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Zum 100. Geburtstag von Charles Bronson / Sergio Leone (III): Spiel mir das Lied vom Tod – Der letzte Western

03 Nov

C’era una volta il West

Von Lars Johansen

Selbstverständlich enthält dieser Text Spoiler.

Western // „Vom Traum zum Trauma. Der fürchterliche Western ,Spiel mir das Lied vom Tod‘: Ich mag keine Western mehr sehen (…) Dieser hier ist tödlich. (…) Der Film von Leone ist sich selbst völlig gleichgültig (…) Ich habe gesehen, dass dieser Film sich nicht mehr ernst nimmt.“ Das schrieb ein gewisser Wim Wenders 1969 in der Zeitschrift „Filmkritik“ zu „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass, wenn von Wenders’ Filmen nichts mehr geblieben sein wird, man Sergio Leones Western immer noch bestaunen wird, weil er weit über sein Genre hinausweist.

Das ist natürlich nicht fair gegenüber dem Regisseur Wenders, aber es zeigt, dass er und ein Großteil der Filmkritik jener Jahre mit diesem Film nicht viel anzufangen wussten. Das zeigt auch, dass Kritik irren kann und möglicherweise Meisterwerke übersieht, welche erst im Laufe der Jahre als solche entdeckt werden (gilt auch fürs Filmpublikum). In den USA wurde Leones Meisterwerk ebenso kaputtgekürzt wie sein Opus magnum „Es war einmal in Amerika“. Letzteres brach ihm das Herz. In Europa dagegen wurde beides ein Erfolg. Die Franzosen und die Deutschen mochten „Spiel mir das Lied vom Tod“ am meisten, und er lief jahrelang immer wieder erfolgreich im Kino.

Ankunft und Begrüßung

Über „Spiel mir das Lied vom Tod“ ist vermutlich schon alles geschrieben worden, denn er ist nicht nur EIN Italowestern, er ist DER Italowestern. Er ist Metafilm, Überfilm und schlicht perfekt. Hier ist der Western ganz bei sich, danach kann nichts mehr kommen, jedenfalls nichts, was noch etwas bedeutet. Und natürlich ist auch das übertrieben, weil es auch nach 1968 hervorragende Western gegeben hat. Und natürlich gibt es einiges zu sagen. Hier vor allem über den Hauptdarsteller Charles Bronson, am 3. November 2021 100 Jahre alt geworden wäre. Und der immer noch geradezu sträflich unterschätzt wird.

Männer mit langen Mänteln bringen den Tod

Er hat vielleicht in den 70ern und 80ern einen oder zwei „Death Wish“ (dessen erster Teil auf deutsch „Ein Mann sieht rot“ hieß) zu viel gedreht, wieder und wieder und nur mit einem einzigen Gesichtsausdruck. Aber das reduziert ihn nur auf jemanden, der er so auch nicht war. 1921 als Charles Dennis Buchinsky (litauisch Karolis Dionyzas Bučinskis) in den USA geboren, wuchs er in Armut als elftes von fünfzehn Kindern litauischer Einwanderer auf, arbeitete vier Jahre im Kohlebergwerk, saß im Knast, schaffte trotzdem seinen Schulabschluss und sollte schließlich Schauspieler werden. Er sprach litauisch, russisch, griechisch und englisch. Er wurde im zweiten Weltkrieg mit dem „Purple Heart“ ausgezeichnet, studierte Kunst (und würde durchaus erfolgreich als Maler unter seinem Geburtsnamen ausstellen), arbeitete als Boxer und schließlich als Bühnenarbeiter. Das hätte bei anderen schon für zwei Leben gereicht. Aber er fing erst an.

Die Proletarier dieser Welt haben nichts zu verlieren als ihre Ketten

„Ich vermute, ich sehe aus wie ein Steinblock, den man in die Luft gesprengt hat“, so beschrieb er sich selbst. Das prädestiniert einen natürlich nicht für die Bühne, aber er wurde Schauspieler, zuerst im Theater, und, ab 1951, von Henry Hathaway entdeckt, auch im Film. Es waren Nebenrollen, die ihn über Jahre begleiten sollten. Aus Buchinsky wurde Bronson, weil er nicht wollte, dass er in der McCarthy-Ära als Russe identifiziert und damit möglicher Kommunist oder Spion denunziert werden könnte. Er spielte alles, was ihm angeboten wurde, so war er 1953 in seinem bereits vierzehnten Film der nahezu stumme Diener von Vincent Price (als Professor Bondi) in „Das Kabinett des Professor Bondi“. In der Nebenrollenhölle schien er gefangen zu sein, in welcher er zwielichtige Gestalten oder Indianer zu spielen hatte. 1960 gelang ihm dann ein kleiner Durchbruch, als er einer von den „Die glorreichen Sieben“(1960) wurde. Seine Rollen gestalteten sich nun ein wenig größer, wie in „Gesprengte Ketten“ (1963) und „Das dreckige Dutzend“ (1967). Er hatte sich langsam und beharrlich nach oben gearbeitet.

Spiel mir das Lied vom Tod

1968, also in seinen Vierzigern, sollte er schließlich zum künftigen Hauptdarsteller heranreifen, denn Sergio Leone setzte ihn gegen viele Widerstände als „Harmonica“ durch, den letzlich namenlosen Helden, dessen erste Inkarnation dreimal Clint Eastwood in Leones „Dollar-Trilogie“ gespielt hatte. Bronson brachte etwas anderes in diesen Film hinein. Eastwood hatte nie proletarisch gewirkt, Bronson dagegen konnte seine Herkunft und die Zeit im Bergwerk in die Waagschale werfen. Leone, der Marxist, der in seinen Filmen auch den Klassenkampf thematisierte, machte sich das zunutze und so wurde sein namenloser Mundharmonikaspieler zum Revolutionär.

Aufgebahrt

Alles wirkte stilbildend. Die langen Mäntel sollen sogar die Mitglieder der RAF dazu gebracht haben, ebensolche zu tragen, um ihre Waffen zu kaschieren. Die Revolution war in Mode und Regisseur Leone und sein Komponist Morricone lieferten die Bilder und den Soundtrack. Beide standen zusammen auf dem künstlerischen Höhepunkt. Die auftretenden Personen sind mehr als nur sie selbst, sie sind mythische Symbole, die nicht mehr der herkömmlichen Dramaturgie unterliegen. Jede Figur verfügt über ein musikalisches Motiv, welches sie determiniert. Diese Musik war schon vor dem Dreh fertig und die Schauspieler kannten ihr Motiv, das auch während der Dreharbeiten zu hören war und zu dem sie sich wie bei einem Ballett bewegten. Der Tod von Cheyenne (Jason Robards) muss uns nicht gezeigt werden, die Musik hört einfach auf. Und wenn Harmonica am Ende das Instrument, das ihn den ganzen Film über definiert hat, wieder zurück an Frank (Henry Fonda) gibt, dann erkennt dieser sterbend, dass er seinen Gegner mit diesem Instrument überhaupt erst erschaffen hat.

Männer in Zügen

Vor allem haben wir hier einen Film, in dem die Männer am Ende verloren haben und die pragmatische Frau (Claudia Cardinale), die von Morricone ein musikalisches Motiv bekommen hat, das diesen Triumph schon in sich trägt, als einzige gewinnt. Sie ist die Zukunft. Der Eisenbahntycoon (Gabriele Ferzetti), der sich nur mittels künstlicher Hilfsmittel bewegen kann und vom Ozean träumt, den er nur von einem Gemälde kennt, krepiert am Ende in einer Wasserpfütze. Frank ist nur sein Handlanger, der keine eigenen Ziele verfolgt, außer Geld zu verdienen. Cheyenne liebt die Frau. Das ist befremdlich für sie, denn sie träumt nicht, sie gibt ihren Körper nahezu emotionslos jedem hin, um das Ziel zu erreichen, sich eine Zukunft aufzubauen. Und Harmonica, der einzige, den sie vielleicht lieben könnte, verschwindet am Ende einfach aus dem Film, ein namenloser Fremder.

Frauen am Boden

Bronson gibt dieser Figur, deren Motivation lange im Unklaren bleibt so viel Mythisches mit auf den Weg, dass sie ein Eigenleben zu führen beginnt, welches auch jenseits dieses Films funktioniert. Die kargen und kryptischen Sätze bewegen sich nahezu außerhalb einer nachvollziehbaren Narration. Die letztlich banale Rachegeschichte erweist sich als eigentlich bedeutungslos. Von Bedeutung ist nur die Haltung der Figuren im Angesicht ihres Endes. Die Lakonie des Namenlosen hat tatsächlich etwas Stoisches, denn die wirkmächtige philosophische Schule der Stoa fordert Selbstbeherrschung, Gelassenheit und Seelenruhe von ihren Apologeten. All das strahlt Bronson hier aus. Und das geschieht mit einer derartigen Leichtigkeit, die sich vielleicht nur durch Lebenserfahrung und Selbsterkenntnis erklären lässt. Hier ist einer ganz bei sich. Der Schauspieler galt als schwierig, weil er sich bei Dreharbeiten gern absonderte, aber das bekam seinen Rollen in den 70ern, seiner erfolgreichsten Zeit. Ob „Der aus dem Regen kam“ (1970), „Rivalen unter roter Sonne“ (1971) oder „Chatos Land“ (1971) bis zu „Nevada Pass“ (1975) – es funktionierte.

Gewalt und Leidenschaft

Keiner dieser Filme erreichte letztlich die mythischen Qualitäten von Leones Meisterwerk, aber sie profitierten davon. Und das tat Bronson auch, der sich nach außen gern unambitioniert gab. Das wiederum erinnert an den anderen großen Stoiker, Robert Mitchum, dem er durchaus nahe steht in seinem Spiel. Dieser Einschätzung mag sich jetzt mancher vielleicht nicht direkt anschließen wollen, aber wenn sich Bronson weniger dem rein kommerziellen Erfolg ergeben, sondern seine Rollen doch ein wenig ambitionierter ausgesucht hätte, dann würde er gewiss anders beurteilt werden. Aber genau das lag ihm möglicherweise nicht, sodass er vielleicht doch alles richtig gemacht hat. Und wenn nur dieser eine Film mit ihm bliebe, es würde für ein ganzes Künstlerleben reichen.

Showdown

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Sergio Leone haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Claudia Cardinale unter Schauspielerinnen, Filme mit Charles Bronson, Jack Elam, Henry Fonda, Jason Robards, Woody Strode und Frank Wolff in der Rubrik Schauspieler..

Erinnerungen

Veröffentlichung: 5. Dezember 2019 als Blu-ray im Digibook, 9. Juni 2011 als Blu-ray im Steelbook, Limited Premium Edition Holzbox (mit Blu-ray im Steelbook) und Blu-ray, 24. Oktober 2008 als 2-Disc Limited Steelbook Edition DVD, 6. Oktober 2005 als DVD und als Teil der „Western Masterpieces“-Box (mit „Ein Mann, den sie Pferd nannten“ und „Little Big Man“), 2. Oktober 2003 als 2-Disc Special Collector’s Edition DVD Digipack im Schuber und limitierte Holzbox (inkl. der 2-Disc Special Collector’s Edition)

Länge: 166 Min. (Blu-ray, restaurierte Fassung), 165 Min. (Blu-ray, Kinofassung), 159 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: C’era una volta il West
Internationaler Titel: Once Upon a Time in the West
IT/USA 1968
Regie: Sergio Leone
Drehbuch: Sergio Donati, Sergio Leone, nach einer Story von Dario Argento, Bernardo Bertolucci und Sergio Leone
Besetzung: Henry Fonda, Charles Bronson, Claudia Cardinale, Jason Robards, Gabriele Ferzetti, Paolo Stoppa, Woody Strode, Jack Elam, Keenan Wynn, Frank Wolff, Lionel Stander, Aldo Berti, Michael Harvey, Aldo Sambrell, Benito Stefanelli, Marco Zuanelli
Zusatzmaterial (nicht in allen Veröffentlichungen identisch): Audiokommentar mit John Carpenter, John Milius, Alex Cox, weiteren Sprechern der Besetzung und der Crew sowie den Filmhistorikern Sir Christopher Frayling und Dr. Sheldon Hall, 3-teilige Dokumentation von Lancelot Narayan („Eine Oper der Gewalt“, 29 Min., „Der Lohn der Sünde“, 20 Min., „Die Verbindung mit dem Tod“, 18 Min.), Dokumentation von Enfys Dickinson: „Eisenbahn – Die Revolutionierung des Westens (6 Min.), „Die Drehorte – Damals und heute“ (4 Min.), Produktionsgalerie (5 Min.), Original Kinotrailer (3 Min.), Besetzungsprofile (Claudia Cardinale, Henry Fonda, Jason Robards, Charles Bronson, Gebriele Ferzetti), Wendecover, nur Limited Premium Edition: 18-seitiges Booklet, 3 Postkarten, Mundharmonika in Wildlederbeutel, goldfarbenes Zippo-Feuerzeug, Filmplakat in A2
Label/Vertrieb: Paramount (Universal Pictures International Germany GmbH)

Copyright 2021 by Lars Johansen

Szenenfotos & Packshots: © Paramount (Universal Pictures International Germany GmbH)

 

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