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Horror für Halloween (XXXVII): Der Unsichtbare (1933) – Brillant getrickst

20 Okt

The Invisible Man

Von Volker Schönenberger

SF-Horror // Lon Chaney war sowohl 1923 „Der Glöckner von Notre Dame“ als auch zwei Jahre später „Das Phantom der Oper“. Bela Lugosi verkörperte 1931 „Dracula“. Boris Karloff gab im selben Jahr das Monster in „Frankenstein“ und 1932 „Die Mumie“. Lon Chaney Jr. war 1941 „Der Wolfsmensch“. Nur einige der ikonischen Darsteller und Kreaturen, die von den 1920er- bis zu den 1950er-Jahren als die Universal-Monster über die Kinoleinwände geisterten und weltweit das Publikum in Angst und Schrecken versetzten. Und dann gab es natürlich auch noch den Unsichtbaren: Claude Rains was the invisible man, wie es 1975 im Vorspann von „The Rocky Horror Picture Show“ im Song „Science Fiction / Double Feature“ hieß. Regisseur James Whale („Frankenstein“) inszenierte „Der Unsichtbare“ von Juni bis August 1933 in den Universal-Studios in Universal City im Los Angeles County.

Im Sommer gedreht, beginnt der Horrorklassiker doch mit Schneegestöber: Ein sonderbarer Mann (Claude Rains) rettet sich vor dem kalten Niederschlag in „The Lion’s Head“, die örtliche Gaststätte des Dorfs Iping in der englischen Grafschaft West Sussex. Dass sein Körper vollständig vermummt ist, erscheint aufgrund des Wetters noch nachvollziehbar. Darüber hinaus verbirgt er auch sein Gesicht mit dunkler Brille und einigen Bandagen vollständig vor den Blicken der aufgeschreckten Gäste und des Gastwirt-Ehepaars Hall (Una O’Connor, Forrester Harvey). Er lässt sich ein Zimmer geben und gibt Anweisungen, nicht gestört zu werden. Als ihm die Wirtin zu seinem Essen den vergessenen Senf bringt, gelingt es ihm gerade noch, seine freiliegende Mundpartie mit einer Serviette vor ihr zu verbergen. Das Publikum jedoch erkennt – nichts! Der Mann ist unsichtbar.

Bei dem Gast handelt es sich um den jungen Wissenschaftler Dr. Jack Griffin, der danach trachtet, in der Abgeschiedenheit des Gasthauses das Resultat eines Experiments rückgängig zu machen, das ihn unsichtbar gemacht hat. Während sich Griffin mit verängstigten Dörflern herumplagt, sorgt sich seine Verlobte Flora Cranley (Gloria Stuart), wohin ihr Liebster verschwunden ist. Griffin absolvierte seine Forschungen als Assistent von Dr. Cranley (Henry Travers), Floras Vater. Nun sucht er als Unsichtbarer Cranleys anderen Assistenten Dr. Arthur Kemp (William Harrigan) auf und zwingt ihn, ihm zu helfen.

Die Szene hat beinahe schon Slapstick-Charakter: Als ein Polizist mit ein paar Männern in Griffins Zimmer eindringt, um ihn festzunehmen, weil er den Gastwirt die Treppe hinuntergestoßen hat, entledigt sich der Unsichtbare unter irrem Gelächter seiner Kleider und treibt in der Gastätte und im Dorf einigen Schabernack, bis er endlich Ruhe gibt. Dabei wirft er sogar einen Kinderwagen inklusive Baby um. Das Unsichtbarkeits-Serum, das sich der Wissenschaftler injiziert hat, hat offenbar auch seinen Charakter in Mitleidenschaft gezogen.

Dr. Griffin will sich wieder sichtbar machen

Derlei zum Schmunzeln und Lachen anregende Szenen wechseln sich mit durchaus grauslichen Sequenzen ab, die nach heutigen Maßstäben zwar recht harmlos inszeniert sind, beim zeitgenössischen Publikum ihre Wirkung aber nicht verfehlt haben werden. Griffin wird immer skrupelloser und schreckt bald auch vor Mord nicht zurück.

Der Unsichtbare legt sich mit den Dörflern an …

H. G. Wells’ Roman „The Invisible Man“ wurde erstmals 1897 veröffentlicht, sowohl als Serie in einer Wochenzeitschrift als auch als kompletter Roman im selben Jahr. Bei James Whales 1933er-Verfilmung handelt es sich um die erste Adaption, der viele folgten, zuletzt Leigh Whannells Blumhouse-Neuverfilmung „Der Unsichtbare“ (2020), die sich einige Freiheiten nahm und die Handlung in unsere Zeit transportierte. Obendrein hat der Roman seit Erscheinen in der populären Kultur vielfache Spuren hinterlassen.

… und versetzt seinen Kollegen Dr. Kemp in Angst und Schrecken

Den Startschuss für den Universal-Horror hatte das Studio bereits 1923 mit „Der Glöckner von Notre Dame“ gelegt, dem zwei Jahre später „Das Phantom der Oper“ folgte – in beiden Filmen spielte Lon Chaney (Sr.) die Titelrolle. Mit den kurz nacheinander produzierten „Dracula“ und „Frankenstein“ (beide 1931) legten die Universal Monsters einen Zahn zu. Ein Jahr später folgten mit „Die Mumie“, „Mord in der Rue Morgue“ und „Das alte finstere Haus“ gleich drei Filme. 1933 war dann die Zeit für „Der Unsichtbare“ gekommen. Die Rechte an der Vorlage hatte Universal bereits seit einiger Zeit gehabt, in der Zeit hatten sich satte 14 Drehbuch-Entwürfe angesammelt. Die vom englischen Autor R. C. Sherriff verfasste 15. und letzte Version fand auch die Zustimmung von H. G. Wells.

Griffin zwingt Kemp, ihm zu helfen

Ursprünglich war Boris Karloff als Unsichtbarer vorgesehen, der sprang aber ab, sodass Regisseur James Whale den beim Film bis dato unbekannten englischen Theaterschauspieler Claude Rains ins Spiel brachte, dessen markante Stimme ihn überzeugte. Mangels Filmerfahrung spielte Rains seine Rolle eher bühnenorientiert mit exaltierter Gestik, was auf uns heute bisweilen komisch wirkt, vom Regisseur aber gewollt war. Die nach wie vor beeindruckenden Unsichtbar-Tricks entstanden in aufwendiger Kleinarbeit. So wurden Filmaufnahmen übereinandergelegt, um den gewünschten Effekt zu erzielen; obendrein drehte man Szenen mit Rains vor einem Hintergrund aus schwarzem Samt, der Schauspieler trug über seine unsichtbar erscheinenden Körperbereiche ebenfalls schwarzes Samt. Die Wirkung hält modernen Maßstäben durchaus stand. Rains ist im Übrigen erst ganz am Ende des Films auch endlich mal zu sehen.

Flucht im Schnee

Ein paar klitzekleine Fehler haben sich in der Logik der Unsichtbarkeit eingeschlichen, auf die ich aber lediglich aus Kuriositätsgründen hinweise: Griffin selbst erwähnt in einer Szene, er müsse sich nach dem Essen von anderen Menschen fernhalten, weil die verschlungene Nahrung zu Beginn des Verdauungsprozesses noch eine Weile zu sehen sei. Folgt man dieser Logik, müsste auch der Rauch einer Zigarette in seiner Luftröhre und Lunge zu sehen sein. Das ist in einer späteren Szene aber nicht der Fall. Gegen Ende des Films flüchtet der Unsichtbare durch den Schnee. Weil sich die Unsichtbarkeit nicht auf seine Kleidung erstreckt, muss er nackt sein, das ist von Anbeginn als Fakt etabliert. Zu sehen sind allerdings keine Fußabdrücke, sondern Schuhabdrücke.

Turbine hat „Der Unsichtbare“ und dessen fünf Fortsetzungen (siehe Auflistung unten) lizenziert und in der Blu-ray/DVD-Kollektion „Der Unsichtbare – Monster Classics Complete Collection“ und der DVD-Box „Der Unsichtbare – Universal Monster Collection“ in ansprechend gestalteten Boxen veröffentlicht. Wer alle sechs Filme auf Blu-ray in die Sammlung aufnehmen will, kann auf die „The Invisible Man – Complete Legacy Collection“ zugreifen, die im Vereinigten Königreich erschienen ist.

Bild- und Tonqualität des Originalfilms überzeugen, die 37-minütige Doku „Sichtbar gemacht – Die Enthüllung des Unsichtbaren“ stellt ein schönes Extra dar. Das gilt ebenso für das 76-seitige Booklet, in welchem sich Tobias Hohmann ausführlich und kenntnisreich über die Universal-Monster im Allgemeinen und die sechs „Der Unsichtbare“-Filme im Besonderen auslässt. Für Fans der Reihe, ist die Box unverzichtbar, wer lediglich auf den ersten Film Wert legt, kann auch auf eine Einzel-Edition zugreifen. Universal hat zudem diverse Kollektionen der Universal-Monster herausgebracht, mal in Sargform, mal mit drei Büsten als Beigabe – diese Edition ist jedoch vergriffen und gesucht, auf dem Sammlermarkt daher recht hochpreisig zu finden. „Der Unsichtbare“ muss sich vor seinen Universal-Monster-Kollegen keineswegs verstecken, sondern gehört zumindest in seiner ersten Inkarnation von 1933 zur Speerspitze der berühmten Kreaturen.

Die Universal-Filme mit dem Unsichtbaren:

1. Der Unsichtbare (The Invisible Man, 1933)
2. Der Unsichtbare kehrt zurück (The Invisible Man Returns, 1940)
3. Die unsichtbare Frau (The Invisible Woman, 1940)
4. Der unsichtbare Agent (Invisible Agent, 1942)
5. Der Unsichtbare nimmt Rache (The Invisible Man’s Revenge, 1944)
6. Der Unsichtbare trifft Abbott und Costello (Bud Abbott and Lou Costello Meet the Invisible Man, 1951)

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Claude Rains haben wir in unserer Rubrik Schauspieler aufgelistet.

Veröffentlichung: 14. September 2017 als Blu-ray im Steelbook, 19. Mai 2017 als DVD (in der 6-DVD-Box „Der Unsichtbare – Universal Monster Collection“), 16. Oktober 2015 als Blu-ray (in der 2-Blu-ray & 6-DVD-Box „Der Unsichtbare – Monster Classics Complete Collection“), 2. Oktober 2014 als Blu-ray, 4. Oktober 2012 als Blu-ray (in der 8-Blu-ray-Sargbox „Universal Monsters – The Essential Collection“), 11. Februar 2010 als DVD, 14. Oktober 2004 als DVD (in der 14-DVD-Box „The Monster Legacy DVD Collection“ mit drei Büsten), 16. Januar 2003 als DVD (in der 8-DVD-Sargbox „Classic Monster Collection“)

Länge: 72 Min. (Blu-ray), 69 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: The Invisible Man
USA 1933
Regie: James Whale
Drehbuch: R. C. Sherriff, nach einem Roman von H. G. Wells
Besetzung: Claude Rains, Gloria Stuart, William Harrigan, Henry Travers, Una O’Connor, Forrester Harvey, Holmes Herbert, E. E. Clive, Dudley Digges, Harry Stubbs, Donald Stuart, Merle Tottenham
Zusatzmaterial „Monster Classics Complete Collection“ & „Universal Monster Collection“: Dokumentation „Sichtbar gemacht – Die Enthüllung des Unsichtbaren“ (37 Min., OmdU), Audiokommentar des Filmhistorikers Rudy Behlmer (OmdU), diverse Originaltrailer 76-seitiges Booklet mit Texten von Tobias Hohmann
Label/Vertrieb „Monster Classics Complete Collection“ & „Universal Monster Collection“: Turbine Classics GmbH
Label/Vertrieb übrige Editionen: Universal Pictures Germany GmbH

Copyright 2020 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & Packshots: © Turbine Classics GmbH bzw. Universal Pictures Germany GmbH

 
 

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Eine Antwort zu “Horror für Halloween (XXXVII): Der Unsichtbare (1933) – Brillant getrickst

  1. Frank Hillemann

    2020/10/20 at 15:29

    Sehr schön ist auch die Episode „“ Der Sohn des Unsichtbaren “ in dem Film “ Amazonen auf dem Mond“.

     

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