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Don Siegel (XII): Frank Patch – Deine Stunden sind gezählt: Die Geburtsstunde von Alan Smithee

15 Feb

Death of a Gunfighter

Von Volker Schönenberger

Dieser Text enthält Spoiler.

Westerndrama // Richard Widmark war Ende der 1960er-Jahre ein veritabler Filmstar, Robert Totten hingegen als Filmregisseur ein vergleichsweise unbeschriebenes Blatt. Seine einzige Kino-Regiearbeit, das Zweiter-Weltkriegs-Drama „The Quick and the Dead“, datierte von 1963, ansonsten hatte er ausschließlich Serienepisoden fürs US-Fernsehen inszeniert, darunter etliche Folgen der Westernserie „Rauchende Colts“ (von 1966 bis 1971 wurden es 25). Als Widmark und Totten während der Dreharbeiten von „Frank Patch – Deine Stunden sind gezählt“ (1969) aufgrund der oft beschworenen „künstlerischen Differenzen“ aneinandergerieten, war schnell klar, wer den Kürzeren ziehen würde: der Regisseur. Ihn ersetzte Don Siegel, mit dem Widmark kurz zuvor „Nur noch 72 Stunden“ (1968) gedreht hatte. Nach Fertigstellung des Westerns wollte Siegel weder im Vor- noch im Abspann genannt werden, weil Totten zuvor bereits den Großteil der Arbeit erledigt hatte (bei 34 Drehtagen insgesamt übernahm Siegel erst am 26. das Zepter). Widmark allerdings wollte nicht, dass Totten genannt wird. Nach Intervention der gewerkschaftlichen Regisseursvereinigung Directors Guild of America wurde vereinbart, in den Credits den fiktiven Namen „Allen Smithee“ zu nennen. Diese personellen Querelen bei der Produktion des Westerns drangen nicht flächendeckend an die Öffentlichkeit. So lobte beispielsweise Howard Thompson am 10. Mai 1969 in der „New York Times“ die schneidige Regie von Allen Smithee. Zwei Tage später schrieb der ebenso renommierte Kritiker Roger Ebert (1942–2013) in seiner Rezension in der „Chicago Sun-Times“ über den Regisseur Allen Smithee, ein Name, mit dem ich nicht vertraut bin. So wurde der Western zur Geburtsstunde dieses Pseudonyms für Regisseure, deren Name nicht in ihrem fertigen Werk auftauchen sollte, aus was für Gründen auch immer – etwa, weil der Film aufgrund von Eingriffen des Studios nicht mehr viel mit der Vision des Regisseurs zu tun hatte. Die Schreibweise änderte sich bisweilen, hauptsächlich findet sich Alan Smithee.

„Death of a Gunfighter“, so der das Finale spoilernde Originaltitel, spielt im texanischen Westernstädtchen Cottonwood Springs, das sich kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts anschickt, moderne Zeiten anbrechen zu lassen – die ersten Automobile fahren schon durch die Straßen, auch wenn Pferde und Kutschen noch die Szenerie beherrschen. Der altgediente Marshal Frank Patch (Richard Widmark) steht diesem Wandel nur im Weg, halten ihn viele der Einwohnerinnen und Einwohner doch für allzu schießwütig. Als er den Trunkenbold Luke Mills (Jimmy Lydon) erschießt, scheint die Gelegenheit gekommen, den Gesetzeshüter abzuservieren (auch wenn es klar Notwehr war und der Schusswechsel nicht den Eindruck erweckte, als sei Patch darauf versessen, seinen Gegner über den Haufen zu knallen). Obwohl niemand dabeigewesen ist, verbreitet sich schnell das Gerücht, es sei eben keine Notwehr gewesen. Doch so leicht lässt sich der Marshal nicht aus dem Amt drängen.

Welcher der beiden Regisseure mag welche Abschnitte inszeniert haben? Da Filme selten in chronologischer Reihenfolge entstehen, lässt sich das in der Richtung nicht feststellen. Der knackige Showdown samt Schießereien und einer intensiven Szene mit zwei Kerlen inmitten einer Kuhherde im Pferch scheint mir die Handschrift Don Siegels zu tragen, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Totten mag dazu ebenso in der Lage gewesen sein. Das vorherige Geschehen gestaltete sich jedenfalls deutlich ruhiger. Es fällt dialoglastig, dialogstark aus.

Liaison mit der Bordellbesitzerin

Im Mikrokosmos Cottonwood Springs treten viele Figuren auf. Ganz ohne ihm freundlich gesinnte Menschen ist Frank Patch in der Kleinstadt immerhin nicht. Da sind der junge, den Marshal bewundernde Dan Joslin (Michael McGreevey), den er unter seine Fittiche genommen hat, und die Bordellbesitzerin Claire Quintana (Lena Horne), die ihn liebt und mit ihm fortgehen würde, auch wenn sie feststellt, dass er sie nicht liebt (was so deutlich aber nun auch wieder nicht ist). Da ist Laurie Mills (Jacqueline Scott), Witwe von Luke, den Frank just erschoss. Mit ihr verband ihn 16 Jahre zuvor wohl mal mehr, aber sie entschied sich für Luke – wohl nicht die beste Wahl, wie sie selbst gemerkt hat.

Zu Claire zieht es Frank Patch immer wieder

Wir haben den Stadtrat, in dem Ivan Stanek (Morgan Woodward) das große Wort führt, der den Fortschritt herbeiredet – ein Fortschritt, dem der Marshal im Wege stehe. Der Zeitungsverleger Andrew Oxley (Kent Smith), ebenfalls Mitglied des Stadtrats, ist ungleich schwieriger zu deuten (am Ende wird einiges klarer). Er wirkt rückgratlos, fast schon feige, lässt sich von Frank Patch vor den Augen seines Sohns Will Oxley (Mercer Harris) demütigen, was noch wichtig werden wird. Auch Reverend Rork (Harry Carey Jr.) ist im Stadtrat, ein ehrenwerter Mann, der aber untätig bleibt, als der Stadtrat drastischere Maßnahmen beschließt. Er will seine Hände in Unschuld waschen und zieht sich in die Sicherheit seiner Kirche zurück. Dies hätte der Film meines Erachtens noch stärker herausarbeiten sollen. Dann ist da noch der windige Saloonbesitzer Lester Locke (Carroll O’Connor), der viel weiß, Gerüchte streut, sich aber gern raushält (bis es am Ende nicht mehr geht und er sich in einer trügerischen Sicherheit unter vielen wähnt).

Mit dem jungen Dan Joslin pflegt der Marshal ein väterlich-freundschaftliches Verhältnis

Interessant sind der Umgang mit Diskriminierung und die Tatsache, dass derlei überhaupt thematisiert wird – und das denkbar nebenbei, fast unauffällig, aber doch auffällig genug. Am auffälligsten in der Figur des Marshals Lou Trinidad (John Saxon), der eintrifft, um seinen alten Weggefährten Frank Patch festzunehmen oder zumindest aus der Stadt zu befördern (man weiß es nicht genau). Trinidad ist Mexikaner und einst von Patch gefördert worden, wie das Filmpublikum in einem Gespräch zwischen beiden erfährt. Trinidad sei oft als „Greaseball“ bezeichnet worden, wie Mexikaner gern abfällig genannt wurden, und fast rutscht Patch das Wort am Ende ihres Streitgesprächs ebenfalls raus. Trinidad bemerkt es jedenfalls. In einer anderen Szene lässt Stadtrat Stanek gegenüber seinem jüdischen Kollegen Edward Rosenbloom (David Opatoshu) eine antisemitische Bemerkung fallen. Erwähnt sei auch der Kuss zwischen der Afroamerikanerin Claire und dem weißen Marshal Patch – und sie heiraten sogar! Dies wiederum stellt der Film keineswegs als außergewöhnlich dar, er ist damit seiner Zeit voraus gewesen, was ahnen lässt, dass die Figuren Trinidad und Rosenbloom keinesfalls zufällig als Mexikaner beziehungsweise Jude skizziert wurden. Bemerkenswert genug, dass für den Western mit Lena Horne (1917–2010) eine afroamerikanische Sängerin verpflichtet wurde, die sich sogar in der Bürgerrechtsbewegung engagierte. Dieser nicht zu Ende erzählte Umgang mit Rassismus und Antisemitismus ist eine intensivere Betrachtung wert, die ich hier nicht leisten kann, zumal keiner der Beteiligten mehr dazu befragt werden kann. In einer kurzen Szene ohne Dialog ist im Übrigen O. J. Simpson („Unternehmen Capricorn“) als Einwohner von Cottonwood Springs zu sehen, der damit sein Leinwanddebüt gab.

Der Tod ist sein Begleiter

Zur Hauptfigur, von Richard Widmark intensiv verkörpert – vielleicht eine seiner stärksten Rollen, auch wenn nicht alles deutlich wird, was Frank Patch antreibt. So bleibt offen, was ihn motiviert, unbedingt Marshal in einer Stadt bleiben zu wollen, deren Bewohnerinnen und Bewohner ihn anscheinend mehrheitlich ablehnen. Fürchtet er, keinen anderen Platz im Leben mehr zu finden? Und was reitet ihn, am Ende sehenden Auges aus der immerhin ein Minimum an Sicherheit bietenden Kirche herauszutreten und sich zur Zielscheibe der vielen Gewehre zu machen, deren Läufe er auf den Dächern sehr wohl wahrnimmt? Er wird wissen, dass zumindest einige, wenn nicht die meisten Schützen abdrücken werden. Ist es Resignation, die ihn antreibt, weil er ahnt, dass er ein Relikt vergangener Zeiten ist, dass abserviert gehört? Hält er sein Schicksal am Ende aufgrund seiner Taten für verdient? So hart muss er mit sich gar nicht ins Gericht gehen, den Tod von Luke Mills wie erwähnt nicht sich anlasten. Und ob er aus der Vergangenheit wirklich so viel auf dem Kerbholz hat, wie im Ort offenbar geraunt wird, erscheint auch fraglich. So erwähnt die Witwe Laurie Mills, früher habe der Marshal es oft genug geschafft, derlei Konflikte ohne Schusswaffe zu lösen. Gleichwohl hat Marshal Frank Patch ein jähzorniges Temperament, das sich in drei Szenen offenbart, als er unvermittelt Männer schlägt, die er nicht hätte schlagen müssen. Er weiß auch selbst um diese Untugend, wie er einmal anmerkt. Aus dieser Gemengelage an Eigenschaften und Situationen macht Richard Widmark eine der vielschichtigsten Rollen seiner Karriere.

New Hollywood

Bleibt die Frage: Lässt sich „Frank Patch – Deine Stunden sind gezählt“ dem New Hollywood zuordnen? Das kann bejaht werden, auch wenn Regisseur Robert Totten sicher kein Auteur war, der sein Werk frei von Vorgaben und Zwängen der Universal-Studios nach seiner eigenen Vision inszenieren konnte – zumal eben dieses Studio ihn dann ja auch mitten in der Drehzeit feuerte. Tottens/Siegels Arbeit zeigt sich zwar frei von den Einflüssen des Italowesterns und bleibt insofern dem klassischen US-Western verhaftet, aber sie ist doch klar als Abgesang auf den klassischen Typus des raubeinigen Westernhelden erkennbar. Frank Patch hat ausgedient und muss dem Fortschritt weichen, auch wenn dieser Fortschritt am Ende mit den alten Mitteln durchgesetzt wird. Wild ist am Westen von Cottonwood Springs zwar noch so viel, dass es für einen Showdown in pulvergeschwängerter Luft ausreicht, aber für eine klassische Heldengeschichte des Wilden Westens reicht das nicht mehr.

Geht man so mit alten Freunden um?

Zeitlich steht „Death of a Gunfighter“ mitten in der Blütezeit von New Hollywood, und das insbesondere, was das Westerngenre angeht: 1969 war immerhin das Jahr von George Roy Hills „Zwei Banditen“ und Sam Peckinpahs „The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz“, kurz darauf folgte Arthur Penns „Little Big Man“ (1970). Eine illustre Runde, deren Bekannheitsgrad „Allen Smithees“ New-Hollywood-Beitrag nie erreicht hat. Unverdient.

Mit Feinden schon eher so

In Westdeutschland kam „Frank Patch – Deine Stunden sind gezählt“ 1969 in die Kinos. Der 2007er-DVD von Koch Media (heute Plaion Pictures) und der 2020er-Blu-ray von Universal ließ explosive media nun eine 2-Disc Edition im schönen Digipack mit Schuber folgen, die das Westerndrama in sehr guter Qualität auf Blu-ray und DVD enthält. Im Bonusmaterial finden sich zwei feine Featurettes, in denen sich die Filmwissenschaftler Neil Sinyard und Richard Dyer kenntnisreich über „Death of a Gunfighter“ auslassen. Sinyard etwa erläutert das Thema „Allen Smithee“, während Dyer Bezüge zu vorherigen Western herstellt, auf die sich Tottens/Siegels Arbeit beziehe. Demnach bietet sich „Frank Patch – Deine Stunden sind gezählt“ durchaus für ein Double Feature im Verbund mit Fred Zinnemanns Edelwestern „12 Uhr mittags“ (1952) an. Die Parallelen sind zu augenfällig, um Zufall zu sein, wie Dyer erläutert.

Missratener Booklettext

Bedauerlicherweise hält das Booklet des Digipacks das Niveau der Edition nicht. Die Texte zum Film sowie zu Richard Widmark, Lena Horne und John Saxon stellen bestenfalls Mittelmaß dar, haften bleibt wenig. Zudem haben sie eine hohe Fehlerquote. Dazu passt, dass Autor oder Autorin ungenannt bleiben. Ein unschöner Wermutstropfen einer ansonsten vorzüglichen Veröffentlichung eines Westerndramas, das viel mehr Bekanntheit verdient hat.

Alle bei „Die Nacht der lebenden Texte“ berücksichtigten Filme von Don Siegel haben wir in unserer Rubrik Regisseure aufgelistet, Filme mit Harry Carey Jr., John Saxon und Richard Widmark unter Schauspieler.

Veröffentlichung: 23. November 2023 als 2-Disc Edition Digipack (Blu-ray & DVD) und DVD, 18. Juni 2020 als Blu-ray, 22. Juni 2007 als DVD

Länge: 94 Min. (Blu-ray), 90 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Originaltitel: Death of a Gunfighter
USA 1969
Regie: Robert Totten, Don Siegel
Drehbuch: Joseph Calvelli, nach dem Roman „Death of a Gunfighter“ von Lewis B. Patten
Besetzung: Richard Widmark, Lena Horne, Carroll O’Connor, John Saxon, Harry Carey Jr., David Opatoshu, Kent Smith, Jacqueline Scott, Morgan Woodward, Larry Gates, Dub Taylor, Kathleen Freeman, Jimmy Lydon, Royal Dano, Darleen Carr, Michael McGreevey, O. J. Simpson, Mercer Harris
Zusatzmaterial 2023: „Man out of Time –Neil Sinyard on Death of a Gunfighter“ (21:32 Min.), „Siren Son – Richard Dyer on Lena Horne and the Themes of Death of a Gunfighter“ (23:58 Min.), Original Kinotrailer, Bildergalerie, Schuber
Label 2023: explosive media
Vertrieb 2023: Plaion Pictures
Label/Vertrieb 2020: Universal Pictures Germany GmbH
Label/Vertrieb 2007: Koch Media (heute Plaion Pictures)

Copyright 2024 by Volker Schönenberger

Szenenfotos & gruppierter Packshot: © 2023 explosive media,
Blu-ray-Packshot: Universal Pictures Germany GmbH, DVD-Packshot: © 2007 Koch Media

 

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