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Horror für Halloween (XLVIII) / Lucio Fulci (IV): Ein Zombie hing am Glockenseil – Unheilige Göttergabe

31 Okt

Paura nella città dei morti viventi

Von Volker Schönenberger

Horror // Halten wir gleich zu Beginn fest: In Lucio Fulcis „Ein Zombie hing am Glockenseil“ hängt zu keinem Zeitpunkt ein Zombie an einem Glockenseil – auch kein Toter, keine Leiche und kein Kadaver, wie es spätere deutsche Titelschöpfungen behaupteten. Tatsächlich handelt es sich um einen herkömmlichen Strick, mit dem sich ein Priester (Fabrizio Jovine) an einem Baum auf dem Friedhof des irgendwo im Nordosten der USA befindlichen Örtchens Dunwich erhängt (der Drehort in Georgia hält offenbar für das östlich des US-Staats New York gelegene Massachusetts her, obgleich es nie genannt wird, falls ich es nicht überhört habe).

Vom ersten Moment an entwickeln die Bilder in Verbindung mit Fabio Frizzis progressivem Synthie-Score einen Sog, dem sich kaum ein Horrorfan entziehen kann. Wir sehen einen einsamen Friedhof, am Fuß einer Kirche gelegen. Der Pfarrer schreitet gedankenverloren über den Gottesacker. Auf einem Grabstein sind bedeutungsschwangere Worte zu lesen: The soul that pines for eternity shall outspan death. You, dweller of twilight void com Dunwich.

Schnitt. Nun befinden wir uns bei einer Séance des Mediums Theresa (Adelaide Aste) in New York City. Die Teilnehmerin Mary Woodhouse (Catriona MacColl) hat eine verstörende Vision. Sie sieht, wie der Priester einen Strick über einen Baum schwingt und sich daran erhängt. Aus der Erde des Friedhofs erhebt sich langsam ein verwester Leichnam ans Tageslicht. Mary schreit auf: The city of the dead! Dann bricht sie wie tot zusammen.

Wenn sich die Pforten der Hölle öffnen

Was Mary sah, ist Theresa zufolge im uralten Buch Enoch niedergeschrieben – eine Prophezeiung, nach der sich durch den Tod des Geistlichen die Pforten der Hölle öffnen und die Toten aus ihren Gräbern erheben. Das Grauen soll an Allerheiligen über die Menschheit kommen. Es bleiben nur wenige Tage …

Von wegen Zombie am Glockenseil!

In der Folge wechselt die Handlung mehrfach hin und her: Der Journalist Peter Bell (Christopher George) bewahrt Mary vor dem Schicksal, als lebendig Begrabene den Erstickungstod zu sterben. Gemeinsam versuchen die zwei, herauszufinden, ob an der Prophezeiung etwas dran ist und Marys Vision tatsächlich ein Vorbote der Apokalypse war. In Dunwich häufen sich derweil grauenerregende Ereignisse.

Lebendig begraben

Maden-Phobikern dürfte sich in speziell in einer Szene der Magen umdrehen. Eine Windmaschine blies zehn Kilogramm echte Maden durchs Fenster auf die bedauernswerten Darsteller. Ob sie in irgendeiner Form geschützt waren? Berühmt geworden ist auch die Szene, in der sich ein auf einer Werkbank befestigter Bohrer durch den Kopf des jungen Herumtreibers Bob (Giovanni Lombardo Radice) bohrt – zu beobachten im schockierenden Detail. Fulci inszeniert dies geradezu genüsslich langsam, eine Methode, die er wohl gern mochte – siehe „Über dem Jenseits“ (1981) und „Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies“ (1979), in welchen er sie ebenfalls praktizierte, nach Meinung mancher gar zelebrierte. Aber verherrlicht das Gewalt? Wohl kaum, denn positiv besetzt ist die Tat nicht, das Opfer hat nichts getan, das selbst Lynchjustiz-Befürworter als Rechtfertigung für diesen Mord heranziehen könnten. Die Bohrer-Szene ist durchaus angetan, den Zuschauer zu schockieren und zu verstören. Ob sie sich als Aufschrei gegen provinziellen Faschismus deuten lässt, wie es Fulci nach eigenen Worten beabsichtigt hat, mag jede/r Rezipient/in für sich selbst entscheiden. Jedenfalls eine arg überzogene Reaktion eines reaktionären Vaters, der seine Tochter vor den Nachstellungen junger Männer bewahren will.

Igitt!

Einen anderen Splatter-Effekt zeigt der Regisseur wiederholt: Ein Zombie greift sich den Hinterkopf eines Menschen und zerquetscht die Schädeldecke rein mit der Kraft der Hand, dass das Hirn herausquillt. Auch nicht gerade appetitlich, aber es ist ja kein Untoten-Kaffeekränzchen. Womöglich kein Zufall, dass hier wie auch in der Bohrer-Szene ausgerechnet das Gehirn als Sitz des Denkvermögens zerstört wird, denn das Denken sollen wir bei Fulci abschalten, damit wir uns ganz dem surrealen Grauen hingeben können. Diese Szenen kann man mit etwas bösem Willen als selbstzweckhaft abkanzeln, da sie dem roten Faden der Handlung keinerlei neuen Erkenntnisse bescheren – auch die Maden-Sequenz ruht ja sehr in sich selbst; sie dienen aber offenbar einem höheren Zweck, zu dem ich noch kommen werde.

Bobs Ende ist nah

Ebenso bemerkenswert und womöglich metaphorisch interpretierbar wie Fulcis zerstörerischer Umgang mit dem menschlichen Gehirn erscheint sein Fokus auf das Auge. Unser Blick trübt sich zweifellos bei all seinen surrealen Exzessen. In „Ein Zombie hing am Glockenseil“ setzt er das Motiv sogar vergleichsweise harmlos ein: Der böse Blick des untoten Priesters bringt die Augenhöhlen der jungen Frau Emily (Antonella Interlenghi) zum Bluten, bevor sie gar … Überhaupt kein Vergleich mit „Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies“ mit seiner berüchtigten Holzsplitter-ins-Auge-Tötungssequenz. Oder denken wir an den von einer Spinne malträtierten Augapfel in „Über dem Jenseits“ und an die Rasierklinge, die in „Der New York Ripper“ (1982) durch einen Augapfel (und eine weibliche Brust) pflügt. Was hatte Lucio Fulci nur gegen Augen? Als Filmemacher lebte er doch vom menschlichen Sehvermögen.

Diese Augen!

Viele zeitgenössische Filmkritiker waren mit „Ein Zombie hing am Glockenseil“ schlicht überfordert. Angesichts der mit enormem Ekel-Potenzial angereicherten heftigen Gewalt- und Splatterszenen übersahen sie offenbar, welch surreale Albtraum-Atmosphäre Lucio Fulci auf dem Regiestuhl geschaffen hatte, die Fragen nach schlüssigem Storytelling obsolet erscheinen lässt. Ein italienischer Rezensent in der Zeitung „La Stampa“ wusste das Werk immerhin zu würdigen: Fulci habe einen Film erschaffen, der, obwohl empfindsamen Zuschauern nicht zu empfehlen, expressive Reife zeige. Die Story habe ein fesselndes Tempo; eine Abfolge von Ereignissen kreiere schrittweise eine albtraumhafte Atmosphäre, und Fulci ziehe die Fäden wie ein großer Puppenspieler. Der Film ende als wahres Grand Guignol-Spektakel, samt der fürs Genre typischen blutigen und grausigen Szenen (ins Deutsche übersetzt aus der englischen Übersetzung im Booklet der Collector’s Edition des englischen Labels Arrow Video). Diese Kreation überirdisch entrückter Horror-Filmkunst vervollkommnete der italienische Regisseur ein Jahr später mit „Über dem Jenseits“ zur Perfektion.

Sie sind da!

Der renommierte Publizist Chris Alexander, Herausgeber des Horrorfilm-Magazins Fangoria, äußerte sich noch enthusiastischer über „Ein Zombie hing am Glockenseil“ (nachzulesen im Essay „Fulci of the Living Dead“ des englischen Filmpublizisten Calum Waddell, zu finden im Booklet der Slipcase-Edition und des Steelbooks von Arrow Video): “City of the Living Dead” is a clear example of Fulci at his most uninhibited, free to jam his curious camera into the crevices of creepiness and almost childlike in his desire to overwhelm his audience with grandiose, abstract gore and surreal shock. Der ungezügelte Fulci, der seine neugierige Kamera in die Abgründe des Grusels drückt, mit dem geradezu kindlichen Verlangen, sein Publikum mit abstraktem Gore und surrealem Schock zu überwältigen – das kann man so stehen lassen.

Und sie führen …

In einem online verfügbaren Text mit dem Titel „Why CITY OF THE LIVING DEAD Will Always Be THE GATES OF HELL“ schrieb Alexander zudem: The enthusiastic Fulci really goes the distance with GATES, creating an audio/visual saturation of death-obsessed sensorial stimulation: rotting flesh, muddy graves, showers of maggots, slowed down sound effect loops of screaming babies and chattering monkeys (!), buckets of blood and endless mist and Fabio Frizzi’s incredible, doom-laden prog-rock score all combine to disarming and frightening effect. Fulci erschaffe eine audiovisuelle Durchdringung vom Tode besessener sinnlicher Stimulation: Verrottendes Fleisch, schmutzige Gräber, Madenergüsse, verlangsamte Toneffektschleifen schreiender Babys und schnatternder Affen, eimerweise Blut, endlose Nebelschwaden und Fabio Frizzis unfassbarer, Doom-geschwängerter Progrock-Score verbinden sich zu einem entwaffnenden und grauenerregenden Ganzen.

… nichts Gutes im Schilde

Viszerales Kino (Eingeweide-Kino) nennt das Prof. Dr. Marcus Stiglegger, etwa in seinem Text „Verdammt zu leben, verdammt zu sterben … Lucio Fulci auf dem Weg zu einem viszeralen Kino“, erschienen in dem Essay-Band „Grenzüberschreitungen – Exkursionen in den Abgrund der Filmgeschichte“ (2018, Martin Schmitz Verlag). Auf 20 Seiten gibt der Filmwissenschaftler dort einen lesenswerten Überblick über Fulcis durchaus vielseitige und heterogene Karriere. Fulcis Gothic-Trilogie, auch „Gates of Hell“-Trilogie und „Real Estate“-Trilogie genannt, bestehend aus „Ein Zombie hing am Glockenseil“, „Über dem Jenseits“ und „Das Haus an der Friedhofsmauer“ (1981), bildet für Stiglegger das Herzstück von Fulcis Œuvre (wohl nicht zu leugnen). Sie repräsentiere einen einflussreichen Meilenstein in der Geschichte des Horrorgenres. Alle drei Filme wenden sich konsequent von einer nachvollziehbaren Dramaturgie ab, biegen die Narration auf irritierende Weise, um Raum zu schaffen für spektakuläre und sinnlich-exzessive Setpieces.

Filmkunst statt Storytelling

Ich gebe zu, dass ich mich erst einmal vom Beharren auf herkömmlichen Erzählstrukturen freimachen musste, um diese Filme als die Filmkunstwerke würdigen zu können, die sie sind. Was ich noch vor nicht allzu langer Zeit als Defizit in puncto Storytelling gesehen habe, ist tatsächlich ein völliges Desinteresse an den Grenzen des Storytellings. Diese Erkenntnis meinerseits führte unter anderem dazu, dass ich „Ein Zombie hing am Glockenseil“ nach meinen zwecks Verfassen dieses Textes erfolgten jüngsten zwei Sichtungen in der Rangliste meiner liebsten Zombiefilme um satte 18 Plätze nach oben gehievt habe. Zu erwähnen ist im Kontext der Gothic-Trilogie auch Fulcis Lieblings-Drehbuchautor Dardano Sacchetti, mit dem zusammen er die Skripts der drei Filme verfasste. Catriona MacColl übernahm in allen drei Filmen die weibliche Hauptrolle.

Zurück zu Stigleggers Essay: Die eigentliche Stärke von Fulcis Stil sieht er in dessen Beharren auf der absoluten Gegenwart einer kosmischen Bedrohung, die Durchlässigkeit der Grenzen, die jeden Moment ihre Pforten öffnen und die Toten in die Welt der Lebenden entlassen können. Die Erwähnung dieser kosmischen Bedrohung führt uns geradewegs zu dem Städtchen in „Ein Zombie hing am Glockenseil“: Dunwich – welch mystischer Ort! Das echte Dunwich allerdings liegt in der Grafschaft Suffolk an der englischen Ostküste – ein Dorf mit weniger als 200 Einwohnern, früher ein bedeutsames Hafenstädtchen, doch im Lauf des zweiten Jahrtausends nach unserer Zeitrechnung wurde es ein Opfer diverser Sturmfluten, bis nur noch Reste der Mauern eines Franziskanerklosters und eines Leprakrankenhauses verblieben. Das klingt nach einer hervorragenden Grundlage für einen Horrorstoff, doch die Wahl des Ortsnamens für „Ein Zombie hing am Glockenseil“ war wohl eher eine subtile Anspielung auf H. P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos. Das dortige Dunwich ist ein fiktiver Ort; er liegt in Massachusetts und entstammt der 1929 erstveröffentlichten Kurzgeschichte „Das Grauen von Dunwich“ („The Dunwich Horror“), deren Verfilmung „The Dunwich Horror“ 1970 in die Kinos kam. Nun hat H. P. Lovecraft zwar keine Zombiegeschichten geschrieben, seine „Großen Alten“ sind keine Untoten, sondern unermesslich mächtige außerirdische Wesen; Lovecrafts Einfluss auf Fulci manifestierte sich in der Gothic-Trilogie als eben diese kosmische Bedrohung, ein geradezu kosmisches, da außerweltliches Grauen, das letztlich auf der gesamten Menschheit lastet (wenn auch in den Filmen über weite Strecken örtlich begrenzt). Will man einen Zugang zu Fulcis Filmkunst finden, dann kann der nur in seinen performativen, sinnlichen und seduktiven Qualitäten bestehen. So schreibt es Stiglegger gegen Ende seines Essays, der sich im Übrigen auch vorzüglich als Einstieg in Fulcis Gesamtwerk eignet.

Die letzte Szene in „Ein Zombie hing am Glockenseil“ lässt viele Zuschauer etwas unbefriedigt zurück, weil darin ein vermeintliches Happy End urplötzlich in einen Schreckensschrei mündet, ohne dass wir auch nur einen Hauch einer Ahnung davon erhalten, was ihn verursacht hat. Wie viele Filmgucker haben wohl im Lauf der Zeit nach Ende des Films wiederholt an den Anfang der Sequenz zurückgespult, um zu prüfen, ob sie etwas übersehen haben? Im Kapitel „Splatter Horror II – The Apocalypse of Narrative: Fulci’s Zombie Trilogy“ in Jamie Russells Standardwerk „Book of the Dead – The Complete History of Zombie Cinema“ (GB 2005) stieß ich dazu auf ein Zitat, mit welchem der Regisseur eine reichlich profane Erklärung dazu ablieferte: Originally, the child ran towards the camera, and we cut to the two happy adults smiling to themselves. That was it, a happy ending. One day, I was in the editing room [with editor Vincenzo Tomassi], and we watched the footage of the adults who were arguing in the shot – they didn’t get along. So we cut to the little boy running and cut back back to the footage of them arguing. But in that shot, there was an aberration on the film where it looked like the image started to break up. Well, Tomassi said, “Why don’t we use that?” So we did and now it’s not so happy. Reviewers have written volumes on this ending, which was just basically a mistake saved by an ingenious idea. That’s Tomassi. Ein technischer Fehler auf dem Filmmaterial drehte somit das Ende komplett um, wobei völlig offen bleibt, welches Ausmaß das von uns nicht erblickte Grauen hat. Fulci wusste es wohl selbst nicht. Geradezu gemein von ihm, Rezipienten und Rezensenten vor ein solches Rätsel zu stellen. Jedenfalls hätte ein „Friede, Freude Eierkuchen“-Abschluss ohnehin nicht recht zu den schrecklichen Ereignissen zuvor gepasst. Fast verwundert es, dass Fulci das anscheinend ursprünglich vorhatte, denn wenn sich schon ein Priester erhängt, kann es keine Erlösung geben.

Apropos Priester und Erlösung: Fulcis Haltung zu Religion ist zweifellos gerade im Kontext seiner „Gates of Hell“-Trilogie eine Betrachtung wert. Ein Atheist war er wohl nicht, glaubte aber anscheinend auch nicht ans Paradies. Dies tiefer zu ergründen, bedarf aber gründlicherer Recherche, als ich für diesen Text leisten kann. Weitere Aspekte ließen sich hier erörtern, etwa zum Thema Ekel bei Fulci und zur Bedeutung von Türen und Toren. Zu beiden gibt es aber ausführliche Texte: „The Godfather of Gore – Lucio Fulcis Ästhetik des Ekels“ von Jörg von Brincken sowie „Pforten zum Jenseits – Die Tür als Symbol in den Horrorfilmen und Giallothrillern von Lucio Fulci“ von Pelle Felsch. Beide Aufsätze finden sich im aufwendigen Buch „Fulci – Filme aus Fleisch und Blut“, herausgegeben von Pelle Felsch und Marcus Stiglegger. Es ist 2019 im Verlag von „Deadline – Das Filmmagazin“ erschienen und kann dort direkt bestellt werden. Empfehlenswert!

Viele Horrorfans kennen sie – die aus heutiger Sicht schreiend komische, aber seinerzeit bierernst gemeinte Doku „Mama Papa Zombie – Horror für den Hausgebrauch“, die das ZDF im Jahr 1984 produzierte und ausstrahlte. Darin ging es um die Schädlichkeit von Horrorfilmen, ihre üblen Auswirkungen vor allem auf Jugendliche. Höhepunkt: Eine Lehrerin führt beim Elternabend einen Film vor – genau: „Ein Zombie hing am Glockenseil“. Die ahnungslosen Mütter und Väter reagieren schockiert und können sich gar nicht erklären, weshalb ihr Nachwuchs mehrheitlich weiß, was ein Zombie ist, wie ihnen die Lehrerin mitteilt.

Nicht falsch verstehen: Meiner Ansicht nach ist „Ein Zombie hing am Glockenseil“ kein Film, der Jugendlichen oder gar Kindern zugänglich gemacht werden sollte. Das ist ein beinharter Horrorschocker für Erwachsene, der geeignet ist, junge Menschen zu verstören und ihnen Albträume zu bescheren. In Horrorgruppen und -foren im Internet trifft man bisweilen Fans, die anderes propagieren. Die einen räumen freimütig ein, mit ihren Minderjährigen gern gemeinsam (immerhin!) solche Streifen zu sehen – ein Armutszeugnis für Erziehungskompetenz. Unbenommen: Die FSK-Freigabe ist ein Richtwert, den man beim gemeinsamen Schauen auch mal unterschreiten kann, wenn man seine Kinder denn sorgfältig eingeschätzt hat und den Film vorher selbst schon kennt. Bei manchen dieser Eltern scheint es mir aber nur Ausdruck dessen zu sein, dass sie froh sind, weiterhin ihrem Hobby Horrorfilme nachgehen und es nun auch mit dem Nachwuchs praktizieren zu können. Die anderen prahlen bei Debatten zum Jugendschutz gern mal: „Ich hab schon mit zwölf Jahren Horrorfilme geschaut, und es hat mir nicht geschadet!“ Wenn man sich diese Leute dann aber mal etwas genauer betrachtet, kommen bezüglich des „nicht geschadet“ doch einige Zweifel auf – der völlige Mangel an Selbstreflektion des eigenen Horrorfilmkonsums spricht da auch Bände.

Jugendschutz ist das eine, Erwachsenenbevormundung ist das andere. Und in der Hinsicht hat „Ein Zombie hing am Glockenseil“ eine leidvolle Geschichte der Indizierungen und Beschlagnahmen hinter sich. Bis heute ist die ungekürzte Fassung des Films nicht von den Fesseln der Zensur befreit. Der seit Jahren um sich greifende Trend, vormals indizierte oder gar beschlagnahmte Gewaltfilme frei zugänglich zu machen und in ungekürzter Fassung mit FSK-Freigabe in den Handel zu bringen, hat vor Lucio Fulcis berüchtigten Regiearbeiten bislang noch haltgemacht. Die im Handel zu findende FSK-18-Fassung ist um mehr als sieben Minuten verstümmelt. Der Blick auf den Schnittbericht erscheint obsolet – da die extreme und explizit gezeigte Gewalt einen integralen Bestandteil der Gesamtwirkung des Films darstellt, ergibt eine dergestalt gekürzte Fassung überhaupt keinen Sinn. Von ihr kann nur abgeraten werden. Der geneigte Fulci-Fan weiß immerhin, wo er uncut fündig wird, sei es das diesbezüglich bekanntermaßen deutlich freizügigere Österreich, sei es das Vereinigte Königreich. Die von mir oben bereits erwähnte Slipcase-Edition und das Steelbook von Arrow Video bildeten in meinen Augen bis vor einiger Zeit die Referenz-Editionen, bis selbiges Label sogar eine Collector’s Edition im Schuber mit noch dickerem Booklet sowie neuer Abtastung in den britischen Handel brachte. Meisterwerke haben meisterhafte Editionen verdient, das ist bei „Ein Zombie hing am Glockenseil“ gegeben. Außergewöhnliche Horror-Filmkunst, die man nicht nur einfach so schenkelklopfend beim Splatter-Filmabend mit den Saufkumpanen wegschauen, sondern auf die man sich bewusst einlassen sollte.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Lucio Fulci haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Catriona MacColl unter Schauspielerinnen.

Veröffentlichung: 6. September 2013 als 2-Disc Limited Collector’s Edition (Blu-ray & DVD), Blu-ray und DVD

Länge: 93 Min. (Blu-ray), 89 Min. (DVD, ungekürzt), 85 Min. (Blu-ray, gekürzt), 82 Min. (DVD, gekürzt)
Altersfreigabe: FSK 18 (zensierte Fassung)
Sprachfassungen: Deutsch
Untertitel: keine
Originaltitel: Paura nella città dei morti viventi
Internationale Titel: City of the Living Dead / The Gates of Hell
IT 1980
Regie: Lucio Fulci
Drehbuch: Lucio Fulci, Dardano Sacchetti
Besetzung: Christopher George, Catriona MacColl, Carlo De Mejo, Antonella Interlenghi, Giovanni Lombardo Radice, Daniela Doria, Fabrizio Jovine, Luca Venantini, Michele Soavi, Venantino Venantini, Enzo D’Ausilio, Adelaide Aste, Luciano Rossi, Robert Sampson, Janet Agren
Zusatzmaterial: keine Angabe
Label/Vertrieb: Intergroove / TB Splatter Productions

Copyright 2020 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & FSK-Packshots: © 2013 Intergroove / TB Splatter Productions

 

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