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Clint Eastwood (XXXV): Dirty Harry in Das Todesspiel: Sein Schwanengesang

18 Jan

The Dead Pool

Von Tonio Klein

Actionkrimi // Noch nach der Jahrtausendwende kamen immer mal wieder Gerüchte um eine weitere „Dirty Harry“-Fortsetzung auf, aber mit einem Clint Eastwood in seinem achten und irgendwann neunten Lebensjahrzehnt konnte man diese kaum noch ernst nehmen. Nun hat der Gute auch die 90 Jahre überschritten, das Thema ist durch. Und so bleibt der mittlerweile mehr als 30 Jahre alte „Dirty Harry in Das Todesspiel“ Eastwoods letzte Verkörperung des legendären Cops Harry Callahan. Im Rückblick meint der Meister, vielleicht ein paar Dirty Harrys zuviel gedreht zu haben. Aber wenn überhaupt, so trifft dies höchstens auf den allzu popcorngefälligen Teil 3 zu. Die Teile 1 und 4 sind kompromisslos, Teil 2 ist eine Weiterentwicklung der Figur – man kann sie mögen oder nicht, aber die Filme lassen kaum kalt.

Update statt Aufguss

Teil 5, „Das Todesspiel“, scheint ein bisschen gefälliger zu sein und dem von mir ungeliebten dritten Teil nahezukommen. Aber nur auf den ersten Blick, denn schon die Handlung betreffend gibt es drei Filme in einem. Zum Ersten hat Harry den Mafiaboss Lou Janero (Anthony Charnota) ins Gefängnis gebracht und muss sich dessen Killer erwehren, zum Zweiten ist die Tatsache, dass Harry eine Ikone geworden ist, nun auch Teil der Handlung, und zum Dritten muss er im für die Reihe ungewohnten Stil eines klassischen Whodunits/Psychothrillers einen Mörder finden.

Auch nach Feuerzauber braucht Harry nur einen Schuss pro Treffer

Der zuerst genannte Handlungsstrang hat tatsächlich die Standardzutaten der Serie ein bisschen überpointiert recycelt (bei Anschlägen auf Harry werden ganze Magazine entleert, aber er meldet sich wie ein Phönix aus der Asche mit einem Treffer pro Schuss aus der 44er Magnum zurück). Das Thema „Berühmtheit“ und der Rätselkrimi harmonieren aber sehr gut miteinander und führen zu einem genauso anspielungsreichen wie cleveren und manchmal gar vergnüglichen Metakino. Immer schon waren Eastwood-Charaktere und war gerade Harry ein wandelnder Anachronismus aus einer verlorenen Zeit. „Das Todesspiel“ treibt es auf die Spitze und bezieht das Kino selbst in die Anachronismus-Thematik ein. Peter Swan (Liam Neeson), Regisseur eines drittklassigen Horrorfilms, hat nämlich das titelgebende Todesspiel kreiert, welches Spiel und blutigen Ernst vermischt: Man wettet auf das baldige Ableben einer Persönlichkeit. Angeblich natürlich, ohne an den Gewinnchancen herumzumanipulieren, und Callahan stehe nur auf der Liste, weil ihm ohnehin viele Dunkelmänner nach dem Leben trachten. Andererseits mordet sich bald jemand durch die Filmcrew … In diesem Film ist das Todesspielerische kaum noch von der Realität zu unterscheiden, und der Film stellt die etwas beunruhigende Frage, ob nicht das Profitieren vom Leid anderer ein wenig mit dem Herbeiführen dieses Leides vergleichbar ist. Oder geht es Hand in Hand? Dies sei nicht verraten.

„Ich mag nicht, dass mein Name auf der Liste steht.“

1988, da gab es zwar noch die harten Stallones und Schwarzeneggers, aber auch eine gewisse Vorliebe für technischen Schnickschnack und Spielereien für ein immer jüngeres Publikum (beispielsweise bei James Bond). Eastwood positioniert sich als Old-School-Haudegen, der aber auch die neue Zeit ironisiert. Funky Altmeister Lalo Schifrin hat einen teils sehr elektropoppigen Eighties-Soundtrack komponiert, aber auch auf traditionelle Instrumente nicht ganz verzichtet – hier treffen sich die neonglitzernden Achtziger (auch in der Bildästhetik) und die Siebziger, in denen Harry aus der Taufe gehoben wurde. Eine ziemlich spaßige Szene zeigt nebenbei, dass Harry für die neue verspielte Zeit vielleicht nicht mehr der Richtige ist. Er, der alle Mafiosi (zu) mühelos abknallt, flüchtet in seinem Wagen vor einem bombenbestückten, ferngesteuerten Spielzeugauto – und wird von diesem im wahrsten Sinne des Wortes in die Enge getrieben.

Auf der Suche nach dem Ich

Sobald im direkten Dialog die Methoden der Sensationspresse kritisch kommentiert werden, hat der Actionkrimi geringe Schwächen, denn auch in „Das Todesspiel“ kracht es gewaltig, und bei einem Teil des Publikums bedient er genau die Sensationsgier, die er anprangert. Geradezu genial wird der Film jedoch, wenn er eher indirekt arbeitet und über Verwischungen von Spiel und Realität nicht doziert, sondern sie selbst vorführt. Dies tut er so vielschichtig wie geschickt. Permanent geht es um die Frage, was die Identität eines Menschen ausmacht, immer geht es darum, jemand zu sein. Dies kann dazu führen, dass ein Rockstar auf dem absteigenden Ast zu Drogen greift (der damals noch unbekannte Jim Carrey in einer kleinen, aber markanten Rolle). Oder dass sich ein Nobody (Louis Giambalvo) als der gesuchte Killer ausgibt, nur um – mit seinem Suizid – ins Fernsehen zu kommen. Oder dass Swan ein allzu ausgeprägtes Ego hat und sich für einen Auteur statt einen C-Film-Regisseur hält.

Tod, die Wette gilt

Dies alles führt zum Kern: Jemand ist zu einem Mann ohne Eigenschaften geworden, der sich nur noch über, durch und in anderen definiert, was ihm gleichwohl nicht behagt. Eigentlich das Verstörendste: Wie ist eine Welt, in der es kein Ich mehr gibt, sondern dieses vollständig ein Abziehbild von präexistenten Mustern ist? So wie Dirty Harry mittlerweile nur noch als Ikone – wie gesagt, auch in der Filmhandlung – wahrgenommen wird, so geht es letztlich auch dem Mörder, und das kann nur zur Katastrophe führen.

Interview mit einer Ikone

Interessanterweise ist dieses ganze Spiel (ja, das mit dem „Todesspiel“, das ist schon sehr passend gewählt) durch eine Fülle von Reverenzen und Täuschungen inszenatorisch kongenial in Szene gesetzt – dabei gleichzeitig die Konventionen des Spannungs- und Actionkinos bedienend. Bei dem Tod einer etwas arrogant wirkenden Filmkritikerin (Ronnie Claire Edwards) kann man durchaus an Eastwoods Lieblingsfeindin Pauline Kael denken (böse, böse … Martin Walser musste für den fiktionalen Tod Marcel Reich-Ranickis in „Tod eines Kritikers“ seinerseits heftige Kritik einstecken). Der Name des Film-im-Film-Regisseurs Swan erinnert an den Plattenproduzenten Swan aus Brian De Palmas Horror-Rockmusical „Das Phantom im Paradies“ (1974) – dort ein Narziss, der mit dem Teufel paktiert und anderer Musiker Schwanengesang produziert, indem er ihre Songs klaut. In „Das Todesspiel“ ist Swan letzter (und nicht besonders verheißungsvoller) Rettungsanker für den von Jim Carrey gespielten Rockmusiker, dessen Schwanengesang kurz vor seinem Ableben ertönt – oder will er schon Harrys Schwanengesang einläuten? Zumal Swan es ist, der den Namen Harry Callahan auf die Todesspielliste gesetzt hat. Eine andere Szene zeigt, dass es beim Töten (jedenfalls im Whodunit-Handlungsstrang) immer auch um das tödliche Sezieren der Seele wie des Imago geht: Der Täter zerschlitzt wütend ein Foto Harrys; mit genau der gleichen Geste demonstrierte die geistesgestörte Mörderin in Eastwoods Regie-Einstand „Sadistico – Wunschkonzert für einen Toten“ (1971), welche Symbolik ihre Mordabsichten hatten.

Spiel des Lebens

Oftmals handelt dieser Film genauso von anderen Filmen wie vom wirklichen Leben und ist dadurch nicht nur ein bissiger Kommentar zum „guten alten Kino“ und neuen comicartigen Popcorn- und Gadgetkino. Vielmehr stellt „Das Todesspiel“ permanent die Frage, was passiert, wenn man Fiktion und Realität respektive Spiel und Leben (es geht um ein Spiel MIT dem Leben!) verwechselt. Dazu passt natürlich, dass ein Film im Film eine Rolle spielt. Eastwoods Regie-Erfüllungsgehilfe Buddy Van Horn inszeniert ihn zunächst inklusive ein paar schneller Schnitte so, als sei das der „richtige“ Film und nicht dokumentarisches Zeugnis von Dreharbeiten. Hierdurch jongliert „Das Todesspiel“ genauso mit seinen verschiedenen Ebenen wie durch die Tatsache, dass andauernd Menschen Identitätsprobleme haben. Sie werden mit anderen Menschen verwechselt, sie geben sich (bewusst oder unbewusst) für andere Menschen aus, sie kehren ihre tatsächliche Position in der Gesellschaft oder in dem Fiktion-Realitäts-Kosmos um. Das ist wohl die Konsequenz des auch in „Das Todesspiel“ wieder einmal zitierten Satzes Andy Warhols, jeder werde irgendwann für 15 Minuten weltberühmt sein. Ein Nobody gibt sich als Killer aus, um in die Glotze zu kommen. Harry gibt sich als Kameramann aus, um diesen Nobody vom Suizid abzuhalten. Harrys neuer Partner, Inspector Al Quan (Evan C. Kim, „Kentucky Fried Movie“), war früher in einer Erpresserbande und anschließend als Cop für Bandenbekämpfung zuständig. Zudem ein Chinese, der Harry durch fernöstliche Kampfkunst einmal zeigt, dass des Letzteren Magnum überhaupt nicht mehr gebraucht wird.

Aus dem mexikanischen Partner (Teil 1) ist ein Chinese geworden

Der Rockstar kann nur noch durch Drogen zu sich selbst (oder dem, was davon übrig ist) kommen. Die Film-Crew betrachtet die bittere Realität als bloßes Todesspiel. Harry gibt einem hünenhaften Gefangenen fälschlich zu verstehen, ein Zellengenosse habe ihn beleidigt. Harry schlägt Mafiosi zusammen, die ihn nicht umbringen, sondern beschützen (!) sollten (da der Trick mit dem hünenhaften Gefangenen funktioniert hatte).

Immer feste drauf – aber ob es immer den Richtigen trifft?

Harry bedroht Menschen mit der Waffe, die lediglich ein Autogrammheft statt einer Waffe zücken wollten. Selbst in der Art und Weise, in der sich die finale Konfrontation Harrys mit dem Täter abspielt, ist erkennbar, dass Swans Horrorfilm und die Realität ein reichlich perverses Wechselspiel spielen. Harry, der Vollstrecker, der (es sei angedeutet: nicht nur im übertragenen Sinne) den Spieß umdreht und eine der Horrorfilmszenen in die Realität verwandelt, kann durchaus als Vollstrecker eines fremden Willens gesehen werden. Des Willens eines Mannes, der nur noch im Anderen und in der medialen Selbstinszenierung existent ist. Der Vergleich mag zu hochgegriffen erscheinen, aber dies ließ mich an das legendäre Ende des Peeping Tom aus „Augen der Angst“ (1960) denken.

Noch im Schlussbild bewegen sich Harry und seine Freundin, die Reporterin Samantha Walker (Patricia Clarkson), gegen den Strom. Es sei ihnen und dem Film gegönnt. Harrys Schwanengesang hat unter der glatten Oberfläche einige sehr ambivalente Dissonanzen.

Samantha bringt Harry nicht nur ins Fernsehen

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von oder mit Clint Eastwood haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Patricia Clarkson unter Schauspielerinnen, Filme mit Jim Carrey und Liam Neeson in der Rubrik Schauspieler.

Swan dreht Filme aus Fleisch und Blut

Veröffentlichung: 13. April 2012 als Blu-ray in der „Dirty Harry Collection“, 4. Juli 2008 als Blu-ray und DVD, 13. Dezember 2001 als DVD in der „Dirty Harry Edition“ und als DVD

Länge: 91 Min. (Blu-ray), 87 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 16
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch u. a.
Untertitel: Deutsch, Englisch u. a.
Originaltitel: The Dead Pool
Alternativtitel: Das Todesspiel
USA 1988
Regie: Buddy Van Horn
Drehbuch: Steve Sharon
Besetzung: Clint Eastwood, Liam Neeson, Patricia Clarkson, Jim Carrey, Evan C. Kim, David Hunt, Michael Currie, Michael Goodwin, Darwin Gillett, Anthony Charnota, Christopher P. Beale, Jim Carrey, Louis Giambalvo, Ronnie Claire Edwards
Zusatzmaterial (nicht in allen Veröffentlichungen): Audiokommentar von Jack N. Green und David Valdes, Featurette „Die Kunst von Dirty Harry“ (21:39 Min.), „Dirty Harry“-Trailershow
Label/Vertrieb: Warner Home Video

Copyright 2023 by Tonio Klein

Szenenfotos & Packshots: © Warner Home Video

 
 

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Eine Antwort zu “Clint Eastwood (XXXV): Dirty Harry in Das Todesspiel: Sein Schwanengesang

  1. Christoph Wolf

    2023/01/18 at 13:32

    Großartige Rezension!

     

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