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Das schreckliche Geheimnis des Dr. Hichcock – Italian Gothic Horror zum Zungeschnalzen

09 Mai

L’orribile segreto del Dr. Hichcock

Von Volker Schönenberger

Horror // Im London des Jahres 1885 genießt Dr. Bernard Hichcock (Robert Flemyng) großes Renommee als Arzt, der auf dem Gebiet der Anästhesie forscht. Im Geheimen frönt er verbotenen Neigungen. So injiziert er seiner Frau Margaret (Maria Teresa Vianello) ein Betäubungsmittel, weil ihn ihr regloser Anblick erregt. Doch er verschätzt sich bei der Dosis – sie stirbt und wird in der Krypta des Hichcock-Anwesens bestattet. Hichcock verlässt als gebrochener Mann die Stadt.

Mit Leichen kann man einiges anstellen

Zwölf Jahre später meldet die Fachzeitschrift Surgical Chronicle die Rückkehr des Mediziners (das Cover der Ostalgica-Veröffentlichung schreibt fälschlicherweise von 15 Jahren). In Begleitung seiner zweiten Frau Cynthia (Barbara Steele) bezieht er sein früheres Haus, in welchem in der Zwischenzeit seine Haushälterin Martha (Harriet Medin) verblieben war. Bei der Begrüßung spät am Abend erschreckt ein Schrei Cynthia. Martha räumt ein, ihre wahnsinnige Schwester ins Haus geholt zu haben, kündigt aber an, sie am nächsten Tag sogleich in ein „Irrenhaus“ zu bringen. Unmittelbar vor dem Schlafengehen sieht die frischgebackene Mrs. Hichcock beim Blick aus ihrem Fenster eine weiß gewandete Frau im Regen durch den Garten gehen. Kurz darauf hört sie vor ihrer Tür Schritte und jemand drückt die Klinke herunter, glücklicherweise hatte Cynthia die Tür abgeschlossen. Das Leben in ihrem neuen Heim beginnt beunruhigend, und dabei wird es nicht bleiben.

Dr. Hichcock kann ein Wässerchen trüben

Wie konnte dieser prachtvolle Vertreter des „Italian Gothic Horror“ in Deutschland so lange unentdeckt bleiben? Traute sich all die Jahrzehnte niemand, „Das schreckliche Geheimnis des Dr. Hichcock“ hierzulande unters Volk zu bringen, weil der Film das Tabuthema Nekrophilie aufgreift? Shocking! Keine Kinoauswertung in den 60er-Jahren, keine VHS in den 80ern und bis 2018 auch keine DVD. Schön, dass sich Ostalgica dann endlich erbarmt hat – und noch dazu in ansprechender Edition (dazu weiter unten mehr).

Von Hitchcock zu Hichcock

Gedreht in der Villa Perucchetti in Rom, schwelgt der Film trotz Düsternis in verschwenderischen Farben, feiner Ausleuchtung und schönen Setdesigns, die in Verbindung mit der düster-makabren Grundstimmung Nähe zu Roger Cormans Edgar-Allan-Poe-Zyklus entstehen lassen. „Die Verfluchten“ (1960) und „Lebendig begraben“ (1962) seien beispielhaft erwähnt. Zu nennen sind die diversen im Haus hängenden Gemälde, die Margaret Hichcock zeigen und Cynthia völlig zu Recht in Missstimmung versetzen. Wer angesichts dessen an Alfred Hitchcocks Psychothriller „Rebecca“ (1940) denkt und argwöhnt, der Name Dr. Hichcock sei eine Reverenz an den Suspense-Großmeister, liegt zweifellos völlig richtig.

Cynthias erste Nacht im neuen Heim verläuft anders als erhofft

Erleben wir das Grauen nach der Rückkehr Hichcocks mit seiner zweiten Frau anfangs einzig aus ihrer Perspektive, ändert sich dies nach einer knappen Stunde unvermittelt – ein schöner „Hä?“-Moment, der nicht abzusehen war. Zwar verrät schon der Filmtitel, dass in der Tat Dr. Hichcock ein schreckliches Geheimnis hütet, aber plötzlich werden wir gewahr, dass mehr dahintersteckt.

Ihr Gemahl verbirgt etwas

Horror-Ikone Barbara Steele („Die Stunde wenn Dracula kommt“, „Das Pendel des Todes“) verkauft sich hier etwas unter Wert. Als verfolgte Unschuld (Damsel in Distress) dient sie eher als Katalysator, um uns das Gruseln zu lehren; sie bleibt zu blass, um wirklich mit ihr zu bangen. Mit Dr. Hichcocks Mitarbeiter Dr. Kurt Lowe (Silvano Tranquilli) findet sich alsbald ein potenzieller Retter in der Not.

Der Schädel im Bett

Nicht jedes Detail wirkt durchdacht, etwa der Totenschädel unter der Bettdecke, der zwar seinen Zweck erfüllt, Cynthia zu ängstigen, aber letztlich nur als alberner Gag durchgeht. Und natürlich setzt „Das schreckliche Geheimnis des Dr. Hichcock“ bekannte Versatzstücke des Gothic Horrors ein, um uns schaudern zu lassen, aber das tut der Film einfach auf zu schöne Weise, als dass wir ihm für diesen Hang zum Zitat böse sein können. Die Haushälterin Martha bleibt bis zum Ende rätselhaft. Ihr Handeln und ihre Motivation hätte mehr Raum verdient gehabt. Der finale Showdown inklusive Flammenmeer wirkt etwas aufgesetzt, der Film endet damit ziemlich abrupt. Auf eine nicht ganz erklärbare Weise können all diese Kritikpunkte dem Gesamteindruck jedoch kaum etwas anhaben. Das mag an der visuellen Opulenz und der jederzeit schaurigen Atmosphäre liegen.

Kann Cynthia das Geheimnis ergründen?

Die auf 1.000 Exemplare limitierte 3-Disc Edition von Ostalgica enthält den Film auf Blu-ray und DVD, und das in solider Qualität, glücklicherweise nicht zu Tode restauriert, sondern mit ein paar verbleibenden Ecken und Kanten, auch Unschärfen, die das Patina der frühen 60er erhalten. Da es sich um die Deutschlandpremiere von „Das schreckliche Geheimnis des Dr. Hichcock“ handelt, ließ Labelboss Andreas Bierschenk eigens eine deutsche Synchronfassung anfertigen, die dem Film auch gerecht wird. Ebenso exklusiv für diese Veröffentlichung hat Lars Dreyer-Winkelmann einen Audiokommentar und einen Video-Essay eingesprochen. Diese Boni stehen der Edition gut zu Gesicht. Das 16-seitige Booklet wartet mit Texten zu Regisseur Riccardo Freda („Maciste in der Gewalt des Tyrannen“) und dem Film auf. Es krankt leider daran, dass die Seiten nicht ganz sauber gesetzt sind. Obendrein erschwert die Kombination aus zu kleiner Schrifttype und weißer Schrift auf schwarzem Grund die Lesbarkeit. Fünf Doppelseiten ohne Illustration kommen als Bleiwüste daher, was die Lust am Lesen nimmt. Gleichwohl eine schöne Edition eines zu Unrecht zumindest in Deutschland vernachlässigten Films, die als feinen Zusatz den Soundtrack auf CD enthält.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme mit Barbara Steele haben wir in unserer Rubrik Schauspielerinnen aufgelistet.

Oder fällt sie in den ewigen Schlaf?

Veröffentlichung: 16. Februar 2018 als 3-Disc Limited Edition (Blu-ray, DVD & CD, 1.000 Exemplare) und Limited Edition DVD (600 Exemplare)

Länge: 87 Min. (Blu-ray), 84 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Italienisch
Untertitel: Deutsch (bei der italienischen Tonspur nicht ausblendbar)
Originaltitel: L’orribile segreto del Dr. Hichcock
IT 1962
Regie: Riccardo Freda
Drehbuch: Ernesto Gastaldi
Besetzung: Barbara Steele, Robert Flemyng, Silvano Tranquilli (als Montgomery Glenn), Maria Teresa Vianello (als Teresa Fitzgerald), Harriet Medin (als Harriet White), Spencer Williams, Al Christianson, Evar Simpson, Nat Harley, Neil Robinson, Howard Nelson Rubien
Zusatzmaterial: Audiokommentar von Lars Dreyer-Winkelmann, Featurette „Merkmale der Gotik am Beispiel von L’orribile segreto del Dr. Hichcock“ (27 Min.) von Lars Dreyer-Winkelmann, italienischer und französischer Trailer, Bildergalerie, Trailershow HD, Trailershow SD, 16-seitiges Booklet mit einem Text von Bodo Traber, Schuber
Label: Ostalgica
Vertrieb: Media Target Distribution GmbH

Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & untere Packshots: © 2018 Ostalgica

 

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