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Die Verfluchten – Beginn der glorreichen Corman-Price-Poe-Kombi

21 Mär

House of Usher / The Fall of the House of Usher

Von Volker Schönenberger

Horror // Roger Cormans Edgar-Allan-Poe-Zyklus gehört zu den Großtaten des klassischen Horrorkinos. Die in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre entstandenen acht Filme strotzen vor morbider Atmosphäre, Zerfall, Wahn und Grauen. Selbst das uns heute gemeinhin als Overacting erscheinende überzeichnete Spiel der Darsteller kann der gruseligen Wirkung nichts anhaben. Corman konnte es eben, und er hatte mit Vincent Price und – nur für „Lebendig begraben“ – Ray Milland genau die richtigen Charakterköpfe in den Hauptrollen, um seine Vision umzusetzen.

Erster Teil von Roger Cormans Poe-Zyklus

Geplant war der Zyklus nicht. Regisseur und Produzent Roger Corman hatte die Studiobosse von American International Pictures überzeugt, ihn statt der üblichen zwei billigen Schwarz-Weiß-Streifen lieber einen teuren Farbfilm drehen zu lassen – „Die Verfluchten“ nach Edgar Allan Poes Erzählung „Der Untergang des Hauses Usher“. Der Erfolg gab ihm recht, flugs konnte Corman weitere Poe-Adaptionen hinterherschieben.

Das düstere Geheimnis der Ushers

Schon der Beginn von „Die Verfluchten“ führt den Zuschauer in eine Welt des Zerfalls und der Düsternis. Philip Winthrop (Mark Damon) reitet durch ein triste, von Nebel getrübte Ödnis. Sein Ziel: das Anwesen der Ushers, um seine Verlobte Madeline (Myrna Fahey) zu besuchen. Ihr Bruder Roderick Usher (Vincent Price) begegnet dem unbekannten Neuankömmling mit Ablehnung, gar Feindseligkeit. Madeline sei krank, Philip könne sie nicht sehen. Der lässt sich nicht abwimmeln und gerät in den Bann Rodericks, der Familie Usher und ihres finsteren Familiengeheimnisses.

Freiheiten gegenüber Edgar Allan Poes Vorlage

Kaum zu glauben, dass Corman hier erstmals mit Farben hantiert, so prächtig nutzt er sie. Bei der Story nimmt er sich Freiheiten gegenüber der Vorlage. So ist der Erzähler in Poes Geschichte ein Freund von Roderick, nicht der Verlobte Madelines. Weitere Unterschiede sollen hier ungenannt bleiben, da ihre Nennung zu viel verraten würde. Es soll ja Horrorfans geben, die „Die Verfluchten“ noch nie gesehen haben. Sie sollten es nachholen. War die zeitgenössische Filmkritik noch etwas zurückhaltend, gelten Film und Poe-Zyklus heute als grandioser Höhepunkt in Cormans Schaffen, „Die Verfluchten“ hat den Klassikerstatus, der dem Film gebührt.

Faszinosum Vincent Price

Ich war so frei, Jörg Mathieu zu Vincent Price zu befragen, Chefredakteur der Zeitschrift „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“, die sich dem Filmerbe bis 1965 verschrieben hat. Jörg ist ausgewiesener Vincent-Price-Kenner.

Die Nacht der lebenden Texte: Jörg, du beschäftigst dich schon lange Zeit mit Vincent Price und seinem filmischen Schaffen. Wie kam es dazu und was fasziniert dich an ihm?

Jörg Mathieu: Mit 12 oder 13 sah ich diverse Poe-Adaptionen von Roger Corman im Fernsehen. So kam ich über Poe – den ich damals dann auch las – zu Vincent Price und umgekehrt. Ich war seit der ersten Begegnung mit Vincent Price als Roderick Usher von ihm gefesselt. Daraus entwickelte sich dann eine regelrechte Obsession. Ich erinnere mich noch daran, dass meine Mutter sagte – sie schaute diese Filme damals mit mir zusammen – „Price ist mir zu theatralisch“. Aber genau das sah ich als Vorteil seines Spiels an. Er war so sehr in seinen Rollen, dass ich ihm jede Mimik und jeden Text sofort glaubte. Es waren aber natürlich auch seine Rollen in den Corman-Filmen, die mich fesselten. Und was dich als Kind in seinen Bann zieht, lässt dich ein Leben lang nicht mehr los. Ich habe dann sogar meinen Sohn nach ihm benannt – verrückt oder!? (lacht)

Welche Vincent-Price-Filme muss man gesehen haben?

Die Nacht der lebenden Texte: Price hat viel gedreht. Wenn sein Name fällt, denkt fast jeder sofort an Cormans Poe-Adaptionen. Welche Price-Filme muss man gesehen haben?

Jörg Mathieu: Bei über 100 Filmen, die sein Lebenswerk umfassen, ist das natürlich nicht so einfach. Bis auf einen oder zwei habe ich alle gesehen. Seine Stärke sind natürlich die Outlaws, die wahnsinnigen, die düsteren, die unberechenbaren Rollen. In solchen Rollen hat er sein komplettes Repertoire abgerufen. Neben den neun Filmen für Corman will ich aber ein paar weitere nennen, die unbedingt sehenswert sind:

„Das Lied von Bernadette“ (The Song of Bernadette, 1943),
„Shock“ (1946),
„Weißer Oleander“ (Dragonwyck, 1946),
„Das Kabinett des Professor Bondi“ (House of Wax, 1953),
„The Story of Mankind“ (1957),
Die Fliege“ (The Fly, 1958),
„Das Haus auf dem Geisterhügel“ (House on Haunted Hill, 1958),
„Der Massenmörder von London“ (Tower of London, 1962),
„Der Hexenjäger“ (Witchfinder General, 1968),
Theater des Grauens“ (Theatre of Blood, 1973).

Ich möchte aber hinzufügen, dass diese Auflistung dem Mann nicht gerecht wird. Vincent Price ist in all seinen Filmen dermaßen überzeugend, dass die Qualität des Films fast zur Nebensache wird.

Roderick Usher gibt sich feindselig

Die Nacht der lebenden Texte: Kannst du unseren Lesern ein paar Geheimtipps empfehlen? Welche weniger bekannten Filme mit Vincent Price kannst du unseren Lesern ans Herz legen? Welche sind deine persönlichen Favoriten?

Jörg Mathieu: Die bereits oben genannten Filme gehören natürlich auch zu meinen Favoriten. Es gibt aber tatsächlich einige Werke, die ich jedem Interessierten nur ans Herz legen kann. Er hatte ja auch unzählige TV-Auftritte, von denen ebenfalls einige besser sind als viele seiner Filme, aber die Frage war ja nach seinen Filmen. Hier empfehle ich vor allem seine Rollen als Duke of Clarence in „Der Henker von London“ (Tower of London, 1939), sein brillantes Spiel als Nicholas Van Ryn in „Weißer Oleander“, die düstere Darstellung eines Machtbesessen als James Addison in „Der Baron von Arizona“ (The Baron of Arizona, 1950) und als wahnsinniger, buckliger Richard of Gloucester in der 1962er-Version von „Tower of London“. Als Geheimtipps empfehle ich „An Evening of Edgar Allan Poe“ (1970) und „The Story of Mankind“ (1957), in dem er den Teufel persönlich spielt.

Seine ganz besondere Schauspielkunst

Die Nacht der lebenden Texte: Wie kaum ein anderer hat Price das heute etwas übertrieben wirkende Schauspiel mit starker Mimik und Gestik aus Theater und Stummfilm in den Tonfilm übertragen. Das wirkt zwar bisweilen nach heutigen Maßstäben komisch, dennoch strahlt er stets Würde aus. Findest du, dass er manchmal nicht doch etwas zu viel des Guten getan hat? Welche seiner Filme schaust du eher ungern?

Jörg Mathieu: Das war ja auch der Kritikpunkt meiner Mutter (lacht). Das kann man natürlich nicht leugnen, es gibt sogar Bühnenauftritte, in denen er weniger „Theater“ um seine Rolle macht als in vielen seiner Filme. Ich mag auch seine komödiantischen Rollen sehr. Wo es aber selbst mir zu viel geworden ist, das war in den beiden Dr.-Goldfoot-Filmen „Dr. Goldfoot und seine Bikini-Maschine“ (Dr. Goldfoot and the Bikini Machine, 1965) und „Dr. Goldfoot and the Girl Bombs“ (1966) sowie in späten Filmen, in denen er sich selbst persifliert, wie z. B. „Monster Club“ („The Monster Club“, 1981).

Letztlich macht aber eben diese Form des Schauspiels Vincent Price aus. Entweder man liebt das oder man kann gar nichts damit anfangen. Schaut man sich aber sein Gesamtwerk an, wird man feststellen, dass es nur eine Facette seiner Kunst war. Es gibt Einstellungen, da zieht er nur eine Augenbraue hoch und sagt damit mehr als mit vielen Worten und Gesten. Unübertroffen ist seine innere Verwandlung von gut in böse, die man sofort erkennt, auch wenn er nur zwei Gesichtszüge ändert – das habe ich noch nie bei jemand anderem so gesehen. Das ist einfach großartig, das macht er mal so nebenbei in einer Einstellung ohne Schnitte, in Großaufnahme nur auf das Gesicht. Da hat man als Zuschauer oft nur eine oder zwei Sekunden, um von Sympathie oder Mitleid auf Angst und Schrecken umzustellen.

Was geschah mit den Gemälden?

Die Nacht der lebenden Texte: Du hast in Ausgabe #5 der 35 MILLIMETER Mark Damon kritisiert. Der liege mit seiner Behauptung aus dem Interview im Zusatzmaterial der deutschen Veröffentlichung von „Die Verfluchten“ falsch, dass die Gemälde aus dem Film verbrannt seien. Sie stammen meines Wissens von Burt Shonberg. Kannst du uns etwas über Entstehung und Verbleib dieser Bilder erzählen?

Jörg Mathieu: Ja, dass hat mich echt geärgert. Damon und Price mochten sich nicht besonders, oder sollte ich besser sagen, Price war für Damon eine Nummer zu groß und Damon kam nicht damit klar, dass Price ihn in „Die Verfluchten“ selbst dann an die Wand spielt, wenn er gar nicht im Bild ist.

Ich kann also nur vermuten, dass die besagten Bilder der Ushers nach dem Dreh unter der Crew aufgeteilt wurden, und Damon keines mehr abbekommen hat. Warum sonst sollte ihm diese Bilderstory selbst Jahrzehnte danach eine Anekdote wert sein? Es mag ja sein, dass in irgendeinem Restaurant in Hollywood irgendwelche Bilder verbrannten, aber die hier erwähnten waren es definitiv nicht. Die Bilder verbrennen zwar am Ende des Films, das waren allerdings Kopien.

Sechs Gemälde in Rekordzeit

Burt Shonberg war in den 60er-Jahren ein anerkannter Maler und ein großer Künstler. Roger Corman gab die Gemälde für den Film in Auftrag. Shonberg und Corman waren Freunde und der Maler musste die sechs Gemälde in Rekordzeit abliefern, der Dreh selbst dauerte ja nur 15 Tage. Price, der ohnehin ein Kunstsammler war, kaufte nach der Produktion zwei der Bilder, die noch heute im Besitz der Familie sind. Corman nutzte übrigens noch weitere Shonberg-Bilder: in „Lebendig begraben“ (Premature Burial, 1962), dem einzigen Film aus Cormans Poe-Zyklus, in dem Price nicht mitgewirkt hat. Wo die anderen vier Bilder aus dem Film heute sind, kann ich nicht sagen.

Die Nacht der lebenden Texte: Wird es in einer der nächsten Ausgaben der 35 Millimeter wieder etwas über Vincent Price geben?

Jörg Mathieu: Mit Sicherheit. Immerhin sind mehr als zwei Drittel seiner Film vor 1965 entstanden. Wann und in welcher Form kann ich aber noch nicht sagen. Es gibt ja auch kaum etwas, was man noch nicht zu Price lesen konnte, auch in Deutsch. Aber ein Interview mit seiner Tochter, die sein Andenken in Ehren hält, könnte ich mir durchaus vorstellen. Außerdem sind einige seiner Film bereits auf Blu-ray erschienen, auch darüber könnte man etwas bringen.

Die Nacht der lebenden Texte: Vielen Dank für das Gespräch!

Das nackte Grauen

Die deutsche Blu-ray von explosive media ist völlig in Ordnung und überzeugt mit brillanten Farben bei altersbedingt völlig abzeptabler minimaler Körnigkeit – insofern ein gelungener HD-Transfer, die Blu-ray ist alten DVD-Veröffentlichungen vorzuziehen. Wer auf die deutsche Tonspur verzichten kann, werfe einen Blick über den Kanal: Beim hervorragenden englischen Label Arrow Films ist bereits 2013 ein ganz großartiges Steelbook erschienen, das mit Fug und Recht als Referenzprodukt dieses tollen Films bezeichnet werden kann. Es enthält nicht nur deutlich mehr Zusatzmaterial und ein umfangreicheres Booklet, sondern sieht auch einfach klasse aus. Kaufempfehlung! Wer auf deutsche Synchronisation Wert legt, ist mit dem explosive-media-Release natürlich sehr gut bedient.

Zum vollständigen Text der Edgar-Allan-Poe-Vorlage „The Fall of the House of Usher“ geht’s hier, eine deutsche Übersetzung findet sich hier.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Roger Corman haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Mark Damon und Vincent Price unter Schauspieler. Roger Cormans Edgar-Allan-Poe-Regiearbeiten haben wir auch in der Rubrik Filmreihen aufgeführt.

Die_Verfluchten_Arrow-Cover

Veröffentlichung: 29. März 2019 als 2-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (Blu-ray & DVD, 5 Covermotive à 222 Exemplare), 5. September 2014 als Blu-ray und DVD

Länge: 80 Min. (Blu-ray), 76 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch Englisch
Untertitel: Deutsch Englisch
Originaltitel: House of Usher / The Fall of the House of Usher
Alternativtitel: Der Untergang des Hauses Usher
USA 1960
Regie: Roger Corman
Drehbuch: Richard Matheson, nach Edgar Allan Poes Kurzgeschichte „The Fall of the House of Usher“
Besetzung: Vincent Price, Mark Damon, Myrna Fahey
Zusatzmaterial 2019: Audiokommentar mit Dr. Gerd Naumann und Dr. Rolf Giesen, Audiokommentar von Regisseur und Produzent Roger Corman, Vorwort von Victoria Price, „Back to Baker Street“ – Interview mit Victoria Price, Interview mit Mark Damon, Audio-Interview mit Vincent Price, Vincent Price über „Der Untergang des Hauses Usher“, Originaltrailer, Bildergalerie, 24-seitiges Booklet mit einem Essay von Dr. Rolf Giesen
Zusatzmaterial 2014: Interview mit Mark Damon von 2014, original Kinotrailer, Bildergalerie seltener Artwork, Trailershow, vierseitiges Booklet, Wendecover, Schuber
Label/Vertrieb 2019: Wicked-Vision Media (heute: Wicked Vision Distribution GmbH)
Label 2014: explosive media
Vertrieb 2014: Al!ve AG

Copyright 2014 by Volker Schönenberger

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Mediabook-Packshots: © 2019 Wicked Vision Distribution GmbH, unterer Packshot: © 2014 explosive media

 

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