillen Stärke in das Zentrum des Films und das Herz von James. Hier haben wohl ein aufmerksamer Regisseur und ein aufmerksames Drehbuch schon zu Beginn ein Zeichen gesetzt. So wie dieser ungewöhnliche epische Western ohnehin ein Meisterwerk der bedeutungsvollen Zeichen, Worte, Blicke, Gesten, Kameratotalen ist. Man kann ihn wieder und wieder sehen und wird feststellen, dass etwas selten so perfekt, aber dennoch mit Seele und Liebe inszeniert wurde. Und was ist es, das Seele und Liebe hat? Die Geschichte eines Mannes, der in feinem Zwirn und mit einer ruhigen Überlegenheit in den Westen kommt und mit männlichem Imponiergehabe so gar nichts anfangen kann. In dieser Haltung versucht er schließlich, in einem Familienkrieg zwischen den Terrills und den verkommen wirkenden Hannassays um eine Wasserstelle zu vermitteln. Und ist beeindruckt von Julie, in der er eine verwandte Seele findet, in die er sich schließlich verlieben wird.

Show, don’t tell

Wyler gelingt es, dieses Moralstück ohne zu viel Zeigefinger zu inszenieren. Mehrere Gründe sind anzuführen: Zum einen ist nicht alles in den Dialog verlagert. Ein minutiös perfekt inszenierter Blick sagt bei 40-Takes-Willy genauso viel wie Worte. Wenn beispielsweise illustriert wird, dass bei den Terrills die nackte Gier regiert und dass auch James’ Braut Patricia davon nicht lassen kann, können wir Patricia in James’ Armen sehen, wie sie sich um Kopf und Kragen redet und hofft, James doch noch für ihre und ihres Vaters Ziele einspannen zu können. Aber wir sehen auch immer James’ Gesicht dabei. Das Gesicht eines Gentlemans, der von Understatement geprägt ist und dem es sichtlich schwer fällt, deutlich auszusprechen, dass die Hochzeit platzen wird. Aber dass er sie platzen lassen wird, können wir aus seinen Zügen lesen. Wir sehen, was Patricia nicht sieht. Wir sehen sowieso öfter einmal, was andere nicht mitbekommen – wenn James etwa ihm angetragene „Mutproben“ später klammheimlich doch noch absolviert, nur für sich selbst, obwohl er sich vor Publikum geweigert hatte und meint, einer Frau, die ihn liebt, nichts beweisen zu müssen. Hierdurch bekommen wir einen Informationsvorsprung, dringen ins Innerste der Figuren ein, kommen ihnen wirklich nahe, ohne dass Wyler diese Dinge forciert. Die Kamera ist gelegentlich so weit entfernt, dass Menschen wie kleine, unbedeutende Punkte im weiten Land erscheinen. Aber der Film ist damit nie Ausstellungsstück, er fordert eher ein bisschen zu Mäßigung und Demut auf und schafft gerade damit bewegende Porträts von Menschen, die wir teils lieben können, aber denen wir nie blind hinterherhecheln. Seltsamerweise ist der Film bei aller Kritik an menschlicher Gier niemals misanthropisch, sondern zeigt teils „Gute“, teils Gescheiterte, aber nie richtig Böse. Major Terrill (Charles Bickford) ist letztlich Opfer seiner Sozialisation, und sein Gegner Rufus Hannassay (Burl Ives) ist ein verbitterter Mann mit einem guten Kern.

This boot is made for actin’

Rufus’ Sohn Buck wird vom Jubilar Chuck Connors gespielt. Am 4. Oktober 1921 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren, hatte er nicht die klassische Schauspielerausbildung, sondern verdiente er nach seiner Armeezeit sein Geld mit Basket- und Baseball. Er erkannte, dass er es dort nicht zum Topspieler bringen konnte, und griff zu, als ihn ein MGM-Talentsucher auf dem Baseballfeld in Aktion sah und an ihn herantrat. Es war ja nicht ungewöhnlich, Hollywoodkarrieren auf Äußerlichkeiten aufzubauen, wobei manche der so Gelockten das Schauspiel erstaunlich gut lernten. Nur startete der großgewachsene, athletische Connors zu einem Zeitpunkt, als das alte Studiosystem schon im Umbruch war, 1952. Zu kleinen und mittelgroßen Kinorollen gesellte sich das Fernsehen, wo er in „Westlich von Santa Fé“ (1958–1963) die Hauptrolle innehatte. Später bereicherte der für Western prädestinierte, kantige Connors auch das italienische Genrekino. Wobei der Italowestern „Töte alle und kehr allein zurück“ (1968), glaubt man dem Filmpublizisten Christian Keßler, um einiges besser ist als der Thriller „Maniac Killer“ (1987) des in Sex und/oder Crime immer extremen Andrea Bianchi. Auch sonst dünnt Connors’ Filmografie gegen Ende deutlich aus, und zwar nicht quantitativ. Der ganz große Star war er nie gewesen, als er 1992 in Los Angeles an Lungenentzündung infolge eines Lungenkrebsleidens starb. 1984 durfte er aber immerhin den Golden Boot Award entgegennehmen, der für Leistungen in Kino- und Fernsehwestern vergeben wird.

Chuck Connors brilliert mit radikal antifilmischer Figur

Connors’ Darstellung in „Weites Land“ ist bemerkenswert, weil Buck eine extrem unvorteilhafte, darin aber auch unschuldige Figur ist. Als so eine kann man keinen Oscar gewinnen, aber die Darstellung blieb mir schon beim ersten Sehen im Jahr 2003 (Programmänderung anlässlich Gregory Pecks Tod) nachhaltig im Gedächtnis. Dieser Buck ist wirklich alles, was weder ein Held noch ein Schurke sein sollte, und Regisseur Wyler und Darsteller Connors heben das weit über den doofen Heavy, der immer auf die Mütze bekommt. Die Bösen seien gefälligst charismatisch, gerissen oder zumindest zum Fürchten stark? Nicht so Buck, der zu unschuldig ist, um ihn zu hassen, aber auch zu aufdringlich und gewalttätig, um ihn zu bemitleiden. Am deutlichsten zum Ausdruck kommt dies bei einem Vergewaltigungsversuch, begangen an Julie. Die Szene zeigt auch, wie gut der Film bei etwas, wo das besonders schwierig ist, gealtert ist. Buck sagt, als er an der Fortsetzung der Untat gehindert wird, etwas wie „Wir wollten nur ein bisschen Spaß haben“ – also die notorische Ausrede, zu der 1991 Louise in „Thelma & Louise“ die richtigen Worte (und die richtige Waffe) fand. Das schier Unglaubliche: Man nimmt ihm diesen Satz ab! Um nicht missverstanden zu werden: Man glaubt, dass er selbst das glaubt. Was es nicht besser macht, was Buck aber als einen völlig Hilflosen charakterisiert, so schlecht, dass er nicht mal böse ist. Das muss man erst einmal hinbekommen!

Schauwerte und Mehrwerte

Minutiös gelingt Wyler und seinem Team eine kluge Demontage von Westernmythen, und man wird in einem mehr als zweieinhalbstündigen Film, der weitgehend actionfrei ist, auch noch prächtig unterhalten. Es gibt eine prachvoll-schmissige, aber im Einzelnen sehr nuancierte Musik von Jerome Moross, und es gibt klassische Westernbilder en masse, inclusive eines (kleinen) Showdowns in einem imposanten Canyon. Aber Wyler lässt das nie zum Selbstzweck verkommen. Auch wenn er das titelgebende weite Land in Dialog und Bild reichlich zelebriert, sehen wir das mit einem kritischen Auge. Von den Menschen, die mitunter klein wie Punkte werden, war schon die Rede. Auch Details wie das, dass James zur See gefahren war, verliert Wyler nie aus den Augen: James kennt von den Ozeanen ganz andere Weiten als diejenigen, die ihm von den Westernern gezeigt werden, und er kann sich gegen alle Erwartungen in dem weiten Land orientieren (selbst schuld, wenn die Westerner noch nie einen Kompass gesehen haben). Nicht nur hier ist dies ein Film der Gegensätze und Doppelungen, die immer auf den Gegensatz von Schein und Sein, von Verlogenheit und Aufrichtigkeit hinauslaufen. Beispielsweise nennen alle Mr. Terrill „Major“, aber ob er jemals Soldat war, erfahren wir nie. Umgekehrt trauen wir James McKay eher einen Offiziers- als einen Matrosenrang zu, vielleicht war er gar Kapitän, aber er und der Film haben es nicht nötig, darüber je ein Wort zu verlieren. Terrill freut sich, einmal mit James „allein“ sprechen zu können, als ganz klar ein schwarzer Hausangestellter im Hintergrund des Raumes zu erkennen ist. James hingegen beachtet das schwarze und Latino-Personal. James’ ursprüngliche Braut Patricia und Julie sind ebenfalls Schein und Sein. Man merkt es in vielen Szenen sehr genau, beispielsweise wenn sie zusammen ergründen, ob James heimlich doch das wildeste Pferd „Old Thunder“ zugeritten hat. James und Julie haben eine wunderbare erste Begegnung auf Julies alter Farm, in der sich auf recht spaßige Weise eine Seelenverwandtschaft und auf jeden Fall schon mal höchste Achtung und Sympathie ankündigen. James’ und Patricias Kommunikation ist hingegen oft von Missverständnissen und erst ganz kleinen, versteckten, schließlich immer deutlicheren Differenzen geprägt.

Schauwerte, Mehrwerte, Schauspieler

Obwohl mehr geredet als geschossen wird, wird immer ebensoviel durch Wylers punktgenau inszenierte Blicke und Gesten gezeigt. Hier sitzt noch jedes leichte Heben der Augenbraue! Und so geraten die Reden niemals zum großen, artifiziellen Gehabe wie etwa in „Vom Winde verweht“ (1939). „Weites Land“ ist lang, aber man hat das Gefühl, in ihm sei noch eine halbe bis ganze Stunde mehr enthalten. Alle Schauspieler erzielen Höchstleistungen, auch Charlton Heston. Ein Star, der sich die Hauptrollen aussuchen konnte, aber hier mit der zweiten Reihe in einem erstklassigen Film zufrieden war. Er ist der Terrill-Hausverwalter, der sich erst am Schluss von dessen und seinen Vorurteilen abwendet und vielleicht nach dem Abspann mit Patricia zusammenkommen kann. Auch für ihn also grob gesehen nicht viel zu reißen, aber das ist ein Film des Feinen. Man fühlt, wie der Mann zerrissen zwischen Gewohnheiten, Eifersucht auf James und Loyalität zum „Major“ ist. Von Jean Simmons’ stiller Stärke, die selten so glänzt wie hier, war schon die Rede. Wyler zeigt ein sicheres Gespür für die Idealbesetzung der Rolle einer Frau, die auf unspektakuläre Weise tief berühren und letztlich siegen soll. Gregory Peck ist der Gentleman, dem man dennoch die zurückgehaltenen Emotionen ansieht, so wie er schon in Wylers „Ein Herz und eine Krone“ (1953) auch das Tragische hinter dem Sonnyboy zeigen konnte.

Die deutsche Blu-ray von 2011 und die DVD von 2008 sind im Handel vergriffen und durchaus gesucht. Höchste Zeit für eine Neuauflage! Ich könnte noch seitenweise über diesen Film berichten, der mich 2003 völlig unvorbereitet wie ein Blitz traf und mich zum Wyler-Fan machte. Noch immer ist „Weites Land“ einer meiner Lieblingsfilme.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von William Wyler haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Carroll Baker und Jean Simmons unter Schauspielerinnen, Filme mit Charles Bickford, Chuck Connors, Charlton Heston, Burl Ives und Gregory Peck in der Rubrik Schauspieler.

Weites_Land-US-Plakat

Veröffentlichung: 10. Juli 2011 als Blu-ray, 14. März 2008 als DVD

Länge: 167 Min. (Blu-ray), 159 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch
Untertitel: Deutsch, Englisch für Hörgeschädigte u. a.
Originaltitel: The Big Country
USA 1958
Regie: William Wyler
Drehbuch: James R. Webb, Sy Bartlett, Robert Wilder, nach einem Roman von Donald Hamilton
Besetzung: Gregory Peck, Jean Simmons, Charlton Heston, Carroll Baker, Burl Ives, Chuck Connors, Charles Bickford, Alfonso Bedoya, Chuck Hayward, Buff Brady, Jim Burk, Dorothy Adams
Zusatzmaterial: Making-of „Spaß auf dem Land“ (5 Min.), TV-Spot, Kinotrailer
Label/Vertrieb: MGM

Copyright 2021 by Tonio Klein
Packshot: © 2008 MGM, Filmplakat: Fair Use

 

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