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Das Testament des Dr. Mabuse – Nicht, dass am Ende noch die Wahrheit rauskommt

21 Jan

Das Testament des Dr. Mabuse

Von Ansgar Skulme

Thriller // Dr. Mabuse (Rudolf Klein-Rogge) sitzt in einer Nervenheilanstalt und schreibt in einem Zustand geistiger Umnachtung ständig Instruktionen zu Verbrechen nieder. Der Leiter der Klinik, Professor Baum (Oscar Beregi Sr.), hat sich lange mit Mabuse beschäftigt und ihn sogar zum Gegenstand universitärer Vorlesungen gemacht. Nur Mabuses hypnotische Fähigkeiten scheint er unterschätzt zu haben. In derselben Anstalt landet auch der frühere Polizist Hofmeister (Karl Meixner), dessen ehemaliger Chef Kommissar Lohmann (Otto Wernicke) klären will, warum Hofmeister offenbar den Verstand verloren hat, während er versuchte, ihm gefährliche Informationen zu übermitteln. Wichtige Hinweise könnten von Thomas Kent (Gustav Diessl) zu bekommen sein, der zu der von Mabuse initiierten Organisation von Kriminellen gehört, aber zugunsten seiner Beziehung mit seiner Freundin Lilli (Wera Liessem) aussteigen will.

Mabuse (l.), Mastermind in Menschengestalt

Die Nationalsozialisten zogen „Das Testament des Dr. Mabuse“ in Deutschland noch vor dem geplanten Kinostart aus dem Verkehr. Zu deutlich waren 1933 die Anspielungen auf das sich gerade manifestierende Regime. Auffällige Parallelen zeigen sich etwa hinsichtlich der Umstände, unter denen die programmatischen Schriften Mabuses und Adolf Hitlers hinter Schloss und Riegel verfasst worden sind. Ferner gibt Mabuse klare Anleitungen, wie man mit Hilfe von Terror und Einschüchterung gewisse Effekte in der Bevölkerung erzielen kann, er plant einen Giftgasanschlag und erwartet bedingungslose Untergebenheit seiner Gefolgschaft. Joseph Goebbels soll den Film als spannend empfunden haben, verbot ihn aber dennoch aus nachvollziehbaren Gründen. Womöglich hätte sonst noch jemand Nachtigallen trapsen hören.

Kennzeichen eines Meisterwerks

Unabhängig von der politischen und gesellschaftskritischen Komponente wirkt der Film als Tonfilm der ersten Stunde ausgesprochen stilbildend – sowohl als Krimi beziehungsweise Thriller als auch aufgrund seiner Horrorkomponenten, nicht zuletzt aufgrund der Spezialeffekte, die das Erscheinen von Mabuse in geisterhafter, durchsichtiger und gruselig flüsternder Form ermöglichten. Selbst die Inszenierung der Action wirkt visionär und lässt Muster erkennen, die man heute noch im Kino und Fernsehen findet, obwohl das Werk nunmehr über 85 Jahre auf dem Buckel hat. Verfolgungsjagden, spektakuläre Explosionen, pompöse Wassermassen, Wettläufe gegen die Zeit – für einen 30er-Jahre-Film ist das Blockbuster-Niveau der obersten Güteklasse.

Dr. Mabuse zu verpfeifen ist eine waghalsige Idee – oft verliert man dabei den Verstand, das Leben oder beides nacheinander

Verständlich, dass die Nazis Fritz Lang gern auf ihre Seite gezogen hätten, selbst obwohl ihnen spätestens nach Sichtung von „Das Testament des Dr. Mabuse“ klar sein musste, dass er aktiv versuchte, die Bevölkerung filmisch vor ihnen zu warnen. Lang zeigt sich hier nach „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) erneut als versierter Kinoversteher, der seine Botschaften abwechslungsreich und spannend an den Mann bringt. Wer so geschmeidig Kritik an Hitler und seinem Gefolge in einem Unterhaltungsfilm verpacken konnte, war sicherlich auch im Umgang mit den subtilen Mechanismen eines Propagandafilms im Sinne des Regimes als effiziente Lösung denkbar. Dies dürfte Goebbels bewusst gewesen sein und gegenüber dem Aspekt, dass Lang gewissermaßen einen filmischen Angriff auf die NSDAP versucht hatte, überwogen haben.

Dem taffen Lohmann jagt nichts einen Schrecken ein

Dummerweise hatte Fritz Lang aber, wie Millionen seiner Mitbürger, andere Pläne, als sich von Faschisten instrumentalisieren zu lassen, er emigrierte daher über Frankreich, wo er unterwegs einen weiteren Film („Liliom“) inszenierte, nach Hollywood. Seine Filme dort erreichten zwar nie das legendäre Niveau seiner Stummfilme und der beiden noch vor seiner Flucht entstandenen deutschen Tonfilme, sind aber durchweg sehenswert. Zumal Lang zu den Regisseuren gehörte, die sich eine deutliche Handschrift hinsichtlich der Bildsprache meist bewahren konnten. Einen Film von Lang erkennt das geübte Auge oft recht schnell allein anhand der Einstellungsgrößen und der Anordnungen innerhalb des Bildes, was insbesondere im Kontext von Hollywood-Studiofilmen in dieser Eindeutigkeit bemerkenswert ist. Es gibt Regisseure, deren Handschriften sich ähneln, aber zu Fritz Lang gibt es ein solches Pendant nicht.

Was für Typen!

Eine große Stärke Langs war zudem das Erdenken und Umsetzen mittels gekonnter Schauspielerführung sowie eindrucksvolle Bebildern kauziger und schräger Charaktere mit Ecken und Kanten, einschließlich besonderer Sprache und Dialekten. Figuren, die absichtlich überzeichnet, aber dennoch aus dem Leben gegriffen sind. Angefangen bei dem von Otto Wernicke gespielten Kommissar Lohmann, dessen erneutes Auftauchen dazu führt, dass „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, in dem er seinen ersten Auftritt hatte, und „Das Testament des Dr. Mabuse“ im selben filmischen Universum verortet werden. Das ist insofern bedeutsam, als es wie ein Fingerzeig wirkt, dass man als Zuschauer gar nicht erst auf den Gedanken kommen soll „Mabuse“ sei reine Fantasterei, wohingegen nur „M“ ein Drama mit Realitätsbezug gewesen sei. Durch Lohmanns erneute Anwesenheit wird deutlich gemacht, dass beide Filme gewissermaßen Rücken an Rücken auf den Straßen draußen vor der Tür spielen – und das ist mit Hinblick auf die Kritik am politischen Regime wesentlich.

Professor Baum gerät in mörderische Schwierigkeiten

Es verwundert wenig, dass Lang, als er nach seiner Rückkehr aus Hollywood 1960 einen weiteren Mabuse-Film in die deutschen Kinos brachte, Gert Fröbe als neuen Ermittler auftreten ließ: „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ diente als Auftakt zu einer neuen Reihe, die von anderen Regisseuren weitergeführt wurde. Fröbe war ein ähnlich besonderer, frei von der Leber weg redender Schauspieler mit unverkennbarem Wiedererkennungswert wie Otto Wernicke – ein Typ Darsteller und Kerl, der im deutschen Kino der 50er und 60er aber bei Weitem nicht mehr so geläufig war wie zu Langs früheren Zeiten. Auch dieser Abschluss von Langs Mabuse-Trilogie, der zunächst der zweiteilige Stummfilm „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1922) vorangegangen war, ist übrigens sehr sehenswert und alles andere als ein Nachklapp, den keiner gebraucht hätte, oder gar ein Spätwerk, über das man besser den Mantel des Schweigens hüllen sollte. Genau wie auch der Rest der besagten 60er-Jahre-Mabuse-Reihe, die unter anderem ein Remake von „Das Testament des Dr. Mabuse“ (unter der Regie von Werner Klingler) sowie in unterschiedlichen Filmen tolle Auftritte von Werner Peters, Lex Barker, Peter van Eyck, Siegfried Lowitz und vielen mehr beinhaltet, stellt Fritz Langs „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ eine sehr unterhaltsame Konkurrenz aus dem Hause Artur Brauner zur damaligen Edgar-Wallace-Reihe von Rialto dar.

Große Ideen bestehen oft auch über den Tod hinaus – die guten wie die schlechten

Neben Otto Wernicke brillieren in Langs „Das Testament des Dr. Mabuse“ besonders der mit einer sehr speziellen Stimme gesegnete und das komplette Portfolio zwischen renommiertem Uni-Professor und komplett Wahnsinnigem abbildende Oscar Beregi Sr. als Professor Baum, Karl Meixner als im Schock irre gewordener Informant und Rudolf Schündler als schießwütiger Gangster von der Straße, der herumschreit und eskaliert als sei er der leibhaftige Erfinder von Klaus Kinski. Fritz Lang war ein Künstler dahingehend, vor allem die besonders abgefahrenen Figuren Akzente setzen zu lassen. Zudem griff er, in vergleichsweise starkem Maße, bis hin zu eher kleinen Rollen gern auf Schauspieler zurück, mit denen er schon vorher gearbeitet hatte, wodurch seine deutschen Filme auch hinsichtlich der Gesichter einen recht unverkennbaren Fritz-Lang-Look erhalten, wie man in diesem Fall etwa an der Präsenz von Georg John, Theodor Loos, Rudolf Klein-Rogge und letztlich auch Theo Lingen oder besagtem Otto Wernicke sehen kann.

Jammern auf hohem Niveau

Das atlas-film-Mediabook von „Das Testament des Dr. Mabuse“ ist schön gestaltet und auch die Bildqualität des Films ansehnlich. Etwas schade ist lediglich, dass man auf Bonusmaterial quasi gänzlich verzichten muss, abgesehen von papierhaften Inhalten in Form eines Filmposters und des Booklets. Selbst die „Fritz Lang Sonderedition“ von 2004, die dem Film eine seiner vorausgegangenen DVD-Veröffentlichungen in Deutschland bescherte, hatte mehr an Extras zu bieten. Da Mediabooks im Allgemeinen der Ruf vorauseilt, recht üppig mit Bonusmaterial ausgestattet zu sein – wobei man hier unter anderem das Stichwort Audiokommentar besonders hervorheben sollte –, ist dann die Frage, welche Ansprüche man persönlich an eine solche Veröffentlichung und die Preiskategorie stellt. Zudem mag der eine oder andere zum Zeitpunkt der Ankündigung darauf gehofft haben, dass die separat gedrehte französische Sprachfassung des Films in solch einer Veröffentlichung vielleicht sogar als Extra aus der Versenkung auftauchen könnte – wenn man beispielsweise an das Mediabook des John-Wayne-Films „Der große Treck“ (1930) aus dem Hause Koch denkt, das im Gepäck auch die simultan mit deutschen Schauspielern gedrehte Fassung hatte. Insbesondere scheint diese Hoffnung berechtigt, wenn man sich vor Augen führt, dass die „Criterion Collection“ aus den USA im Bonus zu „Das Testament des Dr. Mabuse“ tatsächlich die Version in französischer Sprache aufweist. So bleibt der Beigeschmack, zwar ein sehr gutes Upgrade zu den bisherigen deutschen Veröffentlichungen vorliegen zu haben, das früher oder später aber ein üppiger gestaltetes weiteres Upgrade vertragen könnte. Eine Referenzveröffentlichung von der Insel in hervorragender Bild- und Tonqualität, mit fachkundigem Audiokommentar und 52-seitigem Booklet stellt das 2-Disc-Edition Steelbook (Blu-ray und DVD) der „Masters of Cinema“-Serie des britischen Labels Eureka Entertainment dar – siehe die beiden letzten Fotos. Auch Langs „Dr. Mabuse, der Spieler“ ist dort in vergleichbarer Aufmachung erschienen.

Ergänzende Anmerkung des „Die Nacht der lebenden Texte“-Bloggers: Unglücklicherweise wurde das FSK-Logo versehentlich auf das Mediabook aufgedruckt, was bei Atlas Film erst auffiel, als nicht mehr in den Produktionsprozess eingegriffen werden konnte. Die erste Auslieferung an den Handel ließ sich leider nicht mehr stoppen. Das Label bedauert diesen Fehler und bietet zum Ausgleich einen Vertikalschuber (O-Card) mit dem Covermotiv ohne FSK-Logo an, der über das Mediabook geschoben werden kann. Käufer des Mediabooks mit aufgedrucktem Logo können sich an info@atlas-film.de wenden, um den Schuber kostenfrei zu bestellen. Wir sagen: Fehler passieren, Daumen hoch für diese zügige Reaktion.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Fritz Lang haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet.

Veröffentlichung: 25. Januar 2019 als Blu-ray und DVD im Mediabook, 6. April 2005 als DVD, 6. Dezember 2004 als DVD (in der „Fritz Lang Sonderedition“), 15. Dezember 2003 als DVD

Länge: 121 Min. (Blu-ray), 116 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch
Untertitel: keine
Originaltitel: Das Testament des Dr. Mabuse
D 1933
Regie: Fritz Lang
Drehbuch: Thea von Harbou & Fritz Lang, nach einem Roman von Norbert Jacques
Besetzung: Otto Wernicke, Oscar Beregi Sr., Gustav Diessl, Karl Meixner, Wera Liessem, Rudolf Schündler, Rudolf Klein-Rogge, Theodor Loos, Theo Lingen, Georg John
Zusatzmaterial Mediabook: Booklet, Filmposter
Label: atlas film
Vertrieb: Al!ve AG
Label/Vertrieb 2003/2004: Universum Film

Copyright 2019 by Ansgar Skulme

Szenenfotos & Packshot: © 2019 Al!ve AG / atlas film

 
 

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Eine Antwort zu “Das Testament des Dr. Mabuse – Nicht, dass am Ende noch die Wahrheit rauskommt

  1. TomHorn

    2019/01/25 at 00:10

    Ich muss sagen, dass für mich der aufgedruckte FSK-Flatschen der letztendliche KO für das MB war. Die Edition hat keine Extras und sieht im Regal dazu auch nicht gut aus. Das Booklet liest sich gut und ist informativ, aber da haben die Jungs und Mädels von Eureka! und Criterion dann doch mehr zu bieten, zumal die exzellente britische Veröffentlichung (sogar als Neuauflage) ohne Probleme für wenig Geld erhältlich ist.

     

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