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Abrechnung in Veracruz – Die Brüder und die Vatermörder

14 Jul

El sabor de la venganza / I tre spietati

Von Volker Schönenberger

Western // In ihrer Kindheit müssen die drei Brüder Brad (Pablito Alonso), Chris (Enrique Hernández) und Jeff (Luis Miguel Arranz) mit ansehen, wie Banditen auf der Flucht vor dem Sheriff die Ranch der Familie heimsuchen und ihren Vater Clark Walker (José Riesgo) erschießen. Ihre Mutter Louise (Gloria Milland) beschwört sie am väterlichen Grab, die Übeltäter müssten eines Tages ihre gerechte Strafe erleiden.

Die Jahre ziehen dahin, die drei Brüder haben sich zu völlig unterschiedlichen Persönlichkeiten entwickelt. Während sich Jeff (nun Richard Harrison), der Jüngste, in Bücher vertieft und als Polizeikommissar anstellen lässt, ist Chris (Robert Hundar) ein gewalttätiger Heißsporn, der keiner Schlägerei aus dem Weg geht und im Saloon auch mal einen Typen einfach über den Haufen schießt (woraufhin er die Gegend verlassen muss). Brad (Miguel Palenzuela), der Älteste, hat die heimische Ranch übernommen und steht immer ein wenig zwischen seinen beiden Brüdern. Logisch, dass speziell Jeff und Chris sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie man mit den Mördern ihres Vaters umgehen sollte. Die Spur führt nach Veracruz …

Chris statt Chet

In den italienischen und spanischen Originalsprachfassungen sowie der englischen Synchronisation heißt der mittlere Bruder nicht Chris, sondern Chet. Das kann vereinzelt zu Irritationen führen, da viele Szenen der vollständigen Fassung von „Abrechnung in Veracruz“ nicht synchronisiert, sondern in Italienisch mit deutschen Untertiteln eingefügt worden sind.

Noch vor der Italowesternwelle

„Abrechnung in Veracruz“ gelangte 1964 in die spanischen Kinos, im selben Jahr, in dem auch Sergio Leone (mit „Für eine Handvoll Dollar“) und Sergio Corbucci (mit „Keinen Cent für Ringos Kopf“ und „Minnesota Clay“) ihre ersten Western ablieferten. Beide Regisseure gehörten in der Folge zu den stilprägenden Filmemachern des Italowesterns, Leone mit seiner Dollar-Trilogie, bestehend aus „Für eine Handvoll Dollar (1964), „Für ein paar Dollar mehr“ (1965) und „Zwei glorreiche Halunken“ (1966) sowie „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968) und „Todesmelodie“ (1971), Corbucci mit „Django“ (1966) und „Leichen pflastern seinen Weg“ (1968). Von diesen Einflüssen war der Spanier Joaquín Luis Romero Marchent in jenem Jahr somit noch frei. Der 1921 in Madrid geborene und 2012 dort auch gestorbene Regisseur hatte seit Mitte der 1950er-Jahre schon einige Western gedreht und blieb dem Genre bis zu seinem berüchtigten „Todesmarsch der Bestien“ (1972) treu.

Somit wirkt „Abrechnung in Veracruz“ dem klassischen Western aus Hollywood noch sehr nah, auch wenn das Werk in der andalusischen Provinz Almería gedreht wurde, das sich ab den 1960er-Jahren zur Hochburg des Euro- und Italowesterns entwickelte.

Einstmals gekürzte Szenen ohne Synchronisation

Die um knapp 20 Minuten gekürzte Kinofassung punktet mit hohem Tempo und reichlich Action. Wer sich die im Mediabook von explosive media erstmals verfügbare Langfassung zu Gemüte führt, wird merken, dass es sich bei den fehlenden Szenen nahezu ausschließlich um Dialogsequenzen handelt. Diese wurden im Übrigen nicht nachsynchronisiert, sondern im Original belassen und mit deutschen Untertiteln versehen – in der Regel die richtige Entscheidung, wohl auch hier. Die in der Kinofassung fehlenden Dialoge bringen in der Langfassung durchaus mehr charakterliche und inhaltliche Tiefe ins Geschehen ein. Das geht natürlich zu Lasten des Tempos und der Action, dennoch ist die Langfassung meines Erachtens vorzuziehen.

Soundtrack von Riz Ortolani

Die spanischen Settings bringen stimmungsvolle Bilder, musikalisch fein untermalt von Riz Ortolani, dessen Kompositionskunst dem bundesdeutschen Kinopublikum seinerzeit mit „Old Shatterhand“ (1964) zu Gehör gebracht wurde. Die Besetzung der Haupt- und Nebenrollen von „Abrechnung in Veracruz“ passt gut. Richard Harrison („Robur – Der Herr der sieben Kontinente“) hatte sich seinerzeit im italienischen Kino bereits einen Namen gemacht und gibt den prinzipientreuen Saubermann Jeff. Als Gegenspieler und Bruder Chris wurde mit dem baumlangen Robert Hundar („Maciste, der Held von Sparta“) eine beeindruckende Gestalt verpflichtet. Miguel Palenzuela als dritter und ältester Bruder hingegen steht ein wenig im Schatten der beiden anderen. Die nötige Portion Humor bringt Fernando Sancho („Eine Pistole für Ringo“) ein, einmal nicht als Schurke besetzt, wie es bei ihm häufig der Fall war.

Die schwere Last, den Tod des Vaters zu sühnen

Vergeltung für den Tod des Vaters – dieses schwere Erbe prägt die drei Brüder bis ins Erwachsenenalter. Eine große Bürde, die ihr Leben bestimmt und sie auch entzweit, so viel wird deutlich. Die Abrechnung schließlich findet allerdings nicht in Veracruz statt, wie der deutsche Titel suggeriert. Insofern passen der italienische und der spanische Originaltitel etwas besser: „I tre spietati“ bedeutet so viel wie „Die drei Erbarmungslosen“, „El sabor de la venganza“ bedeutet „Der Geschmack der Rache“. Wie sich zeigen wird, ist der Geschmack der Rache keineswegs süß, sondern bitter, insbesondere für Jeff, der noch gewahr werden wird, dass ihn mit dem Haupttäter etwas verbindet.

Mediabook mit Langfassung und Kinofassung

Das bereits erwähnte Mediabook von explosive media sieht schmuck aus. Das Label hat dem Film zwei Covermotive spendiert und orientiert sich beim Format an den Maßen der Mediabooks von Koch Films, die ja von manchen Sammlern dieser Verpackungsvariante scharf kritisiert werden. Ich habe damit überhaupt kein Problem. Der Film ist auf Blu-ray und DVD enthalten, und das endlich auch in der Langfassung. Die kurze Kinofassung hat explosive media auf beiden Scheiben im Bonusmaterial untergebracht. Löblich! Das ansprechend illustrierte Booklet enthält lesenswerte Texte von Leonhard Elias Lemke und Maximilian Scholz, deren Lektüre sich zwecks Spoilervermeidung erst nach Sichtung des Films empfiehlt.

Joaquín Luis Romero Marchent ist kein Sergio Leone und auch kein Sergio Corbucci. „Abrechnung in Veracruz“ gehört aber zu den gelungenen Beiträgen aus der Entstehungsphase des Italowesterns und belegt, dass Marchents Regiewerk die (Wieder-)Entdeckung lohnt. Dank explosive media ist der Western nun in feiner Edition verfügbar.

Veröffentlichung: 12. Mai 2022 als 2-Disc Edition Mediabook (Blu-ray & DVD, 2 limitierte Covermotive)

Länge: 98 Min. (Blu-ray), 94 Min. (DVD), 79 Min. (Blu-ray, deutsche Kinofassung), 76 Min. (DVD, deutsche Kinofassung)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch, Italienisch
Untertitel: Deutsch, Englisch, Italienisch
Spanischer Originaltitel: El sabor de la venganza
Italienischer Originaltitel: I tre spietati
Internationale Titel: Three Ruthless Ones, Gunfight at High Noon, Sons of Vengeance
SP/IT 1964
Regie: Joaquín Luis Romero Marchent
Drehbuch: Joaquín Luis Romero Marchent (als Joaquín Hernandez Marchent), Jesús Navarro Carrión, Rafael Romero Marchent
Besetzung: Richard Harrison, Fernando Sancho, Gloria Milland, Claudio Undari (als Robert Hundar), Miguel Palenzuela, Gloria Osuna, Luis Induni, Carlos Romero Marchent, José Manuel Martín, José Truchado, Francisco Sanz, Alfonso Rojas, Aldo Sambrell, Emilio Rodríguez, Pablito Alonso, Enrique Hernández, Luis Miguel Arranz
Zusatzmaterial: Original Kinotrailer, deutsche Kinofassung, Unterschiede der spanischen Version (07:09 Min.), Western-Trailer-Reel (14:32 Min.), 40-seitiges Booklet mit Texten von Leonhard Elias Lemke und Maximilian Scholz
Label: explosive media
Vertrieb: Koch Films

Copyright 2022 by Volker Schönenberger

Untere Packshots: © 2022 explosive media

 
 

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4 Antworten zu “Abrechnung in Veracruz – Die Brüder und die Vatermörder

  1. Alin

    2022/12/29 at 08:09

    Hallo Christoph,

    lieben Dank für die Vorstellung;)

    LG

     
  2. Christoph Wolf

    2022/07/16 at 23:10

    Hoffentlich werden noch viele weitere Western aus Italien und Spanien so wieder aufgelegt. Gefühlt ist mindestens jeder zweite davon bisher nur geschnitten in Deutschland erschienen.

     
    • Volker Schönenberger

      2022/12/29 at 11:04

      Das Label explosive media hat sich dem ja glücklicherweise angenommen. Und deren Vertrieb Plaion Pictures legt selbst auch Italowestern auf.

       

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