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Zum 100. Geburtstag von Deborah Kerr: Vor Hausfreunden wird gewarnt – Vor diesem Film nicht!

30 Sept

The Grass Is Greener

Von Tonio Klein

Liebeskomödie // Englisch oder britisch? Zwar im schottischen Glasgow geboren, ging Deborah Kerr schon mit 14 Jahren, 1936, ins englische Bristol und 1937 nach London. Nach ersten Theateraufführungen war sie 1940 erstmals in einem Film zu sehen, und diesem Medium blieb sie weitgehend treu. Das britische Duo Michael Powell und Emeric Pressburger wurde zum Karrieresprungbrett, und: Während es in der „Goldenen Zeit“ weibliche Filmstars gab, die vorwiegend in Schwarz-Weiß (Joan Crawford, Marlene Dietrich, Hedy Lamarr) oder in Technicolor (Rhonda Fleming, Arlene Dahl) glänzten, gelang Kerr von Anfang an beides. So waren Powell/Pressburger wahrhafte Pioniere der expressiven Farbgestaltung, als sich Technicolor in Großbritannien noch kaum etabliert hatte. Insbesondere mit ihrer Hauptrolle in „Die schwarze Narzisse“ (1947) erregte Kerr Aufsehen und konnte einen Hollywood-Vertrag ergattern. Und ihr gelang etwas, das damals ungewöhnlich war: Weder wurde sie in allzu beliebigen Filmen verheizt, noch ließ sie sich in der Klischeeschublade „A British in America“ einsperren. Letzteres, obwohl ihr Britisch-Sein in vielen ihrer großen Werke Thema war. Unabhängig davon zeichnete sich ihr Spiel immer durch minimalistisch-nuancierte Contenance und Eleganz aus. Aber das war nur ein Ausgangspunkt. Darunter brodelte ein Vulkan. Das war schon paradigmatisch in „Die schwarze Narzisse“ erkennbar. Und wenn der ausbricht, sehen wir eine Frau, die uns ansonsten im Nonnenhabit begegnet ist, ohne Kopfbedeckung, mit schreiend rotem Lippenstift und erkennbar derangiert statt befreit. Auch in ihren großen US-Rollen hatte sie diese flirrende Ambivalenz, und zwar auch dann, wenn das nicht in einem Schock-Farbeffekt à la Powell/Pressburger zum Ausdruck kam. Mit ihrem eleganten Landsmann Cary Grant, aber auch mit dem sensiblen US-Raubein Robert Mitchum konnte sie auf diese Weise sowohl harmonieren als auch kontrastieren; beispielsweise in „Die große Liebe meines Lebens“ (1957, mit Grant) und in „Der Seemann und die Nonne“ (1957, mit Mitchum). Aus späterer Zeit ist ihr Minimalismus in der Tennessee-Williams-Theateradaption „Die Nacht des Leguan“ (1964) bemerkenswert, mit dem sie keinesfalls im Ensemble sehr unterschiedlicher Schauspielstile (expressive Theaterkunst von Richard Burton, ebenso expressive pure Kinokunst von Ava Gardner) untergeht. In den 1970er-Jahren wandte sie sich Fernsehen und Theater zu. Nach zahlreichen Oscarnominierungen für so berühmte Filme wie „Verdammt in alle Ewigkeit“ (1953) „musste“ sie 1994 den Ehrenoscar für ihr Lebenswerk annehmen, weil es für sie nie geheißen hatte: „And the winner is …“. Für ihre Hauptrolle in „Der König und ich“ (1956) durfte sie aber 1957 den Golden Globe entgegennehmen.

Die große Liebe ihres Lebens

„Der Seemann und die Nonne“ und „Die Nacht des Leguan“ entstanden unter der Regie des legendären John Huston; im Film mitunter sehr feinsinnig, privat ein schillernder Hasardeur, mit dem der damals noch junge, deutschstämmige Drehbuch- und spätere Romanautor Peter Viertel an „African Queen“ (1951) arbeitete und befreundet war, wobei man vielleicht schon „Hassliebe“ sagen kann. Ob John Huston nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein privates Bindeglied zwischen Viertel und Kerr ist, vermochte ich nicht herauszubekommen. Jedenfalls heirateten die beiden 1960 und blieben bis zum Tod ein Paar. Auch wenn man leicht herausfinden kann, dass Kerr an Parkinson und Viertel an Krebs starb und es daher wohl Zufall ist, dass der Tod nur 19 Tage auseinander lag (Viertel: 4. November 2007, Kerr: 16. Oktober 2007): Vielleicht war das ja doch eine der legendären Verbindungen, in der ein Teil nicht ohne den anderen konnte, so wie dies bei Federico Fellini (gest. 31. Oktober 1993) und Giulietta Masina (gest. 23. März 1994) gemutmaßt wird. Viertel sagte jedenfalls noch im Oktober 2007 über seine verstorbene Frau: „Sie war die Beste.“ Am 30. September 2021 wäre sie 100 Jahre alt geworden.

Und nun zum Film

Robert Mitchum und Cary Grant als sehr wichtige Filmpartner Deborah Kerrs, aber auch als sehr unterschiedliche Typen – was geschieht erst, wenn beide zusammen in einem Kerr-Film auftreten? Dann ist einer (Grant) der Ehemann und einer (Mitchum) der Hausfreund. „Vor Hausfreunden wird gewarnt“ ist ein Glücksgriff sondergleichen. Es handelt sich um eine gewitzte, erkennbar auf einem Theaterstück basierende Komödie mit ein bisschen Ehebruchdrama am Rande, die unter im Wesentlichen zwei distinguierten Herren, einer ebensolchen Dame und einem etwas flippigeren, extravaganten weiblichen Sidekick spielt. „Dialogfilm“ ist hier definitiv kein Schimpfwort, es wird viel geredet – aber mit Aplomb!

Cary Grant und Deborah Kerr geben das Ehepaar Earl Victor und Lady Hilary Rhyall in einer Eigentlich-nicht-Krise, Robert Mitchum ist der Nebenbuhler Charles Delacro, Jean Simmons die in ziemlich extravagante und farbensprühende Dior-Roben gehüllte Freundin Hattie Durant. Ein blendend aufgelegtes Quartett, Simmons und Mitchum gegen den Strich, die beiden anderen entsprechend den Erwartungen besetzt, und alle vier gehen in ihren Rollen auf, spielen sie aber dennoch erstaunlich nuanciert. Außer vielleicht die hochverehrte Simmons, aber das liegt nicht an ihr. Sie ist ein Kontrast und darin perfekt, bis hin zur fein modellierten, diesmal offensichtlich bewusst etwas höheren, schrilleren Stimme, aber kombiniert mit diesem Rest von britisch distinguierter Aussprache. „Briten gegen Amis“ – nur Robert Mitchum ist gebürtiger US-Amerikaner, die drei anderen kommen aus Good Old Great Britain – wird sowieso noch ein Thema sein, doch dazu später.

Bröckelt die Fassade?

Es gibt ein exzellentes Drehbuch, an dem man sieht, was eine glänzende gehobene Boulevardkomödie ausmacht. Ein bisschen ist das mit geistreichen, witzig-distinguierten Wortkünstlern wie Noël Coward, Billy Wilder und Joseph L. Mankiewicz zu vergleichen. Es gibt Wortspiele, Doppeldeutigkeiten, gegenseitiges Abtasten auf höchstem Niveau, Sottisen, Wortverdrehungen, Anspielungen auf Klassiker (zum Beispiel Shakespeare) und „klassische“ Lebensart (Mitchum und Grant wollen um die Kerr im Pistolenduell kämpfen), fein modellierte Sätze und Wörter im britisch-amerikanischen Gekabbel. Allein diese Diskussionen um Unterschiede zwischen Haus und Heim und um verschiedene Bezeichnungen für Dinge rund um Drinks sind köstlich! Hinzu kommen ein ausdrucksstarkes Mienenspiel und eine kongeniale Einbeziehung der Orte, zu denen die Figuren in Bezug gesetzt werden. Dies sieht man insbesondere am Anfang – nicht, dass es danach schwächer wird, aber am Anfang ist es am wichtigsten: Die Rhyalls leben in einem unglaublich prunkvollen Schloss (Regisseur Donen frönt seiner Neigung zu luxuriöser Eleganz und einem tiefen Griff in den Farbtopf). Aber – das ironisch-süffisante Lied „The Stately Homes of England“ von Noël Coward hat es bereits gesagt – der Glanz der alten englischen Königsschlösser ist passé. Die Eheleute verwalten das Haus für die Krone, lassen Touristen hindurchspazieren und benötigen den Butler Trevor Sellers (Moray Watson) nur des schönen Scheins willen. Kerr verdient sich ein bisschen was durch die als eher dröge dargestellte Arbeit des Züchtens und Verpackens von Pilzen. Wie die beiden in diesem Luxus leben, von dem sie doch so wenig haben, spiegelt den Zustand ihrer Ehe wider: Sie behandeln einander gut und lieben einander definitiv noch, aber das wissen sie vielleicht nicht mehr so genau, denn sie sind einander genauso selbstverständliche Ausstattungsstücke geworden wie alles in dem Schloss – Fassade! Man muss nur einmal darauf achten, wie gelangweilt Cary Grant guckt, wenn die Kerr ein Frühlingsgedicht (Achtung, Frühlingserwachen!) rezitiert, dann ist alles klar. Und genau das ist der Grund, weswegen ich in einem Punkt einem anderen im Netz entdeckten Rezensenten widerspreche. Er hat es dem Plot nicht abgenommen, dass sich die Kerr in dreißig Minuten in einen US-Ölmillionär verliebt, den sie zuvor noch nie gesehen hat. Man darf gern verschiedener Ansicht sein, aber ich habe es dem Film jede Sekunde geglaubt und bewundere ihn dafür, wie geschickt er den Boden bereitet hat für diese sicherlich ungewöhnliche Entwicklung.

Wie man eine Ehe bricht – oder nicht?

Es wird dann zu einem Ehebruch kommen, der hübsch ironisch gezeigt wird: Man beschließt, sich besser NICHT mehr zusammen zu zeigen, und eine Montage zeigt, was Mitchum und Kerr den lieben langen Tag NICHT machen, und dass sie am Ende NICHT in dem Schlafzimmer sind, dessen Tür sich sanft schließt. Ziemlich schnell wissen alle alles, und was echte Gentlemen sind, die machen das unter sich aus, und zwar nicht mit Fäusten, Wut und Verzweiflung, sondern sehr distinguiert, oftmals zur schieren Freude des Zuschauers, aber auch mit großer Würde und echten Gefühlen hinter den ganzen Dialogkunststückchen. Sogar eine gewisse Freizügigkeit in den damals möglichen Maßen gönnt sich „Vor Hausfreunden wird gewarnt“: Der Ami Mitchum meint, die Engländer hätten ihre eigene Statue of Liberty verdient, und Grant entgegnet, Mitchum meine vielleicht eher eine Statue of Libertine. Wenn das 08/15 der Eheberatung herausgekramt wird und es heißt, die Zuneigung lasse nach, wenn das sexuelle Feuer abgeklungen sei, machen Grant und Kerr klar, dass das bei ihnen definitiv nicht der Fall ist. „The Grass Is Greener“, so der Originaltitel, ist durch die Bank sowas von „witty“, dass es eine Freude ist. Geistreiche Komik, geschliffene Texte, elegante Settings, ebensolche (und noch dazu hervorragend aufspielende) Darstellerinnen und Darsteller. Und obwohl es nicht gerade eine Slapstickklamotte ist, gibt es einige wirklich saukomische Highlights. Vor diesem Film wird nicht gewarnt. Nur davor, ihn sich entgehen zu lassen.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Deborah Kerr und Jean Simmons haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet, Filme mit Cary Grant und Robert Mitchum unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 11. Mai 2018 als 6-DVD-Box „Filmjuwelen mit Cary Grant – Die große Komödien-Box!“ (mit „Unternehmen Petticoat“, „Der große Wolf ruft“, „Ein Hauch von Nerz“, „Indiskret“ und „Akkorde der Liebe“), 6. Oktober 2017 als Blu-ray und DVD, 19. August 2010 als Doppel-DVD „Ein Wiedersehen mit … Robert Mitchum“ (mit „Verfolgt“), 6. Juni 2008 als 3-DVD-Box „Cary Grant Edition“ (mit „Unternehmen Petticoat“ und „Ein Hauch von Nerz“)

Länge: 104 Min. (Blu-ray), 100 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Originaltitel: The Grass Is Greener
GB 1960
Regie: Stanley Donen
Drehbuch: Hugh Williams, Margaret Vyner, nach dem Bühnenstück der beiden
Besetzung: Cary Grant, Deborah Kerr, Robert Mitchum, Jean Simmons, Moray Watson
Zusatzmaterial Blu-ray: Dokumentation: „Cary Grant – Der Hauptdarsteller“ (60 Min.), Trailershow
Zusatzmaterial DVD: Trailer, Starinfos
Label 2018 & 2017: Filmjuwelen
Vertrieb 2018 & 2017: Al!ve AG
Label/Vertrieb 2010 & 2008: Studiocanal Home Entertainment

Copyright 2021 by Tonio Klein
Packshots: © 2017 Filmjuwelen

 

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